BT-Drucksache 17/14383

Forschungsprojekte zum sogenannten Linksextremismus

Vom 11. Juli 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14383
17. Wahlperiode 11. 07. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Steffen Bockhahn,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Diana Golze,
Jutta Krellmann, Petra Pau, Jens Petermann, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Forschungsprojekte zum sogenannten Linksextremismus

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
fördert im Rahmen seiner „Initiative Demokratie Stärken“ unter anderem zwei
Forschungsprojekte zum sogenannten Linksextremismus.

Dazu gehört ein Vorhaben mit dem Titel „Demokratiegefährdende Potentiale
des Linksextremismus in Deutschland“ an der Freien Universität (FU) Berlin
sowie ein Vorhaben „Zwischen Gesellschaftskritik und Militanz“ an der Hoch-
schule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf die Schriftliche Frage 104 der Abgeordneten Diana Golze auf Bundes-
tagsdrucksache 17/12304). Für die beiden Projekte, die noch bis Ende 2014
laufen, sind allein im Jahr 2012 über 190 000 Euro bewilligt worden.

Während auf der Homepage der FU Berlin über das Projekt kaum etwas zu er-
fahren ist, außer, dass es vom Forschungsverbund SED-Staat betrieben wird,
gehen aus der Homepage der HWR Berlin mehr Informationen hervor. Dem-
zufolge will man dort „40 problemzentrierte Interviews in ausgewählten Städ-
ten Ost- und Westdeutschlands“ führen, als Interviewpartner sind Engagierte
„in Neuen sozialen Bewegungen und linksaffinen Szenen“ anvisiert. Von den
Interviews verspricht man sich offenbar Aufschluss über die Zusammenhänge
von politischem Engagement, biographischen Verläufen und Handlungsorien-
tierungen. Ein Zusammenhang mit dem sogenannten Linksextremismus drängt
sich hier allerdings nicht auf, es sei denn, man wollte neue soziale Bewegungen
pauschal als „linksextrem“ abstempeln oder den Begriff „linksaffin“ mit „links-
extrem“ gleichsetzen.

Die Fragesteller sind von Studierenden der Universität Leipzig darüber unter-
richtet worden, dass Anfang Juni 2013 zwei Frauen im Plenum des Studenten-
rates erschienen seien, die für eine Studie Interviewpartner aus „Protestbewe-
gungen“ und „linksaffinen Szenen“ suchten. Später habe sich herausgestellt,
dass es um die Studie an der HWR Berlin gehe. Die Studierenden werfen den
Projektmitarbeiterinnen intransparentes Verhalten vor. Diese Kritik beinhaltet

auch ein Bericht in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 2. April 2013, in dem es
über die Anschreiben, mit denen Projektmitarbeiter Interviewpartner suchen,
heißt: „Statt des offiziellen Titels erfährt man darin, dass an der Universität
Luxemburg ein ‚soziologisches Forschungsprojekt durchgeführt wird, das sich
mit politischem Engagement von jungen Erwachsenen beschäftigt‘“. Die Stu-
die solle „unter ihren jugendlichen Forschungsobjekten anhand biographischer

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Merkmale Risikogruppen“ identifizieren und dem Staat bzw. den Geheimdiens-
ten auf diese Weise Informationen zu ihrer „Behandlung“ übermitteln.

Welcher Art die Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg ist, geht aus
der Homepage der HWR Berlin nicht hervor.

Die Fragesteller haben schon in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewie-
sen, dass der Begriff „Linksextremismus“ weder wissenschaftlich noch politisch
klar definiert ist. Die Praxis der Verfassungsschutzämter, politisches Engage-
ment gegen Krieg, Ausbeutung und Rassismus als „extremistisch“ zu bezeich-
nen und bereits beim Benutzen eines Zitates von Karl Marx das Prädikat „links-
extremistisch“ zu vergeben, kann aus Sicht der Fragesteller kaum eine tragbare
Basis für wissenschaftliche Projekte sein. Insofern ist es bemerkenswert, dass
die HWR Berlin den Begriff gar nicht erst verwendet, sondern ihn durch den
– nicht minder unpräzisen – Terminus „linksaffin“ ersetzt. Damit bleibt aller-
dings unklar, welchen konkreten Zweck sich das BMFSFJ letztlich von diesem
Projekt erhofft und nach welchen Kriterien die Interviewpartner ausgesucht wer-
den. Nicht zuletzt drängt sich die Frage auf, warum ein Projekt, das letztlich
gerade einmal 40 Interviews anstrebt, weit über 100 000 Euro kosten soll.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Gesamtkosten (bis zum Projektende 2014) sind für die beiden Pro-
jekte beantragt, wie viele sind davon bewilligt, und auf welche Einzelposten
teilen sich diese Gesamtkosten auf (bitte möglichst vollständig angeben)?

Hält die Bundesregierung diesen Mittelansatz, insbesondere für die HWR
Berlin, für angemessen, angesichts der Tatsache, dass damit lediglich 40 In-
terviews geführt werden sollen (bitte begründen)?

2. Welche Angaben haben die Antragsteller oder welche Vorgaben hat das
BMFSFJ gemacht, wie die Begriffe „linksaffin“ und „Neue soziale Bewe-
gungen“ zu verstehen sind?

