BT-Drucksache 17/14557

Marktmacht der deutschen Supermarktketten und ihr möglicher Einfluss auf die Ausbeutung in der globalen Zulieferkette

Vom 13. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14557
17. Wahlperiode 13. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Britta Haßelmann, Thilo Hoppe,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa
Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Marktmacht der deutschen Supermarktketten und ihr möglicher Einfluss auf die
Ausbeutung in der globalen Zulieferkette

Die fünf führenden Supermarktketten Edeka, Rewe, Aldi, die Schwarzgruppe
(Lidl und Kaufland) und Metro teilen sich rund 90 Prozente des deutschen
Marktes. Ihnen stehen allein in Deutschland zwischen 5 000 und 6 000 Lebens-
mittelhersteller gegenüber. Global sind es unzählige weitere Zulieferer. Der
Einkauf von Waren aus dem Ausland ist in den vergangenen Jahrzehnten deut-
lich gestiegen. Der Konsum von exotischen Früchten wie Mangos, Bananen,
Ananas ist stark gewachsen. Der Anteil von Obst und Gemüse, der nicht mehr
bei uns in Deutschland produziert wird, liegt bei etwa 50 Prozent (http://
de.statista.com/statistik/daten/studie/204933/umfrage/herkunft-der-produkte-im-
deutschen-lebensmitteleinzelhandel/). Im Jahr 2011 leitete das Bundeskartell-
amt eine Untersuchung des Lebensmittelmarktes in Deutschland ein. Andreas
Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, sagte damals: „Die großen vier
Handelsunternehmen in Deutschland vereinen inzwischen ca. 85 Prozent des
Absatzmarktes aufeinander. Bei einer solch starken Konzentration müssen wir
uns auch die Machtverhältnisse zwischen Händlern und Herstellern genauer
anschauen.“ (www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Presse/2011/
2011-09-16_PM_SU_LEH.pdf).

Daraus resultiert ein starkes Kräfteungleichgewicht in den Vertragsbeziehungen
zwischen Handel und Herstellern. Der Preiskampf im hart umkämpften
Lebensmitteleinzelhandel geht immer wieder zu Lasten der Angestellten, vor
allem aber auch zu Lasten der Arbeiterinnen und Arbeiter in Entwicklungs- und
Schwellenländern.

Supermarktketten kooperieren immer enger mit multinationalen Konzernen,
die Lebensmittel in Entwicklungs- und Schwellenländern anbauen lassen und
liefern. Um Marktanteile auszubauen, setzen die Supermarktketten ihre Zu-
lieferer unter Druck, damit diese die Kosten weiter senken. Dieser Preis- und

Kostendruck wird entlang der Lieferkette weitergegeben und führt in vielen
Ländern der Erde zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen, menschenunwürdi-
gen Löhnen und Ausbeutung.

Einem Papier des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom
16. Januar 2013 zufolge, waren bereits 84 Prozent der europäischen Lieferanten
des Einzelhandels im Jahr 2009 Opfer unfairer Handelspraktiken der großen
Supermarktketten. 77 Prozent wurden mit Auslistung bedroht, wenn sie unge-

Drucksache 17/14557 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

rechtfertigten Vorteilen der Supermarktketten nicht zustimmten, bei 63 Prozent
wurden willkürlich rückwirkend Entgelte reduziert und 60 Prozent wurden zu
Zahlungen gezwungen, ohne dass sie eine Gegenleistung dafür erhielten (http:/
/edz.bib.uni-mannheim.de/edz/doku/wsa/2012/ces-2012-1887-de.pdf). Wenn
diese dramatischen Zahlen auf europäische Zulieferer zutreffen, dann dürfte der
Druck, der auf internationalen Zulieferern lastet noch deutlich stärker sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie schätzt die Bundesregierung den Einfluss der Supermarktketten Edeka,
Rewe, Aldi, Schwarzgruppe (Lidl und Kaufland) und Metro auf die Arbeitsbe-
dingungen und Umweltstandards in Entwicklungs- und Schwellenländern ein?

2. Liegen der Bundesregierung Fakten zu unlauteren Handelspraktiken der ge-
nannten Supermarktketten gegenüber ihren Zulieferern vor (sowohl mit
Blick auf die Frage nach bestimmten Fällen in der Vergangenheit als auch
mit Blick auf die aktuelle Praxis)?

Und wenn ja, welche?

a) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung, wenn Supermarktketten Zulieferer durch verspätete Zahlungen
unter Druck setzen?

Und welche Auswirkungen hat dies nach Kenntnis der Bundesregierung
auf die sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern?

b) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung, wenn Supermarktketten Zulieferer unter Druck setzen, indem sie
nachträglich die Konditionen der Lieferverträge ändern?

Und welche Auswirkungen hat dies nach Kenntnis der Bundesregierung
auf die sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern?

c) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung, wenn Supermarktketten Zulieferer durch die Rückgabe unverkauf-
ter Produkte unter Druck setzen?

Und welche Auswirkungen hat dies nach Kenntnis der Bundesregierung
auf die sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern?

d) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung, wenn Supermarktketten Zulieferer durch die Androhung von Aus-
listung unter Druck setzen, wenn diese die Bedingungen der Ketten nicht
akzeptieren wollen?

Und welche Auswirkungen hat dies nach Kenntnis der Bundesregierung
auf die sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern?

e) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung, wenn Supermarktketten Zulieferern verbieten, mit anderen Super-
marktketten zusammenzuarbeiten, um diese zu schwächen?

