BT-Drucksache 17/14372

Soziale Situation der Leistungsberechtigten beim Langzeitbezug von Hartz-IV-Leistungen

Vom 11. Juli 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14372
17. Wahlperiode 11. 07. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Dr. llja Seifert, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Soziale Situation der Leistungsberechtigten beim Langzeitbezug von
Hartz-IV-Leistungen

Eines der zentralen offiziellen Ziele bei der Einführung von Hartz IV war die
schnelle Vermittlung der Leistungsberechtigten in Erwerbsarbeit. Zu diesem
Zweck wurde darauf geachtet, dass die Leistungshöhe niedrig ausfällt. Das Ar-
gument der damaligen rot-grünen wie der aktuellen schwarz-gelben Bundes-
regierung war, dass durch höhere Geldleistungen der Anreiz zur Erwerbsauf-
nahme gemindert würde. Aus dieser Überzeugung heraus wurde die Bezugs-
dauer des Arbeitslosengeldes insbesondere für Ältere massiv verkürzt und die
Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Die Sozialleistungen für Erwerbslose wurden
dramatisch gekürzt. Insbesondere wurde das Arbeitslosengeld II als Fürsorge-
leistung unter der Armutsrisikogrenze eingeführt. Das menschenwürdige Exis-
tenzminimum wurde auch bei der Neuermittlung der Regelbedarfe 2011 klein-
gerechnet.

Bemerkenswert ist, dass auch Heinrich Alt, für das Zweite Buch Sozialgesetz-
buch (SGB II) zuständiges Vorstandsmitglied in der Bundesagentur für Arbeit,
in einem Interview mit der „BILD-Zeitung“ am 27. Dezember 2010 ausführt:
„Auf Dauer ist ein Leben mit Hartz IV entwürdigend, der Regelsatz ist keine
Dauerlösung. Diese Hilfe soll nur vorübergehend die Existenz sichern.“

Die Kleine Anfrage soll über die Anzahl der Personen Auskunft geben, die
dauerhaft in entwürdigenden Umständen leben müssen.

Wir fragen die Bundesregierung:

SGB-II-Langzeitbezug und Langzeitarbeitslosigkeit

1. Wie lange ist die durchschnittliche Verweildauer von Leistungsberechtigten
im SGB II (sofern möglich, bitte die zeitliche Entwicklung der Verweildauer
seit 2005 bis jüngste verfügbare Daten angeben)?

2. Wie lange ist die durchschnittliche Verweildauer von Leistungsberechtigten

im SGB II differenziert nach den verschiedenen Statusgruppen

a) erwerbstätig,

b) nicht arbeitslos aufgrund von Sonderregeln (§§ 428 SGB III/65 SGB II),

c) arbeitsunfähig,

d) Erziehung, Haushalt, Pflege,

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e) Schule, Studium,

f) in Maßnahme sowie

g) arbeitslos?

3. Wie lange war die durchschnittliche Verweildauer von Leistungsberechtig-
ten in der Arbeitslosenhilfe vor der Einführung von Hartz IV?

4. Wie lange war die durchschnittliche Verweildauer von erwerbsfähigen
Leistungsberechtigten in der Sozialhilfe vor der Einführung von Hartz IV?

5. Wie hoch ist die Anzahl und der Anteil der SGB-II-Leistungsberechtigten,
die im Langzeitbezug sind (bitte jährliche Angaben seit 2005)?

Wie wird der Langzeitbezug statistisch definiert?

6. Wie setzt sich die Gruppe der Personen im SGB-II-Leistungsbezug zusam-
men (bitte nach Status

a) erwerbstätig,

b) nicht arbeitslos aufgrund von Sonderregeln – §§ 428 SGB III/65 SGB II –,

c) arbeitsunfähig,

d) Erziehung, Haushalt, Pflege,

e) Schule, Studium,

f) in arbeitsmarktpolitischer Maßnahme sowie

g) arbeitslos unterscheiden)?

7. Wie setzt sich die Gruppe der Personen im SGB-II-Langzeitbezug zusam-
men (bitte nach Status

a) erwerbstätig,

b) nicht arbeitslos aufgrund von Sonderregeln – §§ 428 SGB III/65 SGB II –,

c) arbeitsunfähig,

d) Erziehung, Haushalt, Pflege,

e) Schule, Studium,

f) in Maßnahme sowie

g) arbeitslos unterscheiden)?

8. Sofern statistische Angaben möglich sind, wie verändert sich die struktu-
relle Zusammensetzung der Langzeitbeziehenden (SGB II) seit 2005 im
zeitlichen Verlauf?

9. Wie viele der Personen im Langzeitbezug gelten statistisch als

a) arbeitslos und

b) als langzeitarbeitslos?

