BT-Drucksache 17/11453

Haltung der Bundesregierung zur Zukunft der Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und der von Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten

Vom 7. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11453
17. Wahlperiode 07. 11. 2012

Große Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Hans-Josef Fell, Cornelia Behm,
Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, Viola von Cramon-
Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Zukunft der Westsahara und zur
Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und der von Frente Popular
de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten

Die internationale Gemeinschaft hat bislang im Westsahara-Konflikt versagt.
Das in der UN-Resolution 690 vereinbarte Referendum aus dem Jahr 1991 über
die Zukunft der Westsahara hat immer noch nicht stattgefunden. Seitdem wird
der Westsahara-Konflikt auf dem Rücken der Saharauis ausgetragen. Diese war-
ten in den algerischen Flüchtlingslagern und in der Westsahara auf das Recht,
über ihre Zukunft in einem eigenen Staat abstimmen zu dürfen. Die ungelöste
Situation ist ein Hemmschuh für die Entwicklung der gesamten Region.

Das Gebiet der Westsahara grenzt südlich an das Staatsgebiet des Königreichs
Marokko. Bis 1976 stand es unter spanischer Kolonialherrschaft. Im Jahr 1963
setzten es die Vereinten Nationen (VN) auf die Liste der Hoheitsgebiete ohne
Selbstregierung (non-self-governing territories), deren Entkolonialisierung noch
aussteht, und forderten Spanien in den Folgejahren durch Resolutionen der VN-
Generalversammlung mehrfach zur Durchführung eines von den VN überwach-
ten Referendums über die Selbstbestimmung der Westsahara auf. Auf dieser
Liste steht Westsahara noch heute.

Noch während der spanischen Herrschaft gründeten die Bewohnerinnen und
Bewohner Westsaharas, die Saharauis, zahlreiche Befreiungsorganisationen. Aus
ihnen ging die Frente Popular de Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro
(Frente Polisario) als wichtigste hervor. Als Reaktion darauf entschloss sich die
spanische Regierung zur Entkolonialisierung der Westsahara und beabsichtigte,
dort ein Referendum über die Selbstbestimmung durchzuführen. Gleichzeitig er-
hoben Marokko und Mauretanien Ansprüche auf das Territorium der Westsahara.
Auf Initiative Marokkos und Mauretaniens ersuchte die VN-Generalversamm-
lung den Internationalen Gerichtshof (IGH) im Dezember 1974 um Erstellung
eines Gutachtens zum Status der Westsahara (Resolution 3292 (XXIX) vom

13. Dezember 1974). In seinem Gutachten kam der IGH am 16. Oktober 1975 zu
dem Ergebnis, dass weder Marokko noch Mauretanien zum Zeitpunkt der
Kolonialisierung Westsaharas territoriale Souveränität über das Gebiet ausgeübt
hätten, dass aber durchaus „legal ties of allegiance“ zwischen Marokko und eini-
gen nomadischen Stämmen sowie rechtliche Bindungen zwischen Mauretanien
und der Westsahara bestanden hätten. Als Reaktion hierauf organisierte König
Hassan II. von Marokko am 6. November 1975 einen Marsch von ca. 350 000 un-

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bewaffneten marokkanischen Staatsbürgern über die Grenze in das Gebiet der
Westsahara (sog. Grüner Marsch), um Marokkos Anspruch auf das Gebiet der
Westsahara zu untermauern. Bis 1979 besetzte Marokko schließlich das gesamte
Gebiet. Dem widersetzte sich Frente Polisario gewaltsam. Im Zuge des Konflikts
flohen etwa 160 000 Saharauis aus Westsahara nach Algerien, wo sie nunmehr
zum Teil seit mehr als 30 Jahren in Flüchtlingslagern leben.

