BT-Drucksache 16/9807

Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen, unbefristete Beschäftigung stärken

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9807
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, Kornelia Möller,
Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Befristete Arbeitsverhältnisse begrenzen, unbefristete Beschäftigung stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die gesetzlich zulässige sachgrundlose Befristung bei Neueinstellungen bis zu zwei
Jahren wurde mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete
Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz – TzBfG) im Jahr 2001 eingeführt.

Das damit proklamierte Ziel eines leichteren und dauerhaften Zugangs von Arbeits-
losen in Beschäftigung wurde in der Folge nicht erreicht. Stattdessen wird befristete
Beschäftigung von zahlreichen negativen Erscheinungen begleitet:

– Im Verhältnis zu der wachsenden Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer wächst die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse und anderer
prekärer Beschäftigungsformen überproportional, die Beschäftigungssicherheit
sinkt.

– Die Befristung von Arbeitsverhältnissen schränkt vielfach den Kündigungs-
schutz ein. Das Kündigungsschutzgesetz entfaltet seine Wirksamkeit erst ab einer
Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten und die Möglichkeit, kalendermäßige
Befristungen ohne sachlichen Grund zu vereinbaren lässt den Kündigungsschutz
während der Dauer der Befristung faktisch leerlaufen.

– Ansprüche, die auf die Dauer der Zugehörigkeit zu einem Unternehmen abstel-
len, wie beispielsweise Sonderzahlungen, höherer Urlaub oder Beförderung ent-
stehen erst nach einer bestimmten Beschäftigungsdauer und werden in befristeten
Arbeitsverhältnissen deshalb häufig nicht erworben. Befristet Beschäftigte parti-
zipieren weniger häufig an betrieblichen Maßnahmen der Personalentwicklung
als unbefristet Beschäftigte.

– Von den Berufsanfängerinnen und Berufsanfängern unter 20 Jahren hat fast
die Hälfte einen befristeten Arbeitsvertrag. Auch in der Altersklasse der bis zu
30-Jährigen müssen sich immer noch gut 20 Prozent der Beschäftigten mit einer
Befristung abfinden. Das bedeutet einen Berufsstart auf Raten mit ungewisser
Zukunft.

– Befristungen erfolgen aus Sicht der Beschäftigten überwiegend unfreiwillig. Be-

fristete Beschäftigung zwingt dazu, das Leben den Wechselfällen des Arbeits-
marktes unterzuordnen. Auf der Strecke bleiben Familie, Kinder, Freunde, Bil-
dung, Freizeitgestaltung und gesellschaftliches Engagement.

– Der Anteil der befristet beschäftigten Frauen an der Gesamtzahl der Arbeitneh-
merinnen ist permanent höher als der Anteil der befristet beschäftigten Männer
an der Gesamtzahl ihrer Geschlechtsgenossen. Damit sind Frauen im Sinne der
oben genannten Problematik schlechter gestellt.

Drucksache 16/9807 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

dieser negativen Entwicklung mit der Änderung gesetzlicher Grundlagen befris-
teter Beschäftigung entgegenzuwirken und damit die unbefristete Beschäftigung zu
stärken:

1. Für die Befristung von Arbeitsverhältnissen müssen die Unternehmen konkrete
Gründe nachweisen. Deshalb ist im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) die
Möglichkeit zu streichen, ohne Sachgrund Arbeitsverhältnisse auf zwei Jahre
befristen zu können. Kann das Unternehmen keine Sachgründe geltend machen,
erhalten die Beschäftigten einen unbefristeten Arbeitsvertrag.

2. Dauerhaft zu erledigende Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung dürfen nicht
unter Bezugnahme auf die jährliche Bewilligung der Haushaltsmittel befristet
beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern übertragen werden.

3. Zur Verbesserung der Rechtssicherheit für die Beschäftigten ist im TzBfG fest-
zuschreiben, dass neben der vertraglichen Befristungsvereinbarung auch aus-
drücklich der Sachgrund zur Wirksamkeit der Schriftform bedarf.

