BT-Drucksache 17/10948

Menschenrechtsverletzungen in der indischen Textilindustrie - Das Sumangali-System als moderne Form der Sklaverei

Vom 9. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10948
17. Wahlperiode 09. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Marieluise Beck
(Bremen), Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Britta Haßelmann,
Thilo Hoppe, Katja Keul, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtsverletzungen in der indischen Textilindustrie –
Das Sumangali-System als moderne Form der Sklaverei

Medienberichte aus diesem und dem letzten Jahr (ZDF, Volle Kanne, „Hunger-
löhne für Billigklamotten“ vom 28. März 2012; DIE ZEIT: „Sklavin für vier
Jahre“ vom 22. März 2012) haben offenbart, dass die Textilindustrie in Indien
einen Teil ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter in sklavenähnliche Verhältnisse
drängt.

Zahlreiche indische Mädchen und Frauen, bekannt als „Sumangali“, verpflich-
ten sich, für drei bis vier Jahre in Textilfabriken oder Baumwollspinnereien zu
arbeiten. Größtenteils werden ihnen falsche Versprechungen über die Arbeitsbe-
dingungen gemacht. Die Vergütung der „Sumangali“ für einen Tag liegt deutlich
unter dem indischen Mindestlohn und beträgt in der Regel unter 60 Cent. Die
Bezahlung erfolgt nur, wenn die vollständige Vertragslaufzeit (drei bis vier
Jahre) abgearbeitet wurde. Die Mädchen und Frauen arbeiten oft mehr als zwölf
Stunden am Tag und dürfen das Fabrikgelände nicht frei verlassen. Oftmals
leben sie in Baracken, sieben Mädchen in einem Zimmer, ohne Betten und ohne
Privatsphäre. Viele von ihnen werden geschlagen, gedemütigt und erhalten nur
selten ausreichend Nahrungsmittel. Überstunden werden nicht bezahlt und ein-
tägige Krankheitsfälle führen zuweilen dazu, dass die Frauen und Mädchen
einen ganzen Monat umsonst nacharbeiten müssen (ZDF, DIE ZEIT ebd.).

Diese Arbeitsverhältnisse erfüllen den Tatbestand der Sklaverei gemäß Artikel 1
des Übereinkommens betreffend die Sklaverei sowie den Tatbestand der
Zwangsarbeit gemäß Artikel 2 des ILO-Übereinkommens 29 (ILO = Internatio-
nal Labour Organization) über Zwangs- oder Pflichtarbeit und verstoßen damit
gegen Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Zwar verbietet
auch das indische Recht derartige Zwangsverhältnisse, dennoch existieren in
Indien zahlreiche Produktionsstätten, in denen solche Arbeitsverhältnisse be-
stehen. Nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen sind aktuell

ca. 120 000 oftmals minderjährige Frauen als „Sumangali“ tätig.

Die von der Bundesregierung geförderte Kampagne „aktiv gegen Kinderarbeit“
schreibt: „Über das Sumangali-Schema wurde in dem im Mai 2011 veröffent-
lichten Bericht Captured by Cotton des niederländischen SOMO Forschungs-
zentrums für multinationale Unternehmen und des Indien Komitees der Nieder-
lande ausführlich berichtet. Für den Report wurden vier Textilfabriken unter-
sucht. In diesen sollen auch für die Firmen ASOS, Bestseller, C&A, Grupo

Drucksache 17/10948 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Cortefiel, H&M, Mothercare, Next, Primark und Tesco produziert worden sein.“
(www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de/2012/03/versprechen-aus-watte-hm-primark-
und-ca-in-der-kritik/)

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die „Sumangali“ in Indien?

a) In welchen indischen Bundesstaaten gibt es diese Arbeitsverhältnisse?

b) Wie viele Menschen sind davon betroffen?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, inwiefern deutsche
oder europäische Unternehmen in diesen Regionen Textilien produzieren
lassen oder im Rahmen ihrer Zulieferketten auf dort produzierte Textilien
zurückgreifen, sie einführen, weiterverarbeiten oder sie verkaufen?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob Textilien, die an
deutsche und europäische Unternehmen geliefert werden, von „Suman-
gali“-Mädchen und -Frauen hergestellt wurden?

4. Welche in Deutschland tätigen Unternehmen importieren oder verkaufen
nach Kenntnis der Bundesregierung Waren, an denen Unternehmen, die
„Sumangali“-Mädchen und -Frauen beschäftigen, beteiligt waren?

5. Welche Informationen hat die Bundesregierung über Importe von Waren
durch H&M, C&A, Kik, Lidl und der METRO-Gruppe, die in Betrieben,
die „Sumangali“-Mädchen und -Frauen beschäftigen, hergestellt oder wei-
terverarbeitet wurden?

6. Inwieweit thematisiert die Bundesregierung diese sklavereiähnlichen Ver-
hältnisse gegenüber den indischen Partnerinnen und Partnern, und inwiefern
wirkt sie in bilateralen Gesprächen auf die indische Regierung ein, um diese
abzuschaffen?

7. Welche Rolle spielt die Stärkung von Mädchen und Frauen im Rahmen der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Indien?

8. Inwieweit sind die Zustände in der indischen Textilindustrie Thema bei den
Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen Indien und der
Europäischen Union?

9. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um zu vermeiden,
dass Waren nach Deutschland importiert werden, die unter Sklavereibedin-
gungen des Sumangali-Systems hergestellt wurden?

10. Welche Erkenntnisse zieht die Bundesregierung aus dem Brand in einer
Textilfabrik im pakistanischen Karachi am 12. September 2012, bei dem
über 250 Menschen starben, und wie schätzt sie vor diesem Hintergrund die
Sicherheitslage und den Arbeitsschutz in der indischen Textilindustrie ein?

11. Inwieweit problematisiert die Bundesregierung das Thema in der Zusam-
menarbeit und der Abstimmung mit anderen europäischen Staaten und auf
europäischer Ebene?

12. Wie versucht die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit EU-Institutionen,
vor allem der Europäischen Kommission, Wege zur Lösung der Sumangali-
Problematik zu finden?

Berlin, den 9. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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