BT-Drucksache 17/12667

Infrastruktur und Mobilität in ländlichen Räumen

Vom 11. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12667
17. Wahlperiode 11. 03. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Katrin
Kunert, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten
Steinke, Sabine Stüber und der Fraktion DIE LINKE.

Infrastruktur und Mobilität in ländlichen Räumen

Der ländliche Raum im engeren Sinne nimmt etwa 58 Prozent des Bundes-
gebiets ein. Hier lebt ein Viertel der Bevölkerung.

Es handelt sich meist um naturnahe, von Land- und Forstwirtschaft sowie klei-
nen und mittelständischen Unternehmen geprägte Siedlungs- und Landschafts-
räume mit geringer Bevölkerungs- und Bebauungsdichte sowie meist niedriger
Wirtschaftskraft und geringer Zentralität der Orte. Die Dichte sozialer Netz-
werke zwischenmenschlicher Beziehungen ist meist höher als in Städten. Auf-
grund dieser Strukturen werden objektive Versorgungsdefizite gar nicht als sol-
che wahrgenommen.

Oft wird in Politik und Wissenschaft auch von „strukturschwachen Regionen“
gesprochen. Meist ist der Begriff der Strukturschwäche an Kriterien wie Wande-
rungssaldo, Infrastrukturausstattung, Arbeitsplätze und Sozialprodukt gekoppelt
(Henkel, Gerhard, 2004. Der Ländliche Raum. Gegenwart und Wandlungspro-
zesse seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland. Berlin und Stuttgart: Gebrüder
Borntraeger, S. 34 f.).

Das Grundgesetz (GG) verpflichtet den Gesetzgeber in Artikel 72 Absatz 2 zur
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Dies ist auch
erklärtermaßen die politische Leitvorstellung der Bundesregierung (s. Fort-
schrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume auf Bun-
destagsdrucksache 17/8499, im Folgenden: „Fortschrittsbericht“). Abgesehen
von Stadt-Land-Unterschieden unterscheiden sich auch die Lebensverhältnisse
in den ländlichen Räumen untereinander: Auf der einen Seite gibt es florierende
Räume im Süden und Westen Deutschlands, während ländliche Räume in ande-
ren Regionen veröden. Schrumpfung bedeutet dabei nicht nur abnehmende Ein-
wohnerzahlen, sondern vielmehr auch einen Rückgang an Infrastrukturangebo-
ten, Kaufkraft und regionalem Entwicklungspotential.

Mobil zu sein ist in unserer Gesellschaft unverzichtbar, ob für die Existenzsiche-
rung (Wege zur Arbeit, zum Einkaufen), ob für Bildung und Kultur (Wege zur
Schule, Ausbildung, Hochschule, Theater und vieles mehr) oder für den sozialen
Austausch. Mobilität ist auch Bestandteil der Demokratie, denn „wer an der Ge-

sellschaft teilhaben will, muss auch hinkommen können“ (Motto der Sozial-
ticketinitiativen). Dies gilt umso mehr in den ländlichen Räumen mit schrump-
fender Bevölkerung, wo Gesundheitsdienste, Schulen und Kulturangebote immer
mehr ausgedünnt werden. Um soziale und ökonomische Exklusion zu verhin-
dern, muss die öffentliche Hand daher Mobilität für alle ermöglichen – barriere-
frei und bezahlbar. Mobilität heißt heute aber auch virtuelle Mobilität durch Te-
lekommunikation, vor allem Internet.

