BT-Drucksache 17/11746

Berechtigung der übrigen Zuzahlungen nach Abschaffung der Praxisgebühr

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11746
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Kathrin Senger-Schäfer,
Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Berechtigung der übrigen Zuzahlungen nach Abschaffung der Praxisgebühr

Mit einer vielleicht jahrzehntelang ungekannten Einstimmigkeit in einer nament-
lichen Abstimmung ist der Deutsche Bundestag am 9. November 2012 einer über
viele Jahre ausschließlich von der Fraktion DIE LINKE. vorgetragenen Forde-
rung gefolgt und hat die Praxisgebühr abgeschafft.

Dieser Schritt war richtig, denn die Praxisgebühr belastete die Patientinnen und
Patienten, entlastete die Arbeitgeber, hielt Kranke und insbesondere geringver-
dienende Kranke von notwendigen Arztbesuchen ab, verursachte damit unnötige
Kosten und menschliches Leid und verursachte zudem auch noch einen beträcht-
lichen Verwaltungsaufwand bei Versicherten, Kassen und Leistungserbringern.

Diese Argumente treffen jedoch auch alle auf die übrigen Zuzahlungen zu.
Deren Abschaffung wurde jedoch nicht beschlossen, obwohl diese fast aus-
schließlich dann anfallen, wenn sich ein Versicherter oder eine Versicherte an
die Verordnungen seines Arztes oder seiner Ärztin hält. Dass diese Zuzahlungen
auch eine Steuerungswirkung erzielen, ist in vielen Studien weltweit nachgewie-
sen. Man könnte die bestehenden Zuzahlungen als Verhinderungsinstrument für
therapietreues Verhalten bezeichnen. Das ist ein weiterer negativer Effekt zu-
sätzlich zu den oben beschriebenen Effekten der Praxisgebühr.

Zuzahlungen belasten auch die Versicherten zugunsten der Arbeitgeber, sie ent-
lasten die Gesunden auf Kosten der Kranken, sie verursachen, wie bereits
beschrieben, vermeidbares menschliches Leid und unnötige Kosten und auch sie
bringen einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand für Versicherte, Kassen und
Leistungserbringer mit sich.

Der Finanzierungsbeitrag der Zuzahlungen ist recht überschaubar, ein Wegfall
wäre auch mit Beiträgen gegenfinanzierbar. Dies wäre eine Entlastung der Kran-
ken zulasten der Gesunden, eine Entlastung der Arbeitnehmer zulasten der
Arbeitgeber. Abgesehen davon schätzt die Bundesregierung die finanzielle
Situation des Gesundheitsfonds aktuell bis ins Jahr 2014 so gut ein, dass sie den
Bundeszuschuss zur pauschalen Abgeltung versicherungsfremder Leistungen

im Jahr 2013 um insgesamt 2,5 Mrd. Euro und im Jahr 2014 um 2 Mrd. Euro
zugunsten des Bundeshaushalts kürzt.

Drucksache 17/11746 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch ist die Summe der Zuzahlungen in den vergangenen zehn Jahren
jeweils gewesen (bitte nach Jahren und Zuzahlungsart aufschlüsseln)?

2. Welche Zuzahlungsarten gibt es ab dem Jahr 2013?

Welche Höhe haben diese Zuzahlungen für die Patientinnen und Patienten
im Einzelfall?

3. In welcher Höhe werden die Patientinnen und Patienten in der Summe nach
der Abschaffung der Praxisgebühr im Jahr 2013 immer noch Zuzahlungen
leisten (bitte für die gesetzliche Krankenversicherung – GKV – insgesamt,
nach Kassenarten und durchschnittlich pro Versichertem angeben)?

Ist hier für die GKV insgesamt eine Summe von etwa 3,45 Mrd. Euro
realistisch?

4. Ist mit Zuzahlungen eine Steuerungswirkung beabsichtigt?

Für welche Zuzahlungsarten gilt dies, und welche Steuerungswirkung soll
erzielt werden?

Sind der Bundesregierung Studien bekannt, die die entsprechenden Steue-
rungswirkungen belegen oder widerlegen?

5. Ist es richtig, dass Zuzahlungen allein diejenigen betreffen, die Leistungen
der GKV in Anspruch nehmen?

Ist es richtig, dass es sich hierbei um Behandlungsbedürftige, also Kranke,
handelt?

6. Welche Gründe sprechen dafür, wenn Zuzahlungen allein diejenigen betref-
fen, die Leistungen der GKV in Anspruch nehmen?

