BT-Drucksache 17/157

Gemeinsame menschenrechtliche Positionierung der EU gegenüber den Ländern Lateinamerikas und der Karibik einfordern

Vom 2. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/157
17. Wahlperiode 2. 12. 2009

Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, Ulrike Höfken,
Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsame menschenrechtliche Positionierung der EU gegenüber den Ländern
Lateinamerikas und der Karibik einfordern

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich vor dem Hintergrund der spanischen EU-Ratspräsidentschaft ab Januar
2010 in der EU für eine gemeinsame und kohärente Menschenrechtspolitik
der EU gegenüber den Ländern Lateinamerikas und der Karibik (LAK) ein-
zusetzen;

2. dabei dafür einzutreten, dass das Thema Menschenrechte auch in der euro-
päischen Handelspolitik gegenüber den Ländern Lateinamerikas und der
Karibik Beachtung findet und die bereits laufenden Verhandlungen zu Han-
delsabkommen, insbesondere mit Kolumbien, entweder einen klaren Fokus
auf die menschenrechtlichen und ökologischen Entwicklungen legen oder
bis zur Veränderung des Verhandlungsmandats ausgesetzt werden;

3. darauf zu drängen, dass bei einer notwendigen Evaluierung und Überarbei-
tung des Gemeinsamen Standpunktes der EU gegenüber Kuba von 1996 die
Grundsätze im Bereich der Menschenrechte unangetastet bleiben.

Berlin, den 2. Dezember 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung
Die im Januar 2010 beginnende spanische EU-Ratspräsidentschaft will unter
anderem eine besondere Aufmerksamkeit auf die Länder Lateinamerikas und
der Karibik legen. Dabei muss sie die menschenrechtlichen Defizite, die in vie-
len Ländern der Region bestehen, klar ansprechen, eine gemeinsame und kohä-
rente Menschenrechtspolitik der EU voranbringen und den Menschenrechtsan-
satz insbesondere auch in der europäischen Handelspolitik umsetzen.

Drucksache 17/157 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft hat sich unter anderem vorgenommen,
die laufenden Verhandlungen über Assoziierungs- bzw. Handelsabkommen mit
dem MERCOSUR, den Staaten Zentralamerikas sowie der Andengemein-
schaft, bzw. Peru und Kolumbien abzuschließen. Ziel dieser Verhandlungen
müssen Abkommen sein, die klare Bekenntnisse zur Demokratie und zur Ein-
haltung der politischen, bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Menschenrechte enthalten. Die Abkommen müssen einen Beitrag zur Stärkung
der Menschenrechte leisten und dürfen diese in keiner Weise untergraben. Eine
besondere Rolle kommt hierbei dem angestrebten Abkommen mit Kolumbien
und Peru zu. Seitdem die EU nicht mehr en bloc mit der Andengemeinschaft
sondern bilateral mit Kolumbien und Peru verhandelt, wurde das Thema Men-
schenrechte aus den Verhandlungen ausgeklammert.

In Kolumbien kommt es nach wie vor zu schwersten Menschenrechtverletzun-
gen an der Zivilbevölkerung durch staatliche und nichtstaatliche Bürgerkriegs-
parteien. Die kolumbianischen Sicherheitskräfte sind verantwortlich für
hunderte von außergerichtlichen Hinrichtungen und für Fälle des gewaltsamen
Verschwindenlassens. Präsident Álvaro Uribe begründet das Vorgehen der
Sicherheitskräfte mit dem Slogan der „terroristischen Bedrohung“ durch die
Guerilla im Land. Die kolumbianische Regierung stellt immer wieder Men-
schenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger, Gewerkschaftle-
rinnen und Gewerkschaftler, Journalistinnen und Journalisten sowie andere
zivilgesellschaftliche Akteure öffentlich zu Unrecht in die Nähe der Guerilla.
Hierdurch gefährdet sie deren Sicherheit in höchstem Maße und delegitimiert
ihre Arbeit. Aufgrund der notorisch schlechten Menschenrechtslage in Kolum-
bien darf kein Handelsabkommen abgeschlossen werden, das nicht ein klares
Bekenntnis zu Menschenrechten und Demokratie beinhaltet.

In Peru hat sich die Menschenrechtssituation in den letzten Jahren dramatisch
verschlechtert. Die Zahl der sozialen Konflikte hat in dem Maße zugenommen,
wie die peruanische Regierung im Bergbausektor und bei der Öl- und Gas-
förderung Konzessionen vergibt bzw. ihre Aktivitäten ausweitet. Auf Proteste
der besonders Betroffenen (vor allem Indigene) reagiert die peruanische Regie-
rung mit Einschüchterung, einer Verschärfung der Gesetze gegen Nichtregie-
rungsorganisationen und Repressionen, sogar in Form von physischer Gewalt,
die im Sommer 2009 in Bagua in einem Blutbad endete.

