BT-Drucksache 17/11325

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes

Vom 6. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11325
17. Wahlperiode 06. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan Mayer
(Altötting), Reinhard Grindel, Michael Grosse-Brömer, Günter Baumann, Manfred
Behrens (Börde), Clemens Binninger, Wolfgang Bosbach, Helmut Brandt, Michael
Frieser, Dr. Franz Josef Jung, Günter Lach, Stefan Müller (Erlangen), Armin
Schuster (Weil am Rhein), Ingo Wellenreuther, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt
und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff (Rems-
Murr), Manuel Höferlin, Jimmy Schulz, Serkan Tören, Stephan Thomae, Sebastian
Blumenthal, Marco Buschmann, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des
Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener
Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung)
KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12

hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3
Satz 1 des Grundgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich die Europäische Kommission eine
umfassende Reform des europäischen Datenschutzrechts zum Ziel gesetzt hat.
Die am 25. Januar 2012 vorgeschlagene Verordnung zum Schutz natürlicher
Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Daten-
verkehr (Datenschutz-Grundverordnung – KOM(2012) 11 endg.) zielt auf eine
weitere Harmonisierung des Datenschutzrechts in der Europäischen Union.

Die geltende Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG ist von den Mitgliedstaaten
unterschiedlich umgesetzt worden, so dass ein einheitliches Schutzniveau inner-
halb der Europäischen Union bislang nicht erreicht worden ist. Hinzu kommt,
dass auch die Auslegung und der Vollzug durch die Datenschutzaufsichtsbehör-
den der Mitgliedstaaten nicht einheitlich erfolgen. Die fehlende Harmonisierung
im (nichtöffentlichen) Bereich der Wirtschaft führt zu Wettbewerbsverzerrun-

gen im Binnenmarkt und ermöglicht Unternehmen eine an der jeweils günstigs-
ten Regelungs- und Vollzugslage ausgerichtete Standortwahl (forum shopping).
Eine stärkere Harmonisierung im nichtöffentlichen Bereich führt daher nicht
nur im europäischen Rahmen zu mehr Klarheit und Wettbewerbsgleichheit. Sie
ist auch Voraussetzung für eine bessere Durchsetzung europäischer Daten-
schutzstandards gegenüber Anbietern aus Drittstaaten. Der Deutsche Bundestag
betont, dass mit deutschem Datenschutzrecht allein kein wirksamer Schutz vor

Drucksache 17/11325 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

global aus Drittstaaten heraus agierenden Unternehmen bewirkt werden kann
und begrüßt die Anwendbarkeit der Vorschläge gegenüber Anbietern in Dritt-
staaten. Er begrüßt ferner das gewählte Rechtsinstrument einer Verordnung für
den privaten Bereich.

Die geltenden Datenschutzvorgaben in der Richtlinie 95/46/EG aus dem Jahre
1995 können auf viele Fragen des Internetzeitalters nur unzureichend Antwort
geben. Durch den technischen Fortschritt des vergangenen Jahrzehnts in nahezu
allen Bereichen des Alltags ist ein besonderer Änderungsbedarf entstanden. Ins-
besondere die breite Nutzung des Internets erfordert eine Anpassung des gelten-
den Datenschutzrechts. Die vorgeschlagene Datenschutz-Grundverordnung
muss sich daher auch daran messen lassen, inwieweit sie dies leisten kann, ohne
dabei das Innovationspotential des Internets zu beeinträchtigen. Sie muss
Grenzen setzen und gleichzeitig Chancen des vernetzten Miteinanders im Infor-
mationszeitalter wahren. Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte im Internet
und in den „klassischen“ Kommunikationsbereichen erfordern differenzierte
Regeln des Datenschutzes. Legitimen Geschäftsmodellen darf die datenschutz-
rechtliche Grundlage nicht entzogen werden.

Die von der Kommission vorgeschlagene Datenschutz-Grundverordnung gilt
jedoch nicht nur für den Datenschutz im Internet. Es sollte daher unbedingt ver-
mieden werden, die klassische nichtdigitale Wirtschaft mit unpassenden Nor-
men zu überziehen. Bei der Ausgestaltung des neuen europäischen Daten-
schutzrechts muss dafür Sorge getragen werden, dass ausgewogene Regelungen
geschaffen werden, die online wie offline umsetzbar und praktikabel sind.