10. Wie viele Personen sind seit der Einführung von Hartz IV durchgängig im
Leistungsbezug, und wie setzt sich diese Gruppe strukturell (analog zu den
Fragen 6 und 7) zusammen?

11. Wie viele Personen sind aktuell im Langzeitbezug arbeitsunfähig?

12. Wie hoch ist der Anteil der aktuell arbeitsunfähigen Leistungsberechtigten,
die während des Leistungsbezugs arbeitsunfähig geworden sind?

13. Wie viele Personen sind seit der Einführung von Hartz IV pro Jahr wieder
abgegangen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14372

14. In welchen Status sind die Abgänger gewechselt (bitte Angaben pro Jahr

a) in den Sozialhilfebezug – Hilfe zum Lebensunterhalt,

b) in eine Erwerbsminderungsrente,

c) in eine Altersrente,

d) in die Grundsicherung für Alter und bei Erwerbsminderung,

e) in eine ungeförderte Beschäftigung,

f) Studium, Schule, Ausbildung,

g) Abgang wegen neuer/neuem Partnerin/Partner

mit gemäß den Regelungen im SGB II ausreichendem Einkommen oder
Vermögen)?

15. Wie viele der Abgänge in ungeförderte Beschäftigung waren nachhaltig in
dem Sinne, dass sie dauerhaft aus dem SGB-II-Bezug geführt haben, und
wie viele dieser Personen waren nach einem halben Jahr wieder im Leis-
tungsbezug (bitte jährliche Angaben seit 2005)?

Wie wird in diesem Zusammenhang „dauerhaft“ statistisch definiert?

16. Wie viele Personen müssen jenseits des SGB II in anderen Grundsiche-
rungssystemen auf einem analogen Leistungsniveau wie Hartz IV leben
(bitte Angaben seit 2005)?

17. Wie lange sind die jeweiligen durchschnittlichen Verweildauern in diesen
anderen Grundsicherungssystemen?

Soziale Situation

18. Wie hat sich nach Angaben der OECD (Benefits and Wages-Statistics) die
sog. Ersatzrate für Langzeitarbeitslose in Deutschland zwischen 2001 und
2011 entwickelt (bitte jährliche Angaben und sofern möglich, bitte auch
differenziert für verschiedene Haushaltskonstellationen)?

Wie wird „Ersatzrate“ in diesem Zusammenhang statistisch definiert?

19. Wie haben sich nach Angaben der OECD (Benefits and Wages-Statistics)
die Grundsicherungsleistungen (SGB II und XII) in Deutschland zwischen
2005 und 2011 entwickelt (ausgedrückt als Prozentsatz des Median Haus-
haltseinkommen und bitte ebenfalls hier auch verschiedene Haushaltskon-
stellationen aufführen)?

20. Inwieweit sind die Grundsicherungsleistungen in Deutschland nach den an-
geführten Daten der OECD ausreichend, um die leistungsberechtigten Per-
sonen über die Armutsrisikogrenze zu heben (Armutsrisikogrenze nach
EU-Konvention: 60 Prozent des Median-Einkommens)?

21. Wie hat sich die Armutsrisikoquote für Arbeitslose seit den 90er-Jahren in
Deutschland entwickelt (bitte für die verschiedenen Datenquellen ausfüh-
ren: EU-SILC, SOEP, EVS sowie Mikrozensus)?

22. Wie hat sich die Quote der Personen in dauerhafter Einkommensarmut

a) generell und

b) für Arbeitslose

seit den 90er-Jahren in Deutschland entwickelt?

Wie ist „dauerhaft“ in diesem Zusammenhang statistisch definiert?

Drucksache 17/14372 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
23. Wie hoch ist der Anteil der Menschen, die nach aktuellen EU-Standards von
Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdet sind (Indikatoren der Europa-
2020-Strategie), und wie hat sich diese Anzahl – a) generell, b) Arbeitslose –
entwickelt)?

24. Welche (weiteren) Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die soziale
Situation von SGB-II-Leistungsberechtigten?

25. Welche Formen von Mangellagen sind der Bundesregierung durch die For-
schungen insbesondere des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) bekannt?

26. In welchem Umfang sind SGB-II-Leistungsberechtigte nach diesen Kennt-
nissen von den genannten Mangellagen betroffen?

27. Teilt die Bundesregierung die eingangs zitierte Einschätzung von Heinrich
Alt, wonach ein Leben mit Leistungen auf Hartz-IV-Niveau auf Dauer ent-
würdigend ist, und wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass gleichwohl
Millionen Menschen dauerhaft mit entwürdigenden Leistungen auskom-
men müssen?

28. Wie bewertet die Bundesregierung die genannten Befunde, und welche
politischen Schlussfolgerungen zieht sie daraus in Bezug auf die Angemes-
senheit der Regelsätze in den Grundsicherungen?

Berlin, den 2. Juli 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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