BT-Drucksache 17/13728

Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit - Partnerschaft für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung

Vom 5. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13728
17. Wahlperiode 05. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Thilo Hoppe, Ulrich Schneider,
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Cornelia Behm, Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Katja
Keul, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Dr. Hermann E. Ott,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit – Partnerschaft für eine menschenrechts-
basierte nachhaltige Entwicklung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine offene und lebendige Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Baustein für die
Friedensentwicklung und Demokratisierung von Gesellschaften weltweit. Zivil-
gesellschaft in Deutschland und in den Partnerländern ist aus einem partizipativ-
emanzipatorischen Grundverständnis heraus eine natürliche Partnerin der inter-
nationalen Zusammenarbeit. Zugleich ist die staatliche Zusammenarbeit mit und
die Förderung und Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen
von großer strategischer Bedeutung für eine menschenrechtsbasierte nachhal-
tige Entwicklung. Diese kann nur bedingt von außen angestoßen werden. Neben
einer darauf ausgerichteten kohärenten Regierungspolitik und demokratischen
Institutionen bedarf Entwicklung genauso einer Zivilgesellschaft mit Nichtre-
gierungsorganisationen (NRO) und sozialen Bewegungen, die die Menschen zur
Partizipation und Wahrnehmung ihrer Rechte ermutigen. Diese bilden die Stütz-
pfeiler einer offenen und vielfältigen Gesellschaft mit einem fairen Austausch
der Ideen und Überzeugungen und schaffen damit Vertrauen zwischen gesell-
schaftlichen Akteuren.

Als internationale und lokale zivilgesellschaftliche Partnerinnen und Partner der
deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) kommen NRO, Ge-
werkschaften, soziale Bewegungen und weniger formalisierte Netzwerke in
Frage, die sich zu den universellen Werten der Menschenrechte und dem Völ-
kerrecht bekennen. Mit ihnen und im Zusammenspiel mit den Partnerländern,
Parlamenten und Medien soll die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ge-
meinsam vereinbarte Ziele verfolgen und sie darin fördern. Dazu gehören die
Arbeit als eigenständige Entwicklungsakteure, die Umsetzung öffentlicher Gel-

der als Partnerinnen und Partner von Regierungen, die Vertretung bestimmter
Bevölkerungs- und Interessengruppen, ihre Rolle bei der Formulierung und Im-
plementierung von (gesetzlichen) Rahmenbedingungen und die Funktion als
Watchdog für Demokratie und Menschenrechte. Eine zentrale Rolle als Mittle-

Drucksache 17/13728 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

rinnen und Mittler nehmen dabei die transnational agierenden NRO, die Kirchen
und die politischen Stiftungen wahr. Der Deutsche Bundestag sieht eine Auf-
gabe der Entwicklungszusammenarbeit darin, zivilgesellschaftliche Organisati-
onen sowohl in den städtischen Zentren als auch in ländlichen Räumen der Part-
nerländer in ihren vielfältigen Funktionen zu stärken.

Zu der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gehört der kritische Dialog.
Zivilgesellschaftliche Akteure verfolgen auch Eigeninteressen, stehen in Kon-
kurrenz zueinander und in einem ungleichen Machtverhältnis zwischen Nord-
NRO und Süd-NRO und sie verfügen nicht über die demokratische Legitimation
von Parlamenten. Für die Wahl der Partnerinnen und Partner und die Planung,
Umsetzung und Evaluation von Projekten und Programmen aus Mitteln des
Bundeshaushaltes braucht es darum klare Kriterien in der Zusammenarbeit.

Gängelung der deutschen Zivilgesellschaft beenden

Die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (BMZ) im April 2013 vorgelegte „Strategie zur Zusammenarbeit mit der
Zivilgesellschaft in der deutschen Entwicklungspolitik“ betont, dass eine starke
Zivilgesellschaft die Gewährleistung individueller und kollektiver Freiheiten
benötige, um sich betätigen zu können. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit
jedoch weit auseinander. Der Deutsche Bundestag kritisiert die zunehmende
Einflussnahme des BMZ gegenüber den entwicklungspolitischen NRO in
Deutschland, unter anderem durch die Kontrolle regierungs- und unternehmens-
kritischer Publikationen, aber auch durch die neue Designrichtlinie des BMZ.
Diese wertet der Deutsche Bundestag als Angriff auf eine unabhängige und kri-
tische Begleitung von Regierungshandeln durch die Zivilgesellschaft.