Zwischen 1980 und 1987 errichtete Marokko ein mehr als 2 500 km langes
System von Schutzwällen (berms) und teilte somit das Gebiet der Westsahara in
zwei Zonen. Etwa 80 bis 85 Prozent des Gebiets der Westsahara (einschließlich
eines Großteils des fruchtbaren Landes, der Phosphatabbaugebiete, der Ölreser-
ven und der Küstengewässer mit ihren Fischgründen) stehen unter marokkani-
scher Verwaltung. Aufgrund einer massiven Siedlungspolitk ließen sich dort
viele marokkanische Staatsbürgerinnen und -bürger nieder. Heute kommen etwa
200 Siedlerinnen und Siedler auf eine bzw. einen Saharaui.

Nach jahrelangen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Frente Polisa-
rio und dem marokkanischen Militär akzeptierten Marokko und Frente Polisario
1988 die gemeinsamen Vorschläge der VN und der Organisation für Afrikani-
sche Einheit (Organisation of African Unity, OAU, heutige Afrikanische Union,
AU) zur Beilegung der Westsahara-Frage. Diese sahen eine Übergangszeit vor,
in der ein Sonderbeauftragter des VN-Generalsekretärs mit Unterstützung einer
VN-Mission ein Referendum über die Zukunft der Westsahara organisieren
sollte. Die Übergangszeit sollte mit einem von den VN überwachten Waffen-
stillstand beginnen und mit der Verkündung der Ergebnisse des Referendums
enden (Report of the Secretary-General vom 18. Juni 1990 – S/21360 –,
Rn. 47, näher ausgearbeitet im Report by the Secretary-General vom 19. April
1991 – S/22464). Mit Resolution 690 vom 29. April 1991 setzte der VN-Sicher-
heitsrat sodann die VN-Mission für das Referendum in Westsahara (United
Nations Mission for the Referendum in Western Sahara, Mission des Nations
Unies pour l’organisation d’un référendum au Sahara occidental – MINURSO)
entsprechend den Vorschlägen des VN-Generalsekretärs ein. Der Waffenstill-
stand trat am 6. September 1991 nach Ankunft der ersten Militärbeobachter der
MINURSO in Kraft. Die Durchführung des Referendums scheiterte jedoch bis
heute.

Der völkerrechtliche Status der Westsahara ist somit umstritten und eine Lösung
des Konflikts ist nicht in Sicht. Es herrscht weder Krieg noch Frieden. Frente
Polisario tritt – mit Unterstützung Algeriens – für die Schaffung eines unabhän-
gigen Staates ein. Marokko betrachtet die Westsahara hingegen als Teil seines
Staatsgebiets und bietet eine Autonomieregelung an. Fast 20 Jahre nach der UN-
Resolution 690 zu einem Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara
blockiert Marokko dessen Umsetzung und versucht zunehmend, Westsahara als
Rückzugsgebiet des islamistischen Terrorismus zu bezeichnen, um hierdurch
Zustimmung im Kampf gegen Frente Polisario zu gewinnen. Zudem weichen die
internationalen Interessen stark voneinander ab. Frankreich betrachtet sich als
traditioneller Fürsprecher Marokkos, spricht sich für eine Autonomieregelung
unter marokkanischer Souveränität aus und unterstützt den 2007 in Manhasset
in Gang gesetzten Verhandlungsprozess zwischen den Konfliktparteien. Spanien
agiert als ehemalige Kolonialmacht vorsichtig, verweist aber auf die Resolu-
tionen der Vereinten Nationen. Nicht minder vorsichtig agiert die Bundesregie-
rung; sie übt sich in Zurückhaltung. Das US-Außenministerium erklärte eine
Unabhängigkeit der Westsahara für unrealistisch und sprach sich für eine Auto-
nomieregelung aus. Algerien unterstützt Frente Polisario, sieht den Westsahara-
Konflikt nach wie vor offiziell als Problem der Dekolonialisierung, bezeichnet
sich selbst jedoch nicht als Konfliktpartei.
Die Situation in den Gebieten der Westsahara – sowohl in der von Marokko
kontrollierten Zone als auch in den Bereichen, die unter der Verwaltung von

