BT-Drucksache 17/12829

Teilkollektivierung der freien Rückstellung für Beitragsrückerstattung in der Lebensversicherung

Vom 18. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12829
17. Wahlperiode 18. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann,
Lisa Paus, Dr. Tobias Lindner, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Teilkollektivierung der freien Rückstellung für Beitragsrückerstattung in der
Lebensversicherung

Seit der im Jahr 1994 gesetzlich angeordneten Trennung des Versicherten-
kollektivs in der Lebensversicherung wird die freie Rückstellung für Beitrags-
rückerstattung (RfB) für Alt- und Neubestand voneinander gesondert. Diese
Trennung in Alt- und Neubestand war eingeführt worden, um die europarechtlich
erforderliche Abschaffung der Genehmigungspflicht für die Allgemeinen Ver-
sicherungsbedingungen und die Rechnungsgrundlagen von Lebensversicherungs-
verträgen in deutsches Recht umzusetzen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11395,
S. 22).

Mit der Trennung zwischen Alt- und Neubestand ging laut Bundesregierung ein
Eingriff in das Generationenmodell der Lebensversicherung einher. Infolge die-
ser gesetzlichen Trennung wurde die bis dahin aufgebaute freie RfB allein dem
Altbestand zugeordnet, während für die nach dem Stichtag abgeschlossenen
Lebensversicherungsverträge des Neubestands zunächst eine neue freie RfB
aufgebaut werden musste. Die Weitergabe von Überschüssen, die mit Beiträgen
früherer Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer erwirtschaftet
wurden, an spätere Versichertengenerationen wurde auf einen Ausgleich inner-
halb jeweils des Alt- oder Neubestands begrenzt.

Laut Bundesregierung habe das dazu geführt, dass die RfB des Altbestands
überproportional angestiegen ist, während die RfB des Neubestands geringer
wuchs. Als Reaktion darauf sieht § 56b Absatz 2 des Versicherungsaufsichts-
gesetz-Entwurfs (VAG-E, in der Entwurfsfassung des SEPA-Begleitgesetzes)
eine Neuregelung mit dem Ziel vor, die starre Zuordnung der freien RfB zu Alt-
oder Neubestand teilweise aufzuheben. Dadurch werden Versicherte des Alt-
bestands bei der Abwicklung ihrer Verträge geringere Ausschüttungen erhalten,
als wenn die gegenwärtige Rechtslage fortbestünde.

Was die Ausschüttung von Bewertungsreserven anbelangt, so ist der Vorschlag
der Bundesregierung einer aufsichtsrechtlichen Neuregelung der Beteiligung
der Versicherten an den Bewertungsreserven inzwischen gescheitert.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, dass sich aus der Trennung der
freien RfB in Alt- und Neubestand eine Verschiebung im Verhältnis der
freien RfB zum jeweiligen Versicherungsbestand ergibt?

Drucksache 17/12829 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. In welchem Maße nimmt der Anteil des Altbestandes am Gesamtkollektiv in
der Lebensversicherung im Branchendurchschnitt seit 1994 ab (Aufstellung
bitte nach Jahren)?

3. Wie hat sich die freie RfB im Altbestand im Branchendurchschnitt seit 1994
entwickelt (Angabe bitte sowohl in absoluten Zahlen als auch in Relation zur
Deckungsrückstellung bzw. in Relation zur gesamten RfB sowie relativ im
Vergleich zur freien RfB des Neubestandes)?

4. Welche Gründe bzw. Effekte waren für den überproportionalen Anstieg der
RfB des Altbestandes und einen verzögerten Aufbau der RfB des Neubestan-
des verantwortlich?

