BT-Drucksache 17/12167

Erstmaliger automatischer Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit - Auswirkungen der Optionspflicht im Jahr 2013

Vom 25. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12167
17. Wahlperiode 25. 01. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger, Katja Keul, Claudia Roth (Augsburg), Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erstmaliger automatischer Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit –
Auswirkungen der Optionspflicht im Jahr 2013

Durch die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 1999 wurde es in
Deutschland geborenen Kindern nichtdeutscher Eltern ermöglicht, eine doppelte
Staatsangehörigkeit zu besitzen (BGBl. I S. 1618). Allerdings setzten die Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP im Gesetzgebungsverfahren über den Bundesrat
die sogenannte Optionspflicht durch. Danach müssen sich die deutschen Staats-
angehörigen nach Erreichen der Volljährigkeit und spätestens bis zur Vollen-
dung des 23. Lebensjahres grundsätzlich für eine ihrer beiden Staatsangehörig-
keiten entscheiden.

Mit Beginn des Jahres 2013 werden nun die ersten optionspflichtigen jungen
Menschen 23 Jahre alt und müssen bis zu ihrem Geburtstag nachweisen, dass sie
aus ihrer ausländischen Staatangehörigkeit entlassen wurden, um die deutsche
Staatsangehörigkeit behalten zu können. Wenn dieser Nachweis nicht vorliegt
und die zuständige Behörde keine Genehmigung zur Beibehaltung ihrer auslän-
dischen Staatsangehörigkeit erteilt hat, verlieren sie automatisch die deutsche
Staatsangehörigkeit (§ 29 Absatz 2 des Staatsangehörigkeitsgesetzes – StAG).
Auch wer sich gar nicht gegenüber der Behörde erklärt, verliert seine deutsche
Staatsangehörigkeit automatisch.

Insgesamt werden im Jahr 2013 rund 3 300 junge Deutsche das Optionsverfah-
ren durchlaufen müssen. In den Jahren 2014 bis 2017 sind hiervon jeweils bis zu
7 000 Personen betroffen. Im Jahr 2018 steigt die Zahl der Optionspflichtigen
steil an auf zum Teil deutlich über 40 000 im Jahr (Bundestagsdrucksache
17/8268).

Bereits zu Jahresbeginn zeigen sich die schwerwiegenden Folgen der Options-
regelung. So hat in Darmstadt eine junge Frau gegen ihren Willen die deutsche
Staatsangehörigkeit verloren, nur weil sie nicht rechtzeitig die bereits beantragte
Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit nachgewiesen hat (Pressemit-
teilung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 3. Januar 2013).

Auch zwei von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ver-

öffentlichte Studien haben die unzumutbaren Schwierigkeiten aufgezeigt, mit
denen Optionspflichtige konfrontiert sind („Die Optionsregelung im Staatsange-
hörigkeitsrecht aus der Sicht von Betroffenen“ und „Einbürgerungsverhalten
von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sowie Erkenntnisse zu Op-
tionspflichtigen“, BAMF, 2012). So würden 64 Prozent der Optionspflichtigen,
die sich noch nicht für eine Staatsangehörigkeit entschieden haben, am liebsten
beide Staatsangehörigkeiten behalten. Viele von ihnen zögerten die Entschei-

Drucksache 17/12167 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dung bewusst hinaus, in der Hoffnung, dass neue Mehrheiten im Deutschen
Bundestag den Optionszwang wieder abschaffen. Außerdem offenbaren die Stu-
dien eklatante Informationsmängel bei den Betroffenen in Bezug auf die Fristen
im Optionsverfahren sowie die Regelungen zur Mehrstaatigkeit. 34 Prozent der
Optionspflichtigen, die noch nicht auf die Behördenschreiben reagiert hatten,
dachten, dass dies keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen würde.

Die Bundesregierung weist jegliche Verantwortung für die Bedrängnisse dieser
jungen Deutschen von sich. Sie begnügte sich in der Vergangenheit mit dem
Hinweis darauf, dass für die Durchführung des Optionsverfahrens die Länder
zuständig seien. Auf entsprechende Anfragen hin beantwortete die Bundes-
regierung nicht, welche Maßnahmen sie ergreifen, vorschlagen oder koordinieren
wolle, um den nunmehr automatisch eintretenden Verlust der deutschen Staats-
angehörigkeit durch die sogenannte Optionspflicht zu verhindern oder abzumil-
dern (vgl. Bundestagsdrucksache 17/8268).

Wir fragen die Bundesregierung:

Kenntnisse der Bundesregierung

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die 3 316 optionspflich-
tigen deutschen Staatsangehörigen, die in diesem Jahr das 23. Lebensjahr
vollenden?

a) Welche ausländischen Staatsangehörigkeiten besitzen diese Personen
(bitte aufschlüsseln)?

b) Wie viele Personen haben bislang erklärt, ihre deutsche Staatsangehörig-
keit behalten zu wollen?

c) Wie viele Personen haben bislang erklärt, die ausländische Staatsangehö-
rigkeit behalten zu wollen?

d) Wie viele Personen haben bislang gar keine Erklärung abgegeben?

e) Wie viele Personen haben gemäß § 29 Absatz 3 StAG einen Antrag auf
Beibehaltung ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit gestellt?

f) In wie vielen Fällen wurde dem Beibehaltungsantrag stattgegeben (bitte
nach dem Land der jeweiligen zweiten Staatsangehörigkeit sowie der ein-
zelnen Tatbestandsvarianten des § 12 StAG aufschlüsseln)?

g) Wie viele Personen haben offenkundig einen Anspruch auf Beibehaltung
ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit gemäß § 29 Absatz 4 i. V. m. § 12
StAG, z. B. weil sie auch Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der
Europäischen Union oder der Schweiz sind?