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11453

Frente Polisario stehen – ist von tagtäglichen Menschenrechtsverletzungen ge-
prägt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf den Ruf nach
Selbstbestimmung ist stark eingeschränkt. Saharauische Menschenrechtsver-
teidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger, Aktivistinnen und Aktivisten
sowie andere Personen werden ständigen Schikanen ausgesetzt. Sie werden
streng überwacht, bedroht und von Sicherheitskräften angegriffen. Politisch
motivierte Anklagen sollen sie davon abhalten oder sie dafür bestrafen, ihre
Meinung zu äußern und Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren.
Zudem wird etwa durch das Einziehen von Ausweispapieren ihre Bewegungs-
freiheit stark eingeschränkt, um sie davon abzuhalten, Gerichtsverhandlungen
zu verfolgen, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und sich mit
Ausländerinnen und Ausländern zu treffen. Zahlreiche Saharauis werden wegen
gewalttätigen Verhaltens in Verbindung mit Demonstrationen strafrechtlich ver-
folgt. Die Prozesse entsprechen Berichten zufolge nicht den internationalen
Standards für faire Gerichtsverfahren.

Zur Situation in den von Frente Polisario betriebenen Flüchtlingslagern in
Algerien stehen nur wenige unabhängige Informationen zur Verfügung. Die
humanitären Bedingungen sind jedoch seit mehr als drei Jahrzehnten äußerst
schlecht. Die Flüchtlinge sind vollständig von Hilfsgeldern abhängig.

Die EU und Marokko unterhielten lange ein Fischereiabkommen, das von der
Europäischen Kommission selbst als eines der für die EU wichtigsten Fischerei-
abkommen erachtet wurde. Dem Abkommen zufolge durften Schiffe aus elf
Mitgliedstaaten der EU in den marokkanischen Hoheitsgewässern und dabei
insbesondere in den Gewässern vor der Westsahara fischen. Die Fischbestände
in den Gewässern vor der Küste der Westsahara gehören jedoch nicht Marokko.
Die natürlichen Schätze der Westsahara gehören den Saharauis, die dementspre-
chend ein Mitbestimmungsrecht bezüglich der Erkundung und Ausbeute ihrer
natürlichen Ressourcen haben, das von Seiten der EU beim Abschluss des Fi-
schereiabkommens jedoch nicht beachtet wurde. Die Bundesregierung hat sich
für eine Verlängerung des umstrittenen EU-Fischereiabkommens mit Marokko
stark gemacht, während andere EU-Staaten ihre Zustimmung aufgrund von Be-
denken verweigert hatten. Das Fischereiabkommen wurde unter anderem auf-
grund der völkerrechtlichen Problematik und ökologischer Bedenken vom
Europäischen Parlament am 15. Dezember 2011 nicht verlängert. Fünf von elf
Fischbeständen vor der Küste der Westsahara sind überfischt. Die Zahlungen der
EU an Marokko auf der Grundlage des Abkommens kamen nicht den Interessen
und Belangen der saharauischen Bevölkerung zugute. Ein erneutes Fischerei-
abkommen mit Marokko, das sich auf die Gewässer vor der Westsahara erstreckt,
kann es dementsprechend erst nach einer völkerrechtlichen Anerkennung der
Westsahara unter anderem auch durch die EU geben. Eine solche Anerkennung
ist aber erst nach einem positiven Referendum möglich.

Nicht nur auf dem Gebiet der Fischerei erschwert die ungeklärte völkerrecht-
liche Lage die wirtschaftliche Entwicklung in der Westsahara. Das Königreich
Marokko erhofft sich Einnahmen durch den Export von aus erneuerbaren Ener-
gien gewonnenem Strom nach Europa. Die notwendigen Voraussetzungen hier-
für – Sonne, Wind und Wasserkraft – sind in großem Maße vorhanden. Bei der
Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien auf dem Gebiet der West-
sahara müssen jedoch künftig die Rechte und Ansprüche der saharauischen
Bevölkerung im Hinblick auf die Auswahl der Standorte und die Beteiligung an
den Gewinnen gewahrt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Menschen leben aktuell nach Kenntnis der Bundesregierung in den

von Frente Polisario verwalteten saharauischen Flüchtlingslagern (bitte ein-
zeln auflisten)?

