BT-Drucksache 17/11501

Beitragserhöhungen, sinkender Zins und andere Herausforderungen der privaten Krankenversicherung

Vom 16. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11501
17. Wahlperiode 16. 11. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Yvonne Ploetz,
Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Beitragserhöhungen, sinkender Zins und andere Herausforderungen der privaten
Krankenversicherung

Derzeit ist das Zinsniveau so niedrig wie noch nie in den vergangenen Jahr-
zehnten. Ein Ende dieser Niedrigzinsphase ist auch nach Auffassung der Bun-
desregierung nicht absehbar (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/9330).

Die private Krankenversicherung (PKV) ist von dieser Entwicklung betroffen.
Die substitutive Krankenversicherung muss nach Art der Lebensversicherung
betrieben werden. Im Gegensatz zur Lebensversicherung, die in den letzten
zehn Jahren schon viermal Rechnungszinssenkungen vornahm, wurde in der
PKV der Rechnungszins beibehalten. Ungeachtet der tatsächlichen Zinsent-
wicklung ist dieser schon seit 50 Jahren unverändert.

Bereits im Jahr 2004 – da lag die durchschnittliche Nettoverzinsung noch deut-
lich höher als heute – legte die Aufsichtsbehörde der PKV, die Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), dem Bundesministerium der Finan-
zen einen Entwurf der Kalkulationsverordnung vor, wonach analog zur Lebens-
versicherung der Rechnungszins auf 2,75 Prozent abgesenkt werden sollte. Da-
mit sollte ein zukünftiges Finanzloch in den Alterungsrückstellungen verhin-
dert und so die Beitragssteigerungen im Alter abgemildert werden. Dies hätte
allerdings Beitragssteigerungen insbesondere bei den Neuzugängen und jungen
Versicherten notwendig gemacht. Um einen Einbruch im Neukundengeschäft
zu vermeiden, setzten sich die PKV-Unternehmen gegen die eigentlich gebo-
tene Senkung des Rechnungszinses ein.

Im Ergebnis wurde dann das Verfahren des aktuariellen Unternehmenszins
(AUZ) geschaffen. Danach wird bei perspektivischer Unterschreitung des
Rechnungszinses dieser unternehmensindividuell gesenkt. Menschen, die sich
in einem PKV-Unternehmen versichern wollen, erlangen nur bei freiwilliger
Herausgabe des Zinssatzes durch das Versicherungsunternehmen Kenntnis
darüber, welchen Zins die verschiedenen Anbieter erwirtschaften, ob sie also

den Rechnungszins weit übertreffen, nahe am Rechnungszins liegen oder aber
schon darunter. Dies wäre allerdings ein sinnvolles Entscheidungskriterium zur
Auswahl einer Versicherungsgesellschaft für die potentiellen Versicherungs-
kunden.

In den Alterungsrückstellungen ist nur das vorhergesagte Schadensprofil, also
die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, berücksichtigt. Nicht berücksichtigt

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sind die Inflation oder etwaige Kosten neuer Behandlungsmethoden, Mengen-
steigerungen oder Änderungen in der Sterbewahrscheinlichkeit. Um dies aus-
zugleichen, wurde in § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) im Jahr
2000 für Versicherte bis 60 Jahre ein Prämienzuschlag von 10 Prozent be-
schlossen sowie in § 12a VAG festgelegt, dass 90 Prozent des Überzinses, also
der Differenz zwischen Rechnungs- und tatsächlich erzieltem Zins in die Alte-
rungsrückstellungen fließen sollen. Damit die Regelung in § 12a VAG wirksam
sein soll, muss aber natürlich ein Überzins erst einmal erwirtschaftet sein.

Mit dem Überzins soll nach Angaben der Bundesregierung in vorgenannter
Antwort auf die Kleine Anfrage im Wesentlichen die Inflation abgefangen wer-
den. Wenn man eine Inflation von 2 Prozent unterstellt, müssten mit 90 Pro-
zent des Überzinses diese 2 Prozent erreicht werden; der Überzins müsste also
2,2 Prozent betragen. Bei einem Rechnungszins von 3,5 Prozent müsste also
der erreichte Zins bei 5,7 Prozent liegen. Seit mindestens 2010 erreicht das kein
einziger Versicherer, seit Jahren liegt der Durchschnitt der Versicherer darunter.
Im Jahr 2010 lag der schlechteste Wert bei 0,1 Prozent, der beste bei 5,1 Pro-
zent, der Branchendurchschnitt im Jahr 2011 lag bei 4,05 Prozent. Die Inflation
ist so kaum wirksam abzufangen, es sei denn, sie wäre in Zukunft deutlich
niedriger als im Schnitt der Jahre 1990 bis 2011. Aber selbst dann stünden für
den Ausgleich der Kosten neuer Behandlungsmöglichkeiten, von Mengenstei-
gerungen oder von Änderungen in der Sterbewahrscheinlichkeit nur der Prämien-
zuschlag zur Verfügung. Ob dieser ausreicht, darf angesichts der feststellbaren
Prämiensteigerungen bezweifelt werden. Für unter 65-jährige Versicherte wird
dieser ohnehin nicht beitragssenkend wirksam.