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Die bestehenden Probleme sind Folge der mittlerweile chronischen Unterfinan-
zierung der Kommunen. Bund und Länder wälzten in den vergangenen Jahren
immer mehr Kosten auf die kommunale Ebene ab. Hochverschuldete Gemein-
den sind keine Seltenheit mehr – mit verheerenden Folgen für den ländlichen
Raum. Infrastruktur, Dienste der sozialen Vorsorge und kulturelle Güter werden
zunehmend privatisiert oder ganz abgebaut. Dies gilt auch für kommunale Ver-
kehrsbetriebe, auf Bundesebene auch für die Deutsche Bahn. Konsequenz dieser
Privatisierungen ist oft die Ausrichtung der Betriebe vorrangig auf Erwirtschaf-
tung von Profit, statt auf das Angebot von Dienstleistungen für die Bürgerinnen
und Bürger.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Strebt die Bundesregierung an, finanziell tragfähige Infrastruktur- und Ver-
sorgungskonzepte für ländliche Räume zu entwickeln und diese noch mehr
auf die Bedürfnisse der verbleibenden und zunehmend älter werdenden Be-
völkerung auszurichten?

In welchen ländlichen Regionen und warum sieht die Bundesregierung hier
noch besonderen Handlungsbedarf?

2. Wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung der im Fortschrittsbericht unter
„Handlungsfeld 2“ formulierten Ziele zur Entwicklung der Infrastruktur in
ländlichen Räumen?

3. Welche Mobilitätskonzepte sind in Bezug auf Elektromobilität in ländlichen
Modellregionen entwickelt worden, wie im Fortschrittsbericht angekündigt?

4. Wie ist der Stand der Umsetzung der 2010 vom Bundesministerium für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung gestarteten „Initiative ländliche Infrastruk-
tur“, und welche Ergebnisse konnten durch die Initiative erzielt werden?

5. Wie ist der Stand der Umsetzung des 2011 im Agrarpolitischen Bericht der
Bundesregierung angekündigten Wettbewerbs „Menschen und Erfolge“ für
beispielhafte Lösungen für eine nachhaltige Infrastrukturversorgung in länd-
lichen Räumen, und welche Ergebnisse konnten durch den Wettbewerb für
ländliche Räume erzielt werden?

6. Welche (Zwischen-)Ergebnisse zeitigen die in der Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD (Bundestagsdruck-
sache 17/10302) erwähnten neun ebenenübergreifenden Arbeitsgruppen, die
zu Themen der Demografiestrategie eingesetzt werden sollten?

Seit wann haben sich diese Arbeitsgruppen konstituiert, wie setzen sie sich
zusammen, und wann werden jeweils (Zwischen-)Ergebnisse vorliegen?

7. Welche Mittel aus dem Konjunkturpaket II haben in peripheren ländlichen
Regionen dazu beigetragen, eine tragfähige Infrastruktur (weiter) zu ent-
wickeln?

In welche Bereiche sind diese Mittel geflossen (bitte prozentual und absolut
sowie nach Bundesländern aufgliedern)?

8. Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung bezüglich schädlicher
Lenkungswirkungen in Bezug auf eine Ausdehnung der Siedlungsstruktur,
Verkehrswachstum und eine Zunahme des Flächenverbrauches infolge der
Pendlerpauschale, und was gedenkt sie gegebenenfalls dagegen zu unterneh-
men?

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9. Welche Konzepte verfolgt die Bundesregierung, um angesichts von Klima-
schutzzielen und steigenden Treibstoffpreisen in bevölkerungsarmen länd-
lichen Räumen die Mobilität aller Menschen zu gewährleisten, insbeson-
dere von mobilitätseingeschränkten Personen, von Menschen mit Kinder-
wagen oder Gepäck, von Kindern, von ärmeren Bevölkerungsgruppen?

10. In welcher Form beziehen diese Konzepte neben dem privaten Pkw-Verkehr
und dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Schienenpersonen-
nahverkehr (SPNV) auch Carsharing, den Fuß- und Radverkehr (inkl. Leih-
räder) sowie weitere nichtkommerzielle Verkehre, wie zum Beispiel den
Verkehr über Mitfahrerforen, ein?

11. Welche Konzepte zur Erreichung eines flächendeckenden ÖPNV im länd-
lichen Raum verfolgt die Bundesregierung angesichts von Menschen, die
aus Alters-, Gesundheits- und finanziellen Gründen auf ein eigenes Auto
verzichten müssen oder die auf ein eigenes Auto verzichten wollen?