Drucksache 17/11453 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die menschenrechtliche Lage
a) der Flüchtlinge in den von Frente Polisario verwalteten saharauischen

Flüchtlingslagern,
b) der saharauischen Bevölkerung auf dem von Frente Polisario kontrollier-

ten Gebiet der Westsahara,
c) der saharauischen Bevölkerung auf dem von Marokko kontrollierten Ge-

biet der Westsahara?

3. Welche politischen Leitlinien verfolgt die Bundesregierung im Hinblick auf
die Zukunft der Westsahara in der deutschen und europäischen Außen-, Men-
schenrechts-, Energie-, Entwicklungs- und Fischereipolitik?

4. An welchen Entscheidungen zu Westsahara hat die Bundesregierung seit
dem 1. Januar 2011 im UN-Sicherheitsrat mitgewirkt, wie hat sie abgestimmt,
und wie hat sie sich im Rahmen der Verhandlungsprozesse verhalten (bitte
auflisten)?
a) Welche anderen Positionen gab es im Rahmen dieser Verhandlungen, und

von welchen Staaten wurden diese Positionen im Wesentlichen vertreten?
b) Wie waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Rolle und das Abstim-

mungsverhalten Frankreichs in diesen Verhandlungsprozessen?
c) Wie hat sich die Bundesregierung für eine dauerhafte Lösung des Kon-

flikts eingesetzt und sich für die Durchführung des 1991 in der UN-Reso-
lution 690 avisierten Referendums stark gemacht?

d) Aus welchen Gründen scheiterte die Durchführung des Referendums bis
heute?

e) Hat sich die Bundesregierung in diesem Zeitraum im UN-Sicherheitsrat
für eine neue Resolution eingesetzt?

5. Hat sich die Bundesregierung seit dem 1. Januar 2011 im UN-Sicherheitsrat
dafür eingesetzt, dass bei der Mandatsverlängerung die Beobachtung der
Menschenrechtssituation in Westsahara Teil des Mandats der MINURSO
wird?
a) Wenn nein, warum nicht?
b) Wann ja, in welcher Form?
c) Woran ist das Anliegen, die Beobachtung der Menschenrechtssituation in

Westsahara zu einem Teil des MINURSO-Mandats zu machen, bislang
gescheitert?

d) Welche Perspektiven sieht die Bundesregierung für MINURSO und das
ihr zugrunde liegende Mandat in den nächsten Jahren?

6. Welche – über die Verlängerung des MINURSO-Mandats hinausgehenden –
Initiativen haben die Vereinten Nationen seit 1991 ergriffen, um die völker-
rechtliche Situation Westsaharas zu klären sowie die menschenrechtliche
Situation der saharauischen Bevölkerung in den von Marokko verwalteten
Gebieten und die humanitäre Situation in den von Frente Polisario verwalte-
ten Flüchtlingslagern zu verbessern?

7. Welche Entscheidungen in Bezug auf die Westsahara – insbesondere in
Bezug auf die saharauische Bevölkerung, das Gebiet Westsaharas (inklusive
der Hoheitsgewässer und Wirtschaftszonen auf See) und die saharauischen
Flüchtlinge – hat die Bundesregierung seit dem 1. Januar 2010 bilateral, auf
EU-Ebene und auf UN-Ebene getroffen (bitte auflisten)?

8. Welche Maßnahmen im Rahmen der humanitären Hilfe führt die Bundes-
regierung in den saharauischen Flüchtlingslagern durch, und an welchen
Maßnahmen beteiligt sie sich (bitte nach Maßnahme, Laufzeit und Volumen

auflisten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11453

9. Welche Maßnahmen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit führt
die Bundesregierung durch, und an welchen Maßnahmen beteiligt sie sich
(bitte nach Maßnahme, Laufzeit und Volumen auflisten)
a) in den saharauischen Flüchtlingslagern,
b) auf dem von Frente Polisario kontrollierten Gebiet der Westsahara und
c) auf dem von Marokko kontrollierten Gebiet der Westsahara?