2. Wie viele optionspflichtige junge Menschen haben nach Kenntnis der Bun-
desregierung bislang ihre deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 29 Absatz 2
StAG automatisch verloren, weil sie

a) bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres gar keine Erklärung abgegeben
haben,

b) nicht rechtzeitig bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres eine Beibehal-
tungsgenehmigung gemäß § 29 Absatz 3 StAG beantragt und ihre auslän-
dische Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben haben oder

c) die Aufgabe ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit zwar schon bean-
tragt haben, das Ausbürgerungsverfahren aber noch nicht beendet ist?

3. In wie vielen Fällen haben Optionspflichtige nach Kenntnis der Bundesregie-
rung gegen
a) die Ablehnung eines Antrags auf Beibehaltung ihrer ausländischen Staats-
angehörigkeit oder

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12167

b) den Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit

Rechtsbehelfe eingelegt, und mit welchem Ergebnis endeten diese Verfah-
ren?

Aktivitäten der Bundesregierung

4. Sofern die Bundesregierung zu den in den Fragen 1 bis 3 abgefragten Sach-
verhalten über keine bzw. keine vollständigen Informationen verfügt, hält sie
es für sinnvoll, diese Informationen im Rahmen einer Länderabfrage einzu-
holen?

Wenn nein, warum nicht?

5. Sind in der Runde der Staatsangehörigkeitsrechtsreferenten des Bundes und
der Länder die in den Fragen 1 bis 3 abgefragten Sachverhalte und Problem-
lagen thematisiert worden?

a) Wenn ja, mit welcher Absicht bzw. welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, warum hat die Bundesregierung diese Themen dort nicht an-
gesprochen?

6. Hat die Bundesregierung in der Runde der Staatsangehörigkeitsrechtsrefe-
renten des Bundes und der Länder Maßnahmen vorgeschlagen, um die in den
Studien des BAMF deutlich gewordenen Informationsdefizite auf Seiten der
optionspflichtigen Personen zu minimieren, damit die Betroffenen nicht un-
gewollt die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren?

a) Wenn ja, wann hat der Bund den Ländern welche Maßnahmen vorgeschla-
gen?

b) Wenn nein, warum nicht?

7. Wird die Bundesregierung eine koordinierende Rolle bei der Umsetzung der
bundesgesetzlichen Vorschrift übernehmen – und zwar hinsichtlich der
Erhebung und Zusammenführung geeigneter Informationen aus den Ländern
als auch der länderübergreifenden Abstimmung geeigneter Steuerungsmaß-
nahmen?

a) Wenn nein, was hat die Bundesregierung diesbezüglich wann unternom-
men?

b) Wenn ja, warum fühlt sich die Bundesregierung nicht verantwortlich?

Grundsätzliche Fragen

8. Wie ist die Feststellung der Bundesregierung, der Grundsatz der Vermeidung
von Mehrstaatigkeit sei „Ausdruck der einheits- und staatsbildenden Funk-
tion der Staatsangehörigkeit“ (Bundestagsdrucksache 17/8268, S. 12), in Ein-
klang zu bringen

a) mit der Tatsache, dass auch in anderen europäischen Staaten die Einheit
und Staatsbildung nicht bedroht ist, obwohl dort Mehrstaatigkeit uneinge-
schränkt erlaubt ist sowie

b) mit der Tatsache, dass seit Jahren in Deutschland rund 50 Prozent aller
Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit erfolgen (Migra-
tionsbericht 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/8311)?

9. Wie kommt die Bundesregierung zu der Feststellung, dass „die Bindung
[eines Kindes] an Deutschland“ vorrangig über einen deutschen Elternteil
vermittelt würde, anstatt über die eigene deutsche Staatsangehörigkeit
respektive das Aufwachsen in Deutschland (vgl. Antwort der Bundesregie-

rung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu
den Fragen 30 bis 32 auf Bundestagsdrucksache 17/8268)?

Drucksache 17/12167 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. Wie kommt die Bundesregierung zu der Feststellung, Elternteile mit der
Staatsangehörigkeit der Schweiz oder eines Mitgliedstaates der Europä-
ischen Union könnten ihrem Kind eine Bindung an Deutschland stärker ver-
mitteln als drittstaatsangehörige Elternteile (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu
den Fragen 30 bis 32 auf Bundestagsdrucksache 17/8268)?

11. Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, zumindest diejenigen Personen
von der Optionspflicht zu befreien, die ohnehin gemäß § 29 Absatz 4
i. V. m. § 12 StAG einen Anspruch auf Beibehaltung ihrer ausländischen
Staatsangehörigkeit haben?

Wenn nein, warum nicht (bitte nach Tatbestandsvarianten des § 12 StAG
unterscheiden)?

12. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung im Hinblick auf den
mit der Optionspflicht angelegten automatischen Verlust der deutschen
Staatsangehörigkeit

a) aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 2. März 2010 in der
Rechtssache Janko Rottmann gegen Freistaat Bayern (C-135/08), in dem
das Gericht klargestellt hat, dass der Entzug der nationalen Staatsange-
hörigkeit, die zum Verlust der Unionsbürgerschaft führt, nur unter Wah-
rung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen darf und

b) aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom
11. Oktober 2011 in der Rechtssache Genovese vs. Malta (Individual-
beschwerde Nr. 53124/09), in dem das Gericht klargestellt hat, dass die
Verweigerung der Staatsbürgerschaft unter den allgemeinen Umfang
und Geltungsbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens fällt, so-
dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, ihr Staatsangehörigkeitsrecht
ohne Diskriminierung im Sinne des Artikels 14 der Europäischen Men-
schenrechtskonvention sicherzustellen?

Berlin, den 25. Januar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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