5. Gelten diese Gründe bzw. Effekte gleichermaßen für die freie RfB als Be-
standteil der gesamten RfB?

6. Wie verträgt sich der überproportionale Anstieg der RfB des Altbestandes
mit dem Umstand, dass

a) bis 2002 bei Altverträgen eine zeitnahe Überschussbeteiligung durch
Direktgutschrift vorgeschrieben war, wodurch fraglich erscheint, wie hohe
bzw. überproportional hohe RfB-Mittel aufgebaut werden konnten, weil
der Rohüberschuss je Geschäftsjahr nicht (mehr) in voller Höhe der RfB
zugeführt wurde,

b) demgegenüber bei Neuverträgen ab 1994 diese Vorschrift nicht bestand,
so dass diese von vornherein die Möglichkeit hatten, durch Nutzung der
RfB die Überschussbeteiligung zeitlich zu strecken und dementsprechend
auch freie RfB aufzubauen,

c) noch im Jahr 2008 befürchtet wurde, die bis dahin bestehende Obergrenze
für die freie RfB im Altbestand würde und ohne weitere Lockerungen dazu
führen, dass „der Altbestand die notwendigen Mittel zur Sicherstellung
der Solvabilität nicht mehr erwirtschaften kann“ (Konsultationsverfahren
der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin – 3/2008
VA21-A-2007/0034, Stellungnahme von Bernd Heistermann), während
laut Bundesregierung die RfB nunmehr im Neubestand und gemessen an
seiner Größe unterdotiert sei?

7. Warum geht das Bundesministeriums der Finanzen (BMF, vgl. Aufzeich-
nung vom 20. Februar 2013, „Änderung der gesetzlichen Vorschriften über
die Trennung der Verträge in Alt- und Neubestand – ,Teilkollektivierung‘“)
davon aus, dass der Neubestand „nicht genügend eigene Überschüsse auf-
bauen [konnte]“ und damit „nicht auf eigenen Füßen stehen kann“, wenn
Zahlen dagegen darauf hindeuten, dass die freie RfB in der Aufbauphase des
Neubestandes sogar höher war als heute (der Anteil der freien RfB an der
gesamten RfB im Branchendurchschnitt lag 1999 bei 32,41 Prozent, 2000
bei 34,92 Prozent und 2001 bei 34,6 Prozent; Angaben nach Schradin in:
Private Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Mitteilungen
1/2003 des Instituts für Versicherungswissenschaft Universität zu Köln)?

8. Ist ein ratierlicher Abbau der freien RfB des Altbestandes und der gleich-
zeitige Aufbau einer neuen freien RfB für den Neubestand nur durch eine
unterschiedliche Verzinsung von Alt- und Neuverträgen möglich?

9. Wenn nein, wie genau kann es ohne unterschiedliche Verzinsung zu einer
gleichwertigen RfB-Ausstattung in Alt- wie im Neubestand kommen, und
was hat dies mit dem vom BMF (in der in Frage 6 genannten Aufzeichnung)
angesprochenen Zinsniveau am Kapitalmarkt von über 7 Prozent zu tun?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12829

10. Welche Entscheidungsspielräume und Verantwortlichkeiten kamen den
Versicherungsunternehmen und der BaFin bzw. dem Bundesamt für das
Versicherungswesen (BAV) bei dem Aufbau der neuen RfB zu?

11. Hat die BaFin bzw. das BAV die Lebensversicherungsunternehmen dazu
angehalten, Alt- und Neubestand dieselbe Rendite zukommen zu lassen?

12. Wenn ja, galt dies sowohl für die laufende Überschussbeteiligung wie für
Schlussüberschüsse?

13. Warum wurden die Versicherungsunternehmen seitens der BaFin nicht an-
gehalten, die laufende Verzinsung des Neubestandes solange zu senken, bis
eine adäquate RfB im Neubestand aufgebaut war, oder andere Maßnahmen
zum Aufbau einer ausreichenden Eigenmittelausstattung zu ergreifen?

14. Wie erklärt sich die derzeitige Höhe der freien RfB des Altbestandes vor
dem Hintergrund, dass es sich bei der freien RfB nur um eine Art „Zwi-
schenspeicher“ handelt, der zur Glättung der Überschussbeteiligung im
Zeitablauf dient und die zugeführten Mittel höchstens ein bis zwei Jahre in
diesem Topf verbleiben, bis sodann die Zuteilung auf die einzelnen Ver-
träge erfolgt (vgl. Deutsche Aktuarvereinigung e. V., „Überschussbeteili-
gung“, Werkstattgespräch, 29. April 2008)?

