BT-Drucksache 17/12374

Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung

Vom 19. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12374
17. Wahlperiode 19. 02. 2013

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Sonja Steffen,
Sebastian Edathy, Ingo Egloff, Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke,
Dr. Eva Högl, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Stefan
Rebmann, Karin Roth (Esslingen), Marianne Schieder (Schwandorf), Christoph
Strässer, Ute Vogt, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Wirksame Bekämpfung der
Genitalverstümmelung

A. Problem

In verschiedenen afrikanischen und einigen asiatischen Ländern werden die
weiblichen Genitalien aus traditionellen oder rituellen Gründen beschnitten. An
in Deutschland lebenden Migrantinnen aus diesen Ländern wird das Beschnei-
dungsritual teilweise in ihren Herkunftsländern als sog. Ferienbeschneidung
oder in Deutschland praktiziert. Nach Einschätzung von TERRE DES FEMMES
Menschenrechte für die Frau e. V. sind in Deutschland 18 000 bis 20 000 Mäd-
chen und Frauen von Genitalverstümmelung betroffen. Etwa 4 000 bis 5 000
hier lebende Mädchen und Frauen sind derzeit gefährdet, Opfer von Genitalver-
stümmelung zu werden.

Neben den psychischen Folgen in Form von Angst und Depressionen haben die
betroffenen Mädchen und Frauen nach Angabe der Bundesärztekammer unter
lebenslangen Schmerzen, Infektionen, Problemen beim Wasserlassen, Verlet-
zungen benachbarter Organe, Blutungen, Komplikationen während der
Schwangerschaft und Geburt zu leiden. In machen Fällen endet die Beschnei-
dung tödlich.

Die Genitalverstümmelung stellt strafrechtlich regelmäßig nur ein Vergehen
dar, was angesichts der mit der Beschneidung verbundenen großen Schmerzen,
der hohen Komplikationsrate sowie der physischen und psychischen Folgen für
die betroffenen Mädchen und Frauen nicht angemessen ist.

Die Strafverfolgung einer im Ausland begangenen Genitalverstümmelung ist
problematisch, wenn den Eltern keine Vorbereitungshandlungen in Deutsch-
land nachgewiesen werden können. In diesen Fällen ist deutsches Strafrecht nur
anwendbar, wenn die Tat im Herkunftsland mit Strafe bedroht ist. Dies ist je-

doch in zahlreichen afrikanischen und auch asiatischen Ländern nicht der Fall.

B. Lösung

Hochstufung der Genitalverstümmelung zum Verbrechen und Aufnahme der
Genitalverstümmelung in den Katalog der Auslandstaten gegen inländische
Rechtsgüter.

Drucksache 17/12374 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

C. Alternativen

Beibehaltung des bisherigen Zustandes, der gegen internationale Vorgaben ver-
stößt.

Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestags-
drucksache 17/4759) fordert die explizite Aufnahme der Genitalverstümme-
lung in den Katalog des § 226 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB). Die re-
gelmäßige Mindeststrafandrohung beträgt dem Entwurf zufolge gemäß § 226
Absatz 2 StGB drei Jahre Freiheitsstrafe, da die schwere Folge, d. h. die Geni-
talverstümmelung, regelmäßig absichtlich oder wissentlich herbeigeführt wird.
Dies führt im Ausweisungsrecht zu problematischen Folgen. Eine Freiheits-
strafe von drei Jahren hat die zwingende Ausweisung gemäß § 53 des Aufent-
haltsgesetzes zur Folge. Genießen die betroffenen Eltern besonderen Auswei-
sungsschutz, etwa weil sie seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben,
wird die zwingende Ausweisung zur Regelausweisung herabgestuft. Bei nicht
sehr lange hier lebenden Familien wäre die Ausweisung zwingend. Die Aus-
weisung der Eltern ist mit Blick auf das Wohl des Kindes in allen in Betracht
kommenden Konstellationen problematisch.

Der Gesetzentwurf des Bundesrates (Bundestagsdrucksache 17/1217) möchte
die Genitalverstümmelung in einem eigenen Straftatbestand in § 226a StGB-E
mit einer Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren regeln. Die Begründung, die
vorgesehene Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhindere die zwingende
Ausweisung der Eltern, trägt nicht. Die zwingende Ausweisung in § 53 des
Aufenthaltsgesetzes richtet sich nach dem tatsächlichen Strafausspruch. Bei
einem Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren ist ein Strafausspruch von drei Jah-
ren auch bei einem Ersttäter schnell erreicht, so dass auch der Vorschlag des
Bundesrates regelmäßig die zwingende Ausweisung (oder Regelausweisung)
der Eltern zur Folge hätte. Auch dieser Regelungsvorschlag ist mit Blick auf
die Interessen der betroffenen Kinder problematisch.