4. Beschäftigte erhalten einen Rechtsanspruch auf Entfristung ihres Arbeitsver-
trages, sobald in dem Unternehmen vergleichbare unbefristete Arbeitsplätze
geschaffen oder frei werden.

5. Die Möglichkeit einer befristeten Beschäftigung von bis zu fünf Jahren für
Beschäftigte ab dem 52. Lebensjahr wird aus dem TzBfG gestrichen.

6. Es ist sicherzustellen, dass befristet Beschäftigten der Zugang zu betrieblichen
Rentenversicherungssystemen uneingeschränkt offensteht. Dies betrifft ins-
besondere die Gewährleistung der Übertragungsmöglichkeit auf einen neuen
Arbeitgeber.

Berlin, den 24. Juni 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Durch den Einsatz von befristeten Arbeitsverhältnissen versuchen Unternehmen in
erster Linie, ihre Personalkosten zu senken. Der ursprünglich mit dem Teilzeit-Be-
fristungsgesetz geplante Ansatz, zeitnah auf Produktionsanpassungen und Nachfra-
geschwankungen zu reagieren oder Personalschwankungen auszugleichen, ist längst
nicht mehr der ausschließliche Grund für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge.
Die Möglichkeit der zeitlichen Befristung innerhalb von zwei Jahren den Arbeits-
vertrag bis zu viermal zu verlängern schließt den Kündigungsschutz nahezu aus.

Angaben der Bundesregierung zufolge ist von 2004 bis 2006 die Anzahl der be-
schäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 5,8 Prozent gestiegen, wäh-
rend demgegenüber im gleichen Zeitraum der Anteil der Befristungen an den
Gesamtbeschäftigten um 43,6 Prozent überproportional gestiegen ist. Besonders,
da sich in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche der Anteil der befristeten Arbeitsver-
hältnisse zwischen 7,5 (2002) und 8 Prozent (2000) bewegte. In den Jahren des
wirtschaftlichen Aufschwunges ist der Anteil der Befristungen auf 10,5 Prozent im
Jahr 2006 angewachsen.

Besonders nachhaltig betroffen von befristeten Arbeitsverhältnissen ist mit
31 Prozent die Zeitarbeitsbranche. Aber auch im Wirtschaftszweig Verkehr und

Nachrichtenübermittlung hat sich der Anteil der befristet beschäftigten Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer im Zeitraum von 2004 bis 2006 um 52,4 Prozent von

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9807

96 500 auf 147 100 erhöht, gefolgt von der öffentlichen Verwaltung, in der die An-
zahl der befristet beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 129 300
im Jahr 2004 auf 196 200 im Jahr 2006, also um 51,7 Prozent gestiegen ist. Dabei
ist durch die geltende Rechtssprechung anerkannt, dass „allein die Begrenzung des
Haushalts durch das Haushaltsjahr oder allgemeine Sparzwänge im öffentlichen
Dienst die Befristung von Arbeitsverhältnissen nicht rechtfertigen.“1

Von 2004 bis 2006 ist der Anteil der befristet beschäftigten Frauen um 2,8 Prozent-
punkte bzw. um 451 900 in Bezug auf alle Arbeitnehmerinnen angestiegen. In glei-
chem Maße ist auch der Anteil der befristet beschäftigten Männer angestiegen, in
absoluten Zahlen von 2004 zu 2006 um 478 100 Arbeitnehmer.

Dennoch ist mit 10,8 Prozent 2006 der Anteil der befristet beschäftigten Frauen an
der Gesamtzahl der Arbeitnehmerinnen in den letzten sieben Jahren (2000 bis
2006) höher, als der Anteil der teilzeitbeschäftigten Männer an der Gesamtzahl
ihrer Geschlechtsgenossen.