15. Kann die Bundesregierung in Anbetracht des hohen Bestandes, den die
freie RfB für Alttarife mittlerweile erreicht hat, ausschließen, dass Mittel
der freien RfB im Altbestand den Versicherten vorenthalten und nicht zeit-
nah zugeteilt wurden vor dem Hintergrund der bis 2002 aufsichtsrecht-
lichen Begrenzungen der freien RfB im Altbestand?

16. Inwieweit hängt die starke Zunahme der freien RfB im Altbestand in den
letzten Jahren auch mit den Lockerungen der zuvor genannten Bestimmun-
gen zusammen und mit dem Umstand, dass seither an die Altverträge weni-
ger Überschüsse ausgeschüttet wurden als an Neuverträge vor dem Hinter-
grund, dass nach Angaben der ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur
GmbH – ungeachtet der zeitweiligen, von der BaFin beanstandeten und
rückgängig gemachten risikoadjustieren Überschussbeteiligung – seit 2004
in zunehmendem Maße Unterschiede in der Gesamtverzinsung nach Pro-
duktarten und Tarifgenerationen gemacht wurden und an Verträge der Tarif-
generation mit Rechnungszins 3,5 Prozent – und dieses sind die vor 1994 ab-
geschlossenen Altverträge – 2004 zwischen 0,01 bis 0,08 Prozentpunkte – je
nach Produkt- und Vergleichs-Tarifgeneration, Ansparphase – weniger
Überschuss gewährt wurden (2005 waren es bis zu 0,11 Prozentpunkte, 2006
bis zu 0,09 Prozentpunkte; noch höher sind die Unterschiede bei bereits lau-
fenden Renten; hier sind 2006 sogar Unterschiede bis zu 0,43 Prozentpunkte
zu beobachten)?

17. Inwieweit liegt in der Teilkollektivierung der freien RfB – vor dem Hinter-
grund, dass damit die Überschussbeteiligung für die Versicherungsnehmer
des Altbestands gemindert wird – ein Eingriff in eine verfassungsrechtlich
geschützte Rechtsposition der Versicherungsnehmer des Altbestandes vor?

Wie ist dieser Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?

18. Hat die Bundesregierung und/oder die BaFin sich zur Thematik „Kollekti-
vierung der freien RfB“ Rechtsgutachten erstellen lassen, bzw. sind ihr
Rechtsgutachten bekannt, die von Dritten in Auftrag gegeben wurden?

19. Falls es Rechtsgutachten zu dieser Thematik gibt, wer hat diese wann in
wessen Auftrag erstellt, und welche Ergebnisse ergaben sich daraus?

Wird die Bundesregierung dieses/diese Rechtsgutachten dem Deutschen

Bundestag zur Verfügung stellen?

Drucksache 17/12829 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

20. War eine Verwendung der Mittel in der freien RfB zum Ausgleich zwischen
den Teilbeständen auch bisher schon möglich?

Warum war ein Ausgleich über „Bestandsanleihen“ nur in unzureichendem
Maße möglich (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e. V.,
Stellungnahme zum Referentenentwurf des Zehnten Gesetzes zur Ände-
rung des VAG, S. 15)?

21. Hätte es neben der Teilkollektivierung andere alternative Möglichkeiten ge-
geben, um den Auswirkungen der Trennung der Versichertenbestände im
Jahr 1994 auf das System der freien RfB und die damit einhergehende fak-
tische Pflicht zur vollständigen Auskehrung der freien RfB auf einen
schrumpfenden Altbestand Rechnung zu tragen, und wenn ja, welche?

Und was spricht gegen diese Alternativen?

22. Hätte eine Ungleichbehandlung zwischen abgewickelten und noch abzu-
wickelnden Verträgen des Altbestands nicht auch dadurch verhindert wer-
den können, indem man an die Versicherungsnehmer bereits abgewickelter
Verträge rückwirkend noch weitere Überschüsse ausgeschüttet hätte, etwa
in Form von Sonderausschüttungen?

23. Ist sichergestellt, dass die Versicherungsnehmer des Altbestands infolge der
Teilkollektivierung nicht schlechtergestellt werden, als wenn die Trennung
in Alt- und Neubestand 1994 nicht angeordnet worden wäre, und wenn ja,
wie?

24. In welchem Maße wären – hypothetisch betrachtet – Überschüsse an die
Versicherungsnehmer des Altbestands ausgeschüttet worden, wenn die
Trennung in Alt- und Neubestand 1994 nicht angeordnet worden wäre?