D. Kosten

Keine.

Berlin, den 19. Februar 201

Dr. Frank-Walter Steinm
Beschneidung oder Verstümmelung der weiblichen Ge-
nitalien, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr
zu erkennen.“

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

3

eier und Fraktion
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12374

Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes – Wirksame Bekämpfung der
Genitalverstümmelung

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuchs

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung
vom … (BGBl. …), zuletzt geändert durch …, wird wie
folgt geändert:

1. § 5 wird wie folgt geändert:

Nach Nummer 8 wird folgende Nummer 8a eingefügt:

„8a. Körperverletzung im Fall des § 224 Absatz 3,
wenn die Tat sich gegen eine Person richtet, die zur
Zeit der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt im Inland hat;“.

2. Dem § 224 wird folgender Absatz 3 angefügt:

„(3) Besteht die Körperverletzungshandlung in der

sein, dessen Mitwirkung sich auf die bloße Vorbereitung be- und Frauen leiden jedoch nach Angabe der Bundesärzte-

schränkt, z. B. das Verbringen eines Mädchens in das Aus-
land. Deutsches Strafrecht kann also nur dann zur Anwen-
dung kommen, wenn den Eltern nachgewiesen werden

kammer unter lebenslangen Schmerzen, Infektionen, Pro-
blemen beim Wasserlassen, Verletzungen benachbarter
Organe, Blutungen und Komplikationen während der
Drucksache 17/12374 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Nach Auskunft der Bundesregierung wird die Genitalver-
stümmelung vor allem in Ländern Afrikas, teilweise auch in
Asien und im Mittleren Osten praktiziert. Im Kongo, in
Gambia, Liberia, Nigeria, Sierra Leone, Somalia, Sudan so-
wie in den betreffenden asiatischen Staaten und im Jemen
ist die Genitalverstümmelung nicht strafbewehrt. In
Deutschland sind nach Einschätzung von Nichtregierungs-
organisationen ca. 18 000 bis 20 000 Frauen von Genital-
verstümmelung betroffen. Circa 4 000 Mädchen und Frauen
sind gefährdet. In der Regel organisieren die Eltern die Be-
schneidung der Tochter innerhalb eines Ferienaufenthalts
im Ausland als „Ferienbeschneidung“.

Die Genitalverstümmelung stellt in der Regel eine gefährli-
che Körperverletzung gemäß § 224 Absatz 1 Nummer 2, 4
oder 5 StGB dar, da sie regelmäßig mittels eines gefähr-
lichen Werkzeugs, häufig mit einem Beteiligten gemein-
schaftlich und in manchen Fällen mittels einer das Leben
gefährdenden Behandlung erfolgt. Der Strafrahmen beträgt
Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Die
Genitalverstümmelung stellt demnach ein Vergehen dar.
Eine schwere Körperverletzung gemäß § 226 Absatz 1
StGB liegt nur dann vor, wenn der Eingriff zum Verlust der
Fortpflanzungsfähigkeit führt, was regelmäßig nicht der
Fall ist. Eine mögliche Einwilligung des Opfers ist gemäß
§ 228 StGB nicht relevant, da die Tat gegen die guten Sitten
verstößt.

Die Tathandlung stellt zudem eine Misshandlung von
Schutzbefohlenen gemäß § 225 Absatz 1 StGB dar, wenn
das betroffene Mädchen unter 18 Jahren ist. Das Strafmaß
beträgt hier ebenso sechs Monate bis zehn Jahre. In einigen
Fällen werden auch die Voraussetzungen des in § 225 Ab-
satz 3 StGB geregelten Qualifikationstatbestands mit einem
Strafrahmen von einem bis zu 15 Jahren vorliegen. Die dort
vorausgesetzte konkrete Gefahr einer schweren Gesund-
heitsschädigung wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) in
jüngerer Rechtsprechung angenommen, wenn intensivmedi-
zinische Maßnahmen oder umfangreiche und langwierige
Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Ge-
sundheit und/oder zur sonstigen Beseitigung der Tatfolgen
notwendig sind*. Unter dieser Voraussetzung würde die Ge-
nitalverstümmelung ein Verbrechen darstellen.

