BT-Drucksache 17/12425

Berechtigung der übrigen Zuzahlungen nach Abschaffung der Praxisgebühr (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/11925)

Vom 14. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12425
17. Wahlperiode 14. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Berechtigung der übrigen Zuzahlungen nach Abschaffung der Praxisgebühr
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf
Bundestagsdrucksache 17/11925)

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/11925 „Berechtigung der übrigen
Zuzahlungen nach Abschaffung der Praxisgebühr“ ließ einige Fragen offen und
warf einige neue Fragen auf. Insbesondere durch die gemeinsame Beantwor-
tung von vielen einzelnen und teils inhaltlich verschiedenen Fragen sind der
Bundesregierung offensichtlich einige Fragen entgangen und wurden nicht
beantwortet. Darum bitten die Fragesteller um eine einzelne Beantwortung der
Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Inwiefern ist die Aussage der Bundesregierung in der Vorbemerkung
„Der breite parteiübergreifende Konsens, der bei der Abstimmung zur
Abschaffung der Praxisgebühr im Deutschen Bundestag offenkundig
wurde, zeigt, dass die Bundesregierung einen wesentlichen Schritt getan
hat, um die Patientinnen und Patienten zu entlasten, Bürokratie in den
Arzt- und Zahnarztpraxen abzubauen und damit die Versorgungsbedin-
gungen zu verbessern“ haltbar, zumal die Praxisgebühr durch einen par-
lamentarischen Änderungsantrag und nicht durch einen Gesetzentwurf
der Bundesregierung abgeschafft wurde?

b) Stimmt die Bundesregierung zu, dass sie trotz monatelanger Debatte kei-
nen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Praxisgebühr eingebracht hat,
und es vielmehr der Deutsche Bundestag war, der das Gesetz beschlossen
hat?

2. Was macht nach Ansicht der Bundesregierung eine ausgewogene Lastenver-
teilung im Gesundheitswesen genau aus, die nach Ansicht der Bundesregie-

rung durch die Zuzahlungen erreicht wird?

3. Ist eine Finanzierung, bei der die Gesunden im gleichen Maße an den Kos-
ten des Gesundheitssystems beteiligt sind wie die Kranken, unausgewogen
oder ungerecht?

Drucksache 17/12425 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. a) Welche Studien liegen der Bundesregierung vor, die belegen bzw. nicht
belegen, dass Zuzahlungen die Eigenverantwortung der Versicherten
stärken und das Bewusstsein für die Kosten der medizinischen Versor-
gung schärfen (bitte benennen)?

b) Reicht die Studienlage nach Ansicht der Bundesregierung aus, um an ei-
ner These der erhöhten Eigenverantwortung durch Zuzahlungen festzu-
halten (bitte begründen)?

5. Was veranlasst die Bundesregierung zu Aussagen, dass die Eigenverant-
wortung durch Zuzahlungen gestärkt wird, falls keine Studien vorliegen,
die belegen, dass Zuzahlungen diese, ihr von der Bundesregierung zuge-
sprochenen Folgen auslösen bzw. wenn die Evidenz für solche Folgen
nicht größer ist als die Evidenz, die nicht dafür spricht?

6. Welche Beitragssatzsteigerung wäre für eine Gegenfinanzierung über Bei-
träge der von der Bundesregierung in der Vorbemerkung genannten „zu-
sätzlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von
jährlich mehr als 3 Mrd. Euro“ bei Abschaffung sämtlicher Zuzahlungen
notwendig?

7. Wäre bei der Abschaffung der Zuzahlungen und einer Umverteilung ent-
sprechend der Einkommen auf alle Versicherten damit zu rechnen, dass der
Beitragssatz um mehr als einen Prozentpunkt steigen würde (wenn ja oder
vielleicht, bitte begründen)?

8. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die in der Antwort auf die Kleine An-
frage zu Frage 12 auf Bundestagsdrucksache 17/11925 genannten nicht
berücksichtigten Steuerungswirkungen erhöhend, aber auch reduzierend
auf die gegenzufinanzierende Summe wirken können, z. B. wenn durch Zu-
zahlungen Krankheiten verschleppt werden?

Kann die Bundesregierung mit ausreichender Sicherheit feststellen, ob die
erhöhende oder die reduzierende Wirkung überwiegen?

9. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Solidargemeinschaft überfordert,
wenn sie weitere gut 3 Mrd. Euro statt durch Zuzahlungen durch Beiträge
aufbringen müsste?

Was veranlasst die Bundesregierung zu dieser Aussage?

Wie würde sich die Überlastung der Solidargemeinschaft ausdrücken?

10. Ist es richtig, dass diese gut 3 Mrd. Euro bei Abschaffung der Zuzahlungen
von einer kleineren Gruppe, die diese Zuzahlungen derzeit leistet, auf die
größere Gruppe aller Versicherten umverteilt werden könnte und damit der
zusätzliche Finanzierungsbeitrag für den Einzelnen in der Gruppe aller
Versicherten geringer ausfiele, als derzeit in der kleineren Gruppe derjeni-
gen, die Zuzahlungen leisten müssen?

11. Ist es richtig, dass die Belastungsgrenze für Zuzahlungen bei chronisch
Kranken 1 Prozent des Einkommens beträgt und bei den sonstigen Versi-
cherten 2 Prozent des Einkommens und diese Belastungsgrenzen vor Über-
forderungen schützen sollen?