Und welche Auswirkungen hat dies nach Kenntnis der Bundesregierung
auf die sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern?

f) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung,
wenn Lieferanten durch so genannte Listungsgebühren dazu gezwungen

werden, zunächst Geld zu zahlen, um überhaupt Waren liefern zu können?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14557

Und welche Auswirkungen hat dies nach Kenntnis der Bundesregierung
auf die sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern in Entwick-
lungs- und Schwellenländern?

3. Wie gedenkt die Bundesregierung, gegen die genannten unlauteren Han-
delsmethoden in Deutschland vorzugehen?

4. Liegen der Bundesregierung bereits Ergebnisse der Untersuchung des
Bundeskartellamtes in Bezug auf den Lebensmittelmarkt vor?

Wenn ja, welche?

5. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Marktmacht der Super-
marktketten einzuschränken, um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen?

6. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit für ein missbrauchsunabhän-
giges Entflechtungsgesetz im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(GWB)?

7. Kommt für die Bundesregierung die Absenkung des Schwellenwerts für
die Vermutung einer marktbeherrschenden Stellung in Frage?

Wenn nein, welche Alternativen sieht die Bundesregierung, die marktbe-
herrschende Stellung der Supermarktketten im Lebensmittelbereich einzu-
hegen?

8. Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, die in § 20 Absatz 3 GWB
verankerte Missbrauchskontrolle von Unternehmen mit relativer Markt-
macht gegenüber abhängigen Unternehmen auf die globale Lieferkette im
Lebensmittelsektor auszudehnen?

9. Welche Möglichkeiten haben offizielle Stellen, Unternehmen bei unlaute-
ren Handelspraktiken zu sanktionieren, und plant die Bundesregierung,
diese Möglichkeiten auszuweiten?

10. Plant die Bundesregierung die Einführung eines Verbandsklagerechtes in
Bezug auf unlautere Handelspraktiken?

11. Plant die Bundesregierung, das Konzept der unlauteren Handelspraktiken,
das bislang im GWB nicht genannt wird, mit globalem Bezug in die deut-
sche Gesetzgebung einzuarbeiten, und wenn ja, wie und wann?

Und wenn nein, warum nicht?

12. Plant die Bundesregierung, einen Beispielkatalog unlauterer Handels-
praktiken mit Bezug zur globalen Lieferkette ins Gesetz oder als Anlage
zum Gesetz auszuarbeiten und aufzunehmen?

Wenn nein, warum nicht?

13. Plant die Bundesregierung Sorgfaltspflichten für die Lieferketten gesetz-
lich zu verankern?

Wenn ja, wie genau?

Wenn nein, warum nicht?

14. Befürwortet die Bundesregierung die Einrichtung

a) einer Beschwerdestelle, bei der unlautere Handelspraktiken anonym
gemeldet werden können,

b) eines Schlichtungsmechanismus, an den sich Zulieferer aus Entwick-
lungs- und Schwellenländer wenden können?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/14557 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

15. Welche Behörden sind derzeit für die Ermittlung, Überwachung, Doku-
mentation und Ahndung von unlauteren Handelspraktiken gerade auch in
Bezug auf die globale Lieferkette zuständig?

a) Wie ist diese Behörde mit Bezug auf die genannte Aufgabe finanziell
und personell ausgestattet?

b) Welche Befugnisse stehen der Behörde mit Bezug zu den genannten
Aufgaben zur Verfügung?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung das Grünbuch der Europäischen Kom-
mission über „unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette (B2B =
Business-to-business) für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa“
in dem die Kommission Studien zitiert, die unlautere Handelspraktiken von
Supermarktketten in Europa belegen, und welche Rückschlüsse zieht die
Bundesregierung auf die globalen Lieferketten?

17. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus freiwilligen Verhaltenskodizes, die die Lebensmittelversorgungskette
betreffen, in Portugal, Slowenien, Spanien, Belgien und im Vereinigten
Königreich?

18. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus Gesetzen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken im Lebensmittel-
sektor in der Tschechischen Republik, in Ungarn und Italien?

19. Setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für einen spezifischen
EU-Regulierungsrahmen für die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken
in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel ein?

a) Wenn ja, welche Maßnahmen sollten hier aus Sicht der Bundesregie-
rung getroffen werden, um die Situation von Zulieferern aus Entwick-
lungs- und Schwellenländern zu verbessern?

b) Wenn nein, warum lehnt die Bundesregierung Regulierungen auf euro-
päischer Ebene ab?

20. Inwieweit befürwortet die Bundesregierung die Ausweitung der Transpa-
renzpflichten, die bereits für den Rohstoffsektor beschlossen wurden, auf
den Lebensmittelbereich, die eine Offenlegungspflicht nach sozialen und
ökologischen Standards für die Lieferketten der großen Supermarktketten
beinhalten würden?

21. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Business Social Compliance Initiative (BSCI) vor dem Hintergrund,
dass sich alle fünf großen, in Deutschland tätigen Supermarktketten dieser
Initiative angeschlossen haben und laut Berichten von Nichtregierungsorga-
nisationen nach wie vor mit unlauteren Handelsmethoden agieren?

22. Wie steht die Bundesregierung zu den Gütesiegeln Utz Certified und Rain-
fores Alliance, die derzeit vor allem bei der Schokoladeproduktion verbrei-
tet genutzt werden?

23. Mit welchen der Supermarktketten arbeitet die Bundesregierung bzw.
Durchführungsorganisationen, wie die Deutsche Gesellschaft für Inter-
nationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH oder die Deutsche Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Bereich International Services
(GIZ IS) zusammen, und welche konkreten Projekte führen GIZ oder GIZ IS
mit den oben genannten Supermarktketten durch (bitte auflisten, inkl.
finanziellem Rahmen und jeweils erläutern)?

Berlin, den 12. August 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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