Grundsätzlich gilt das deutsche Strafrecht nur für sog. In-
landstaten. Da die Verstümmelung regelmäßig im Ausland
stattfindet, steht der Geltung deutschen Strafrechts das in
§ 3 StGB geregelte Territorialitätsprinzip entgegen. Gemäß
§ 9 Absatz 1 StGB ist die Tat an jedem Ort begangen, an
dem der Täter gehandelt hat. Planung und Organisation ei-
ner im Ausland zu vollziehenden Genitalverstümmelung
sind als mittäterschaftliche Begehung eines Körperverlet-
zungsdelikts zu bewerten. Mittäter kann auch derjenige

kann, dass sie die Tat in Deutschland geplant haben. Die
Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ist jedoch problema-
tisch, wenn die Eltern geltend machen, die Genitalverstüm-
melung erst im Ausland geplant zu haben (sog. Spontanbe-
schneidung).

Bei sog. Auslandstaten findet das deutsche Strafrecht nur
unter engen Voraussetzungen Anwendung. § 7 StGB knüpft
die Geltung deutschen Strafrechts daran, dass die Tat im
Ausland mit Strafe bedroht ist. Dies ist bei einer Vielzahl
von Ländern nicht der Fall. § 5 StGB benennt einen Katalog
von Straftaten, bei denen das deutsche Strafrecht bei Aus-
landstaten unabhängig vom Recht des Tatorts gilt. Die Ge-
nitalverstümmelung bzw. Körperverletzungsdelikte sind in
diesem Katalog nicht enthalten.

Es besteht somit eine Regelungslücke in den Fällen, in de-
nen die Genitalverstümmelung in Ländern ohne entspre-
chende Strafandrohung praktiziert wird und den Eltern nicht
nachgewiesen werden kann, dass sie die Tat in Deutschland
geplant haben. Von Nichtregierungsorganisationen wird zu-
dem seit langem gefordert, die Genitalverstümmelung vom
Vergehen zum Verbrechen hochzustufen, d. h. mit einer
Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr zu sanktionieren.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)

Zu Nummer 1

Die Strafverfolgung einer im Ausland begangenen Genital-
verstümmelung ist problematisch, wenn den Eltern keine
Vorbereitungshandlungen in Deutschland nachgewiesen
werden können. Aufgrund des Territorialprinzips und auf-
grund der Tatsache, dass die Genitalverstümmelung nicht in
dem in § 5 StGB geregelten Katalog der Auslandstaten ge-
gen inländische Rechtsgüter enthalten ist, ist deutsches
Strafrecht nur anwendbar, wenn die Tat im Herkunftsland
mit Strafe bedroht ist. Ausweislich der Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD
„Wirksame Bekämpfung der Genitalverstümmelung“ (Bun-
destagsdrucksache 17/9005) ist die Genitalverstümmelung
im Kongo, in Gambia, Liberia, Nigeria, Sierra Leone,
Somalia, Indien, Indonesien, Malaysia, Pakistan und Jemen
nicht strafbewehrt. Um die Strafverfolgung zu gewährleis-
ten, soll der Straftatbestand in den Katalog des § 5 StGB
aufgenommen werden.

Zu Nummer 2

Die Genitalverstümmelung stellt nach geltendem Recht re-
gelmäßig ein Vergehen und nur unter bestimmten Voraus-
setzungen ein Verbrechen dar. Die betroffenen Mädchen
Schwangerschaft und Geburt. Zudem kommt es regelmäßig
zu psychischen Folgeproblemen wie Angst und Depressio- * BGH NStZ-RR 2007, 304.

Deutscher Bundestag – 17. rucksache 17/12374
Wahlperiode – 5 – D

nen. Angesichts der mit der Tathandlung einhergehenden
Schmerzen und der weitreichenden Tatfolgen ist die Einstu-
fung als Verbrechen gerechtfertigt und angemessen.

Gemeint ist die Beschneidung an den weiblichen Genita-
lien, wie sie in Teilen Afrikas und Asiens praktiziert wird.
International werden diese Handlungen als „Female Genital
Mutilation (FGM)“ oder „Female Genital Cutting (FGC)“
bezeichnet. Mit der Tathandlung sollen alle Formen der Ge-
nitalverstümmelung erfasst werden, d. h. die Klitoridek-
tomie (teilweise oder vollständige Entfernung der weib-
lichen Vorhaut), die Exzision (teilweise oder komplette Ent-
fernung der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder
ohne Beschneidung der äußeren Schamlippen), die Infibula-
tion (Verengung der Vaginalöffnung durch einen Nahtver-
schluss nach der teilweise oder kompletten Entfernung der
Schamlippen und der Klitoris) und weitere Veränderungen
an den weiblichen Genitalien, wie Einschnitte, Ätzungen
oder Ausbrennen.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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