12. Wie stellt sich die Bundesregierung die künftige Finanzierung des ÖPNV in
ländlichen Räumen vor unter Berücksichtigung der spezifischen Herausfor-
derungen (demografischer Wandel, Schrumpfungsprozesse)?

Welche Standards sollen für den ÖPNV in ländlichen Räumen gelten?

13. Welche Verantwortung übernimmt die Bundesregierung für die langfristige
Stärkung von ÖPNV und SPNV in ländlichen Räumen?

14. Welche Konzepte hat die Bundesregierung zur langfristigen Stärkung von
ÖPNV und SPNV in ländlichen Räumen?

15. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung so genannten Bürgerbussen
bei, die einerseits Defizite der öffentlichen Hand deutlich machen, anderer-
seits neue Formen von Bürgerbeteiligung bei der ÖPNV-Planung und - Ge-
staltung ermöglichen?

16. Hält die Bundesregierung Internetforen zum Leihen/Verleihen privater Pkw
und Fahrräder für sinnvoll und förderungswürdig (bitte mit Begründung)?

17. Welche der bis 1937 noch bestehenden später stillgelegten grenzüberschrei-
tenden Bahnlinien beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen des euro-
päischen Zusammenwachsens wieder zu öffnen, bzw. die Länder und Kom-
munen bei deren Öffnung finanziell zu unterstützen?

18. Inwieweit wird bei der geplanten Machbarkeitsstudie für einen Deutsch-
landtakt der SPNV berücksichtigt?

Werden bei dieser Machbarkeitsstudie entsprechend des Beschlusses der
Verkehrsministerkonferenz vom 4./5. Oktober 2012 auch die SPNV-Aufga-
benträger einbezogen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, in welcher Form?

19. Wie will die Bundesregierung bei sinkenden Haushaltsmitteln für den Rad-
verkehr ihr Radverkehrskonzept umsetzen?

20. Welche Konsequenzen hätte nach Ansicht der Bundesregierung eine Ab-
kehr von der Privilegierung des motorisierten Individualverkehrs in der
Straßenverkehrsordnung (StVO) für die Lebensqualität in ländlichen Räu-
men (z. B. shared spaces innerorts)?

21. Welche Kriterien – außer ökonomischen – betrachtet die Bundesregierung
als relevant bei Beschaffung, Vergabe und Bereitstellung öffentlicher Da-
seinsvorsorge?

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22. Wie viele Haushalte im ländlichen Raum hatten bzw. haben 2009, 2010,
2011 sowie aktuell Zugang zu einem Breitband-Internetanschluss von min-
destens 1 Mbit, mindestens 16 Mbit/s und mindestens 50 Mbit/s?

23. Sind die Fördergelder für den Breitband-Ausbau im ländlichen Raum nach
Ansicht der Bundesregierung ausreichend, um das Ziel einer flächende-
ckenden Versorgung mit 50-Mbit/s-Anschlüssen bis 2018 zu erreichen?

a) Wenn ja, mit welchen Zahlen rechnet die Bundesregierung?

b) Wenn nein, wie gedenkt die Bundesregierung den Breitband-Infrastruk-
turausbau zu beschleunigen?

24. Wurden die jährlichen Fördergelder für den Ausbau des Breitbandnetzes
vollständig abgerufen (bitte nach verschiedenen Förderprogrammen und
Bundesländern aufteilen)?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn nein, wie will die Bundesregierung deren Akzeptanz erhöhen?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass das Stadt-Land-Ge-
fälle umso ausgeprägter ist, je höhere Bandbreiten betrachtet werden, und
wie will die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen vorgehen?

26. Sieht die Bundesregierung den Grundsatz der Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse im Bereich des Breitband-Internets aufgrund der Preis-
unterschiede und des unterschiedlichen Versorgungsgrades im ländlichen
Raum verletzt?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, warum hat die Bundesregierung eine Universaldienstverpflich-
tung für Breitband-Internetanschlüsse verhindert?

Berlin, den 11. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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