10. Wie, durch wen und bei welchen Anlässen hat die Bundesregierung seit
dem 1. Januar 2010 bilateral gegenüber der marokkanischen Regierung eine
Verbesserung der Lage der Menschenrechte und der humanitären Situation
in Westsahara und für die saharauische Bevölkerung angemahnt?

11. Welche Konsequenzen haben aus Sicht der Bundesregierung Vertragsab-
schlüsse zwischen deutschen/europäischen Unternehmen und marokkani-
schen Unternehmen, die westsaharauisches Territorium betreffen, und wie
beurteilt die Bundesregierung diese vor dem Hintergrund des völkerrecht-
lich umstrittenen Status der Westsahara?

12. Welche Entscheidungen in Bezug auf die Westsahara – insbesondere in Be-
zug auf die saharauische Bevölkerung, das Gebiet Westsaharas (inklusive
der Hoheitsgewässer und Wirtschaftszonen auf See) und die saharauischen
Flüchtlinge – hat die EU seit dem 1. Januar 2010 unter Mitwirkung der Bun-
desregierung getroffen?
a) Welche anderen Positionen gab es im Rahmen dieser Verhandlungen,

und von welchen Staaten wurden diese Positionen im Wesentlichen ver-
treten?

b) Wie waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Rolle und das Ab-
stimmungsverhalten Frankreichs in diesen Verhandlungsprozessen?

13. Wie und bei welchen Anlässen hat die Europäische Kommission seit dem
1. Januar 2010 gegenüber der marokkanischen Regierung eine Verbesse-
rung der Lage der Menschenrechte und der humanitären Situation in West-
sahara und für die saharauische Bevölkerung angemahnt, und welche Rolle
spielten die Lage der Menschenrechte und die humanitäre Situation in
Westsahara bei den Verhandlungen über das Fischereiabkommen mit Ma-
rokko?

14. In welcher Form setzt sich die Bundesregierung innerhalb der EU für eine
einheitliche Position zu Marokko und Westsahara ein, bei der die Lage der
Menschenrechte und die humanitäre Situation in Westsahara und für die
saharauische Bevölkerung im Vordergrund stehen?

15. Sind die Verbesserung der Lage der Menschenrechte und der humanitären
Situation in Westsahara und für die saharauische Bevölkerung Teil der
Kooperation des Europarates mit Marokko?
Wenn ja, in welcher Form?
Wenn nein, warum nicht?

16. Welche Rolle spielt nach Kenntnis der Bundesregierung der Westsahara-
Konflikt in dem seit wenigen Jahren andauernden Reformprozess innerhalb
des marokkanischen Staates und Staatsrechts?

17. Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich aus Sicht der Bundesregie-
rung aus diesen Reformprozessen für
a) den völkerrechtlichen Status der Westsahara,
b) die Bevölkerung in den von Marokko verwalteten Gebieten,
c) die Bevölkerung in den von Frente Polisario verwalteten Gebieten,

d) die saharauischen Flüchtlinge in den von Frente Polisario verwalteten

Flüchtlingslagern?

Drucksache 17/11453 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

18. Wie viele Marokkanerinnen und Marokkaner haben sich in den letzten
Jahren nach Erkenntnissen der Bundesregierung in der Westsahara angesie-
delt?
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung im Hinblick auf die marok-
kanischen Bemühungen, eigene Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf
dem Gebiet der Westsahara anzusiedeln?

19. Welche politischen, ökonomischen und kulturellen Maßnahmen ergreift der
marokkanische Staat nach Kenntnisstand der Bundesregierung darüber hi-
naus, um den von ihm verwalteten Teil Westsaharas enger an den eigenen
Staat zu binden?

20. Welche Initiativen hat das Königreich Marokko nach Kenntnisstand der
Bundesregierung seit 1991 ergriffen, um die völkerrechtliche Situation
Westsaharas zu klären sowie die menschenrechtliche Situation der saharau-
ischen Bevölkerung in den von Marokko verwalteten Gebieten und die hu-
manitäre Situation in den von Frente Polisario verwalteten Flüchtlingsla-
gern zu verbessern?

