BT-Drucksache 17/11812

Unisextarife, kollektive Rechnungszinssenkung und Mindestleistungen in der privaten Krankenversicherung

Vom 11. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11812
17. Wahlperiode 11. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina
Bunge, Klaus Ernst, Katja Kipping, Yvonne Ploetz, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Unisextarife, kollektive Rechnungszinssenkung und Mindestleistungen in der
privaten Krankenversicherung

Die Bundesregierung hatte noch am 17. Oktober 2010 in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. die Ansicht vertreten, dass private
Krankenversicherungen (PKV) entgegen den geltenden Gleichbehandlungsbe-
stimmungen für Frauen diskriminierende Tarife anbieten dürfen, Frauen also für
die gleichen Versicherungskonditionen mehr zahlen müssen. Am 1. März 2011
urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), mit Verweis auf die EU-Gleichbe-
handlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004, dass bereits seit dem 21. Dezember 2007
geschlechtsneutrale Tarife anzubieten seien. Der EuGH gab den Mitgliedstaaten
und den Versicherern bis zum 21. Dezember 2012 Zeit für eine entsprechende
Umstellung.

Die Bundesregierung war nun gezwungen, dafür Sorge zu tragen, dass die PKV
dieses Urteil umsetzt. Dafür gab es zwei Möglichkeiten, entweder geschlechts-
neutrale Tarife für alle Versicherten oder aber nur für Neukunden ab dem Stichtag.
Aus der Versicherungswirtschaft waren Stimmen zu hören (vgl. z. B. Versiche-
rungs-Journal vom 23. Februar 2012), die sich dafür einsetzten, wenn man schon
gezwungen sei, Unisextarife einzuführen, sollte dies nicht nur für Neukunden,
sondern auch für Bestandskunden gelten. Denn nach § 204 des Versicherungs-
vertragsgesetzes (VVG) besteht für die Versicherten ein Tarifwechselrecht. Es
stünde zu erwarten, dass insbesondere die weiblichen Versicherten aus den
teureren alten Verträgen in die günstigeren neuen Unisexverträge wechseln
würden. Damit wären diese aber kaum mehr kalkulierbar, da man die Anzahl der
wechselwilligen Frauen und damit den Geschlechtermix in der Risikokalkula-
tion der neuen Tarife nicht mehr abschätzen könne. So wären die Versiche-
rungen gezwungen, entsprechende Sicherheitsmargen einzukalkulieren, die die
Tarife verteuerten und außerdem ein Haftungsrisiko für den Fall einer falschen
Risikoabschätzung einzugehen.

Mittlerweile scheinen die Versicherungen eine Möglichkeit gefunden zu haben,
dieses Risiko zu umgehen, indem sie die Frauen von einem Tarifwechsel abhal-
ten. Zwischen den Versicherungen wird kommuniziert, dass es sinnvoll sei, die

ohnehin für viele Unternehmen kaum haltbaren Rechnungszinsen kollektiv von
3,5 Prozent auf 2,75 Prozent zu senken. Das hätte eine Verteuerung der neuen
Unisextarife zur Folge, womit diese dann für die Frauen in den Bestandstarifen
unattraktiv würden. Abgesehen davon, dass ein solches Verhalten der Versiche-
rer den Diskriminierungstatbestand bei den Frauen fortführt, die schon jahrelang
zu hohe Beiträge zahlen, besteht für den Fall, dass die meisten Versicherer tat-
sächlich gleichzeitig eine Absenkung des Rechnungszinses vornehmen, der Ver-

Drucksache 17/11812 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dacht eines kartellrechtlich relevanten Verhaltens. Als Faustregel gilt, dass der
Beitrag je 0,1 Prozentpunkten Rechnungszinsabsenkung um etwa 0,8 Prozent
steigen wird (vgl. manager magazin, 20. November 2012, S. 12). Bei der geplan-
ten Absenkung von 0,75 Prozentpunkten wären also allein deswegen die neuen
Tarife 6 Prozent teurer als die alten Tarife.