Der Deutsche Bundestag betont zudem, dass der von der Kommission vor-
gelegte Entwurf noch zahlreiche Fragen, insbesondere zu unbestimmten
Rechtsbegriffen, aufwirft und erheblicher Erörterungsbedarf auch in grundsätz-
licher Hinsicht besteht. Er wünscht sich eine breite und sorgfältige öffentliche
Diskussion.

II. Der Deutsche Bundestag nimmt zu den Vorlagen gemäß § 9 des Gesetzes
über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union wie folgt Stellung:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass auf europäischer Ebene ein modernes Daten-
schutzrecht geschaffen wird, das die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen
in allen Kommunikationsformen effektiv schützt und dabei die berechtigten
Belange aller Beteiligten berücksichtigt und ein hohes Schutzniveau gewähr-
leistet,

2. darauf hinzuwirken, dass eine klare Differenzierung zwischen Datenver-
arbeitungen im öffentlichen Bereich einerseits und im nichtöffentlichen
Bereich andererseits erfolgt, die der unterschiedlichen verfassungsrecht-
lichen Ausgangslage Rechnung trägt, wonach der Staat Grundrechtsver-
pflichteter, die Bürgerinnen und Bürger hingegen Grundrechtsträger sind,

3. für den nichtöffentlichen Bereich durch eine starke Harmonisierung gleiche
Wettbewerbsbedingungen in Europa anzustreben, die technik- und bran-
chenneutral sind,

4. sich dafür einzusetzen, dass ein einheitliches Datenschutzrecht die Wett-
bewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen stärkt, indem Bürokratie abge-
baut wird, und ein angemessener Ausgleich zwischen den Schutzinteressen
der Betroffenen und dem bürokratischen Aufwand gerade für weniger risiko-
behaftete Datenverarbeitungen, insbesondere bei kleineren und mittleren

Unternehmen, gewährleistet ist,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11325

5. sich insbesondere im öffentlichen Bereich für den Erhalt nationaler Rege-
lungsspielräume einzusetzen, um nationale Regelungen im bereichsspezifi-
schen Datenschutz beizubehalten oder erlassen zu können,

6. sich für Regelungen einzusetzen, die dem Verhältnis zwischen dem Grund-
recht auf informationelle Selbstbestimmung und möglicherweise kollidie-
renden Grundrechten, wie der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit,
der Pressefreiheit, der unternehmerischen Freiheit oder der Forschungs-
freiheit sowie dem Recht auf Eigentum, ausreichend Rechnung tragen,

7. in den Verhandlungen zu verdeutlichen, dass die bisherigen Regelungen
einer Datenverarbeitung im Drittinteresse nach dem bewährten deutschen
Datenschutzrecht beibehalten werden,

8. unter Beachtung der großen Bedeutung der Freiwilligkeit der Einwilligung
auf praxisgerechte Regelungen zur Einwilligung und zum Widerspruch zu
achten und dabei ebenfalls zu berücksichtigen, dass auch in Fällen eines
Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnern, die wirksame Ein-
willigung nicht zwingend ausgeschlossen ist,

9. sich dafür einzusetzen, dass das im nationalen Recht existierende Kopp-
lungsverbot seine Gültigkeit behält,

10. den Schutz bei der Verarbeitung besonders sensibler Daten, wie etwa im
Gesundheits- oder Sozialbereich, im Blick zu behalten und sich dafür ein-
zusetzen, dass das hohe nationale Schutzniveau nicht eingeschränkt wird,

11. sich für eine Aufnahme von Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen
innerhalb einzelner Branchen als Rechtfertigungsgrundlage für die Daten-
verarbeitung neben der bislang vorgesehenen Einwilligung und gesetz-
lichen Ermächtigungsnormen einzusetzen,

12. auf die Aufnahme einer umfassenden Regelung zum Konzerndatenschutz
hinzuwirken und unter Beibehaltung eines hohen Datenschutzniveaus da-
bei auch die unternehmens- beziehungsweise konzerninterne Datenüber-
mittlung in und aus Drittstaaten bei international aufgestellten Unterneh-
men zu berücksichtigen,

13. darauf hinzuwirken, dass die Ermächtigungen für die Kommission zum
Erlass delegierter Rechtsakte und zu Durchführungsbeschränkungen deut-
lich reduziert werden und insbesondere den Vorgaben des Artikels 290
Absatz 1 Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(Wesentlichkeitsgrundsatz) genügt und die Verwendung unbestimmter
Rechtsbegriffe soweit wie möglich vermieden wird,