21. Aus welcher völkerrechtlichen Grundlage ergibt sich nach Kenntnis der
Bundesregierung derzeit der Anspruch des Königreichs Marokko, etwa
80 bis 85 Prozent des Gebietes der Westsahara zu verwalten?

22. Inwieweit darf sich nach Kenntnis der Bundesregierung das Königreich
Marokko zur Durchsetzung der von ihm behaupteten Ansprüche militä-
rischer Mittel bedienen?

23. Gibt es Schätzungen über die Kosten der militärischen Besetzung durch
Marokko in der Westsahara?
Wenn ja, welche Quellen werden für diese Schätzungen genutzt zwischen
den von Marokko besetzten und von Frente Polisario kontrollierten Gebie-
ten, und welche Summen werden genannt?
Wie bewertet die Bundesregierung diese Schätzungen?

24. Inwieweit stellt aus Sicht der Bundesregierung die militärische Über-
wachung der Grenze durch Marokko ein Problem dar, insbesondere hin-
sichtlich des völkerrechtlichen Status der Westsahara, aber auch im
Hinblick auf den Transport von Drogen, die aus Lateinamerika kommend
über diese Grenze hinweg ihren Weg nach Europa nehmen?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die seit zwei Jahren andauernde Inhaf-
tierung von 22 saharauischen Gefangenen und Menschenrechtsaktivisten
ohne Anklage im „ZAKI“- Gefängnis von Salé/Rabat?
a) Wie sind nach Kenntnis der Bundesregierung deren Haftbedingungen?
b) Inwiefern kann man nach Kenntnis der Bundesregierung von den 22 In-

haftierten als „politische Gefangene“ sprechen?
c) Inwiefern kann man nach Kenntnis der Bundesregierung von den 22 Ge-

fangenen als Menschenrechtsaktivisten sprechen?
d) Was war nach Kenntnis der Bundesregierung der Anlass der Inhaftie-

rung?
e) Wie lief und läuft nach Kenntnis der Bundesregierung das Verfahren ab?

26. Wie begründet Frente Polisario ihre Vertretungsansprüche für die saharau-
ische Bevölkerung, und wie schätzt die Bundesregierung diese Begründung
ein?

27. Welche Initiativen hat Frente Polisario nach Kenntnisstand der Bundesregie-
rung seit 1991 ergriffen, um die völkerrechtliche Situation Westsaharas zu

klären sowie die menschenrechtliche Situation der saharauischen Bevölke-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11453

rung in den von Marokko verwalteten Gebieten und die humanitäre Situation
in den von Frente Polisario verwalteten Flüchtlingslagern zu verbessern?

28. Welche politischen Aktionen von Frente Polisario oder ihr nahestehenden
Gruppen sind der Bundesregierung bekannt, durch die es zu Menschen-
rechtsverletzungen kam oder die die Spannungen innerhalb des Konflikts
befördert haben?

29. In welcher Form hat sich die Bundesregierung bis zum 15. Dezember 2011
innerhalb der EU dafür eingesetzt, das Fischereiabkommen mit Marokko in
Bezug auf die Nachhaltigkeit der Fischereitätigkeit sowie den Nutzen für
die lokale Bevölkerung zu verbessern?

30. Welche ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Auswirkungen
hatte der Fischfang durch Fischfangflotten der EU vor den Küsten des
Gebiets der Westsahara nach Kenntnis der Bundesregierung auf die lokale
Bevölkerung?

31. Hat sich die Bundesregierung bis zum 15. Dezember 2011 innerhalb der EU
dafür eingesetzt, das Fischereiabkommen mit Marokko so lange nicht zu
verlängern, bis einzelne Regelungen des Abkommens sicherstellen, dass
die Bewohner Westsaharas einen gerechten Anteil an den Fangquoten erhal-
ten?
Wenn nein, warum nicht?

32. Wie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung des Europäischen
Parlaments von Dezember 2011, ein Veto gegen eine Verlängerung des
Fischereiabkommens der EU mit Marokko einzulegen?

