BT-Drucksache 17/12492

Folter von konfliktbezogenen Gefangenen in Afghanistan

Vom 25. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12492
17. Wahlperiode 25. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln),
Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Kerstin Müller (Köln), Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Folter von konfliktbezogenen Gefangenen in Afghanistan

In Afghanistan wird nach wie vor systematisch gefoltert. Zu diesem Ergebnis
kommt die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA). Der
Report „Treatment of Conflict-Related Detainnees in Afghan Custody“ berich-
tet über mutmaßliche Kämpferinnen und Kämpfer, die inhaftiert und zwischen
Oktober 2011 und Oktober 2012 misshandelt wurden. Die Erkenntnis der Fol-
ter ist nicht neu. Bereits im Oktober 2011 hatte die UNAMA einen gleichnami-
gen Vorgängerbericht vorgelegt.

Die Lage hat sich verschlechtert, das zeigt der Vergleich der relativen Häufigkeit
beider Untersuchungen. In Einrichtungen der Afghan National Police (ANP)
und Grenzpolizei Afghan National Border Police (ANBP) hat die Folter um
8 Prozent zugenommen. Die Zahl von gefolterten Kindern ist um 14 Prozent ge-
stiegen. Insgesamt interviewte UNAMA im aktuellen Zeitraum 635 Gefangene,
was die Stichprobe solider macht, da die Zahl der durchgeführten Interviews um
59 Prozent gegenüber dem letzten Bericht (379 Samples) ausgeweitet wurde.

Die Vorfälle betreffen nicht nur Gefangene, die durch afghanische Sicherheits-
kräfte festgenommen wurden, sondern auch durch die internationale Schutz-
truppe ISAF (International Security Assistance Force) inhaftierte und an afgha-
nische Sicherheitskräfte überstellte Gefangene. Laut UNAMA kam es auch im
Einsatzgebiet der Bundeswehr zu Misshandlungen – allerdings ist unklar, von
welcher Seite die Gefangenen zuerst inhaftiert wurden. Dies betrifft Einrichtun-
gen des afghanischen Inlandsgeheimdienstes National Directorate of Security
(NDS), der ANP und der Afghan Local Police (ALP) in den Provinzen Faryab,
Jawzjan, Saripul, Balkh, Kunduz, Baghlan, Takhar und Badakhshan. Die
Bundeswehr hat mitgeteilt, sie nehme selbst grundsätzlich keine Ingewahrsam-
nahmen vor.

Schon im letzten Bericht wurde das Auslieferungsproblem bemängelt, obwohl
ISAF bereits im Vorfeld auf die Folterprobleme reagierte. Im September 2011

initiierte die Mission ein Monitoring-Programm, das neben Schulungen vor
allem regelmäßigen Untersuchungen umfasste. Als Konsequenz auf die Besich-
tigungen stoppte die Schutztruppe die Auslieferung an 16 NDS- und ANP-Ein-
richtungen.

Die Überweisungen haben nach und nach wieder eingesetzt. Gerechtfertigt hat
ISAF die erneuten Auslieferungen dadurch, dass in einer zweiten Phase ab

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November 2011 ein eigenes Zertifizierungsprogramm ins Leben gerufen
wurde. ISAF hat sich dabei auch auf die Position zurückgezogen, dass der
afghanische Staat die alleinige Verantwortung zur Strafverfolgung von Täterin-
nen und Tätern trage.

Die Zertifikate bescheinigen den afghanischen Einrichtungen, dass sie die
gröbsten Mängel beseitigt hätten und dass ISAF keine weiteren Folterungen
feststellen konnte, keineswegs versichern sie, dass ein Gefängnis vollständig
„folterfrei“ sei. Trotzdem wurden bis März 2012 14 der 16 Haftanstalten voll-
ständig oder unter einschränkenden Bedingungen im Ergebnis als „safe for
transfer“ zertifiziert. In allen Einrichtungen hatte UNAMA im ersten Bericht
noch Folter festgestellt.

Bereits am 24. Oktober 2012, also drei Monate vor der Veröffentlichung des
zweiten UNAMA-Berichtes, wurden in den besagten Einrichtungen erneut Fol-
tervorwürfe laut. ISAF erkannte anschließend sieben afghanischen Einrichtun-
gen die Zertifikate wieder ab. Dennoch hält UNAMA die Zertifizierungspraxis
allgemein für äußerst bedenklich, da einige Gefangene selbst dann gefoltert
wurden, obwohl ISAF-Gutachter die Einrichtungen zuvor besichtigt hatten.

In der Summe hat ISAF im zweiten Berichtszeitraum 79 konfliktbezogene Ge-
fangene an Einrichtungen der ANP, des NDS oder der afghanischen Armee
ANA (Afghan National Army) überstellt. Davon berichteten 25 Personen
(31 Prozent) von Folter. Im Vorjahr lag das Verhältnis von 22 Folterungen zu
89 Gefangenen noch bei 24 Prozent. Die Folter nach ISAF-Auslieferungen hat
also um 7 Prozent zugenommen.

