BT-Drucksache 17/14513

Kontakte deutscher Rechtsextremisten nach Osteuropa und Beteiligung an dortigen nationalistischen Aufmärschen

Vom 2. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14513
17. Wahlperiode 02. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Andrej Hunko, Niema Movassat, Thomas Nord, Jens Petermann,
Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Kontakte deutscher Rechtsextremisten nach Osteuropa und Beteiligung an
dortigen nationalistischen Aufmärschen

Deutsche Rechtsextremisten unterhalten Beziehungen zu rechtsextremen Grup-
pierungen in einer Reihe osteuropäischer Länder und beteiligen sich dort an
nationalistischen Aufmärschen. Dabei werden häufig Nazi-Kollaborateure
sowie einheimische Waffen-SS-Einheiten legitimiert bzw. gar als „Verteidiger
des Vaterlandes“ glorifiziert.

Teilweise begegnen die Regierungen dieser Länder den Aufmärschen mit
Verständnis. Das gilt auch für EU-Staaten: So forderte etwa der lettische Präsi-
dent Andris Berzins, man solle sich vor den einheimischen SS-Söldnern ver-
beugen, weil diese „für ihr Vaterland“ gekämpft hätten (http://en.rian.ru/world/
20120228/171590510.html). Mitglieder der Regierungspartei „Alles für
Lettland“ beteiligten sich an der SS-Demonstration in Riga (16. März 2013)
sowie an Übergriffen auf protestierende Antifaschisten (www.youtube.com/
watch?v=coJvki9a7EQ und http://cilvektiesibas.org.lv/en/monitoring/4324/
monitoring-news-2013-3-21-4324/).

Positive Bezugnahmen von Regierungsangehörigen auf rechtsextreme Märsche
sowie eine auf die Rehabilitierung früherer faschistischer Politiker bzw.
Kollaborateure zielende Geschichtspolitik sind auch aus anderen osteuro-
päischen Ländern, insbesondere aus Litauen, Estland, Ungarn und Rumänien
bekannt; exemplarisch genannt sei die im vergangenen Jahr mit militärischen
Ehren durchgeführte Überführung des „Präsidenten“ der litauischen „Proviso-
rischen Regierung“, Juozas Ambrazevicius Brazaitis in eine Kathedrale in
Kaunas; zu den Handlungen dieser Regierung hatte eine Anordnung gehört,
Juden in Ghettos anzusiedeln (www.bbc.co.uk/news/world-europe-18101716).

Deutsche Rechtsextremisten haben sich nach von der Bundesregierung bestä-
tigten Erkenntnissen der Fragesteller an zahlreichen Aufmärschen in Osteuropa
beteiligt (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage der
Abgeordneten Ulla Jelpke vom 8. Mai 2013). Bekannt ist zudem, dass die NPD

Kontakte zur rechtsextremen „Allukrainischen Vereinigung Swoboda“ unter-
hält, die im Oktober vorigen Jahres erstmals in Fraktionsstärke ins oberste
Parlament der Ukraine (Werchowna Rada) gewählt worden ist. Im Frühjahr
dieses Jahres entsandte Swoboda eine Delegation, an der u. a. Rada-Mitglied
Mychajlo Holowko teilnahm, zur sächsischen NPD-Fraktion. Mychajlo
Holowko hat, der NPD zufolge, Grüße des Swoboda-Parteichefs Oleg
Tjagnibok überbracht und sich zuversichtlich gezeigt, dass die Kooperation

Drucksache 17/14513 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zwischen Swoboda und der NPD ausgebaut werden könne. Nach Angaben auf
der NPD-Homepage hat zudem der von Swoboda gestellte Bürgermeister von
Ternopil dem NPD-Blatt „Deutsche Stimme“ ein Interview gewährt.

Die Bundesregierung hatte in ihrer Antwort auf eine Mündliche Frage der
Abgeordneten Ulla Jelpke vom 20. Februar 2013 ausgeführt, sie habe weder
Erkenntnisse über rechtsextremistische Tendenzen der Fraktion und Partei
Swoboda, noch zu deren Kontakten zu Rechtsextremisten in Deutschland oder
der EU (Plenarprotokoll 17/221).

