BT-Drucksache 17/1263

Überführung des Amts des Hohen Repräsentanten in eine verstärkte Präsenz der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina

Vom 26. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1263
17. Wahlperiode 26. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln),
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überführung des Amts des Hohen Repräsentanten in eine verstärkte Präsenz der
Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina

Mit dem Friedensvertrag von Dayton endete im November 1995 der Krieg in
Bosnien und Herzegowina. Auf seiner Basis wurde das Amt des Hohen Reprä-
sentanten (OHR) zur Unterstützung und Überwachung der Umsetzung der zivi-
len Teile des Friedensabkommens eingerichtet. Ihm wurde die abschließende
Auslegungshoheit über die zivilen Aspekte des Friedensvertrags zugesprochen.
Im Dezember 1995 wurde zudem der Friedensimplementierungsrat mit 55 teil-
nehmenden Nationen und dessen Lenkungsausschuss als Beratungsgremium des
Hohen Repräsentanten gebildet. Die dritte Konferenz des Friedensimplementie-
rungsrats 1997 in Bonn sah es als nötig an, den Hohen Repräsentanten mit exeku-
tiven Sondervollmachten (Bonn Powers) auszustatten. Die Vollmachten geben
dem Hohen Repräsentanten die Möglichkeit, Amts- und Mandatsträger, die Ver-
pflichtungen des Friedensvertrags verletzen, abzusetzen und notwendige
Gesetze zu erlassen, sollte eine andauernde Weigerung der verantwortlichen
Politiker dies verhindern.

Seit Februar 2002 ist der Hohe Repräsentant zugleich Sonderbeauftragter der
Europäischen Union. Im Juni 2005 erklärte der Lenkungsausschuss des Friedens-
implementierungsrats seine Absicht zur weiteren Übergabe von Verantwortung
an die lokale Politik (ownership) mit dem Ziel der Schließung des Amts des
Hohen Repräsentanten und dessen Ersetzung durch den Sonderbeauftragten der
Europäischen Union. Das Amt des Sonderbeauftragten richtet sich nicht auf die
Erfüllung des Friedensvertrags von Dayton, sondern vorwiegend auf die Unter-
stützung Bosnien und Herzegowinas im Beitrittsprozess zur Europäischen
Union. Sein Mandat beruht nicht auf Resolutionen des Sicherheitsrats der Ver-
einten Nationen. Die Überführung des Amts des Hohen Repräsentanten in eine
verstärkte Präsenz der Europäischen Union samt Sonderbeauftragtem ist deshalb
auch mit dem Verzicht auf die exekutiven Sondervollmachten des Hohen Reprä-
sentanten verbunden. Im März 2006 stellte der Hohe Repräsentant erstmals einen

zwölfmonatigen Zeitplan zur Schließung seines Amts auf, der wegen Ausbleiben
der dafür notwendigen politischen Reformen mehrfach verlängert werden
musste.

Auf seiner Sitzung im Februar 2008 beschloss der Lenkungsausschuss des
Friedensimplementierungsrats, nicht länger konkrete Daten für die anvisierte
Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten zu nennen, sondern diese

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zukünftig von fünf Zielen und zwei Bedingungen abhängig machen zu wollen.
Die Erfüllung der fünf Ziele und zwei Bedingungen wurde als grundsätzlich für
die Schaffung eines friedvollen und existenzfähigen Staats aufgefasst. Als Ziele
wurden die Lösung der Frage der Eigentumsaufteilung zwischen der gesamt-
staatlichen Regierung, den Entitäten und den Kantonen, die Lösung der Eigen-
tumsfragen des Verteidigungssektors, die Klärung des Status des Brcko-
Distrikts, die Etablierung fiskalischer Nachhaltigkeit durch die Einrichtung einer
Behörde zur indirekten Besteuerung und eines Nationalen Finanzrats sowie die
Verankerung der Rechtsstaatlichkeit etwa durch die Verabschiedung einer natio-
nalen Strategie zur Verfolgung von Kriegsverbrechen, des Gesetzes zu Auslän-
dern und Asyl und einer Reformstrategie für den nationalen Justizsektor benannt.
Als Bedingungen wurden eine positive Einschätzung des Lenkungsausschusses
zur Lage in Bosnien und Herzegowina auf der Basis der vollen Erfüllung des
Friedensvertrags von Dayton und der Abschluss eines Stabilisierungs- und Asso-
ziierungsabkommens mit der Europäischen Union formuliert. Letzteres wurde
im Juni 2008 unterzeichnet.

Im November 2008 legten der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Javier Solana, und Erweiterungs-
kommissar Olli Rehn eine Strategie zur Überführung des Amts des Hohen
Repräsentanten zu mehr Eigenverantwortlichkeit der lokalen Politik, unterstützt
von einer verstärkten Präsenz der Europäischen Union, vor.

