BT-Drucksache 17/11602

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/10200, 17/10202, 17/10823, 17/10824, 17/10825 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013)

Vom 19. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11602
17. Wahlperiode 19. 11. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jan Korte, Steffen Bockhahn, Diana Golze, Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Ulla Jelpke,
Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Raju Sharma, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/10200, 17/10202, 17/10823, 17/10824, 17/10825 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013
(Haushaltsgesetz 2013)

Der Bundestag wolle beschließen:

Ein Sofortprogramm zur verstärkten Auseinandersetzung mit dem Rechtsextre-
mismus einzurichten und

1. die Mittel im Einzelplan 17 Kapitel 17 02 Titel 684 14 (Maßnahmen zur
Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie) von 29 Mio. Euro auf
34,330 Mio. Euro zu erhöhen und ausschließlich für die Auseinandersetzung
mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu verwenden;

2. die Mittel im Einzelplan 06 Kapitel 06 35 Titel 532 02 (Politische Bildungs-
arbeit) um 2,431 Mio. Euro auf 21,354 Mio. Euro zu erhöhen;

3. im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern eine „Unabhängige
Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus“ einzu-
richten. Als Betrag und Anschubfinanzierung werden hierfür 10 Mio. Euro
eingestellt;

4. die finanziellen Mittel für dieses Sonderprogramm zur Auseinandersetzung
mit dem Rechtsextremismus aus Einsparungen im Einzelplan 06 Kapitel 06 09
Titel 541 01 (Zuschuss an das Bundesamt für Verfassungsschutz) zu nehmen.
Berlin, den 19. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/11602 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Die Mord- und Gewaltserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) hat
in aller Deutlichkeit die fahrlässige Unterschätzung des rechtsextremen Gewalt-
potenzials verdeutlicht. Als Konsequenz aus dem Versagen der Sicherheitsstruk-
turen zum Thema Rechtsextremismus muss ein neuer Ansatz der Auseinander-
setzung mit den Gefahren durch die extreme Rechte auf den Weg gebracht
werden. Wichtigste Punkte für eine solche neue Strategie sind die Stärkung und
dauerhafte Absicherung der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der
extremen Rechten, wie sie z. B. über die Bundesprogramme in diesem Bereich
stattfinden. Weiter bedarf es einer Stärkung der politischen Bildungsarbeit in
diesem Bereich. Schließlich muss die verfehlte Form der Beobachtung und
Analyse der extremen Rechten, wie sie durch das Bundesamt für Verfassungs-
schutz vorgenommen wird, durch eine unabhängige Beobachtungsstelle Rechts-
extremismus, Rassismus, Antisemitismus ersetzt werden.

Auch jenseits der Debatte um den Terror des NSU bewegen sich die rechts-
extrem und rassistisch motivierten Straf- und Gewalttaten seit Jahren auf einem
besorgniserregend hohen Niveau. Die von verschiedenen Bundesregierungen
seit 2001 geförderten Programme gegen Rechtsextremismus sind eine prinzi-
piell richtige Antwort auf die Bedrohung durch die extreme Rechte. Inhaltlich
bedarf es hier wieder einer stärkeren Einbindung zivilgesellschaftlicher Träger
an verantwortlicher Stelle. Die von zahlreichen Fachleuten kritisierte Umstruk-
turierung des Bundesprogramms seit 2007 hat zu einer deutlichen Schwächung
der zivilgesellschaftlichen Arbeit in diesem Bereich geführt. Hier bedarf es einer
Umsteuerung und einer deutlichen finanziellen Ausweitung des staatlichen En-
gagements. Die weitere Intensivierung der politischen Bildungsarbeit zum
Thema und die Einrichtung einer „Unabhängigen Beobachtungsstelle Rechts-
extremismus, Rassismus, Antisemitismus“ sind weitere Schritte zu einem um-
fassenden Konzept.

Um angesichts der aktuellen Debatte ein deutliches Zeichen für die Dringlich-
keit der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten zu setzen, ist ein Sofort-
programm der Bundesregierung nötig, mit dem die Anstrengungen in diesem
Bereich deutlich erhöht werden. Ein solches Sofortprogramm kann nur ein erster
Schritt der Bundesregierung sein, dem eine konzeptionelle Offensive folgen
muss. Ob ein Runder Tisch für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und/
oder ein Bundesbeauftragter für Demokratie und Toleranz sinnvolle Instrumente
sein können, muss geprüft werden. Die vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen sind
Schritte auf dem Weg zu einem umfassenden Konzept der Politik zur Bekämp-
fung der extremen Rechten.

