BT-Drucksache 17/12132

Entsorgung von Giftmüll vor der Küste Somalias

Vom 18. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12132
17. Wahlperiode 18. 01. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Katja Keul, Dorothea Steiner,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Tom Koenigs, Oliver Krischer, Kerstin Müller (Köln),
Omid Nouripour, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entsorgung von Giftmüll vor der Küste Somalias

Im Juni 2012 erschien das Buch „Crime, trafics et réseaux“ von Michel Koutouzis
über die illegale Entsorgung von Giftmüll vor der Küste Somalias. Dies nahm
der Sonderbeauftragte der Europäischen Union für das Horn von Afrika,
Alexander Rondos, zum Anlass, das lang vergessene Thema wieder auf die
Agenda zu setzen (DER SPIEGEL vom 25. Juni 2012, S. 90). In seinem Buch
beschreibt Michel Koutouzis, wie die italienische Mafia Handel mit somali-
schen Warlords treibt, wobei sie diese mit Waffen ausrüstet und im Gegenzug
die Genehmigung erhält, Giftmüll in Somalia zu entsorgen („Crime, trafics et
réseaux“, S. 44 f.). Er geht davon aus, dass die Verantwortlichen der Atalanta-
Mission Kenntnis von den Giftmülltransporten haben, es jedoch nicht in ihrem
Interesse liege, etwas dagegen zu unternehmen (EUobserver, 20. Juni 2012, EU
studying links between Italian mafia and Somalian pirates). Das Mandat der
Atalanta-Mission beinhaltet ausdrücklich die „Erfassung und Zusammenstel-
lung von Daten über Fischereiaktivitäten vor Somalia“ (Bundestagsdrucksache
17/9339). Darüber hinaus verfügt die Europäische Agentur für die Sicherheit
des Seeverkehrs (EMSA), die zukünftig auch an der Bekämpfung der Piraterie
zur See beteiligt sein wird, über von Satelliten stammende Daten, die von den
Mitgliedstaaten im Rahmen der Überwachung illegaler Tätigkeiten im Seever-
kehr genutzt werden können.

Stichhaltige Beweise für illegale Giftmüllentsorgungen zu erhalten, scheint
heute noch schwieriger zu sein als früher. Dies liegt unter anderem auch daran,
dass eine zuverlässige Untersuchung des Problems, aufgrund der schwierigen
Sicherheitslage vor, Ort nach wie vor nicht möglich ist.

Die ersten Anzeichen für eine illegale Entsorgung von Giftmüll vor der Küste
Somalias traten in den 90er-Jahren auf.
Berichten aus der Bevölkerung sowie aus einem Krankenhaus in Mogadischu
zufolge, hat sich die Zahl der Krebs- und Hauterkrankungen sowie Missbildun-
gen bei Kindern in den letzten Jahren auffällig erhöht. Einer toxikologischen
Untersuchung der Ursachen stand und steht die fehlende Ausstattung im Wege.

Durch den Tsunami im Jahr 2004 wurden nicht gekennzeichnete Fässer an die
Küste Somalias gespült, die Giftmüll enthalten haben könnten. Fischer aus der
Region schilderten, dass Menschen, die in Kontakt mit den Fässern kamen,

Drucksache 17/12132 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

krank wurden und tausende tote Fische gefunden wurden (vgl. Amber Ransey,
„Alternative Approaches. Land-based strategies to Countering Piracy off the
Coast of Somalia“, NATO Civil-Military Fusion Centre, November 2011, S. 2).
Die somalische Nichtregierungsorganisation (NGO) Daryeel Bulsho Guud, die
sich mit der Untersuchung befasste, konnte mangels passender Ausrüstung und
der problematischen Sicherheitslage, den Inhalt nicht untersuchen und musste
sich darauf beschränken, die Fässer mit Schutzhüllen zu überziehen.

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP (United Nations Environ-
ment Programme) hat diese Aussagen im Jahr 2005 in einem Gutachten in wei-
ten Teilen bestätigt (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND vom 23. April
2009, S. 24; Chris Milton in The Ecologist, 1. März 2009, „Somalia used as
toxic dumping ground“).

Auch die somalische Regierung bestätigte das vermehrte Auftauchen solcher
Fässer, konnte jedoch ebenfalls keine Quelle nennen.

Häufig wird die Vergiftung der Lebensgrundlagen der Somalis durch Giftmüll
sowie die Überfischung der Küstenregion durch Großkonzerne als Grund und
Rechtfertigung angeführt, dass immer mehr Menschen in Somalia sich der Pira-
terie zuwenden.

Ebenfalls in den 90er-Jahren recherchierte die italienische Journalistin Ilaria
Alpi zu dem Verdacht, dass durch italienische Fischfrachter („sifco trawlers“)
Waffen und Giftmüll nach Somalia geschmuggelt werden. Nach einem Inter-
view mit einem somalischen Milizen, den Ilaria Alpi zu der Ladung der genann-
ten Schiffe befragte, wurden sie und ihr Kammeramann Miran Hrovatin im Jahr
1994 in Mogadischu erschossen.

