BT-Drucksache 17/10640

Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts retten

Vom 10. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10640
17. Wahlperiode 10. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck
(Bremen), Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele,
Arfst Wagner (Schleswig) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch-
palästinensischen Konflikts retten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In einem langwierigen und schwierigen Prozess hat sich ein internationaler
Konsens darüber gebildet, dass der israelisch-palästinensische Konflikt in der
Form zweier nebeneinander existierender Staaten geregelt werden sollte. Es
gibt entsprechende Beschlüsse der EU und des UN-Sicherheitsrates. In einer
Rede an der Bar-Ilan-Universität hat sich am 14. Juni 2009 auch der israelische
Ministerpräsident, der diese Art der Konfliktregelung bis dahin abgelehnt hatte,
zur Zwei-Staaten-Regelung bekannt.

Dieser weitgehend konsensualen Beschlusslage auf internationaler Ebene steht
jedoch in dem geografischen Raum, in dem sich der Konflikt abspielt, eine
ganze Reihe von Entwicklungen gegenüber, die die Realisierung einer Zwei-
Staaten-Struktur immer weniger wahrscheinlich werden lassen:

• Sowohl innerhalb der israelischen wie innerhalb der palästinensischen Ge-
sellschaft sind zwar Mehrheiten für eine Zwei-Staaten-Regelung des Kon-
flikts. Gleichzeitig ist aber auch die Mehrheit der Bevölkerung in beiden
Gesellschaften davon überzeugt, dass die jeweils andere Seite eine solche
Regelung nicht will bzw. dass die politische Führung der jeweils anderen
Seite eine solche Regelung entweder nicht will oder nicht durchsetzen kann.

• Dies hat auf israelischer Seite zu einer deutlichen Schwächung derjenigen
politischen Kräfte geführt, die sich aktiv für eine Zwei-Staaten-Regelung
eingesetzt haben. Außerdem kam es zum Teil zu deutlichen Entpolitisie-
rungstendenzen und selbst in den innerisraelischen Krisen und Konflikten
wird der israelisch-palästinensische Konflikt sowie die israelische Besat-
zung weitgehend ausgeblendet, wie die großen Sozialproteste im Sommer
2011 gezeigt haben.
• Auf palästinensischer Seite steigt die Bedeutung der sogenannten Popular
Resistance Committees, in denen sich vornehmlich junge Aktivisten und
Aktivistinnen mit bewusstem Bezug zu dem Konzept der Gewaltfreiheit für
die Rechte der Palästinenser und Palästinenserinnen einsetzen. Auch für sie
ist jedoch die Zwei-Staaten-Struktur keine realistische Perspektive mehr. Ihr
politischer Kontext ist vielmehr der Kampf um gleiche Rechte in einem
Staat, der sich ihrer Einschätzung nach ohnehin mehr und mehr herausbildet.

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• Die israelische Regierung schafft mit ihrer Weigerung, den Siedlungspro-
zess während bilateraler Verhandlungen ruhen zu lassen sowie mit der sys-
tematischen Behinderung struktureller Entwicklungen in den sogenannten
C-Gebieten der Westbank ständig neue Fakten bzw. zementiert bestehende
Fakten, die die Entstehung eines lebensfähigen und unabhängigen palästi-
nensischen Staates zunehmend verunmöglichen.

Nur die Zwei-Staaten-Konzeption gibt aber Antworten auf entscheidende
Aspekte des israelisch-palästinensischen Konflikts:

• Nur die Zwei-Staaten-Konzeption gibt eine Antwort auf die nationalen Am-
bitionen beider Seiten.

• Nur die Zwei-Staaten-Regelung wird es ermöglichen, das entsprechend dem
Willen der überwiegenden Mehrheit der jüdischen Bevölkerung Israels der
Staat Israel als Staat mit jüdischer Mehrheit fortbestehen kann und dabei
gleichzeitig demokratisch ist bzw. sich weiter demokratisieren kann.

• Nur die Zwei-Staaten-Konzeption ist geeignet, die religiös besetzten
Aspekte des Konfliktes einzuhegen und den Konflikt auf der Grundlage
eines territorialen Kompromisses zu regeln und damit auf eine mit weniger
Gewalt behaftete Ebene zu transformieren.

• Nur das Zwei-Staaten-Konzept wird es ermöglichen, mit Unterstützung der
internationalen Gemeinschaft die bestehende Asymmetrie zwischen den
Konfliktparteien soweit zu relativieren, dass eine faire Regelung der An-
sprüche in Angriff genommen werden kann.