Zu Nummer 1

Die Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie im Be-
reich der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antise-
mitismus sind seit Jahren mit schwierigen finanziellen Bedingungen konfron-
tiert, die eine langfristige Planung der Arbeit unmöglich machen. Modellprojek-
ten in diesem Bereich wird eine extrem hohe Kofinanzierungsquote von 50 Pro-
zent abverlangt, die teilweise zum frühzeitigen Ende der Projekte führt. Die
Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus arbeiten mit knapper Personal-
decke, stagnierender Bezahlung und können so ihrem Auftrag eines flächen-
deckenden Angebots in den Ländern kaum gerecht werden. Opferberatungen
sind nach wie vor nicht in allen Bundesländern vorhanden. Aus all diesen Grün-
den sollen die Mittel für die Projekte erhöht werden. Zudem soll das Programm
„Initiative Demokratie stärken“ nicht mehr aus diesem Titel finanziert werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11602

Zu Nummer 2

Die zusätzlichen Mittel sollen für den Aufgabenbereich der „geistig-politischen
Auseinandersetzung mit Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Anti-
semitismus und damit in Zusammenhang stehende Gewaltphänomene sowie zur
Bekämpfung von Vorurteilen“ eingesetzt werden.

Angesichts wachsender Demokratieverdrossenheit in Teilen der Bevölkerung,
zunehmender Erfolge rechtsextremer Wahlparteien und einer bedrohlichen Ent-
wicklung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hat die poli-
tische Bildung einen enormen Stellenwert. Der politischen und politisch-histo-
rischen Bildung kommt bei der Auseinandersetzung mit einer anwachsenden
extremen Rechten besondere Bedeutung zu, die eine Ausweitung des Angebots
erforderlich machen. Insbesondere die immer stärkere Verankerung der rechts-
extremen Szene im jugendkulturellen Bereich erfordert zielgerichtete Gegen-
strategien. Für Beschäftigte in der Jugendarbeit, im pädagogischen und erziehe-
rischen Bereich müssen verstärkt Angebote zur Fortbildung gemacht werden.
Auch bedarf es verstärkter medienpädagogischer Angebote, um der vermehrten
Nutzung neuer Medien durch die extreme Rechte etwas entgegensetzen zu kön-
nen.

Zu Nummer 3

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine zentrale Stelle, die die verstreu-
ten Erkenntnisse zur Entwicklung der extremen Rechten unter gesellschafts-
politischen Gesichtspunkten zusammenfasst und einschätzt. Dies meint eine
Gesamtbetrachtung jenseits der eingeschränkten Aufgaben des Verfassungs-
schutzes. Die durch die bisherige Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses zum
NSU zutage getretenen Mängel in der Arbeit des Verfassungsschutzes zum
Thema Rechtsextremismus erfordern einen völlig neuen Ansatz der Beobach-
tung und Bewertung der Szene. Analyse- und Beobachtungsergebnisse zur ex-
tremen Rechten weit über der Erkenntnislage des Verfassungsschutzes liegen
schon heute vor. Sie müssen gebündelt, koordiniert und ausgebaut werden, um
so eine unabhängige und zivilgesellschaftlich verankerte Beobachtung von
Rechtsextremismus, Rassismus und Antifaschismus auf den Weg zu bringen.

Von 1990 bis heute sind nach Recherchen unabhängiger Projekte und Journalis-
ten über 160 Menschen von rechtsextremen Gewalttätern getötet worden. Diese
alltägliche Gewalt unabhängig zu dokumentieren, ein realistisches Bild der Lage
im Bereich Rechtsextremismus zu zeichnen und Vorschläge zur Prävention zu
machen, sollen ebenfalls Aufgaben der Beobachtungsstelle sein.

Zu Nummer 4

Das Versagen des Verfassungsschutzes beim Thema NSU und die für Parlament
und Öffentlichkeit wahrnehmbare Arbeit des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz rechtfertigen in keiner Weise die Erhöhungen des Etats der Behörde, wie
sie in den letzten Jahren vorgenommen wurden. Aus diesem Grund sollen diese
Erhöhungen rückgängig gemacht und die Gelder in Höhe der Kürzungen den
oben angeführten Bereichen des Sonderprogramms zur Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus zugeführt werden.

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