BT-Drucksache 17/11555

Den am 12. September und am 4. Oktober 2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall beenden

Vom 20. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11555
17. Wahlperiode 20. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Sven-Christian Kindler, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln),
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den am 12. September und am 4. Oktober 2001 ausgerufenen NATO-Bündnisfall
beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich auf der Ebene der NATO-Mitgliedstaaten dafür einzusetzen, im Rahmen ei-
ner Sitzung des NATO-Rates den am 12. September sowie am 4. Oktober 2001
ausgerufenen Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages zu beenden.

Berlin, den 19. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Am 11. September 2001 entführten Terroristen vier zivile Flugzeuge und ver-
übten damit Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika, denen etwa
3 000 Menschen zum Opfer fielen. Am 12. September sowie am 4. Oktober
2001 stellte der NATO-Rat fest, dass die terroristischen Angriffe auf die USA
ein Angriff auf alle Bündnispartner der NATO im Sinne des Artikels 5 des Nord-
atlantikvertrages darstellten. In Artikel 5 des Nordatlantikvertrages heißt es:

„Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere
von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen
wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs
jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Natio-

nen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung
der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede
von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Par-
teien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft,
die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets
wiederherzustellen und zu erhalten. […]“

Drucksache 17/11555 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Infolge der Feststellung des Bündnisfalls riefen die USA den „globalen Krieg
gegen den Terror“ aus. Die Feststellung des NATO-Bündnisfalls diente dabei als
primäre Rechtfertigungsgrundlage für politische, juristische und militärische
Maßnahmen gegen terroristische Gruppierungen sowie Staaten und Vereinigun-
gen, die im Verdacht standen, jene zu unterstützen. Als weitergehende Rechtfer-
tigung wurde in diesem Zusammenhang das in der Satzung der Vereinten Na-
tionen anerkannte Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung im
Falle eines Angriffs herangezogen. Als Mitglied der NATO war die Bundes-
republik Deutschland damit ebenfalls aufgefordert, im Rahmen der kollektiven
Selbstverteidigung zu Maßnahmen des Bündnisses gegen terroristische Grup-
pierungen und die sie unterstützenden Staaten beizutragen.

Verschiedene Missionen der NATO wurden seit Oktober 2001 unter Rückgriff
auf diese Argumentation beschlossen und durchgeführt. Hierzu zählt die Anti-
terrormission Operation Enduring Freedom ebenso wie die Operation Active
Endeavour im Mittelmeer. Deutschland hat sich an diesen Operationen in unter-
schiedlichem Maße beteiligt und tut dies zum Teil immer noch.

Wenngleich mittlerweile das Taliban-Regime in Afghanistan gestürzt und Al-
Qaida – zuletzt durch die umstrittene Tötung von Osama bin Laden – empfind-
lich geschwächt wurde, begründet die Bundesregierung auch im elften Jahr nach
der Feststellung des NATO-Bündnisfalls ihre Beteiligung an der Operation
Active Endeavour mit der „Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terro-
ristische Angriffe gegen die USA“ sowie mit dem Selbstverteidigungsrecht der
Staaten nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Ferner argumentiert
sie, dass die Anschläge vom 11. September 2001 nicht abgeschlossen seien, son-
dern fortgesetzt würden und bis heute andauerten (vgl. Bundestagsdrucksache
17/7743).

Dieser Begründungszusammenhang hat seine Legitimität mittlerweile einge-
büßt. So nachvollziehbar es seinerzeit gewesen ist, auf die Angriffe vom
11. September 2001 mit dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht zu rea-
gieren, so wenig haltbar ist diese Argumentation heute. Elf Jahre nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 bietet die Argumentation nur noch Platz
für territorial kaum eingrenzbare Militäreinsätze. Dabei ist die Verfolgung von
Terroristen in erster Linie die Aufgabe von Strafverfolgungsbehörden. Ein über
Jahre fortdauernder NATO-Bündnisfall, der seine völkerrechtliche Begründung
längst überlebt hat, unterminiert letztlich auch die Wirksamkeit der Solidaritäts-
klausel, welches nicht im Sinne des nordatlantischen Bündnisses sein kann.

Auf dem Lissaboner Gipfel im November 2010 beschloss die NATO ein neues
Strategisches Konzept. Trotz verschiedener Ansätze zur Reform der Strukturen
der Organisation ist bislang keine Initiative zu erkennen, die Regelungen rund
um die Ausrufung bzw. Beendigung des NATO-Bündnisfalls nach Artikel 5 des
Nordatlantikvertrages zu überarbeiten. Zwar kann der NATO-Rat auch heute
schon auf Wunsch eines oder mehrerer seiner Mitglieder zusammentreten und
beispielsweise einen Antrag auf Beendigung des Bündnisfalls stellen. Bislang
hat aber weder die Bundesregierung noch ein anderes NATO-Mitglied hierzu die
Initiative ergriffen.

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