Auch der Deutsche Entwicklungstag 2013 ist bei vielen NRO und Eine-Welt-
Netzwerken auf massive Kritik gestoßen, da sie nur kurzfristig und unzurei-
chend eingebunden wurden. Zudem kritisiert der Deutsche Bundestag jede Aus-
weitung der Einflussnahme der Servicestelle Engagement Global, die in die
Arbeit entwicklungspolitischer NRO und der entwicklungspolitischen Landes-
netzwerke eingreift. Viele entwicklungspolitische Akteure kritisieren, dass
Engagement Global zunehmend in Aufgabenfelder eindringt, die von den Eine-
Welt-Netzwerken und NRO in Deutschland in den vergangenen Jahren erfolg-
reich wahrgenommen wurden. Es besteht die Gefahr, dass mit der Servicestelle
in den Bundesländern Parallelstrukturen aufgebaut werden und damit einem
Verdrängungswettbewerb gegenüber etablierten zivilgesellschaftlichen Akteu-
ren Vorschub geleistet wird. Zivilgesellschaftliche Initiativen in Deutschland
sollten vielmehr dabei unterstützt werden, sich untereinander zu fördern und zu
koordinieren – wie etwa im Falle des erfolgreichen Promotorinnen- und Pro-
motorenprogrammes –, statt von staatlicher Seite regulierend einzugreifen. Die
unklare Rolle der Servicestelle muss durch eine klare Abgrenzung zur Zivil-
gesellschaft definiert werden. Dafür braucht sie transparente Strukturen und eine
starke Rolle des Beirats, in dem auch Mitbestimmungsrechte von NRO ver-
ankert werden. Anstatt sich das rein quantitative Ziel zu verordnen, die Zahl der
entwicklungspolitisch Engagierten in Deutschland zu verdoppeln, sollte hier
zugleich auf die Wirksamkeit, Dauer und Qualität des Engagements Wert gelegt
werden.

Die Erfahrungen und die Expertise von entwicklungspolitischen NRO sollten
institutionalisiert in politische Entscheidungsprozesse in Deutschland einflie-
ßen, etwa im Rahmen des Interministeriellen Ausschusses (IMA) Rohstoffe, in
dem derzeit nur Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaftsverbänden sitzen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13728

Zivilgesellschaft weltweit – vernetzen, fördern und beteiligen

Gleichzeitig drohen durch die Zusammenlegung der Institutionen der techni-
schen Zusammenarbeit – der Deutschen Gesellschaft für Technische Zu-
sammenarbeit (GTZ) GmbH, der Internationale Weiterbildung und Entwicklung
GmbH (InWEnt) und des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) – zur neuen
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH insbe-
sondere die Stärken des DED und von InWEnt als entwicklungspolitischer An-
satz verloren zu gehen. Dies gilt vor allem für die Zielgruppen- und Praxisnähe
dieser Institutionen, die der Förderung von Zivilgesellschaft und staatsfernen
Selbstverwaltungskapazitäten zugute kam.

Auch auf europäischer Ebene gilt es, die Zusammenarbeit mit Nichtregierungs-
organisationen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu stärken. Die
Europäische Union (EU) hat als größte Geberin für Entwicklungsgelder eine be-
sondere Rolle zur Stärkung von Zivilgesellschaft in den Partnerländern und zur
besseren Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa.
Ein wichtiger Bestandteil ist der Abbau von bürokratischen Hürden, die häufig
zur Ablehnung guter NRO-Projekte auf Grund von begrenzten eigenen Kapazi-
täten führen.

Der Deutsche Bundestag nimmt mit großer Sorge wahr, dass die Handlungs-
spielräume zivilgesellschaftlicher Akteure in der jüngeren Vergangenheit in vie-
len Ländern massiv eingeschränkt werden. Die Entwicklungszusammenarbeit
mit Ländern wie Ägypten oder Äthiopien, in denen zivilgesellschaftliche Orga-
nisationen durch Gesetze oder Verordnungen gezwungen werden, ihre Budgets
und Arbeitsprogramme vorzulegen, willkürlichen Eingriffen in ihre Unabhän-
gigkeit unterliegen und in ihrer kritischen Arbeit behindert werden, gehört auf
den Prüfstand und muss Kriterien einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen
Entwicklung entsprechen. Menschenrechtsverletzungen und die Einschränkung
politischer Freiheiten müssen in Regierungsverhandlungen und Regierungsdia-
logen immer eine herausgehobene Rolle einnehmen.

Für die Stärkung von Zivilgesellschaften sind Konsultations- und Dialogpro-
zesse, die sich direkt an zivilgesellschaftliche Organisationen im Ausland rich-
ten, von besonderer Bedeutung. Ansätze für Vernetzungsarbeit zwischen zivil-
gesellschaftlichen Organisationen, wie sie die deutschen politischen Stiftungen
im Vorfeld der Afghanistan-Konferenz 2011 in Bonn organisiert haben, sind zu
fördern. Solche Netzwerke dürfen nicht nur die so genannten Hauptstadt-NRO,
sondern müssen auch Organisationen in den ländlichen Gebieten mit einbezie-
hen und von der deutschen EZ verstärkt unterstützt werden. Dazu kann auch eine
Einbeziehung von NRO in Regierungsverhandlungen mit Partnerregierungen
beitragen, die jedoch die Teilnahme von demokratisch legitimierten Parlaments-
vertretern nicht ersetzen kann.