Diese Antwort verblüfft, weil schon einfachste Internetrecherchen ergeben, dass
Swoboda Beobachterstatus bei der Europäischen Nationalistischen Bewegung
hat und schon seit langem intensive Kontakte etwa zu den faschistischen Par-
teien bzw. Bewegungen Jobbik, Front National, Fiamme Tricolore und
Moviemento Social Republicano unterhält. Zudem zeigen sich insbesondere
jüdische Organisationen besorgt über antisemitische Äußerungen von Swoboda-
Mitgliedern. So soll der Swoboda-Führer von Charkiw nach den Wahlen einen
Marsch organisiert haben, dessen Teilnehmer bei erhobenem rechten Arm ein
Lied sangen, das dazu aufruft, Juden umzubringen (http://eajc.org/page34/
news35328.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Teilnahme
deutscher Rechtsextremisten an nationalistischen Aufmärschen in Osteuropa
in den Jahren 2010 bis 2013?

a) An welchen Aufmärschen haben sich deutsche Rechtsextremisten betei-
ligt (bitte Datum, Ort, jeweiligen Veranstalter und Thema/Motto des Auf-
marsches nennen)?

b) Wie viele deutsche Rechtsextremisten waren dabei jeweils vertreten?

c) Sofern benennbar, aus welchen Vereinigungen/Kameradschaften/Parteien
usw. stammen diese deutschen Teilnehmer jeweils?

d) Zu welchen jeweiligen osteuropäischen Organisationen haben deutsche
Rechtsextremisten besonders intensive Kontakte?

2. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Teil-
nahme osteuropäischer nationalistischer Kräfte an Veranstaltungen deut-
scher Rechtsextremisten seit 2010 (bitte nach dem Schema der Frage 1
beantworten)?

3. Welche weiteren Kontakte gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung
zwischen deutschen Rechtsextremisten und nationalistischen Kräften in Ost-
europa (bitte möglichst jeweilige Organisation und, ggf. auch exemplarisch,
Art der Kontakte benennen)?

4. Mit welcher Intensität und Methode (etwa: Presseauswertung, Kontakte zu
Nichtregierungsorganisationen oder Geheimdienstaustausch) verfolgen die
deutschen Auslandsvertretungen (ultra)nationalistische und antisemitische
Entwicklungen in den jeweiligen Ländern?

5. Welche Entwicklungen und Organisationen sind aus Sicht der Bundesregie-
rung hierbei besonders hervorzuheben (bitte detailliert für jedes Land dar-
legen)?

6. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung mittlerweile über rechts-
extreme Tendenzen der Partei und Fraktion Swoboda seit dem Wahltag?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14513

7. Welche Kritik, Sorge u. Ä. wird nach Kenntnis der Bundesregierung von
demokratischen Organisationen, Medien bzw. Wissenschaftlern in der
Ukraine hinsichtlich rechtsextremer Tendenzen von Swoboda formuliert
(bitte möglichst detailliert ausführen), und welche Schlussfolgerungen
zieht sie hieraus?

8. Treffen Informationen der Fragesteller zu, dass sich der deutsche Botschaf-
ter in der Ukraine mit Vertretern von Swoboda getroffen hat, und wenn ja,

a) wann hat das Treffen stattgefunden,

b) wer war von Seiten der Botschaft sowie von Swoboda dabei vertreten,

c) was war Anlass, Ziel und Inhalt des Gesprächs,

d) inwiefern hat der deutsche Botschafter darauf hingewiesen, dass Äuße-
rungen von Swoboda-Parteichef Oleg Tjagnibok (etwa dergestalt, die
Ukraine werde von einer „Moskau-jüdischen Mafia“ beherrscht oder Auf-
rufe zum „Kampf gegen Moskowiter, Deutsche, Juden und andere Schäd-
linge“, vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Oleh_Tyahnybok#cite_note-
moska-11) oder das Streben nach engen Kontakten zur NPD von der
Bundesrepublik Deutschland strikt abgelehnt werden, und wie hat
Swoboda hierauf reagiert,

e) welche Schlussfolgerungen für die weiteren Beziehungen zwischen der
deutschen Botschaft und Swoboda zieht die Bundesregierung aus dem
Gespräch?