14. sich für ein Verfahren einzusetzen, das auf einen einheitlichen Vollzug in
der Europäischen Union hinwirkt und dabei aber auch praktisch realisierbar
ist und die Aufsichtsbehörden nicht durch einen überbordenden Bürokratie-
aufwand belastet und die alleinige Auslegung des Rechtsaktes nicht der
Kommission überlässt, sondern die Unabhängigkeit der Datenschutzbehör-
den wahrt,

15. sich dafür einzusetzen, dass das begrüßenswerte Konzept eines alleinigen
Ansprechpartners in einer praktikablen Weise umgesetzt wird und dabei
auch ein bürgernaher Rechtsschutz gewährleistet wird,

16. darauf hinzuwirken, dass Vorgaben zur datensparsamen Gestaltung von
Datenverarbeitungssystemen und -prozessen sowie weitere Mechanismen
insbesondere des technischen Datenschutzes wie Anonymisierung, Pseudo-
nymisierung, Selbst- und Systemdatenschutz aufgenommen werden und
hierbei etablierte und auch neue Verfahren der Standardisierung und Zerti-

fizierung zur Anwendung kommen können,

Drucksache 17/11325 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
17. sich für eine angemessene Ausgestaltung der für einen modernen Daten-
schutz bedeutsamen und in der europäischen Datenschutz-Grundverord-
nung erwähnten Instrumente der Selbstregulierung, Datenschutzfolgeab-
schätzungen und Zertifizierungsverfahren einzusetzen,

18. sich für Regelungen einzusetzen, die zwischen den die Persönlichkeits-
rechte der Betroffenen weniger und stärker gefährdenden Datenverarbei-
tungen angemessen differenzieren, indem etwa bei der Bildung von um-
fassenden Persönlichkeitsprofilen eine ausdrückliche Einwilligung oder
gesetzliche Grundlage zur Voraussetzung gemacht wird,

19. sich für am fairen Interessenausgleich zwischen Verbraucherinteressen und
Wettbewerbsinteressen ausgerichtete Regelungen einzusetzen und das
Recht auf Datenportabilität in einer Weise auszugestalten, die dem berech-
tigten Interesse an der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
ebenso Rechnung trägt und zugleich Innovation nicht behindert,

20. sich für praktisch umsetzbare Regelungen einzusetzen, die einen Mehrwert
gegenüber dem bereits im nationalen Recht bestehenden Löschungs-
anspruch darstellen,

21. sich Vorschlägen entgegenzustellen, mit denen das in Deutschland be-
stehende und bewährte System der Beauftragten für den Datenschutz in
Unternehmen und der Verwaltung gefährdet wird, insbesondere der Herauf-
setzung der für die Verpflichtung zur Bestellung eines betrieblichen Daten-
schutzbeauftragten relevanten Schwelle von derzeit zehn auf 250 Mitarbei-
ter eines Unternehmens,

22. auf eine Änderung der vorgeschlagenen Regelung dahingehend hinzu-
wirken, dass das bewährte System der betrieblichen Selbstregulierung bei
der Vorabkontrolle riskanter Datenverarbeitungen durch den betrieblichen
Datenschutzbeauftragten erhalten bleibt,

23. sich für eine Berücksichtigung des Scorings in der Datenschutz-Grundver-
ordnung einzusetzen, so dass sowohl dem Grundsatz der Direkterhebung
und dem Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an Information,
Nachvollziehbarkeit und dem Schutz vor unangemessener Benachteiligung
als auch dem wirtschaftlichen Interesse an diesem Verfahren Rechnung ge-
tragen wird,

24. sich gegen die Einführung einer Verbandsklage für Datenschutzbehörden
und Verbände zu wenden,

25. sich für die Gleichbehandlung der Institutionen der Europäischen Union
mit den nationalen öffentlichen Institutionen einzusetzen, damit für natio-
nale und europäische Institutionen kein unterschiedlicher Rechtsstandard
gilt,

26. sich für eine angemessene Inkrafttretens- und Übergangsregelung einzu-
setzen, die allen Beteiligten ausreichend Zeit und Rechtssicherheit bietet.

Berlin, den 6. November 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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