Der Gegensatz von der internationalen Forderung nach einer Regelung des israe-
lisch-palästinensischen Konflikts in der Struktur einer Zwei-Staaten-Regelung
und lokalen Zweifeln und Widerständen gegen dieses Konzept bei gleichzei-
tigem Fehlen eines alternativen Regelungskonzeptes, das Antworten auf zen-
trale Fragen des Konfliktes geben kann, schafft eine Situation, in der Abwarten
die bestehenden Konflikte verschärfen wird.

Doch im Moment deutet nichts darauf hin, dass Bewegung in die festgefahrene
Situation kommt. Die USA befinden sich im Wahlkampf. Die Palästinenser
haben mit dem Brief des Präsidenten Mahmud Abbas an den israelischen Minis-
terpräsidenten Benjamin Netanyahu dargelegt, unter welchen Bedingungen sie
nur zur Wiederaufnahme von Verhandlungen bereit sind. Die Antwort von
Benjamin Netanyahu hat keine neuen Verhandlungsperspektiven aufgezeigt. Ob
und wann es zu einer Überwindung der innerpalästinensischen Spaltung zwi-
schen Fatah und Hamas kommt, ist weiterhin unklar. Die Staaten der EU sind
zwar in der Lage, gemeinsame Positionen zum israelisch-palästinensischen Kon-
flikt zu formulieren, aber bei der Umsetzung dieser Positionen in eine gemein-
same Politik kommt es zu mehr oder weniger großen Problemen.

Angesichts der beschriebenen Situation ist dringendes Handeln aber geboten,
wenn das Konzept der Zwei-Staaten-Regelung nicht zu einer leeren Hülle ver-
kommen soll, weil es nicht mehr realisierbar ist oder an die Realisierbarkeit
immer weniger Beteiligte glauben. Dabei muss nach Handlungsmöglichkeiten
auch jenseits von Wahlkampfterminen gesucht werden. Das ist auch deshalb
wichtig, weil im US-amerikanischen Wahlkampf das Thema Israel in immer
stärker religiös aufgeladener und immer irrationalerer Art und Weise instru-
mentalisiert wird. Der EU und innerhalb der EU Deutschland kommen bei den
weiteren diplomatischen Schritten zu einer Regelung des israelisch-palästinen-
sischen Konfliktes eine wichtige Bedeutung zu. Sie müssen unabhängig von
laufenden Wahlkämpfen diplomatische Initiativen vorbereiten, an die die neu
gewählte Administration in den USA dann anknüpfen kann. Denn es steht
außer Frage, dass eine Regelung des israelisch-palästinensischen Konfliktes

ohne eine aktive Unterstützung und Begleitung der Konfliktparteien wie auch

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der US-Administration nicht denkbar ist. Die diplomatischen Schritte müssen
deshalb sowohl gegenüber der US-Administration wie auch gegenüber den
Konfliktparteien kontinuierlich erläutert und transparent gemacht werden.

Eine wichtige Ebene für diplomatische Initiativen sind die Vereinten Nationen.
Im September vergangenen Jahres haben die Palästinenser beim UN-Sicher-
heitsrat einen Antrag auf Anerkennung Palästinas als 194. Staat der UNO ein-
gebacht. Dieser Antrag wurde bislang nicht behandelt, da für eine zustimmende
Empfehlung an die Generalversammlung mindestens 10 der 15 Mitglieder des
UN-Sicherheitsrates zustimmen müssen und keines der vetoberechtigten Mit-
glieder ein Veto einlegen darf. Bislang gibt es aber noch nicht einmal 10 Mit-
glieder des UN-Sicherheitsrates, die der Aufnahme Palästinas in die UNO be-
reit sind zuzustimmen. Zudem haben die USA ein Veto für den Fall einer Ab-
stimmung angekündigt.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Vollmitgliedschaft des Staates Paläs-
tina in den Unterorganisationen der UNO.

Er begrüßt daher die Aufnahme des Staates Palästina in die UNESCO im ver-
gangenen Jahr und bedauert, dass die Bundesregierung diesen Antrag abgelehnt
hat.