3. Nach welchen Kriterien will die Projektleitung an der HWR Berlin die 40
für ein Interview in Frage kommenden „linksaffinen“ jungen Erwachsenen
auswählen?

a) Welche Orte, Szenen usw. sind bisher aufgesucht worden, um in Vorge-
sprächen potentielle Interviewpartner ausfindig zu machen?

b) Anhand welcher politischer Merkmale sollen sie ausgewählt werden?

c) Sollen dabei schwerpunktmäßig Angehörige vom Verfassungsschutz be-
obachteter oder als „linksextremistisch“ bezeichneter Organisationen
oder Strömungen ausgewählt werden?

d) Sollen dabei schwerpunktmäßig solche Personen ausgewählt werden, die
nach Eigenangaben gewaltbereit oder nicht gewaltbereit sind?

e) Anhand welcher biographischer Merkmale sollen die Jugendlichen aus-
gewählt werden?

f) Inwiefern ist eine repräsentative Auswahl hinsichtlich der sozialen Her-
kunft bzw. beruflichen Situation der Interviewpartner angestrebt?

g) Welche Kriterien wurden genannt für die Auswahl der Städte, in denen
Interviews erfolgen sollen?

4. Sind bereits Anschlussprojekte erörtert worden, und wenn ja, welche?

5. Welche Relevanz hat es für die Stärkung der Demokratie, zu erfahren, wel-
che „Prozesse der sozialen und individuellen Identität“ Jugendliche erfahren

haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14383

6. Welchen konkreten Beitrag zur „Stärkung der Demokratie“ verspricht sich
die Bundesregierung von den 40 Interviews mit „linksaffinen“ jungen Er-
wachsenen?

Welche Vorstellungen hat sie davon, wie die Ergebnisse operationalisierbar
gemacht werden, um zur Bekämpfung des angeblichen „Linksextremis-
mus“ zu taugen?

7. Inwiefern trifft es zu, dass die Studie „Risikogruppen“ identifizieren soll,
welches Risiko ist damit gemeint, wie soll ihre Identifizierung erfolgen,
und welche möglichen Schlussfolgerungen sind damit verbunden?

8. Welche Angaben kann die Bundesregierung zu den Vorwürfen machen,
dass Projektmitarbeiter bei der Suche nach Interviewpartnern nicht offen
darüber aufklären, wer das Projekt durchführt und dass es Teil des Anti-
„Linksextremismus“-Projekts der Bundesregierung ist, und inwiefern will
sie gegenüber der HWR Berlin deutlich machen, dass eine solche offene
Aufklärung notwendig ist?

9. Welcher Art ist die Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg?

a) Welches Institut, welcher Fachbereich oder sonstige Abteilung ist dort
federführend?

b) Was sind die Beiträge aus Luxemburg?

c) Inwiefern beteiligt sich die Universität Luxemburg an der Finanzie-
rung?

10. Um welche „zentralen Protestereignisse“ handelt es sich, die mit einer On-
line-Inhaltsanalyse ausgewertet werden sollen?

11. Inwiefern ist inzwischen bereits ein Fragebogen erarbeitet worden, und
welche Fragen enthält dieser (bitte ggf. auch einen Zwischenstand ange-
ben)?

Inwiefern ist beabsichtigt, im Rahmen der Interviews Daten zu allfälligen
Straftaten zu erheben, und welche Vorgaben gelten hierbei hinsichtlich der
Anonymität?

12. Was geschieht mit personengebundenen Daten, die im Laufe des Projekts
erhoben werden, wo und wie lange werden diese aufbewahrt?

Wer hat Zugriff auf diese Daten?

13. Welche Ziele verfolgt das Projekt an der FU Berlin, und welches methodi-
sche Vorgehen wird dabei verfolgt?

14. Welche Angaben hat die Projektleitung darüber gemacht, was sie jeweils
unter „linksextremen Ideologien“ sowie „linksextremen Parteien und
Gruppen“ versteht?

a) Inwiefern erwartet die Bundesregierung, dass die Projektleitung sich da-
bei weitgehend an die Praxis des Bundesamtes für Verfassungsschutz
hält?

b) Welche Ideologien, Parteien, Gruppen und ggf. Strömungen, Einzelper-
sonen usw. stehen konkret im Focus des Projekts?

15. Welche Art von Daten über Organisationen und Personen sollen während
des Projektes erhoben werden, inwiefern gehören dazu personengebundene
Daten, wo werden diese aufbewahrt und für wie lange, und wer hat Zugriff
auf diese Daten?

16. Inwiefern hält die Bunderegierung Fragestellungen zur „Verführungskraft“

angeblicher „Linksextremisten“ sowie Fragen, „über welche Themen und
Aktionsfelder Linksextreme vorrangig ihren Nachwuchs rekrutieren“ (Zi-

Drucksache 17/14383 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
tate aus der FU-Projektbeschreibung), für hinreichend wissenschaftlich,
um Ausgaben von mehreren zehntausend Euro zu rechtfertigen, obwohl
damit aus Sicht der Fragesteller suggeriert wird, Jugendliche würden weni-
ger aus eigenem Entschluss, sondern durch „Verführung“ von linken politi-
schen Gruppen „rekrutiert“?

17. Welche Relevanz erwartet die Bundesregierung von der Studie für die Stär-
kung der Demokratie, und welche Vorstellungen hat sie davon, wie die Er-
gebnisse Arbeit operationalisierbar gemacht werden, um zur Bekämpfung
des angeblichen „Linksextremismus“ zu taugen?

Berlin, den 11. Juli 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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