Im Juni 2012 wurde eine Studie des Kieler Instituts für Mikrodaten-Analyse
(IfMDA) sowie der Frankfurter Beratungsfirma PremiumCircle Deutschland
GmbH bekannt. Nach dieser Studie bieten viele PKV-Tarife in Teilen weniger
Versicherungsschutz als die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Dies
bezieht sich auch auf gesundheitlich relevante Leistungen, wie z. B. Psycho-
therapie oder Suchtbehandlung ebenso wie auch andere wichtige Leistungen,
z. B. Hilfsmittelkataloge auf aktuellem medizinischen Stand. Mit der Tarif-
umstellung zum 21. Dezember 2012 werden viele Unternehmen diese Lücken
gleichzeitig schließen, was auf eine Absprache im PKV-Verband zurückgeht
(vgl. z. B. www.luhv.de/2012/11/06/mindestleistungen-in-der-privaten-
krankenversicherung-ab-dem-21-12-2012/). Auch dies wird natürlich die neuen
Tarife verteuern. So wünschenswert es ist, dass auch PKV-Versicherte Leistun-
gen auf GKV-Niveau erhalten, so fragwürdig ist es kartellrechtlich, wenn An-
bieter, die im Wettbewerb miteinander stehen, aufgrund von Absprachen ein
Leistungsniveau vorgeben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Haben die Bundesregierung oder die Aufsichtsbehörde Kenntnis davon, dass
in der „neuen Unisex-Tarifwelt“ die Rechnungszinsen gesenkt werden sol-
len?

2. Bei wie vielen und welchen PKV-Unternehmen soll dies erfolgen?

3. Wie viele und welche PKV-Unternehmen haben bislang eine solche Ab-
senkung ausgeschlossen?

4. Wie viele und welche Unternehmen haben bislang freiwillig eine solche Ab-
senkung des Rechnungszinses durchgeführt?

5. Gibt es seitens des Bundeskartellamts Überlegungen, dieses gemeinsame
Verhalten auf kartellrechtliche Relevanz zu untersuchen?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis oder Zwischenstand?

6. Sind die Unternehmen frei in der Absenkung der Rechnungszinsen, oder gibt
es Beschränkungen, die die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
(BaFin) überwacht?

7. Wenn eine Rechnungszinssenkung sachlich geboten ist, weshalb senkt die
BaFin dann nicht den jeweiligen Unternehmensrechnungszins über das
AUZ-Verfahren (AUZ = Aktuarieller Unternehmenszins)?

8. Wenn die Ertragslage generell schlecht aussieht und es auch keinen Grund
gibt, mittelfristig an höhere Erträge zu glauben, weshalb senkt die BaFin
nicht den branchenweiten Rechnungszins?

9. Inwiefern kann es sachlich geboten sein, den Rechnungszins für Bestands-
kunden auf 3,5 Prozent zu belassen, für Neukunden aber auf 2,75 Prozent
festzulegen?

Welche Ziele könnte ein Versicherungsunternehmen damit verfolgen, gerade
die Neukunden stärker zu belasten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11812

10. Ist nach Einschätzung der Bundesregierung die in der Vorbemerkung der
Fragesteller genannte Faustformel und die daraus gezogene Schlussfolge-
rung, wonach die neuen Tarife alleine aufgrund der Rechnungszinsabsen-
kung etwa 6 Prozent teurer werden als die nach alten Bedingungen kalku-
lierten, plausibel und zutreffend?

Wenn nein, wie sind die Schätzungen der Bundesregierung?

11. Sind die Rechnungszinssenkungen für Neukunden dazu geeignet, für Be-
standskundinnen einen Tarifwechsel in die kommenden Unisextarife
unattraktiver zu machen?

12. Liegt auch für die Bundesregierung die Vermutung nahe, dass mit Hilfe
dieser Rechnungszinssenkung für die neuen Tarife bei gleichzeitigem Belas-
sen der alten Tarife auf dem höheren Rechnungszins ab 21. Dezember 2012
Tarifwechsel von Frauen aus Bestandstarifen erschwert werden sollen?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der Versicherer, und zieht
sie hieraus Schlussfolgerungen?

14. Wie viele Versicherer beabsichtigen nach Kenntnis der Bundesregierung
oder der BaFin, die Mindestleistungen in Richtung GKV-Niveau anzupassen?

15. Gilt dies nur für Neuverträge oder auch für bestehende Verträge?

16. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung sinnvoll, wenn auch alle PKV-Ver-
sicherten Leistungen auf dem Niveau der GKV erhalten?

Wenn nein, warum nicht?

17. Weshalb versucht die Bundesregierung nicht, Mindestleistungen in der
PKV gesetzlich zu regeln, so dass z. B. auch jede bzw. jeder PKV-Ver-
sicherte Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung hat?

18. Wenn solche oder ähnliche Absprachen der PKV-Unternehmen bezüglich
ihrer Leistungen stattfinden, könnte dies nach Ansicht der Bundesregierung
kartellrechtlich relevant sein?

19. Prüft das Bundeskartellamt diese Vorgänge?

Wenn nein, weshalb nicht?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis oder Zwischenstand?

Berlin, den 11. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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