Sieht die Bundesregierung in der Behandlungsbedürftigkeit ein Verschul-
den der Kranken?

Geht die Bundesregierung davon aus, dass Zuzahlungen zu weniger Krank-
heit führen?

Gibt es dafür Belege?

7. Ist mit Zuzahlungen eine Belastung der Kranken zugunsten der Gesunden
beabsichtigt?

8. Ist mit Zuzahlungen eine Entlastung der Arbeitgeber zulasten der Arbeit-
nehmer beabsichtigt?

9. Welchen sonstigen Zweck verfolgen Zuzahlungen?

10. Welche wissenschaftlichen Studien belegen, dass Zuzahlungen zu einer
höheren Wertschätzung der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen
führen?

Ist der Bundesregierung irgendeine Selbstbeteiligung, der man nicht entge-
hen kann, bekannt, die zu einer höheren Wertschätzung des jeweiligen Ge-
genstands geführt hat?

11. Halten Zuzahlungen Versicherte – trotz Belastungsgrenze – nach Kenntnis
der Bundesregierung in der Versorgungsrealität von der Inanspruchnahme
von Leistungen ab?

Welche Studien existieren hierzu, und was ist ihr Inhalt?

Bestätigen oder widerlegen sie diese Befürchtung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11746

12. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass – jenseits der ideolo-
gischen Wertung und des politischen Willens – das Aufkommen der Zuzah-
lungen langfristig auch über Beiträge aufgebracht werden könnte und die
sich daraus ergebende Beitragssatzsteigerung sich bei derzeitigen Bedin-
gungen in einer Größenordnung von etwa 0,17 Prozent jeweils für Arbeit-
geber und Arbeitnehmer bewegen würde?

13. Wie viel würde eine derartige Beitragssatzsteigerung einen durchschnitt-
lichen Beitragszahler derzeit jährlich kosten?

14. Wie viel bezahlt ein durchschnittlicher, nicht chronisch kranker Beitrags-
zahler voraussichtlich ab dem Jahr 2013 (ersatzweise derzeit) an Zuzahlun-
gen?

15. Wie viel bezahlt ab dem Jahr 2013 (ersatzweise derzeit) ein durchschnitt-
licher Beitragszahler, der chronisch krank ist und 1 Prozent seines Ein-
kommens für Zuzahlungen aufbringt, jährlich an Zuzahlungen?

16. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass die Zuzahlungen – den
politischen Willen vorausgesetzt – auch ohne Beitragssatzsteigerungen mit
einer moderaten Erhöhung der Beitragsbemessungs- und entsprechend der
Versicherungspflichtgrenze zu finanzieren wären?

Auf welche Höhe müsste die Beitragsbemessungsgrenze (bei einer Er-
höhung der Versicherungspflichtgrenze auf mindestens dasselbe Niveau)
steigen, um die Abschaffung der Zuzahlungen gegenzufinanzieren?

17. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass eine Erhöhung von Bei-
tragsbemessungs- und Pflichtversicherungsgrenze nur Einkommen ober-
halb von 3 937,50 Euro monatlich (für das Jahr 2013) belasten würde, von
dieser Maßnahme also eine progressive Verteilungswirkung ausginge?

18. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass Zuzahlungen auch trotz
der Belastungsgrenze bei Geringverdienern im Durchschnitt höhere prozen-
tuale Belastungen gemessen am Einkommen ausmachen als bei Gutverdie-
nern, sie also eine degressive Verteilungswirkung haben?

19. Sind die Belastungen der Patientinnen und Patienten durch Zuzahlungen
aus Sicht der Bundesregierung alternativlos?

Wenn nein, was sind die Alternativen?

20. Weshalb hat sich die Bundesregierung für die Abschaffung gerade der
Praxisgebühr entschieden und nicht alternativ für die Abschaffung anderer
Zuzahlungen, zumal beispielsweise Zuzahlungen bei Heilmittelerbringern
unter anderem wegen der ungeraden Beträge oft einen noch größeren büro-
kratischen Aufwand erfordern als die Zahlung von glatten 10 Euro in der
Arztpraxis?

21. Kann die Bundesregierung für diese Wahlperiode ausschließen, dass Vor-
schläge, wie sie unter anderem von Arbeitgebern, Ärzteschaft oder auch der
Fraktion der FDP kommen, wonach die Praxisgebühr durch ein für Ärztin-
nen und Ärzte unbürokratisches Erhebungsverfahren ersetzt werden soll,
umgesetzt werden?

Berlin, den 28. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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