BT-Drucksache 17/1432

OSZE-Vorsitz für Reformen in Kasachstan nutzen

Vom 21. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1432
17. Wahlperiode 21. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

OSZE-Vorsitz für Reformen in Kasachstan nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Kasachstan hat im Januar 2010 als erster postsowjetischer Staat den Vorsitz der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernom-
men. Die OSZE ist für Europa eine der wichtigsten Institutionen zur Friedens-
sicherung. Ihre drei Säulen, die politisch-militärische Dimension, die Wirtschafts-
und Umweltdimension und die humanitäre Dimension sind von gleichwertiger
Bedeutung. Kasachstan hatte im Vorfeld seines OSZE-Vorsitzes auf einer Kon-
ferenz der OSZE in Madrid im Jahr 2007 den Willen zur politischen Reform
deutlich formuliert. Daraus entstanden die sogenannten Madrider Kriterien.

Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew hat wiederholt seinen Willen be-
tont, die OSZE zu stärken und plant zu diesem Zweck das erste Mal seit zehn Jah-
ren wieder ein Gipfeltreffen auszurichten. Der OSZE-Vorsitz ist für Kasachstan
wichtig, um seine Rolle als Meinungsführer in der Region zu stärken. Kasach-
stan ist mit Abstand der größte zentralasiatische Staat und hat im Vergleich zu sei-
nen Nachbarn eine nicht unbedeutende wirtschaftliche und politische Stabilität
erreicht. Deutschland hat Kasachstan in seiner Bewerbung für den OSZE-Vor-
sitz unterstützt. Die unter deutscher Ratspräsidentschaft der EU 2007 ins Leben
gerufene Zentralasienstrategie begründet eine neue Partnerschaft der EU mit
dieser Region. Darin wird vor allem die Bedeutung Kasachstans und Zentral-
asiens für die EU und Deutschland betont.

Die Bundesregierung hat den OSZE-Vorsitz Kasachstans gefördert und steht
daher in der Verantwortung, Kasachstan in seinen Reformbemühungen zu unter-
stützen, um die Kriterien der OSZE vollständig zu erfüllen. Kasachstan hat
bereits einige wichtige Reformen durchgesetzt, viele Reformvorhaben stehen
jedoch noch aus. Dem Bemühen Kasachstans, dem gerade auch durch den
Nationalen Aktionsplan Ausdruck verliehen wird, kann Deutschland mit Unter-

stützungsangeboten Rechnung tragen und somit zum Erfolg beitragen.

Kasachstans OSZE-Vorsitz wird von Menschenrechtsorganisationen dahinge-
hend kritisiert, dass Kasachstan die Kriterien der menschlichen Dimension der
OSZE bisher selbst nicht einhält. Im Bereich der humanitären Dimension haben
neben dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR)
der OSZE, das unter anderem auch für Wahlbeobachtungsmissionen zuständig

Drucksache 17/1432 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ist, die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit besonderes Gewicht. Sie stützen
sich auf die OSZE-Verpflichtungen hinsichtlich der Freiheit der Meinungsäuße-
rung und der Rolle freier und pluralistischer Medien.

Schon im Vorfeld des OSZE-Vorsitzes hat Kasachstan einige Reformen im Be-
reich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte durchgesetzt. Für
die Glaubwürdigkeit Kasachstans und seine langfristige Transformation im Be-
reich Demokratie, Bürgerrechte und Meinungsfreiheit ist es jedoch unerlässlich,
weitere und weitergehende Reformen durchzusetzen und diese auch zu imple-
mentieren.

2008 wurde eine Gesetzesänderung beschlossen, die das derzeitige Einparteien-
parlament aufhebt. Sie garantiert, dass zukünftig zumindest zwei Parteien im
Parlament vertreten sein müssen, auch wenn nur eine Partei die 7-Prozent-Hürde
erreicht. Kasachstan hat außerdem die Registrierung für Parteien leicht verein-
facht. Es bedarf jedoch weiterreichender Reformen, um einen lebendigen Partei-
enwettbewerb zu fördern. Ein demokratischer Machtwechsel wird zudem da-
durch erschwert, dass die Amtszeitbeschränkung für den derzeitigen
Präsidenten Nursultan Nasarbajew aufgehoben wurde.

