BT-Drucksache 17/1264

Entschädigung der Opfer und Hinterbliebenen des Luftschlags bei Kundus vom 4. September 2009

Vom 26. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1264
17. Wahlperiode 26. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Clauida Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entschädigung der Opfer und Hinterbliebenen des Luftschlags bei Kundus
vom 4. September 2009

Am 4. September 2009 bombardierten Flugzeuge der ISAF (International Secu-
rity Assistance Force) auf deutschen Befehl hin zwei Tanklastwagen, die zuvor
entführt worden waren und in einem Flussbett in der Nähe von Kundus festsaßen.
Bei dem Luftschlag kam vermutlich eine größere Zahl von Zivilpersonen ums
Leben. Die näheren Umstände des Ereignisses werden im Verteidigungsaus-
schuss des Deutschen Bundestages untersucht. Die Bundesanwaltschaft ermittelt
gegen den zuständigen Befehlshaber des Bombardements.

Die Frage der Entschädigung der Opfer des Luftschlags und der Hinterbliebenen
ist nicht Gegenstand des Untersuchungsausschusses und der Ermittlungen der
Bundesanwaltschaft. Bislang hat die Bundesregierung keine verbindliche Aus-
kunft über die Anzahl der zu entschädigenden Opfer und der Hinterbliebenen
sowie zur konkreten Art und Weise der geplanten Entschädigung gegeben.

Es gibt unterschiedliche Angaben zur Anzahl der Opfer. Presseberichten zufolge
spricht Amnesty International von 83 zivilen Opfern, der ISAF-Bericht nennt
zwischen 17 und 142 Tote, darunter bis zu 40 zivile Opfer, die afghanische Re-
gierung berichtete von 30 getöteten zivilen Opfern und 69 getöteten Taliban-
Kämpfern. Ein deutscher Anwalt vertritt nach eigenen Angaben 79 Mandanten
als Hinterbliebene von 137 Opfern, für deren Entschädigung er in Verhandlun-
gen mit dem Bundesministerium der Verteidigung steht. Die Bundeswehr leistete
Winterhilfe in Form von Haushaltspaketen und Decken. Geplant sind gemäß
Presseinformationen auch mittel- und langfristige Projekte wie der Aufbau einer
Teppichknüpferei, einer Gerberei, eines Betriebs für Vieh- und Milchwirtschaft
und eines Waisenhauses. Laut Presseberichten plant die Bundesregierung keine
direkte finanzielle Entschädigung.

Medienberichten zufolge war seit dem 11. Februar 2010 bekannt, dass sechs
Dorfälteste gegenüber der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommis-

sion ihrer Forderung nach einer direkten Entschädigung durch die Bundesregie-
rung ohne Vermittlung durch Rechtsanwälte Ausdruck gegeben haben. Laut
eines Schreibens der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission
vom 17. März 2010 haben sich bei ihr insgesamt 30 Familien gemeldet, die von
der Bundesregierung eine direkte Entschädigung ohne Vermittlung durch An-
wälte fordern.

Drucksache 17/1264 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aus welchem Grund ist die Bundesregierung sieben Monate nach dem Luft-
schlag noch nicht in der Lage, konkrete Auskunft zu den von ihr geplanten
mittel- und langfristigen Projekten zur Entschädigung von Opfern und Hin-
terbliebenen zu geben, und wann wird sie hierzu in der Lage sein?

2. Auf welche Weise hat die Bundesregierung in den vergangenen sieben
Monaten dafür gesorgt, dass die Familien der Opfer des Luftschlags, die mit
ihrem Familienernährer auch ihr Einkommen verloren haben, ihren Lebens-
unterhalt bestreiten und finanziellen Belastungen tragen konnten?

3. Hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren in der Region Kundus
ebenfalls eine Winterhilfe in Form von Haushaltspaketen geleistet, und falls
ja, inwiefern unterschied sich diese Winterhilfe von der im Zusammenhang
mit der Entschädigung der Opfer des Luftschlags von Kundus geleisteten
Winterhilfe?

4. Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass von den geplanten mittel-
und langfristigen Entschädigungsprojekten auch tatsächlich die Hinterblie-
benen der Opfer des Luftschlags profitieren und der Zugang zu den Projek-
ten nicht derart unspezifisch gewährt wird, dass die Hinterbliebenen keine
Möglichkeit zur Existenzsicherung erhalten, obwohl ihre Familienernährer
bei dem Luftschlag ums Leben gekommen sind?

5. Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass die hinterbliebenen Frauen
der Opfer des Luftschlags, die Kinder zu versorgen haben, von den in den
mittel- und langfristigen Entschädigungsprojekten geplanten Arbeitsplätzen
und den damit verbundenen Einkommen profitieren, obwohl in der Region
Frauenarbeit als bezahlte Lohnarbeit als ungewöhnlich gilt?

6. Hat sich die Bundesregierung bemüht, sich bei der Planung der Entschädi-
gungsprojekte für Opfer und Hinterbliebene des Luftschlags von Kundus
mit den zuständigen offiziellen Stellen in Afghanistan abzustimmen, und
falls nicht, warum nicht?

7. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass eine Entschädigung
durch mittel- und langfristige Projekte für ihren nachhaltigen Erfolg mit dem
National Solidarity Programme (NSP) und der Afghanistan National Devel-
opment Strategy (ANDS) abgestimmt werden sollte, und falls nicht, warum
nicht?

8. Hat die Bundesregierung sich bei der Planung der mittel- und langfristig an-
gelegten Entschädigungsprojekte mit dem National Solidarity Programme
(NSP) und der Afghanistan National Development Strategy (ANDS) abge-
stimmt?

9. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass eine Entschädigung
durch mittel- und langfristige Projekte für ihren nachhaltigen Erfolg mit dem
Provincial Reconstruction Team (PRT), der Zivilgesellschaft, wie z. B. dem
in Kundus ansässigen Büro der unabhängigen afghanischen Menschen-
rechtskommission, mit geistlichen Würdenträgern (Ulema) und dem Pro-
vinzrat abgestimmt werden sollte, und falls nicht, warum nicht?

10. Hat sich die Bundesregierung bei der Planung der mittel- und langfristig an-
gelegten Entschädigungsprojekte mit dem Provincial Reconstruction Team
(PRT), der Zivilgesellschaft, wie z. B. dem in Kundus ansässigen Büro der
unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission, mit geistlichen
Würdenträgern (Ulema) und dem Provinzrat abgestimmt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1264

11. Hat die Bundesregierung die seit dem 11. Februar 2010 öffentlich bekannten
Informationen zu Dorfältesten, die eine direkte Entschädigung fordern, zur
Kenntnis genommen und entsprechend mit den betroffenen Dorfältesten
oder zwecks Vermittlung mit der unabhängigen afghanischen Menschen-
rechtskommission Kontakt aufgenommen, und falls nicht, warum nicht?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnis von den 30 Familien, die gegenüber der
unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission ihre Forderung
nach direkter Entschädigung formulierten, und falls ja, wie wird sie mit die-
sen Ansprüchen umgehen?

13. Ist nach Ansicht der Bundesregierung von einer deutlich höheren Opferzahl
als der im ISAF-Bericht genannten Zahl von 142 Personen auszugehen,
wenn zusätzlich zu den von den Anwälten vertretenen Hinterbliebenen von
137 getöteten Zivilpersonen laut unabhängiger afghanischer Menschen-
rechtskommission noch einmal 30 Familien als Anspruchsteller auftreten,
die auch getötete Angehörige zu beklagen haben?

14. Wird die Bundesregierung die Hinterbliebenen in der von ihnen gewünsch-
ten Weise entschädigen und gegebenenfalls in diesem Zusammenhang auch
zur Zahlung von finanziellen Entschädigungen direkt an die Familien der
Opfer des Luftschlags bereit sein, wenn diese explizit eine finanzielle Ent-
schädigung wünschen?

15. Plant die Bundesregierung, sich jenseits von Entschädigungsleistungen in
geeigneter, das heißt den kulturellen Gegebenheiten entsprechender, Weise
für den Verlust der Opfer zu entschuldigen?

Berlin, den 26. März 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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