Daraufhin wurde im Zuge von Ermittlungen in Italien das sogenannte Scaglione
Netzwerk aufgedeckt. Dieses Netzwerk, bestehend aus dem ehemaligen Hono-
rarkonsul für Somalia E. S., dem damaligen somalischen Präsidenten Ali Mahdi
und zwei weiteren Personen, organisierte illegale Giftmülltransporte von Italien
nach Somalia. Ermittlungen im Jahr 1998 deckten ein weiteres international ar-
beitendes Netzwerk auf und bestätigten den Verdacht von Ilaria Alpi. In keinem
der Fälle folgte eine Verurteilung der Beteiligten (arte-Reportage „Somalia und
die Giftmüllmafia“, Frankreich 2012).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung die Erkenntnisse und Informationen aus den in der
Vorbemerkung genannten Quellen bekannt?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Entsorgung von Gift-
müll aus der Europäischen Union in den Küstengewässern Somalias in der
Vergangenheit und heute?

3. Hat die Bundesregierung Kenntnis von einer Beteiligung oder Verstrickung
deutscher Unternehmen bei der Giftmüllentsorgung vor Somalia?

Wenn ja, in welchem Umfang?

4. Wenn ja, unterstützt die Bundesregierung Maßnahmen, welche zur Aufklä-
rung eines solchen Sachverhalts dienen und eine unabhängige Untersuchung
der Vorwürfe ermöglichen?

Wenn ja welche?

Worin besteht diese Unterstützung?

5. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Aussage aus
dem oben genannten Buch „Crime, trafics et réseaux“ von Michel Koutouzis,

die Verantwortlichen der Atalanta-Mission hätten Kenntnis dieser Giftmüll-
transporte, jedoch kein Interesse gegen sie vorzugehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12132

6. Inwiefern werden die im Rahmen der Atalanta-Mission über die Fischerei-
aktivitäten am Horn von Afrika erfassten Daten in Hinblick auf etwaige
Giftmülltransporte und die Aktivitäten von Fischfangflotten aus der Euro-
päischen Union ausgewertet, und welche Stellen innerhalb der Europä-
ischen Union sind mit der Auswertung dieser Daten befasst?

7. Inwiefern wird es in Zukunft auch zum Aufgabenbereich der Europäischen
Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs gehören, Daten über den
Schiffsverkehr vor dem Horn von Afrika auf Giftmüllverklappung und ille-
galen Fischereiaktivitäten auszuwerten?

Falls diese Aufgabenübertragung nicht geplant ist, warum nicht?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Entwicklung der
Fischbestände vor der Küste Somalias seit dem Jahr 1991?

9. Inwiefern teilt die Bundesregierung die in Presseberichten geäußerte An-
sicht, dass die Aktivitäten der Piraten zu einer Erholung der Fischbestände
beigetragen und damit die Lebenssituation der Menschen in den Küsten-
regionen indirekt verbessert haben (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai
2010, „Piraterie mit Nebeneffekt“)?

10. Inwiefern hat die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen, um die somali-
sche Bevölkerung über die Art der Anti-Piraterie-Mission aufzuklären und
sich dort auch von der illegalen Fischerei und den Giftmüllverklappungen
zu distanzieren, die vor Ort offensichtlich mit dem Atalanta-Einsatz in Ver-
bindung gebracht werden (vgl. Bronwyn E. Bruton, „Somalia. A New
Approach“, Council on Foreign Relations Special Report Nr. 52, S. 33 f.)?

11. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Lebens-
grundlage der Küstenbevölkerung Somalias durch die Giftmüllentsorgung
und die Überfischung beeinträchtigt wird?

12. Wenn ja, sieht die Bundesregierung in der Überfischung und Giftmüllent-
sorgung und der damit einhergehenden Beeinträchtigung der somalischen
Bevölkerung eine Ursache für die Piraterie in Somalia?

13. Welche Regeln gibt es in Deutschland und nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in der Europäischen Union für die Entsorgung von Giftmüll?

14. Werden Unternehmen durch die Bundesregierung darin unterstützt, anfal-
lenden Giftmüll auf legale Weise zu entsorgen?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

15. Werden Verstöße gegen die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates vom (14. Juni 2006) über die Verbringung
von Abfällen in Deutschland registriert und verfolgt?

Wenn ja, wie?

16. Wie wird in diesem Zusammenhang das „Basler Übereinkommen über die
Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und
ihrer Entsorgung“ umgesetzt, d. h. wie funktioniert hier die Datenübermitt-
lung zwischen den Vertragsparteien des Übereinkommens und wie gegebe-
nenfalls die Verfolgung von Vergehen?

17. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Erkenntnissen
der oben genannten Quellen

– für ihre (entwicklungspolitische) Zusammenarbeit mit Somalia,

– bezüglich des Atalanta-Einsatzes?

Drucksache 17/12132 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
18. Inwiefern sind Schiffe im Rahmen der Mission Atalanta bereits gegen ille-
gale Fischerei vorgegangen?

Berlin, den 18. Januar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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