Bisher geben Medien ausschließlich der Regierungspartei des langjährigen Prä-
sidenten Nursultan Nasarbajew eine Plattform. Der Bekanntheitsgrad anderer
Parteien ist auch aus diesen Gründen verschwindend gering. Kasachstans
Mediengesetzgebung gilt trotz einiger Verbesserungen im Vorfeld des OSZE-
Vorsitzes als restriktiv. Die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtet im-
mer wieder über Unterdrückung der Meinungsfreiheit und gewalttätige Über-
griffe auf Journalisten, deren Berichte als regierungskritisch gewertet werden
können – so etwa bei dem Übergriff auf den Journalisten Igor Lara, der über den
wochenlangen Streik der Ölarbeiter berichtete. Zudem werden Verleumdungs-
klagen systematisch eingesetzt, um Oppositionszeitungen zu immensen Straf-
zahlungen zu verklagen und damit ihre Schließung zu erreichen, wie etwa der
jüngste Fall der Zeitung „Respublika“ zeigt. Blogger-Foren wie Blogspot und
Wordpress sind verboten und Initiatoren von Flashmobs werden wegen illegaler
Demonstrationen inhaftiert. Zudem wurde in diesem Jahr ein Gesetzentwurf ein-
gebracht, der den freien Gebrauch des Internets einschränken soll. Eine freie
Meinungsbildung wird somit erschwert. Auch die Religionsfreiheit im Land ist
von Einschränkungen betroffen.

Trotz einiger Reformen bleibt auch die Rechtsprechung von der Exekutive
abhängig. Obwohl Kasachstan auch in diesem Bereich wichtige internationale
Übereinkommen und Konventionen unterzeichnet hat, mangelt es an der Imple-
mentierung. Der Fall von Jewgeniji Zhovtis, einem auch in Deutschland aner-
kannten Menschenrechtsaktivisten, erhält große Aufmerksamkeit. Jewgeniji
Zhovtis wurde wegen der Beteiligung an einem tödlichen Verkehrsunfall zu
einer unverhältnismäßigen Freiheitsstrafe verurteilt. Bei vergleichbaren Fällen
wurden hingegen in der Vergangenheit erheblich geringere Strafen verhängt.
Dies zeigt deutlich, dass es weiterer Reformen bedarf. Folter wird noch immer
angewandt. Der UN-Sonderbeauftragte für Folter Manfred Nowak hat in seinem
Länderbericht zu Kasachstan im Dezember 2009 Vorfälle von Folter dokumen-
tiert und damit grobe Verstöße im Justizsektor aufgezeigt. Manfred Nowak stellt
jedoch eine Verbesserung fest, indem er Kasachstan keine systematische Folter
mehr attestiert. Die Todesstrafe ist noch nicht vollständig abgeschafft. Der Deut-
sche Bundestag begrüßt jedoch, dass Kasachstan 2004 bereits ein Moratorium
für die Todesstrafe verhängt hat.

Außenpolitisch hat Kasachstan positive Akzente gesetzt, indem es freiwillig auf
die von der Sowjetunion in Kasachstan stationierten Atomwaffen verzichtet hat.
Diese Entscheidung hat dem Land einen weltweiten Vertrauensvorschuss ein-

gebracht, der insbesondere bei den Bemühungen um Nichtverbreitung von Nuk-
learwaffen dem Land große Anerkennung zukommen ließ. In diesem Zusam-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1432

menhang wurde auch das Atomwaffentestgelände der UdSSR Semipalatinsk
von Kasachstan endgültig geschlossen.

Kasachstan hat mit massiven Umweltkatastrophen zu kämpfen. Gravierendstes
Problem ist die gesamt Zentralasien betreffende Problematik der Wasserversor-
gung. Der Aralsee auf dem Gebiet von Kasachstan und Usbekistan, einst einer
der größten Seen der Erde, ist zum größten Teil nicht mehr zu retten. Die seit lan-
gem bestehenden Konflikte zwischen den bergreichen Staaten Tadschikistan
und Kirgistan und den von ihrem Wasser abhängigen Staaten Usbekistan und
Kasachstan drohen zu eskalieren. Der massive Baumwollanbau und die ineffi-
ziente Wassernutzung in diesem Bereich sind Teil dieses Problems. Die Wasser-
versorgung ist bereits und wird zukünftig eines der Hauptkonfliktfelder
Zentralasiens sein. Eine regionale Lösung der Wasserkonflikte ist für die Sta-
bilität der Region entscheidend.

Ein weiteres Umweltproblem stellt das Gebiet von Semipalatinsk dar, das jahre-
lang für Atomversuche der UdSSR benutzt wurde und völlig verseucht ist. Es ist
notwendig, Programme für sauberes Trinkwasser in der Region zu initiieren und
zu unterstützen. Deutschland kann hier, durch die Entsendung von deutschen
Expertinnen und Experten, die kasachische Regierung unterstützen.

