BT-Drucksache 17/10127

Rechte von Hausangestellten in Diplomatenhaushalten

Vom 27. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10127
17. Wahlperiode 27. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Anton Schaaf, Petra
Ernstberger, Elke Ferner, Iris Gleicke, Hubertus Heil (Peine), Gabriele Hiller-Ohm,
Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Katja Mast,
Thomas Oppermann, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Petra Crone,
Sebastian Edathy, Ingo Egloff, Dr. Edgar Franke, Dr. Eva Högl, Christel Humme,
Christine Lambrecht, Burkhard Lischka, Caren Marks, Franz Müntefering,
Aydan Özog˘uz, Stefan Rebmann, Sönke Rix, Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Marianne Schieder (Schwandorf), Stefan Schwartze, Sonja Steffen, Christoph
Strässer, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Rechte von Hausangestellten in Diplomatenhaushalten

Eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte e. V. (Angelika Kartusch,
2011) in Deutschland und weiteren fünf europäischen Ländern über die Situa-
tion von Hausangestellten in Diplomatenhaushalten hat gezeigt, dass Ange-
stellte in allen Ländern zum Teil auf dramatische Weise ausgebeutet werden.

In Deutschland werden fünf bis zehn neue Fälle pro Jahr bekannt. Die Dunkel-
ziffer ist unbekannt. Wiederholt handelt es sich dabei um Fälle von schwerer
Ausbeutung verbunden mit Gewalt (z. B. sexueller Gewalt) und Freiheitsberau-
bung. In den Jahren 2008 und 2010 haben die Medien ausführlich über Fälle
„moderner Sklaverei“ berichtet, in denen Diplomaten jeweils eine Indonesierin
bis zu 15 Stunden täglich zur Arbeit gezwungen, körperlich misshandelt und
gedemütigt haben. Die Klage einer der Frauen auf Zahlung von ca. 70 000 Euro
Lohn und Schadenersatz ist von zwei Gerichten wegen der diplomatischen Im-
munität ihrer Arbeitgeber als unzulässig abgewiesen worden. Das Verfahren ist
jetzt beim Bundesarbeitsgericht anhängig.

Aufgrund der diplomatischen Immunität können Hausangestellte ihre Rechte
gegen ihre Arbeitgeber nicht einklagen. § 18 des Gerichtsverfassungsgesetzes
(GVG) befreit Diplomaten von der deutschen Gerichtsbarkeit. Hausangestellte
sind somit in Deutschland rechtlich schutzlos gestellt.

Die wiederholten Vorfälle deuten an, dass diese rechtliche Schutzlücke durch die
Vorkehrungen des Auswärtigen Amts nicht ausreichend ausgeglichen werden.

Gemäß einer neuen Rundnote Nr. 34/2011 vom 1. Dezember 2011 des Auswär-
tigen Amts sind Diplomaten verpflichtet, deutsche arbeits- und sozialrechtliche

Mindeststandards einzuhalten, einen schriftlichen Arbeitsvertrag zu nutzen so-
wie einen Mindestlohn zu zahlen. Halten Diplomaten diese Vorgaben nicht ein,
behält sich das Auswärtige Amt vor, die Zustimmung zur Beschäftigung weite-
rer Hausangestellter zu verweigern und die Vorwürfe zu überprüfen. Dies sind
nur geringfügige Veränderungen zu der bis dahin geltenden Rundnote vom April
2003. Damit bleibt für Deutschland eine weitere Angleichung an Standards an-
derer europäischer Länder eine politische Herausforderung.

Drucksache 17/10127 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Diplomaten sind derzeit beim Auswärtigen Amt akkreditiert?

2. Wie viele Protokollausweise sind derzeit für private Hausangestellte in
Diplomatenhaushalten vergeben?

a) Für welche Tätigkeiten/Arbeitsbereiche sind die Protokollausweise verge-
ben (bitte nach der Anzahl der Angestellten in den Arbeitsbereichen auf-
schlüsseln)?

b) Wie ist die Geschlechterverteilung bei den Hausangestellten?
c) Aus welchen Ländern kommen die Hausangestellten (bitte nach der An-

zahl der Angestellten aus den jeweiligen Ländern aufschlüsseln)?

3. In wie vielen Fällen hat das Auswärtige Amt festgestellt, dass Hausange-
stellte
a) keinen angemessenen Lohn erhalten haben,
b) einen inoffiziellen „Zweitvertrag“ mit Arbeitsbedingungen unterhalb der

arbeitsrechtlichen Mindeststandards hatten,
c) Gewalt durch den Arbeitgeber ausgesetzt waren und
d) nicht krankenversichert worden waren
(bitte jeweils die Zahlen für den Zeitraum 2008 bis 2011 angeben)?

4. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in den festgestellten Fällen er-
griffen?

5. In wie vielen Fällen haben dritte Personen (Privatpersonen, Nichtregierungs-
organisationen etc.) gegenüber dem Auswärtigen Amt den Verdacht geäu-
ßert, dass Hausangestellte
a) keinen angemessenen Lohn erhalten haben,
b) einen inoffiziellen „Zweitvertrag“ mit Arbeitsbedingungen unterhalb der

arbeitsrechtlichen Mindeststandards hatten,
c) Gewalt durch den Arbeitgeber ausgesetzt waren und
d) nicht krankenversichert worden waren

(bitte jeweils die Zahlen für den Zeitraum 2008 bis 2011 angeben)?

6. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung in den genannten Fällen ergrif-
fen?