Mit 34,6 Prozent ist bei den unter 25-Jährigen der Anteil der befristeten Arbeitsver-
hältnisse am Höchsten, gleich gefolgt von der Altersgruppe der 25- bis 44-Jährigen,
von denen 10,2 Prozent bzw. 1 569 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind.2

Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundes-
anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erstellte Studie3 des Inter-
nationalen Institutes für empirische Sozialökonomie (inifes) hat 2008 festgestellt,
dass 32 Prozent der qualifizierten jungen Erwerbstätigen nach Abschluss ihrer
beruflichen Ausbildung in einem befristeten Arbeitsverhältnis gearbeitet haben.
Dabei ist die Wirtschaftssparte der Leiharbeit nicht berücksichtigt worden. Es
wurde festgestellt, dass die jungen Beschäftigten im Durchschnitt bisher zweimal
auf Zeit beschäftigt waren. Betroffen sind davon ca. drei Millionen Personen. Junge
Frauen arbeiten häufiger (34 Prozent bzw. 2,2-mal) mit befristeten Verträgen als
Männer (31 Prozent bzw. 1,8-mal). Auffallend ist auch, dass 36 Prozent der Befris-
tungsketten von Frauen ausschließlich bei einem Arbeitgeber bestehen. 59 Prozent
der Mehrfachbefristungen bei Frauen dauerten länger als zwei Jahre. Insbesondere
jungen Müttern bereitet die Rückkehr in die Berufstätigkeit Schwierigkeiten. In den
ostdeutschen Bundesländern beeinträchtigen Betriebsschließungen in nicht uner-
heblichem Maße die Rückkehr von Müttern an den alten Arbeitsplatz, und in den
westdeutschen Bundesländern machen fehlende Kinderbetreuungsangebote oder
ungünstige Arbeitszeiten eine Rückkehr in die alte Tätigkeit oft unmöglich.

Bei fast der Hälfte der jungen Beschäftigten nehmen Mehrfachbefristungen eine
lange Spanne in der Biographie ein. Es ist festzustellen, dass eine große Anzahl der
Personen mit befristeten Arbeitsverhältnissen überwiegend, wenn nicht sogar aus-
schließlich, befristete Arbeitsverhältnisse mit demselben Arbeitgeber eingegangen
sind. Weniger als ein Viertel der jungen befristet Beschäftigten findet im Anschluss
an ihr erstes befristetes Arbeitsverhältnis eine unbefristete Beschäftigung.

Wirtschaftliche Unsicherheit oder die Abhängigkeit von einem Partnereinkommen
stellen für junge Menschen Hinderungsgründe dar, sich für Kinder und Familie zu
entscheiden. Die bisherigen Regelungen hinsichtlich des gesetzlichen Schutzes bei
Mutter- und Elternschaft entfalten keine Sicherheit bei einem befristeten Arbeits-
verhältnis, da mit Fristablauf des Vertrages sämtliche Verbindlichkeiten aus dem
Arbeitsverhältnis beendet sind. Eine Beschäftigungsgarantie gibt es nicht, und die
Risiken der Elternschaft werden auf die Eltern (vornehmlich die Mütter) abgewälzt.
Dies kann zum Aufschub oder zum Verzicht auf Elternschaft führen.4

1 Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, Dornbusch, Fischermeier, Löwisch, Luchterhand 2008 zu § 14 TzBfG.
2 Die vorgenannten Zahlenangaben stützen sich auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage auf Bundestags-

drucksache 16/9002.

3 Was ist gute Arbeit? Anforderungen aus der Sicht der jungen Generation, Fuchs, Ebert, inifes 2008.
4 Atypische Beschäftigung und soziale Sicherung, WSI 5/2006, S. 289.

Drucksache 16/9807 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Nicht selten schließt sich an die erste Befristung eine Phase der Arbeitslosigkeit an.
Insbesondere im Zusammenhang mit Hartz IV entstehen für Langzeitarbeitslose
durch häufige Kurzzeittätigkeiten keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld, da
Pflichtversicherungszeiten innerhalb der Rahmenfrist nicht erneut aufgebaut wer-
den können. Verschiedene Instrumente von Arbeitgeberzuschüssen laden dazu ein,
durch den Einsatz befristeter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die eigenen
Personalkosten zu entlasten. Dabei werden durchaus mehrfache Einarbeitungs-
zeiten in Kauf genommen, andererseits ist die Anzahl und Qualifizierung der Lang-
zeitarbeitslosen so vielfältig, dass kein hohes betriebliches Risiko bei dieser Form
der Personalplanung besteht.

