BT-Drucksache 17/10222

Todesspritzen aus deutscher Produktion

Vom 29. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10222
17. Wahlperiode 29. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Jan van Aken, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Dr. Barbara Höll, Andrej Hunko,
Ulla Jelpke, Harald Koch, Jan Korte, Ralph Lenkert, Niema Movassat, Petra Pau,
Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Sabine Stüber, Frank Tempel,
Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Todesspritzen aus deutscher Produktion

Im März dieses Jahres attestierte Amnesty International eine positive Entwick-
lung für die globale Menschenrechtslage. Die Zahl der Länder, in denen Todes-
strafen weiterhin verhängt und vollstreckt werden, ist rückläufig; nur noch in
20 Staaten weltweit wurden im Jahr 2011 Menschen durch die Strafjustizbehör-
den getötet. Die USA sind das einzige demokratisch verfasste Industrieland, in
dem weiterhin Todesstrafen vollstreckt werden. Für das Jahr 2011 vermeldet
Amnesty International 43 Exekutionen. Die häufigste Methode zur Exekution in
den USA ist die letale Injektion, die sogenannte Todesspritze.

Zum zweiten Mal in anderthalb Jahren ähneln sich die Meldungen darüber, dass
in den USA die Wirkstoffe für die Hinrichtungen per Todesspritze auszugehen
drohen, und dass Arzneimittel für die Todesspritze aus deutscher Produktion als
Ersatz in die USA geliefert werden könnten. Bei den Meldungen im Januar 2011
(www.sueddeutsche.de/panorama/lieferprobleme-in-usa-todesspritze-ohne-gift-
1.1049623) handelte es sich um das Betäubungsmittel Thiopental, ein kurzwirk-
sames intravenöses Narkotikum, das inzwischen in der Liste der Verordnung
(EG) Nr. 1236/2005 (Anti-Folter-Verordnung) steht. Die neuesten Meldungen
(www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/todesstrafe-in-usa-deutscher-konzern-
liefert-wirkstoff-fuer-todesspritze-a-838941.html) betreffen das schnellwir-
kende Narkotikum Propofol.

Mit der Aufnahme bestimmter Substanzen in die Anti-Folter-Verordnung im Jahr
2011 versuchen die EU-Staaten, die als Wertegemeinschaft die Vollstreckung
der Todesstrafe offiziell ablehnen, Ausfuhren von Wirkstoffen zu verhindern,
die bei der Vollstreckung der Todesstrafe verabreicht werden könnten. Da die
gelisteten Barbiturate, zu denen auch Thiopental gehört, ebenfalls zu medizini-
schen Zwecken eingesetzt werden, soll nicht die Ausfuhr komplett unterbunden,
sondern durch vorherige Genehmigungspflicht eine entsprechende Kontrolle
hergestellt werden.
Die Liste in Anhang III der Anti-Folter-Verordnung beinhaltet bislang vier
Narkotika aus der Gruppe der Barbiturate, wobei klargestellt wird, dass die Liste
nicht abschließend ist, sondern vielmehr alle kurz- und intermediär wirkenden
Barbiturate erfasst, sofern diese die gleichen Wirkungen erzielen. Propofol wird
wegen der Einschränkung auf Barbiturate nicht erfasst, obwohl es für den
gleichen Zweck eingesetzt werden kann.

Drucksache 17/10222 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Als Alternative für Thiopental und Pentobarbital, das auch nur mit scharfen
Auflagen in die USA geliefert wurde, ist nun Propofol im Gespräch. Der
Hersteller Fresenius SE & Co. KGaA erklärt laut dem Nachrichtenmagazin
„DER SPIEGEL“, dass es faktisch nicht machbar sei, die Lieferung in die USA
so zu steuern, dass verhindert werden kann, dass das Narkosemittel auch für
Todesspritzen missbraucht wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Substanzen werden nach Kenntnis der Bundesregierung in den
USA für Hinrichtungen verwendet (bitte alle bekannten Substanzen, auch
der Begleitbehandlung, aufführen)?