Der Lenkungsausschuss des Friedensimplementierungsrats beklagte auf seiner
letzten Sitzung am 25. Februar 2010 die weiterhin ausbleibenden Fortschritte bei
der Erfüllung der fünf Ziele und zwei Bedingungen und betonte seine Überzeu-
gung, dass eine Verfassungsreform, obgleich nicht Teil der von ihm selbst ge-
nannten Bedingungen für die Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten,
für die Verbesserung der Effizienz und Funktionsfähigkeit der Institutionen in
Bosnien und Herzegowina notwendig sei.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die vom Lenkungsausschuss des Friedensimple-
mentierungsrats im Februar 2008 formulierten fünf Ziele und zwei Bedingun-
gen als notwendige Voraussetzungen für die Schließung des Amts des Hohen
Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina, und falls nicht, was sind nach
Ansicht der Bundesregierung die nötigen Voraussetzungen für die Schließung
des Amts?

2. In welchem Maße konnte bislang nach Ansicht der Bundesregierung die
Frage der Eigentumsaufteilung zwischen gesamtstaatlicher Regierung, den
Entitäten und Kantonen in Bosnien und Herzegowina geregelt werden?

3. In welchem Maße konnte bislang nach Ansicht der Bundesregierung eine
tragfähige und nachhaltige Lösung der Eigentumsfrage für den Vertei-
digungssektor in Bosnien und Herzegowina gefunden werden?

4. In welchem Maße konnte bislang nach Ansicht der Bundesregierung der
Status des Brcko-Distrikts abschließend geklärt werden?

5. In welchem Maße konnte bislang nach Ansicht der Bundesregierung die
Etablierung einer fiskalischen Nachhaltigkeit etwa durch die Einrichtung
einer Behörde zur indirekten Besteuerung und eines Nationalen Finanzrats in
Bosnien und Herzegowina erreicht werden?

6. In welchem Maße konnte bislang nach Ansicht der Bundesregierung etwa
durch die Verabschiedung einer nationalen Strategie zur Verfolgung von
Kriegsverbrechen, des Gesetzes zu Ausländern und Asyl oder einer Reform-

strategie für den nationalen Justizsektors in Bosnien und Herzegowina
Rechtsstaatlichkeit verankert werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1263

7. Kommt die Bundesregierung zu einer positiven Einschätzung der Lage in
Bosnien und Herzegowina auf der Basis der vollen Erfüllung des Daytoner
Friedensvertrages, und falls ja, womit begründet sie diese?

8. Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, wonach das Amt des Hohen
Repräsentanten bei seiner Bewertung der Umsetzung der fünf Ziele und zwei
Bedingungen zuletzt Rückschritte feststellte, und falls ja, welche Rück-
schlüsse zieht die Bundesregierung hieraus für ihre Position zur Frage der
Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten?

9. Könnte nach Ansicht der Bundesregierung eine nicht erfolgte Umsetzung des
Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Sejdic
und Finci gegen Bosnien und Herzegowina vom 18. Dezember 2009, etwa in
Form einer Verfassungsreform, zur Verletzung und in deren Folge zum
Bruch internationaler Abkommen, die zwischen Deutschland oder der Euro-
päischen Union einerseits und Bosnien und Herzegowina andererseits beste-
hen, führen, und falls ja,

a) hätte dies nach Ansicht der Bundesregierung Einfluss auf die Erfüllung
der fünf Ziele und zwei Bedingungen als Voraussetzung zur Schließung
des Amts des Hohen Repräsentanten,

b) welchen Zeitraum räumt die Bundesregierung Bosnien und Herzegowina
für die Umsetzung des Urteils ein?

10. Gäbe es Umstände, unter denen die Bundesregierung noch vor Erfüllung der
vom Lenkungsausschuss des Friedensimplementierungsrats benannten fünf
Ziele und zwei Bedingungen für die Schließung des Amts des Hohen Reprä-
sentanten votieren würde, und falls ja, welche wären das?

11. Wie hat sich der Vertreter der Bundesregierung auf der Sitzung des Len-
kungsausschusses des Friedensimplementierungsrats am 25. Februar 2010
zur Frage der Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten verhalten,
und wie begründet die Bundesregierung diese Haltung?

12. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Lenkungsausschusses des
Friedensimplementierungsrats vom 25. Februar 2010, wonach „Verfas-
sungsänderungen notwendig sind, um Effizienz und Funktionalität der Insti-
tutionen von Bosnien und Herzegowina zu verbessern […] und zukünftige
Anforderungen der euro-atlantischen Integration zu bewältigen“, und falls ja,

a) hält die Bundesregierung die Durchführung einer Verfassungsreform
noch vor der Schließung des Amts des Hohen Repräsentanten für notwen-
dig,

b) wie begründet sie diese Haltung?

13. Wann und wodurch erwartet die Bundesregierung nach Abschaffung des
Amts des Hohen Repräsentanten samt seiner exekutiven Sondervollmachten
die Umsetzung einer Verfassungsreform und der mit ihr verbundenen ab-
schließenden Durchführung der Polizeireform, die ursprünglich Vorbedin-
gung für das 2008 unterzeichnete Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-
men der EU mit Bosnien und Herzegowina war?

Berlin, den 26. März 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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