7. Gedenkt die Bundesregierung folgende bewährte Praxis anderer europäischer
Länder zur Verbesserung des Schutzes von Hausangestellten (Angelika
Kartusch, 2011: Domestic Workers in Diplomats’ Households – Rights
Violations and Access to Justice in the Context of Diplomatic Immunity) in
Deutschland umzusetzen (wenn nicht, bitte jeweils eine Begründung dafür
angeben)?
a) Alle Hausangestellten – nicht nur bei Verdachtsfällen – sind verpflichtet,

ihren Protokollausweis persönlich ohne Begleitung des Arbeitgebers im
Auswärtigen Amt abzuholen.

b) Alle Hausangestellten sind verpflichtet, anlässlich der Verlängerung des
Protokollausweises persönlich im Auswärtigen Amt vorstellig zu werden.

c) Allen Hausangestellten werden durch das Auswärtige Amt Informationen
über ihre Rechte und Beratungseinrichtungen in Deutschland in einer
ihnen verständlichen Sprache ausgehändigt.

d) Hausangestellte sind berechtigt, den Arbeitgeber zu wechseln, wenn es zu
Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis kommt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10127

8. In welcher Sprache müssen die dem Auswärtigen Amt vorzulegenden
schriftlichen Arbeitsverträge der Hausangestellten (Rundnote Nr. 34/2011
vom 1. Dezember 2011) verfasst sein?

9. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Hausangestellten als Ver-
tragspartei den Arbeitsvertrag in einer Sprache vorgelegt bekommen, die sie
verstehen?

10. Wie definiert die Bundesregierung „Verdachtsfälle“, in denen sie angekün-
digt hat, klärende Gespräche mit privaten Hausangestellten zu führen
(Plenarprotokoll 17/161, 19160 (B))?

11. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die geplanten klärenden Gesprä-
che mit Hausangestellten so gestaltet werden, dass das Offenlegen von
arbeitsrechtlichen Missständen von Seiten der Hausangestellten realistisch
ist?
Ist die Beteiligung von externen Fachorganisationen vorgesehen?

12. Wann und wie häufig beabsichtigt die Bundesregierung, die angekündigten
Informationsveranstaltungen in Kooperation mit der Nichtregierungsorga-
nisation Ban Ying durchzuführen (Plenarprotokoll 17/161, 19160 (B))?

13. Hat die Bundesregierung in den bekannt gewordenen Fällen schwerer Ar-
beitsausbeutung und Misshandlungen (Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundes-
tagsdrucksache 16/8594) oder anderen ähnlich gelagerten Fällen Diploma-
ten zur Persona non grata erklärt oder die Entsendestaaten zur Aufhebung
der Immunität aufgefordert?
Wenn nicht, warum nicht?

14. In wie vielen Fällen wurde Diplomaten die Genehmigung zur Einstellung
privater Hausangestellter als Reaktion auf die Nichteinhaltung arbeitsrecht-
licher Mindeststandards verweigert?
Wenn dies noch nicht vorgekommen sein sollte, warum nicht?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Empfehlung der Studie des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte e. V. (Domestic Workers in Diplomats’
Households – Rights Violations and Access to Justice in the Context of
Diplomatic Immunity) zur Errichtung eines unabhängigen Beschwerdeme-
chanismus zur Geltendmachung der Rechtsansprüche von Hausangestellten
und zum „Anzeigen“ von Übergriffen?
Plant die Bundesregierung die Einführung eines solchen Mechanismus, und
wenn nein, warum nicht?

16. Wie gewährleistet die Bundesregierung ihre Neutralität und Unabhängig-
keit im Rahmen der Vermittlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern?

17. Gibt es eine formalisierte Verfahrensordnung, in deren Rahmen Vermitt-
lungsgespräche geführt werden?
Wenn ja, wie sieht diese Verfahrensordnung aus?

18. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die im Rahmen der Vermitt-
lungsgespräche ausgehandelten Ergebnisse auch umgesetzt werden?

19. Wie geht die Bundesregierung mit Botschaftsangestellten um, die Vermitt-
lungsgespräche über ausstehende Lohnansprüche von Hausangestellten
oder über andere Rechtsverletzungen ablehnen?

20. Gibt es ein formalisiertes Dokumentationssystem für die gemeldeten Fälle?

Wenn ja, wie sieht dieses aus?

Drucksache 17/10127 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Praxis immer wieder vorkom-
mende Situation, dass Hausangestellte wirtschaftlich ausgebeutet werden,
der Arbeitgeber die Zahlung verweigert, ihnen der Rechtsweg in Deutsch-
land nach § 18 GVG versperrt ist, die Rechtsdurchsetzung im Entsendestaat
der Diplomaten faktisch unmöglich ist und es keinen Entschädigungsfonds
gibt?

22. Welche Ansätze, jenseits der protokollarischen Mittel, sieht die Bundes-
regierung als geeignet an, zivilrechtliche Ansprüche der Hausangestellten
in den unter Frage 18 geschilderten Umständen zu realisieren?

23. Gibt es einen Austausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten über die Ver-
dachtsfälle?
Wenn ja, wie wird sichergestellt, dass Diplomaten, die arbeitsrechtliche
Mindeststandards unterlaufen, in allen EU-Mitgliedstaaten die Genehmi-
gung zur Einstellung privater Hausangestellter verweigert wird?

24. Inwieweit spricht die Bundesregierung im Rahmen von Gesprächen und
Verhandlungen mit Partnerländern die Einhaltung von Good Governance
– Menschenrechte und Soziale Sicherheit – beim Umgang der Entsandten
des Diplomatischen Korps mit Hausangestellten an?

25. Was unternimmt die Bundesregierung in Fällen, in denen die Good-Gover-
nance-Kriterien im diplomatischen Umfeld nicht eingehalten werden?

Berlin, den 27. Juni 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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