Die jüngsten UNAMA-Zahlen bestätigen den Verdacht, dass die ISAF-Monito-
ring-Maßnahmen an den alarmierenden Folterzahlen nichts geändert haben.
Darüber kann auch die leicht verminderte Zahl der Folterfälle in Einrichtungen
des NDS nicht hinwegtäuschen. ISAF hat nämlich insgesamt weniger an NDS-
Einrichtungen ausgeliefert. Die Abnahme ist somit sehr wahrscheinlich darauf
zurückzuführen, dass die Zahl der gefolterten mit der Zahl der von ISAF ausge-
lieferten Häftlinge korreliert. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Folter in
NDS-Einrichtungen tatsächlich abgenommen hat.

Die UNAMA hat mit ihrem Bericht umfassende Empfehlungen abgegeben, wie
man die Folter in Afghanistan bekämpfen kann. Das betrifft die afghanische
Regierung, Behörden, das Oberste Gericht, den Oberstaatsanwalt, das Parla-
ment; das betrifft aber auch die ISAF-Schutztruppe, zu der die Bundeswehr ge-
hört und die truppenstellenden Länder, wie die Bundesrepublik Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche aktuellen Informationen liegen der Bundesregierung unter Rückbe-
zug auf die Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN „Folter in afghanischen Haftanstalten“ vom 15. November 2011
(Bundestagsdrucksache 17/7748) und die Antwort auf die Schriftliche Frage 2
des Abgeordneten Hans- Christian Ströbele vom 23. März 2012 (Bundestags-
drucksache 17/9225) vor, inwieweit die Bundeswehr oder die deutsche Polizei
in Afghanistan seit 2010 (bzw. unter deren Beteiligung auch in gepartnerten
Operationen mit ANA, ANP, NDS und anderen Sicherheitskräften von Afgha-
nistan oder anderer Staaten) Personen festgehalten oder festgesetzt, an afgha-
nische Gefängnisse oder sonstige Einrichtungen ausgeliefert oder sonstwie
afghanischen Sicherheitskräften überlassen hat (bitte aufschlüsseln nach Zahl,
Zeitraum der Auslieferung oder Überlassung, Ort und an wen die Gefangenen
übergeben wurden)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12492

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die eigenen Maßnahmen zur Bekämp-
fung der Folter von konfliktbezogenen Gefangenen in Afghanistan ange-
sichts der sich verschlechternden Lage?

3. Sieht die Bundesregierung Alternativen zur aktuellen Auslieferungspraxis
von ISAF, wenn in konkreten Fällen den Inhaftierten unmittelbar nach der
Übergabe an afghanische Sicherheitskräfte Folter droht?

4. Sind der Bundesregierung Alternativen zur aktuellen Auslieferungspraxis
von ISAF bekannt, die durch andere an ISAF beteiligte Staaten praktiziert
werden?

5. Inwieweit gedenkt die Bundesregierung, den Empfehlungen der UNAMA
gegenüber Truppenstellern und Geberländern nachzukommen, insbesondere
indem

a) sie unabhängige Monitoring-Mechanismen neu einrichten, verbessern
oder weiterwickeln wird,

b) sie sich gegenüber Afghanistan dafür einsetzt, dass die Foltertäter zur Re-
chenschaft gezogen werden und allgemein die Verantwortlichkeit vor
dem Recht gestärkt wird,

c) sie Budget- und Projekthilfen an die Bedingung knüpfen wird, dass Af-
ghanistan die Folter messbar bekämpft und Fortschritte aufweist?

6. Inwieweit unternimmt die Bundesregierung angesichts des erneuten Berich-
tes weitere Anstrengungen gegen Folter in Afghanistan auch über die
UNAMA-Empfehlungen hinausgehend, insbesondere

a) im Einsatzgebiet der Bundeswehr,

b) in anderen Provinzen, in denen die Bundesrepublik Deutschland mit
Afghanistan kooperiert (zum Beispiel im Rahmen der Entwicklungs-
zusammenarbeit),

c) in Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung, dem Parlament, der
Justiz (unter Berücksichtigung der Empfehlungen, die die UNAMA an
diese Akteure ausgesprochen hat),

d) gegenüber anderen NATO-Partnern, mit der Absicht, dass diese sich stär-
ker gegen Folter in ihren jeweiligen Einsatzgebieten einsetzen?

7. In welchem Maße ermutigt die Bundesregierung die afghanische Regierung
dazu, das Fakultativprotokoll des VN-Übereinkommens gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe (CAT) zu unterzeichnen, insbesondere indem ein unabhängiger natio-
naler Präventionsmechanismus geschaffen wird?

8. In welchem Umfang sind Anti-Folter-Schulungen Teil der Curricula deut-
scher Ausbildungs- und Trainingsmissionen, insbesondere in Bezug auf
peinliche Verhörmethoden?

Berlin, den 22. Februar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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