9. Unterhalten ausländische Botschafter in Deutschland nach Kenntnis der
Bundesregierung Kontakte zur NPD, und wenn ja, welche Botschaften sind
dies, und welcher Art sind die Kontakte, und welche Schlussfolgerungen
zieht die Bundesregierung daraus?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis, ob im „Nazi“-Blatt „Deutsche Stimme“
tatsächlich ein Interview mit dem Ternopiler Bürgermeister Sergej Nadal
erschienen ist, und wenn ja, was waren seine wesentlichen Aussagen?

11. Welche weiteren, über die Angaben der NPD hinausgehenden Informa-
tionen kann die Bundesregierung zum Besuch der Swoboda-Delegation bei
der NPD Sachsen machen?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob es in der Vergangenheit mit
Bundesmitteln geförderte Veranstaltungen (etwa deutscher Stiftungen
usw.) gab, an denen Swoboda-Vertreter teilgenommen haben (bitte ggf.
Details und Kosten nennen)?

13. Inwiefern gibt es im Rahmen des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen
Rechtsextremismus (GAR) einen regelmäßigen Informationsaustausch
über die internationalen Kontakte deutscher Rechtsextremisten, und inwie-
fern sieht die Bundesregierung noch Defizite bei der Erhebung solcher
Informationen und dem Austausch darüber?

14. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung im EU-Rahmen gegenüber Litauen
vor Beginn seiner EU-Präsidentschaft das Problem der Rehabilitierung von
NS-Kollaborateuren (Vertreter der „Provisorischen Regierung“, Aktivisten
der rechtsextremem Miliz LAF, Beteiligung litauischer Polizisten am Holo-
caust usw.) thematisiert worden, bzw. hat die Bundesregierung dies von
sich aus thematisiert, und wenn ja, mit welcher Resonanz der litauischen
Regierung, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
daraus?

15. War die deutsche Botschaft in Vilnius zur Teilnahme an der Beisetzung von

Juozas Ambrazevicius Brazaitis in Kaunas eingeladen, und wenn ja, ist sie
dieser gefolgt, oder hat sie abgelehnt (bitte ggf. begründen)?

Drucksache 17/14513 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Wie haben der deutsche Botschafter und nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die Botschafter anderer Staaten gegenüber der litauischen Regierung
auf die positive Würdigung von Juozas Ambrazevicius Brazaitis durch die-
selbe reagiert?

17. Welche Maßnahmen unternehmen die deutschen Auslandsvertretungen in
Osteuropa, um demokratische Kräfte in den jeweiligen Ländern im Kampf
gegen nationalistische Tendenzen zu unterstützen?

18. Welche Veranstaltungen mit Bezug zur Geschichte des Zweiten Weltkrie-
ges und des Holocausts werden in diesem Jahr noch von den deutschen
Auslandsvertretungen in Osteuropa durchgeführt oder unterstützt (bitte
vollständig anführen)?

19. Hat es in der Vergangenheit Anfragen osteuropäischer Sicherheitskräfte
nach Übermittlung personengebundener Daten im Zusammenhang mit
nationalistischen Aufmärschen gegeben, und wenn ja, wie sind diese
Anfragen seit 2010 beschieden worden (bitte ggf. ausführen, über wie viele
Personen aus welchem politischen Phänomenbereich an welches Land
Daten übermittelt worden sind)?

20. Inwiefern wird hinsichtlich anderer europäischer Staaten die Problematik
nationalistischer Aufmärsche, deren teilweise Unterstützung durch Behör-
den oder Regierungspolitiker, der Rehabilitierung von Kollaborateuren
usw. von der Bundesregierung in bilateralen Gesprächen mit den jeweili-
gen Regierungen sowie auf EU-Ebene angesprochen?

Welche Position nehmen dabei nach Kenntnis der Bundesregierung andere
EU-Staaten, insbesondere jene, die im Zweiten Weltkrieg für die Befreiung
vom Faschismus gekämpft haben, ein?

Berlin, den 2. August 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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