BT-Drucksache 17/1413

Unternehmensmitbestimmung lückenlos garantieren

Vom 21. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1413
17. Wahlperiode 21. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sahra Wagenknecht, Klaus Ernst, Dr. Barbara
Höll, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Diana Golze, Katja
Kipping, Ulla Lötzer, Cornelia Möhring, Michael Schlecht, Dr. Herbert Schui, Jörn
Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Unternehmensmitbestimmung lückenlos garantieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Neben der betrieblichen Mitbestimmung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in Deutschland auch Mitbestimmungsrechte auf Unternehmensebene:
In Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten stellt die Seite der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel ein Drittel der Aufsichts-
ratsmitglieder, bei mehr als 2 000 Beschäftigten ist der Aufsichtsrat zur Hälfte
mit Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitnehmerseite besetzt.

Dieses wichtige Arbeitnehmerrecht wird zunehmend unterlaufen. Eine wach-
sende Zahl von großen Unternehmen nutzt nicht mehr die traditionellen
Rechtsformen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder der
Aktiengesellschaft (AG), sondern ausländische Rechtsformen, für die die
Regeln der Mitbestimmung im Aufsichtsrat nicht gelten.

Gewerkschaften und andere Akteure fordern deshalb seit langem ein Gesetz,
das die Unternehmensmitbestimmung auch auf in Deutschland ansässige
Unternehmen mit ausländischer Rechtsform ausdehnt. Bislang wurde auf ein
solches Gesetz wegen der geringen Zahl an betroffenen Unternehmen verzich-
tet. Neue Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Umgehung der deutschen
Mitbestimmungsgesetze und die Gefahr einer „Flucht aus der Mitbestimmung“
zunehmen: Lag die Zahl der in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr
als 500 Beschäftigten, die in einer ausländischen Rechtsform, wie der briti-
schen „Limited“ oder der niederländischen „B. V.“, betrieben werden, 2006
noch bei lediglich 17, waren es im November 2009 bereits 37.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die deut-
schen Vorschriften über die unternehmerische Mitbestimmung – namentlich die
des Drittelbeteiligungsgesetzes und des Mitbestimmungsgesetzes – auch für

Gesellschaften mit ausländischer Rechtsform gelten, die in Deutschland ihren
Verwaltungssitz haben.

Berlin, den 20. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/1413 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Begründung

Seit einigen Jahren können Unternehmen mit Verwaltungssitz in Deutschland
unter bestimmten Voraussetzungen auch in einer ausländischen Rechtsform
geführt werden. Für diese Unternehmen greifen die deutschen Regeln zur
Unternehmensmitbestimmung nicht. Während in einer deutschen AG oder
GmbH mit mehr als 500 Beschäftigten in der Regel ein Drittel, bei mehr als
2 000 Beschäftigten sogar die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder von Vertrete-
rinnen und Vertretern der Arbeitnehmer besetzt sind, gilt dieser Anspruch bei
ausländischen Rechtsformen nicht.

Die Regierungskommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmens-
mitbestimmung unter der Leitung von Kurt Biedenkopf hat in ihrem
Abschlussbericht bereits 2006 auf diesen Sachverhalt kritisch hingewiesen und
empfohlen, falls nötig, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung zur Funktionsfähig-
keit der Mitbestimmung zu treffen.

Wie eine aktuelle Studie von Juristen der Hans-Böckler-Stiftung ergab, ist die
Umgehung deutscher Mitbestimmungsregelungen mit Hilfe ausländischer
Rechtsformen mittlerweile zu einem drängenden Problem geworden: Die Zahl
der in Deutschland ansässigen Unternehmen, die in Deutschland mindestens
500 Beschäftigte und eine rein ausländische Rechtsform oder eine Kombina-
tion mit ausländischer Rechtsform haben (z. B. Limited & Co. KG), ist seit
2006 von 17 auf 37 gestiegen.

Zu diesen Unternehmen mit ausländischer Rechtsform zählt zum Beispiel die
Fluglinie Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, deren Chef Joachim Hunold
laut der Hans-Böckler-Stiftung dezidiert das Ziel genannt habe, damit deutsche
Gesetze zur Mitbestimmung umgehen zu wollen. Weitere Unternehmen sind
die Drogeriemarktkette Müller Ltd. & Co. KG, das Logistikunternehmen
Dachser GmbH (Österreich) & Co. KG oder der Druckkonzern Privonis Ltd.
& Co. KG.

Die in diesen Unternehmen Beschäftigten müssen auf Mitbestimmungsrechte
verzichten, die in vergleichbaren Unternehmen mit rein deutscher Rechtsform
selbstverständlich sind. Um diese Benachteiligung zu beenden, braucht es
umgehend eine gesetzliche Regelung, die europarechtskonform ausgestaltet ist.

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