25. Wie ist der Zeitplan des BMF in Bezug auf die Änderung der Mindest-
zuführungsverordnung?

26. Hat das BMF vor, Änderungen gegenüber dem Diskussionsentwurf zur Än-
derung der Mindestzuführungsverordnung aus Dezember 2012 (vgl. Stel-
lungnahme des Bundes der Versicherten e. V. vom 3. Dezember 2012) vor-
zunehmen, und wenn ja, welche?

Oder arbeitet das BMF mittlerweile an einem neuen Entwurf, und worin
soll dieser sich von dem bisherigen Entwurf unterscheiden?

27. Wie wird die Rückführung von Mitteln aus der kollektiven RfB an den
Neu- und Altbestand geregelt?

28. Kann nach Einschätzung der Bundesregierung heute ein Kunde oder ein
sachverständiger Dritter im Auftrag des Kunden anhand der von Lebens-
versicherungsunternehmen zur Verfügung gestellten Informationen während
der Vertragslaufzeit und am Ende der Laufzeit nachvollziehen, ob die Höhe
des Auszahlungsbetrags dem entspricht, was dem Kunden zusteht?

29. Wenn nicht, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus die-
sem Sachverhalt?

Ist diese mögliche mangelnde Nachvollziehbarkeit nach Kenntnis der Bun-
desregierung dem Wesen der Lebensversicherung geschuldet, der spezifi-
schen Rechtsetzung oder ist sie auf das konkrete Informationsverhalten der
Unternehmen zurückzuführen?

Wie wird derzeit verhindert, dass diese mangelnde Nachvollziehbarkeit von
den Unternehmen zu Lasten des Kunden ausgenutzt werden kann?

30. Wie kontrolliert die BaFin, ob die Höhe der Auszahlungsbeträge den Be-

trägen entspricht, die den Kunden zustehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12829

31. Wie hoch ist der prozentuale Anteil an Verträgen, für die ein Sicherungs-
bedarf gemäß § 56a VAG-E (in der ursprünglichen Entwurfsfassung des
SEPA-Begleitgesetzes) besteht?

32. Wie hoch wird der Sicherungsbedarf bei Fortbestand des aktuellen Zins-
niveaus jeweils in den nächsten fünf Jahren sein?

33. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Höhe der
Garantiezinsen und der Belastungen für die Versicherungsbranche aus der
Bildung von Zinszusatzreserven?

34. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass man die gesetzliche Höchst-
grenze bei den Garantiezinsen früher hätte senken sollen, auch um die Be-
lastungen aus der Zinszusatzreserve nicht so groß werden zu lassen, wie sie
es nun voraussichtlich werden?

Wenn ja, warum hat die Bundesregierung eine frühzeitigere Senkung unter-
lassen?

Wenn nein, warum hat die Bundesregierung durch diese Politik einen An-
stieg der Zinszusatzreserven zugelassen, der heute nach Ansicht des BMF
perspektivisch eine Bedrohung für die Branche darstellt?

35. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass man den Garantiezins weiter sen-
ken sollte?

36. Obliegt es der unternehmerischen Entscheidung eines Versicherungsunter-
nehmens, einen niedrigeren Garantiezins als den gesetzlich vereinbarten
Höchstwert anzunehmen?

Wenn ja, warum sollen Kundinnen und Kunden, wie in der Gesetzes-
begründung zum § 56a VAG festgehalten, einen Beitrag zur Stabilisierung
der Branche leisten, wenn der Grund für die Belastung, nämlich stetig
steigende Aufwendungen aus der Bildung der Zinszusatzreserve, aus einer
unternehmerischen Entscheidung der Versicherungsunternehmen folgt?

37. Wäre es aus Sicht des BMF im Hinblick auf die unternehmerische Verant-
wortung der Versicherungsunternehmen für die Festlegung der Garantie-
zinsen ordnungspolitisch sinnvoll, die daraus resultierenden Belastungen
der Unternehmen, auch dadurch zu vermindern, dass den Unternehmen
Ausschüttungen an Eigentümer untersagt bzw. diese begrenzt werden?

Berlin, den 18. März 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.