Der Anteil der 55-Jährigen und älteren an den ALG-I-Bezieherinnen und -Bezie-
hern ist von 45,2 Prozent im Januar 2008 auf 43,8 Prozent im April 2008 gesunken.
Im Gegensatz dazu ist der Anteil dieser Altersgruppe an den ALG-II-Bezieherinnen
und -Beziehern im gleichen Zeitraum von 54,8 Prozent auf 56,2 Prozent angestie-
gen. Der Europäische Gerichtshof hatte festgestellt, dass die ursprüngliche gesetz-
liche Regelung, die eine abweichende Befristung ausschließlich am Alter orien-
tierte, nicht angemessen war. Nunmehr besteht die Möglichkeit einer zeitlichen
Befristung bis zu fünf Jahren, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ab
dem Alter von 52 Jahren auch mindestens vier Monate arbeitslos ist oder Transfer-
kurzarbeitergeld bezieht oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigung teil-
nimmt. Ob diese Regelung allerdings europarechtskonform ist, kann bezweifelt
werden. Derzeit finden weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen der
individuellen Arbeitslosigkeit Berücksichtigung. Bereits mit der Evaluierung von
Hartz I bis Hartz III wurde festgestellt, dass die vormals gelockerte Befristungs-
regelung nicht zu mehr Beschäftigung bei den älteren Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern geführt hat.

Obwohl die bisherigen Voraussetzungen zur Unverfallbarkeit von Anwartschaften
auf eine betriebliche Altersversicherung im Rahmen der Rentenreform 2001 redu-
ziert wurden, gibt es weiterhin Defizite beim Zugang von befristet Beschäftigten zu
Betriebsrentensystemen sowie bei der Portabilität im Falle eines Arbeitgeberwech-
sels. Zwar wurden die Möglichkeiten zur Übertragung von Versorgungsanwart-
schaften 2005 durch das Alterseinkünftegesetz erweitert, die Anerkennung von
Versicherungsverträgen mit Vorarbeitgebern erfolgt jedoch nur, sofern Einverneh-
men zwischen den Beteiligten besteht. Hier ist die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeit-
nehmer auf die Bereitschaft oder Möglichkeit der Übernahme durch den neuen
Arbeitgeber angewiesen.

Nicht zwangsläufig muss die Befristung eines Arbeitsplatzes zu einem schlechteren
persönlichen Befinden führen. Dennoch wird in einer Studie des Berufsverbandes
Deutscher Psychologinnen und Psychologen 2008 festgestellt, dass durch die zu-
nehmende Flexibilisierung psychische Belastungen für die direkt Betroffenen als
auch indirekt für die Festangestellten zu verzeichnen sind. Dies resultiert aus der
ständigen Anpassung an ein neues betriebliches Umfeld als auch an die Zusammen-
arbeit mit neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und, in der Natur der Sache be-
gründet, vor allem neuen Vorgesetzten. „Neben zunehmendem Leistungs- und Zeit-
druck stellen die Notwendigkeit lebenslangen Lernens sowie die gesteigerte
Verantwortung für die berufliche Laufbahn bei einer angespannten Arbeitsmarkt-
lage gesundheitliche Belastungen dar.“ 5 Kostensteigerungen im Gesundheitswesen
durch die Zunahme stressbedingter Erkrankungen und langfristiger Folgen anhal-
tender befristeter Beschäftigungen sind zwangsläufige Resultate, die nicht nur den
Betroffenen, sondern auch deren familiäres Umfeld und indirekt die gesamte Ge-
sellschaft beeinträchtigen.

5 Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland, BDP 2008.

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