12. Wie erklärt die Bundesregierung, dass Versicherte trotz Zuzahlungen von
1 oder 2 Prozent des Einkommens nicht überfordert sind, während die Soli-
dargemeinschaft, also die Versicherten bei einer Beitragserhöhung unter
einem Prozent, durch Umlage der Zuzahlungen auf alle Versicherten, laut
Interpretation des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in der Ant-
wort auf die Kleine Anfrage überfordert seien?
Sind gesunde Versicherte nach Ansicht der Bundesregierung also schneller
überfordert als kranke Versicherte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12425

13. Kann die Bundesregierung ihre Aussage belegen, dass die aktualisierte
Datenbank „Health Data“ regelmäßig zeigt, dass niemand in Deutschland
aus finanziellen Gründen auf eine notwendige Inanspruchnahme von Ge-
sundheitsleistungen verzichten muss?

14. Wird in der Datenbank „Health Data“ dargelegt, inwieweit die Inanspruch-
nahme von Gesundheitsleistungen durch Zuzahlungen tatsächlich verän-
dert wird?

15. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass niemand in Deutschland auf-
grund der Zuzahlungen tatsächlich auf notwendige Gesundheitsleistungen
verzichtet, obwohl er nach Ansicht der Bundesregierung dies nicht müsste?

16. Was ist die von der Bundesregierung befürwortete Steuerungswirkung im
Rahmen der Eigenverantwortung im Klartext, wenn nicht das Verzichten
auf Leistungen, abgesehen von den speziellen Regelungen zu Festbeträ-
gen?

Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung eine Steuerungswirkung vor-
stellbar, wenn niemand aufgrund der Zuzahlungen auf Leistungen verzich-
tet?

17. Ist mit den Zuzahlungen eine Belastung der Kranken zugunsten der Gesun-
den beabsichtigt?

18. Ist mit den Zuzahlungen eine Belastung der Arbeitnehmer zugunsten der
Arbeitgeber beabsichtigt?

19. Weshalb sind Zuzahlungen gerechtfertigter und sinnvoller, die sich auf ein-
zelne Leistungen beziehen, als wenn sie, wie die Praxisgebühr lediglich
quartalsgebunden und gesondert nach Haus- und Fachärzten etc. getrennt,
erhoben werden (vgl. Aussage in der Vorbemerkung der Bundesregierung
auf Bundestagsdrucksache 17/11925; bitte begründen)?

Weshalb sind Zuzahlungen auf Leistungen, die der Patient bzw. die Patientin
aufgrund einer ärztlichen Verordnung in Anspruch nimmt, gerechtfertigter
oder sinnvoller als für ärztliche Leistungen, die er selbst einleitet (Praxisge-
bühr)?

20. Welche der einzelnen Zuzahlungen haben nach Ansicht der Bundesregie-
rung eine Steuerungswirkung, und bei welchen geht die Bundesregierung
davon aus, dass keine Steuerungswirkung besteht (bitte für alle Zuzahlun-
gen jeweils z. B. tabellarisch darstellen, ob eine Steuerungswirkung nach
Ansicht der Bundesregierung besteht oder nicht)?

Welche Belege gibt es hier jeweils?

21. Gibt es nach Ansicht der Bundesregierung in Europa effektivere oder ähn-
lich effektive Mechanismen zur Begrenzung der Arzneimittelkosten als die
deutsche Festbetragsregelung?

Wenn ja, welche sind das?

Wenn nein, weshalb sind in Deutschland dennoch die Arzneimittelpreise
über dem europäischen Durchschnitt (vgl. SPIEGEL ONLINE vom 27. Sep-
tember 2012 „Arzneimittelreport: Medikamente in Deutschland sind viel zu
teuer“)?

22. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass von einer Erhöhung der
Beitragsbemessungs- und Pflichtversicherungsgrenze eine progressive Ver-
teilungswirkung ausginge, dass also Gutverdiener (ab 3 937,50 Euro brutto
im Monat) einen höheren Anteil als jetzt und damit den gleichen prozen-
tualen Anteil wie Gering- und Normalverdiener (bis 3 937,50 Euro brutto

im Monat) ihrer Einkünfte an Beiträgen zahlen müssten?

Drucksache 17/12425 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
23. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass Zuzahlungen auch trotz
der Belastungsgrenze bei Geringverdienern im Durchschnitt höhere pro-
zentuale Belastungen gemessen am Einkommen ausmachen als bei Gutver-
dienern, sie also eine degressive Verteilungswirkung haben?

24. Sind Zuzahlungen aus Sicht der Bundesregierung alternativlos?

Wenn nein, was sind die Alternativen?

25. Weshalb werden Zuzahlungen zu Leistungen für Kinder grundsätzlich
nicht erhoben?

Weshalb gelten diese Gründe nicht für Zuzahlungen bei Fahrtkosten für
Kinder?

26. Ist die Äußerung des Bundesministers für Gesundheit, Daniel Bahr, in der
„Wilhelmshavener Zeitung“ vom 19. Dezember 2012, die Praxisgebühr sei
„das größte Ärgernis unter den Zuzahlungen“ gewesen, so zu verstehen,
dass auch andere Zuzahlungen ein Ärgernis sind, und was ist die Konse-
quenz, die die Bundesregierung im Allgemeinen und der Bundesgesund-
heitsminister im Besonderen aus dieser Erkenntnis zieht?

Welche Zuzahlung ist nun nach Abschaffung der Praxisgebühr das nächst-
größere Ärgernis?

Berlin, den 14. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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