Darüber hinaus gilt es, den Selbstvertretungsanspruch der Zivilgesellschaften
der Länder des globalen Südens im Rahmen der Vereinten Nationen, der G8 und
der G20 zu stärken. Hohe institutionelle, bürokratische und finanzielle Hürden
für die Registrierung etwa beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Natio-
nen (ECOSOC) oder die Beantragung von Mitteln bei der EU gilt es abzubauen.

Drucksache 17/13728 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

für eine konstruktive Zusammenarbeit mit entwicklungspolitisch arbeitenden
NRO, Stiftungen, Kirchen und Gewerkschaften

1. im Dialog mit deutschen NRO, Kirchen, Gewerkschaften und Stiftungen
eine Strategie zu entwickeln, wie im Rahmen eines ODA-Aufholplanes
(ODA: Official Development Assistance) die Zusammenarbeit mit der Zi-
vilgesellschaft besser dargestellt werden kann;

2. keine Zensur von Publikationen von Nichtregierungsorganisationen durch-
zuführen und eine kritische Berichterstattung auch durch geförderte Publi-
kationen zu ermöglichen;

3. den Aufbau von Parallelstrukturen durch Engagement Global zu beenden
und im Dialog mit Parlament und Zivilgesellschaft eine neue Grundlage der
Zusammenarbeit zwischen Engagement Global und den entwicklungspoli-
tischen NRO und Landesnetzwerken zu erarbeiten;

4. die Kompetenzen des Beirats der Engagement Global durch mehr Transpa-
renz und Mitbestimmung auszuweiten;

5. die Expertise von entwicklungspolitischen NRO institutionalisiert in politi-
sche Entscheidungsprozesse in Deutschland einfließen zu lassen, etwa im
Rahmen des Interministeriellen Ausschusses (IMA) Rohstoffe, in dem der-
zeit nur Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaftsverbänden sitzen;

6. die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit politischer Stiftungen als wich-
tige Voraussetzungen für deren konstruktive Arbeit im Ausland zu bewah-
ren;

7. perspektivisch auch Projekte und Programme, die gemeinsam mit oder
durch NRO, Stiftungen, Gewerkschaften und Kirchen umgesetzt werden,
bei Evaluationen des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszu-
sammenarbeit (DEval) mit einzubeziehen;

für die Stärkung und Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Organisationen
in den Partnerländern

8. die Entwicklungszusammenarbeit mit Regierungen, die politische Freihei-
ten einschränken, einer kritischen Prüfung zu unterziehen;

9. sich im Politikdialog und in Regierungsverhandlungen mit den Partnerre-
gierungen dafür einzusetzen, Parlamente und bestehende zivilgesellschaft-
liche Strukturen stärker einzubeziehen. Dazu gehört auch, dass die gesetz-
lichen und gegebenenfalls auch die finanziellen Rahmenbedingungen für
eine nachhaltige Beteiligung der Zivilgesellschaft geschaffen werden;

10. die unterstützende Zusammenarbeit mit NRO und sozialen Bewegungen
der Partnerländer, mit Frauennetzwerken und indigenen Gruppen zu ver-
stärken;

11. die Instrumente, die von DED und InWEnt in die GIZ integriert wurden, in-
nerhalb der GIZ vor allem wegen deren Qualitäten in der Zielgruppen- und
Praxisnähe in den Partnerländern zu stärken und aufzuwerten;

12. Initiativen anzustreben, um die EU-Leitlinien für Menschenrechtsverteidi-
gerinnen und Menschenrechtsverteidiger besser bekannt zu machen. Diese
sollten vom Europäischen Auswärtigen Dienst wie auch im Auswärtigen
Amt intensiver genutzt werden;

13. sich im Rahmen der Vereinten Nationen für eine Reform der Beteiligungs-
mechanismen von NRO im ECOSOC einzusetzen, welche eine verbesserte

Einbeziehung von NRO ermöglicht;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13728

14. Süd-NRO gezielt zu stärken und zu vernetzen, um gemeinsame Positionen
für politische Prozesse und im Vorfeld von internationalen Konferenzen zu
entwickeln und dafür Vertreter zu delegieren;

sich in der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass

15. die Vergabeinstrumente der EU derart angepasst und vereinfacht werden,
dass insgesamt ein deutlich höherer Anteil nichtstaatlicher Akteure Zugang
zu EU-Entwicklungsgeldern bekommt;

16. gezielt Mittel für die Qualifizierung von Süd-Partnerinnen und -partnern im
Bereich Projektmanagement (umfasst Antragstellung und -formulierung,
Implementierung, Monitoring und Evaluation, Berichterstattung, gutes
finanzielles Management) zur Verfügung gestellt werden. Dazu kann auch
das Training in Deutschland gehören;

17. die Mittelvergabe an alle Akteure stärker an eine positive Evaluierung ver-
gangener Projekte gekoppelt wird. Bei Erzielung sehr guter Ergebnisse soll-
ten mehr Möglichkeiten zur Anschluss-/Folgefinanzierung bestehen.

Berlin, den 4. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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