Auch in Chile werden in zunehmendem Maße die Rechte Indigener durch Ver-
treibungen der im Süden des Landes lebenden Mapuche verletzt. In Mexiko ist
die Straflosigkeit so massiv verbreitet, dass sie sich laut Aussagen des letzten
EU-Repräsentanten vor Ort, Mendel Goldstein, zwischen 96 und 99 Prozent
bewegt. Seitdem Präsident Felipe Calderón vor drei Jahren dem organisierten
Verbrechen den Krieg erklärt hat und Soldaten im Kampf gegen die Drogen-
kartelle im Land einsetzt, werden in Mexiko zunehmend Menschenrechts-
verletzungen der Militärs an der Zivilbevölkerung angezeigt. Zu den Vergehen
gehören außergesetzliche Tötungen, Folter, Misshandlungen, willkürliche Ver-
haftungen und illegale Hausdurchsuchungen. Die Menschenrechtslage in Gu-
atemala ist schlecht, ohne dass hier ein Aufwärtstrend zu beobachten wäre – im
Gegenteil.

Am 28. Juni 2009 fand in Honduras ein Putsch gegen den legitimen Präsiden-
ten Manuel Zelaya statt. Dieser Putsch ist durch nichts zu rechtfertigen. Die
Vereinten Nationen, die lateinamerikanischen Staaten, die USA und die EU
verurteilten den Putsch einstimmig und forderten die Wiedereinsetzung Manuel
Zelayas. Während und seit dem Putsch ist es zu schwerwiegenden Menschen-
rechtsverletzungen gekommen. Die Wahlen am 29. November 2009 sind keine
Lösung für die Krise in Honduras. Denn sie sind nicht demokratisch und kön-

nen daher auch kein legitimes Ergebnis hervorbringen. Die Verhandlungen zwi-
schen der EU und den Staaten Zentralamerikas sind seit dem Putsch in Hondu-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/157

ras am 28. Juni 2009 ausgesetzt. Vor einer Rückkehr zur verfassungsmäßigen
Ordnung in Honduras dürfen sie auf keinen Fall wieder aufgenommen werden.
Die Wahlen vom 29. November 2009 sind keine Grundlage, um die Verhand-
lungen fortzuführen.

Zu Kuba macht jüngst der Bericht von Human Rights Watch „New Castro,
Same Cuba“ (2009) auf die Missachtung internationaler Menschenrechts-
standards aufmerksam. Meinungs- und Pressefreiheit werden massiv einge-
schränkt, demokratische Parteien werden nicht zugelassen, und noch immer
sitzen bis zu 200 politische Gefangene in kubanischen Gefängnissen. Sowohl
die lateinamerikanischen und karibischen Staaten als auch die USA haben in
den vergangenen Monaten Schritte der Annäherung gegenüber Kuba unternom-
men. Auch die spanische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass die EU
während ihrer Ratspräsidentschaft die Position zu Kuba überdenkt. Der seit
1996 gültige Gemeinsame Standpunkt der EU knüpft eine politische und wirt-
schaftliche Annäherung an eine Stärkung der Menschenrechte und an eine
demokratische Öffnung Kubas. Trotz der Notwendigkeit einer Evaluierung und
Überprüfung des Gemeinsamen Standpunktes darf es keine Aufweichung im
Bereich der Menschenrechte geben.

In Venezuela existiert kein effektiver Rechtsschutz gegen staatliche Eingriffe in
Grundrechte, da die venezolanische Justiz nicht mehr unabhängig entscheidet.
Die Gewaltenteilung wird ausgehöhlt, die Grundfreiheiten sind bedroht. Ein-
griffe in die Presse- und Meinungsfreiheit sowie Korruption sind an der Tages-
ordnung. Regierungskritische Journalistinnen und Journalisten und Menschen-
rechtsaktivistinnen und -aktivisten werden bedroht und wegen meist haltloser
Gründe inhaftiert.

In ganz Lateinamerika und den Ländern der Karibik ist die menschenrechtliche
Lage der Frauen prekär. Gewalt gegen Frauen, bis hin zu Feminizid, steigt, und
besonders dort, wo Gesellschaften in kriegsähnliche und zumindest sehr kon-
fliktive Situationen abgleiten, sind es vor allem die Frauen, deren Lage sich
massiv verschlechtert. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft, die sich den
Kampf gegen Gewalt an Frauen auf die Fahnen geschrieben hat, sollte dies ins-
besondere auch in ihrer Politik den Ländern LAK gegenüber zur Priorität
machen.

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