2. Welche dieser Substanzen werden nicht von der Anti-Folter-Verordnung er-
fasst?

Nach welchen Kriterien sind Substanzen in den Verordnungsanhang III auf-
genommen worden und andere, die auch für Exekutionen missbraucht wer-
den, nicht?

3. Wird sich die Bundesregierung in der Europäischen Kommission dafür ein-
setzen, dass Propofol bei der Überarbeitung der Anti-Folter-Verordnung in
Anhang III aufgenommen wird (bitte begründen)?

4. Wann ist mit der Überarbeitung der Anti-Folter-Verordnung zu rechnen?

5. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der im Nach-
richtenmagazin „DER SPIEGEL“ vom 18. Juni 2012 zitierte Äußerung der
Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine
Ashton, wonach eine Aufnahme von Propofol in Anhang III voraussetzen
würde, dass dieses Mittel bereits für Hinrichtungen benutzt worden sei?

Teilt die Bundesregierung diese Auffassung?

6. Wie könnte verhindert werden, dass sich Bundesstaaten in den USA vor-
sorglich mit propofolhaltigen Arzneimitteln zu Hinrichtungszwecken ein-
decken?

7. Welche deutschen und welche weiteren europäischen Hersteller propofol-
haltiger Arzneimittel sind der Bundesregierung bekannt?

8. Welche Positionierungen der Hersteller von propofolhaltigen Arzneimit-
teln zu einer möglichen Verwendung des Wirkstoffs bei Hinrichtungen
oder diesbezügliche Ausfuhrbestimmungen sind der Bundesregierung be-
kannt?

9. Wird die Bundesregierung auf die Hersteller sowie auf die Großhändler
einwirken, keine propofolhaltigen Arzneimittel für Hinrichtungen in die
USA zu liefern, und wenn ja, in welcher Form?

Hat die Bundesregierung entsprechende Selbstverpflichtungserklärungen
als politisch wünschenswert deutlich gemacht?

10. Welche übertragbaren Regelungen gibt es bei Exportgütern, die für eine
militärische Verwendung zweckentfremdet werden können?

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Herstellers, dass eine Steu-
erung der Lieferung in die USA zur Verhinderung eines missbräuchlichen
Einsatzes für Todesspritzen nicht machbar ist?

12. Muss nicht genau ein solcher Nachweis, dass das Mittel nicht für Todes-
spritzen bei Hinrichtungen verwendet wird, geführt werden, wenn Propofol
in die Liste Anhang III der Anti-Folter-Verordnung aufgenommen würde?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10222

13. Ist es zum jetzigen Zeitpunkt schon möglich, den Verwendungszweck
sicherzustellen bzw. andernfalls die Ausfuhr zu untersagen?

14. In welchem Umfang ist die Ausfuhr von Arzneimitteln, die der Anti-Folter-
Verordnung unterliegen, beantragt und dann genehmigt oder abgelehnt
worden (bitte nach Empfängerländern, Anzahl der Dosen und Entscheidung
der Behörden sowie wenn möglich nach Antragsteller aufzulisten)?

15. In welchem Umfang wurden Exporte durch den Zoll beschlagnahmt, die
nicht genehmigt waren?

16. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung richtig, dass Barbiturate bei
Todesspritzen in so hohen Dosen verwendet werden, dass sie allein schon
in der Regel tödlich wären?

Wäre dies bei Propofol auch der Fall?

17. Hält es die Bundesregierung für erforderlich, sämtliche Substanzen, die von
Exekutionsbehörden als Ausweichmittel für die heute verwendeten Sub-
stanzen missbraucht werden könnten, vorsorglich in Anhang III aufzuneh-
men (bitte begründen)?

18. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, gegebenenfalls ge-
meinsam mit anderen EU-Staaten, die Verantwortlichen in den USA dazu
zu bewegen, künftig auf die Todesstrafe zu verzichten?

19. Welche weiteren Staaten weltweit verwenden nach Kenntnis der Bundes-
regierung die Todesspritze für Hinrichtungen?

Ist diese Liste als abschließend anzusehen?

20. Inwieweit unterscheidet sich nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils
die Zusammensetzung von den in den USA verwendeten Injektionen?

Berlin, den 29. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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