Ein Großteil der zentralasiatischen Länder sind aufgrund ihrer geographischen
Nähe zu Afghanistan Transitländer für den Drogenhandel nach Russland.
Afghanistan ist einer der Hauptproduzenten von Drogen. Sie passieren über
Schmugglerrouten Zentralasien auf dem Weg nach Russland und Westeuropa.
Doch auch in Zentralasien selbst sind die Auswirkungen zu spüren. So steigt die
Rate der HIV-Infizierten merklich. Kasachstan hat bereits wichtige Schritte un-
ternommen, um dem Drogenhandel durch Grenzpatrouillen Einhalt zu gebieten.
Die Bergregionen sind jedoch schwer kontrollierbar und es bedarf weiterer An-
strengungen. Kasachstan kann im Rahmen seines OSZE-Vorsitzes zum Initiator
für einen regionalen Ansatz werden.

Kasachstan ist ein Vielvölkerstaat, mehr als hundert Bevölkerungsgruppen und
Religionen leben friedlich miteinander. Nach Artikel 14 der Verfassung von
1995 haben alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen staatsbürgerlichen Rechte.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass Kasachstan 2009 ein Gesetz verabschie-
dete, das alle Formen der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausdrück-
lich verbietet. Dies ist gerade wichtig, da die Beteiligung von Frauen an politi-
schen Ämtern seit der Sowjetzeit gesunken ist. Bei der Wahl von 2005 gab es
keine weiblichen Kandidaten. Zu begrüßen ist zudem, dass Kasachstan im Juli
2010 eine OSZE-Konferenz zu Toleranz mit Geschlechtergerechtigkeit als ei-
nem der Hauptthemen ausrichten wird. Notwendig bleibt jedoch die Thematisie-
rung auch der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen
(LGBT-Rechte) auf der Konferenz.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Kasachstan bei seinen Reformvorhaben in Bezug auf den Ausbau von Demo-
kratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ausdrücklich zu unterstüt-
zen und Kasachstan zur vollständigen Umsetzung aller Kriterien der OSZE
und der Verpflichtungen von Madrid aufzufordern;

2. Kasachstan aufzufordern, das ODIHR zu stärken, indem Kasachstan aktiv
Wahlbeobachtungsmissionen unterstützt;

3. Kasachstan aufzufordern, die Empfehlungen von ODHIR zum Wahlsystem
Kasachstans umzusetzen und die Registrierung von Oppositionsparteien wei-
ter zu erleichtern;
4. Kasachstan zu ermutigen, die Bedeutung der menschlichen Dimension der
OSZE zu betonen;

Drucksache 17/1432 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
5. Kasachstan zu ermutigen, sich für unabhängige und freie Arbeit von
Medien in allen OSZE-Mitgliedstaaten einzusetzen und vor diesem Hinter-
grund die Institution der Medienbeauftragten der OSZE zu stärken;

6. Kasachstan zu ermutigen, weitere Reformen im Bereich der Medien durch-
zuführen und insbesondere darin zu unterstützen, Verleumdung als Straf-
tatbestand abzuschaffen und eine Höchststrafe für den Straftatbestand der
üblen Nachrede durchzusetzen;

7. Kasachstan dazu aufzufordern, gegen Straffreiheit von Tätern vorzugehen,
die Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung körperliche Gewalt antun;

8. an die kasachische Regierung zu appellieren, die Medienvielfalt etwa durch
die Einrichtung öffentlich rechtlicher Sender zu unterstützen, die im ange-
messenen Umfang über die plurale politische Landschaft berichten müssen;

9. die Regierung von Kasachstan aufzufordern, die Empfehlungen des UN-
Sonderbeauftragten für Folter umzusetzen;

10. darauf hinzuwirken, den Fall des inhaftierten Menschenrechtlers Jewgeniji
Zhovtis nach rechtsstaatlichen Prinzipien erneut zu prüfen;

11. Kasachstan dabei zu unterstützen, die gravierenden Umweltprobleme im
eigenen Land wie in der gesamten Region zu bearbeiten und insbesondere
für die Wasserproblematik eine regionale Lösung anzustreben;

12. Kasachstan durch die Entsendung von Expertinnen und Experten bei der
Aufarbeitung von sauberem Trinkwasser in der Region Semipalatinsk zu
unterstützen;

13. Kasachstan zu ermutigen, den Drogenhandel in Zentralasien noch ent-
schlossener zu bekämpfen und auch hier eine regionale Lösung zu suchen;

14. Kasachstan bei der Frage eines möglichen OSZE-Gipfels im Rahmen der
Regierungstreffen innerhalb der Europäischen Union kritisch und konstruk-
tiv zu beraten;

15. Kasachstan zu ermutigen, durch die Einladung von LGBT-Vertretern zur
OSZE-Toleranz-Konferenz im Juli 2010 eine echte Meinungsführerschaft
in der Region einzunehmen.

Berlin, den 20. April 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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