Die Bundesregierung hat gemäß oben genannter Antwort auf die Kleine Anfrage
keine Erkenntnisse über die Beitragshöhe von Versicherten verschiedenen
Alters bzw. über die Beitragssteigerungen, die im Laufe eines Versicherten-
lebens typischerweise auftreten.

Die Teilfrage nach dem Namen der Versicherungsgesellschaften mit den drei
höchsten und den drei niedrigsten Zinsen (Frage 9) wurde nicht beantwortet
und auch kein Grund für die Nichtbeantwortung genannt. Zudem dürften der
BaFin mittlerweile auch Zahlen aus dem Jahr 2011 vorliegen. Die Fragesteller
bitten daher die Bundesregierung, bei den entsprechenden Fragen auch mit den
Zahlen aus dem Jahr 2011 zu antworten. Falls wettbewerbsrelevante Daten aus
Gründen des Datenschutzes nicht genannt werden, bitten die Fragestellerinnen
und Fragesteller um eine möglichst weitgehende Beantwortung, z. B. ohne
Nennung der Namen der Versicherungsgesellschaften.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Nettoverzinsung haben die einzelnen Versicherungsgesellschaften in
den letzten fünf Jahren erreicht?

Wie viele Versicherte sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den ein-
zelnen Gesellschaften versichert?

2. Wie hoch war der Überzins bei den einzelnen Gesellschaften, und wie war
die tatsächliche Aufteilung der Überzinsen auf Grundlage des § 12a VAG
bei den einzelnen Gesellschaften?

3. Welche Versicherungsgesellschaften mussten seit Bestehen des AUZ-Ver-
fahrens ihren individuellen Rechnungszins auf unter 3,5 Prozent senken?

Auf welchen Wert wurde jeweils gesenkt, und für welchen Zeitraum gilt
bzw. galt dies?

4. Wie viele Versicherte waren bzw. sind nach Kenntnis der Bundesregierung

bislang von einer derartigen Absenkung betroffen?

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5. Falls die Bundesregierung in der Antwort zu den Fragen 1, 2, 3 oder 4
keine Angaben zu den Namen der einzelnen Gesellschaften macht, wes-
halb nicht?

Liegen der BaFin prinzipiell Daten vor?

6. Falls der Grund für die Nichtbeantwortung bzw. unvollständige Beantwor-
tung der ist, dass wettbewerbsrelevante Daten unter Verschluss gehalten
werden sollen, wären genau diese Daten nicht auch eine relevante Informa-
tion für die Kunden und den Verbraucherschutz, um die Solidität des Ange-
bots einer Gesellschaft beurteilen zu können, und wiegt hier der Schutz der
Unternehmen vor den Verbrauchern mehr als der Schutz der Verbraucher
vor den Unternehmen (bitte begründen)?

7. Aus welchem sachlichen Grund wurde für die Lebensversicherung der
Rechnungszins mehrfach – zuletzt zum 1. Januar 2012 auf 1,75 Prozent –
gesenkt, der Rechnungszins in der nach Art der Lebensversicherung betrie-
benen Krankenversicherung aber stets bei 3,5 Prozent belassen?

8. Ist bzw. war diese Nichtabsenkung auch der der Bundesregierung und der
BaFin vorgetragene Wunsch der Mehrheit der privaten Versicherungsunter-
nehmen?

9. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung richtig, dass eine Absenkung
des Rechnungszinses insbesondere die Beiträge jüngerer Versicherter erhö-
hen und damit das attraktive Neukundengeschäft treffen würde?