In der Generalversammlung würden die Palästinenser für einen Antrag auf An-
hebung des Status ihrer Vertretung auf den sogenannten Vatikan-Status eine
Mehrheit bekommen. Einige der internationalen Partner, etwa Frankreich, aber
auch Teile der palästinensischen Führung hatten daher dafür plädiert, diesen so-
genannten Vatikan-Status über die Generalversammlung der UNO in einem
ersten Schritt anzustreben und erst danach die Entscheidung vor dem UN-Si-
cherheitsrat zu suchen. Um einer solchen Entscheidung allerdings die notwen-
dige Symbolkraft zu verlangen, kommt es darauf an, dass die Staaten der EU
sich auf ein einheitliches zustimmendes Votum einigen. Angesichts des drohen-
den Vetos der USA im Sicherheitsrat sollte daher dieser Vorschlag von der
Bundesregierung wieder aufgegriffen werden. Sie sollte für den Fall, dass ein
solcher Antrag in die UN-Vollversammlung eingebracht wird, diesen gemein-
sam mit den EU-Partnern unterstützen.

Um Bewegung in den in der Sackgasse steckenden Verhandlungsprozess zu
bringen, sollte der UN-Sicherheitsrat außerdem eine Resolution verabschieden,
die klare Rahmenbedingungen für die Verhandlungen um einen endgültigen
Status beinhaltet. Für diese Resolution kann auf die Erklärung der E3-Staaten
(Großbritannien, Frankreich, Deutschland) zurückgegriffen werden, die diese
am 18. Februar 2011 bei der Abstimmung über eine Resolution gegen die israe-
lische Siedlungspolitik abgegeben haben. Diese Erklärung, die sich selbst auf
die Beschlüsse des Europäischen Rates vom Dezember 2009 und vom Dezem-
ber 2010 bezieht, nennt folgende Rahmenbedingungen für einen Erfolg von
Verhandlungen:

• Einvernehmen über die Grenzen der beiden Staaten auf der Grundlage der
Grenze von 1967 mit einem einvernehmlich beschlossenen äquivalenten
Austausch von Land.

• Einvernehmen über Sicherheitsarrangements, die die palästinensische Sou-
veränität respektieren und deutlich machen, dass die israelische Besatzung
beendet ist und die gleichzeitig die Sicherheit der Israelis schützen, das Wie-
deraufleben von Terrorismus verhindern sowie wirksam mit neuen und sich
abzeichnenden Bedrohungen umgehen können.

• Einvernehmen über eine gerechte, faire und einmütige Lösung der Flücht-
lingsfrage.

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• Einvernehmen über die Erfüllung der Bestrebungen beider Parteien im Blick
auf Jerusalem in einer Art und Weise, dass der Status von Jerusalem als
künftige Hauptstadt beider Staaten geklärt wird.

Außerdem sollte eine solche Resolution des UN-Sicherheitsrates folgende
Punkte enthalten:

• Bestätigung des Rechtes beider Völker auf Selbstbestimmung unter positi-
ver Bezugnahme auf die UN-Resolution 181 von 1947.

• Bezugnahme auf die UN-Resolution 242 von 1967 mit einer Formulierung,
die die in dieser Resolution enthaltene Mehrdeutigkeit aufhebt.

• Positive Bezugnahme auf die Berichte von Weltbank, Internationalem Wäh-
rungsfond und UN zur Fähigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde,
einen unabhängigen Staat regieren zu können.

• Aufruf an beide Staaten, sich an ernsthaften Verhandlungen zu beteiligen,
beginnend mit den Themen Grenzen, Siedlungen, Wasser und Sicherheitsar-
rangements, die internationale, regionale und bilaterale Garantien enthalten
müssen.

• Positiver Bezug auf die Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den EU-Partnern die palästinensische Führung bei einem
möglichen Antrag auf Anhebung des Status ihrer Vertretung auf den soge-
nannten Vatikan-Status in der Generalversammlung der UNO zu unterstüt-
zen;

2. sich innerhalb der EU für eine gemeinsame Zustimmung zu einem mög-
lichen palästinensischen Antrag auf Erhöhung des Status der palästinen-
sischen Vertretung bei den UN, den sogenannten Vatikan-Status, einzuset-
zen;

3. sich für den Fall einer Abstimmung im UN-Sicherheitsrat bei den Partnern
Frankreich und Großbritannien für eine gemeinsame Zustimmung gegen-
über dem palästinensischen Antrag auf Aufnahme des Staates Palästina in
die UNO einzusetzen. Falls es nur zu einer von den EU-Staaten im UN-
Sicherheitsrat gemeinsam getragenen Enthaltung zu dem palästinensischen
Antrag kommen sollte, soll sich die Bundesregierung diesem Votum an-
schließen;

4. sich innerhalb des UN-Sicherheitsrates für die Verabschiedung einer Resolu-
tion einzusetzen, die die von Frankreich, Großbritannien und Deutschland
auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 18. Februar 2011 vorgelegten
Parameter enthält.

Berlin, den 10. September 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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