33. Unter welchen Voraussetzungen kann und darf – unter Berücksichtigung
der völkerrechtlichen Problematik – nach Ansicht der Bundesregierung
wieder ein Fischereiabkommen, das sich auf die Gewässer vor der West-
sahara erstreckt, zwischen der EU und Marokko abgeschlossen werden?

34. Welche Position nimmt die Bundesregierung bei der Neuverhandlung des
Protokolls für das Fischereiabkommen mit Marokko in Bezug auf die Küs-
tengewässer vor Westsahara ein?
Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Gewässer vor
Westsahara ausgenommen werden?
Falls ja, inwiefern, und falls nein, warum nicht?

35. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch, den völkerrechtlichen
Status der Westsahara einerseits als „unerklärt“ zu bezeichnen (vgl. Antwort
zu Frage 5 in der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8317),
jedoch andererseits völkerrechtliche Verträge abschließen zu wollen, die
sich auf die Gebiete der Westsahara erstrecken?

36. Woraus folgt die Pflicht, dass die lokale Bevölkerung der Saharauis an den
Einnahmen aus dem Fischereiabkommen zwischen der EU und dem König-
reich Marokko erhalten und ihre Belange berücksichtigt werden müssen?
a) Wurde dieser Verpflichtung im Rahmen der bis zum 15. Dezember 2011

gültigen Praxis sowohl von Seiten der EU als auch – nach Kenntnis der
Bundesregierung – von Seiten Marokkos ausreichend Rechnung getra-
gen?

Wenn nein, warum nicht?
b) In welcher Form hat nach Kenntnis der Bundesregierung die lokale Be-

völkerung der Saharauis von dem Fischereiabkommen zwischen der EU
und Marokko konkret profitiert?

Drucksache 17/11453 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

c) In welcher Form war Marokko verpflichtet, gegenüber der EU nachzu-
weisen, dass die Einnahmen aus dem Fischereiabkommen der lokalen
Bevölkerung zu Gute kommen?

Hat das Königreich Marokko diesen Nachweis stets ausreichend er-
bracht?

37. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass die EU-Mitgliedstaa-
ten am 14. Januar 2012 beschlossen, Verhandlungen mit Marokko über eine
„weitreichende und umfassende Freihandelszone (Deep and comprehensive
Free Trade Agreement: DCFTA)“ aufzunehmen, obwohl sich eine solche
Vertiefung der EU-Handelspolitik mit Marokko auch auf die besetzten Ge-
biete der Westsahara erstrecken könnte und damit für Unternehmen aus der
EU wirtschaftliche Aktivitäten jeglicher Art möglich werden könnten, und
wie hat die Bundesregierung diese Abstimmung gegebenenfalls begleitet?

38. Hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, das im Februar 2012 vom
Europäischen Parlament beschlossene und am 1. Juli 2012 in Kraft getre-
tene Freihandelsabkommen über landwirtschaftliche Erzeugnisse zwischen
der EU und Marokko, welches eine Gültigkeit für die besetzten Gebiete der
Westsahara nicht ausdrücklich ausschließt, zu verhindern?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

39. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass durch dieses
neue Agrarabkommen (siehe Frage 37) Produkte aus den besetzten Gebie-
ten der Westsahara auf den europäischen Markt gelangen (z. B. Tomaten),
ohne dass sie als solche erkennbar sind, sondern vom marokkanischen
Landwirtschaftsministerium mit dem Etikett „Marokko“ versehen werden
und damit gegen eine der Schlüsseldirektiven der EU, die den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern zusichert, bezüglich des Herkunftslandes der
Produkte wahrheitsgetreu informiert zu werden, verstößt (vgl. WestSahara-
ResourceWatch – WSRW – vom 18. Juni 2012 „EU-Konsumenten unter-
stützen unwissentlich die Besetzung der Westsahara“)?

40. Wird die Rohstoffausbeutung Marokkos (vor allem von Phosphor) in
Westsahara von der Bundesregierung gegenüber dem Königreich Marokko
thematisiert?
a) Wie bewertet die Bundesregierung den Rohstoffabbau auf dem Gebiet

Westsaharas insbesondere aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten?
b) Inwieweit wird nach Kenntnis der Bundesregierung die lokale Bevöl-

kerung an den Erlösen aus der Rohstoffgewinnung beteiligt?
c) Welche ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Auswirkungen

hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Rohstoffgewinnung in West-
sahara auf die lokale Bevölkerung?

41. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Rohstoffabbau in
Westsahara, und aus welchen Ländern stammen nach Kenntnis der Bundes-
regierung die Unternehmen, die dort im Rohstoffabbau tätig sind?
Inwieweit profitiert die saharauische Bevölkerung aus Sicht der Bundesre-
gierung von den Rohstofferlösen?
Inwieweit setzt sich die Bundesregierung bei der marokkanischen Regie-
rung dafür ein, dass diese Erlöse öffentlich gemacht werden?
Welche Belege sind der Bundesregierung bekannt, die nachweisen, dass es
Zahlungen an das Volk der Westsaharauis gibt?

42. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum „Plan Solaire“ von

Marokko, insbesondere im Hinblick auf Projekte auf dem Gebiet Westsaha-
ras?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/11453

43. Sind im Rahmen des Konzeptes der DESERTEC Foundation Projekte auf
dem Gebiet der Westsahara geplant?
a) Wenn ja, wo?
b) Inwieweit werden dabei die Belange der lokalen Bevölkerung der Saha-

rauis berücksichtigt?
c) Inwieweit sollen die Einnahmen der lokalen Bevölkerung zu Gute kom-

men?
d) Inwieweit wird die völkerrechtliche Situation Westsaharas dabei berück-

sichtigt?

44. Welche sonstigen Projekte im Bereich erneuerbare Energien außer der
DESERTEC Foundation unterstützt die Bundesregierung oder die EU in der
Westsahara?

45. Welche Erkenntnisse und welche Position hat die Bundesregierung zum
Anfang 2012 von der Siemens Aktiengesellschaft (AG) angekündigten Wind-
kraftwerk in Foum El Oued, das sich nicht auf marokkanischem, sondern auf
westsahrauischem Gebiet befindet, und wie steht sie zu dem Vertrags-
abschluss der Siemens AG mit Marokko vor dem Hintergrund der Ansprü-
che, die Marokko auf das Gebiet erhebt, und des völkerrechtlich umstrittenen
Status der Westsahara?

46. Welche Auswirkungen hatten die politischen Ereignisse des sogenannten
arabischen Frühlings im Jahr 2011 auf die politischen und gesellschaft-
lichen Prozesse in und um Westsahara?

47. Aus welchen Gründen ist es nach Ansicht der Bundesregierung trotz dieser
einschneidenden Ereignisse in zahlreichen nordafrikanischen und arabi-
schen Staaten nicht auch zu einem politischen Wandel in dem Gebiet West-
saharas gekommen?

48. Wie schätzt die Bundesregierung die Situation der jungen Generation der
Westsaharauis ein, und welche Erkenntnisse hat sie im Hinblick darauf,
dass Vertreterinnen und Vertreter der jungen Generation angesichts der fest-
gefahrenen Lage und empfundenen Ausweglosigkeit zunehmend die Op-
tion eines bewaffneten Widerstands diskutieren?

49. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass angesichts dieser
Aussichtslosigkeit und der anhaltenden Repressionen durch Marokko
Frente Polisario möglicherweise Verbindungen zu Organisationen wie Al-
Qaida im islamischen Maghreb eingehen könnte, um so auf ihre Lage auf-
merksam zu machen?

50. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass sich die Sicherheitslage in
den Flüchtlingslagern der Westsaharauis, beispielsweise an der Grenze zu
Algerien, verschlechtert hat vor dem Hintergrund, dass im vergangenen
Jahr Mitarbeiter einer spanischen Hilfsorganisation entführt wurden?

51. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass sich die Instabilität in
der Region, insbesondere aufgrund der Situation in Mali und Libyen, auch
auf das Gebiet der Westsahara ausbreitet?

52. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rolle Algeriens im Westsahara-Kon-
flikt?

Berlin, den 6. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und die Fraktion

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