10. Sind nach Auffassung der Bundesregierung Angaben der Deutschen
Aktuarvereinigung e. V. plausibel, wonach beim Debeka Krankenversiche-
rungsverein a. G. eine Absenkung des Rechnungszinses auf 3,0 Prozent für
30-jährige Versicherte Beitragssteigerungen von 3,7 bis 7,0 Prozent mit
sich brächte, für Ältere jedoch geringere relative Steigerungen (vgl. aktuar.de/
custom/download/dav/presse/2011-04-28-Werkstatt_KV_final.pdf)?

11. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass das System der Alterungsrück-
stellungen dergestalt funktioniert, dass damit alle relevanten Kostensteige-
rungen aufgrund der Alterung aufgefangen würden?

12. Welche zu erwartenden Kostensteigerungen (z. B. neue Behandlungsme-
thoden, Mengensteigerungen, Änderungen der Sterbewahrscheinlichkeit)
sind in dem System nicht berücksichtigt und führen deshalb zu Beitrags-
steigerungen im Laufe der Versicherungszeit?

13. Wie kann die Bundesregierung die Funktionsfähigkeit des Systems der
Alterungsrückstellungen bewerten, wenn sie, wie sie in den Antworten zu
den Fragen 6 und 7 der vorgenannten Kleinen Anfrage geschrieben hat,
keinerlei Kenntnisse über tatsächliche durchschnittliche Beitragshöhen
oder -steigerungen entlang des Alters hat?

14. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das durchschnittliche
Nettoeinkommen der privat krankenversicherten Ruheständler, und wie
hoch sind ihre Krankenversicherungsbeiträge?

Wie hoch ist der Anteil der Krankenversicherungsbeiträge am Einkommen
dieser Gruppe?

15. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Annahme richtig, dass im Alter
von etwa 50 bis 65 Jahren relativ hohe Beitragssteigerungen stattfinden, da
das angesparte Kapital aus dem 10-prozentigen Beitragsaufschlag erst ab
65 Jahren beitragssenkend wirksam wird?

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16. Wie viele der zum Zeitpunkt der Einführung des 10-Prozent-Aufschlags
bereits Versicherten haben nach Kenntnis der Bundesregierung diese
Option freiwillig gewählt?

Wie viele Verträge laufen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit mit
und ohne diesen Aufschlag?

17. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Provisionen
und Courtagen an den Ausgaben der einzelnen Versicherungsunternehmen?

18. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der sonstigen
Verwaltungskosten an den Ausgaben der einzelnen Versicherungsunterneh-
men?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl bzw. den
Anteil derer, die im Laufe ihres Lebens von der PKV in die gesetzliche
Krankenversicherung wechseln und daher ihre Alterungsrückstellungen
verlieren bzw. zumindest zum Teil unnötigerweise angespart haben?

20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anzahl bzw. den
Anteil derer, die im Laufe ihres Lebens das PKV-Unternehmen wechseln
und daher ihre Alterungsrückstellungen verlieren bzw. zumindest zum Teil
unnötigerweise angespart haben?

21. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Entscheidung für einen Eintritt in
die PKV eine Entscheidung für das ganze Leben oder sollte es zumindest
sein?

22. Wie viele PKV-Neukunden sind sich angesichts der komplexen möglichen
und zwingenden Folgen der Tragweite ihrer Entscheidung nicht oder nicht
voll bewusst?

23. Wie verträgt sich eine derart wichtige Entscheidung mit der oftmals alleini-
gen Beratung durch einen Versicherungsvermittler, der auf Provisionsbasis
meist eines einzigen Versicherungsunternehmens arbeitet?

24. Wäre eine obligatorische unabhängige Beratung vor dem Wechsel in die
PKV eine Lösung für dieses Problem?

25. Wie hoch waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Gewinne der ein-
zelnen Versicherungsunternehmen und der gesamten PKV jeweils in den
letzten zehn Jahren?

26. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Personen,
bei denen der Versicherungsvertrag nach einem Aufnahmeantrag nur mit
Risikozuschlägen oder Leistungsausschlüssen zustande kommt?

27. Hat die Bundesregierung Informationen, welche Unternehmen eine Absen-
kung des Rechnungszinses in die Kalkululation ihrer Unisextarife einprei-
sen, und in welcher Höhe sich das auswirkt (bitte in Prozent der Beitrags-
erhöhung angeben)?

28. Hat die Bundesregierung Informationen darüber, wie sich nicht erfolgte
Beitragserhöhungen aufgrund der nicht vorgenommenen Rechnungszins-
senkung in der Zukunft auf die Beiträge der privat Versicherten auswirken
werden?

Ist ein kumulierter Effekt zu erwarten?

Berlin, den 16. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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