BT-Drucksache 16/9779

Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokratischen Republik Kongo unverzüglich wirksam bekämpfen

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9779
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Kai Gehring,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen in der Demokratischen Republik Kongo
unverzüglich wirksam bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Frauen sind auch fünf Jahre nach dem offiziellen Ende des Krieges in der Demo-
kratischen Republik Kongo noch immer Opfer beispiellos brutaler sexualisierter
Gewalt. Besonders betroffen sind Frauen in den Provinzen des Ostkongo, in de-
nen weiterhin gekämpft wird. In Ituri und Süd-Kivu ist schätzungsweise jede
dritte Frau vergewaltigt worden. Während die Lage sich in Ituri ganz langsam
verbessert, werden vor allem in Nord- und Süd-Kivu weiterhin viele Frauen ver-
gewaltigt und gefoltert. Sie erleiden zum Teil lebensbedrohliche innere Ver-
letzungen. Die Gewalt macht auch vor Mädchen und sogar Säuglingen nicht halt.
Familienväter werden gezwungen bei Vergewaltigungen zuzusehen oder ge-
zwungen ihre eigenen Kinder zu vergewaltigen. Die Sonderberichterstatterin des
VN-Menschenrechtsrates zur Gewalt gegen Frauen Yakin Ertürk hält diese Ver-
brechen gegenüber Frauen für die weltweit schlimmsten. Ärzte ohne Grenzen
gibt an, dass 75 Prozent aller Vergewaltigungen, die sie weltweit behandeln, sich
im Kongo ereignen. Medica Mondiale spricht deshalb bereits von einem „Fe-
mizid“, Human Rights Watch von einem „Krieg im Krieg“, andere von einer
sexuellen Gewaltpandemie.

Die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen im Ostkongo geht vor allem von be-
waffneten Gruppen wie der „Forces Démocratiques de Libération du Rwanda“
(FDLR) und den aus Ruanda geflohenen Hutu-Milizen aus, die sich nach wie
vor im Ostkongo aufhalten und die Bevölkerung terrorisieren. Aber auch alle
anderen am Konflikt beteiligten Kräfte, wie die Miliz des kongolesischen Ex-
Generals Laurent Nkunda sind beteiligt, immer stärker auch die Soldaten der
kongolesischen Armee (FARDC). Angehörige der Armee sowie aller bewaffne-
ten Gruppen setzen die physische und psychische Zerstörung von Frauen syste-

matisch als Mittel der Kriegsführung ein. Frauen und Mädchen werden wieder-
holt vergewaltigt, verschleppt und als Zwangsprostituierte gehalten. 30 Prozent
der Vergewaltigungsopfer sind mit HIV infiziert. Viele Frauen werden nach
ihrer Vergewaltigung von ihren Familien verstoßen. Kinder, die aufgrund der
Misshandlungen geboren werden, werden nicht in die Gesellschaft integriert.
Durch die gezielte Entwürdigung der Frauen zerstören die feindlichen Gruppen
die Familienstrukturen und Dorfgemeinschaften. Sie kontrollieren so Dörfer

Drucksache 16/9779 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

und ganze Landstriche, um ihre Kriegsökonomie am laufen zu halten. Sie er-
pressen Abgaben, ziehen neue Kämpfer nach und bestrafen durch Vergewal-
tigung der Frauen Kollaborateure der gegnerischen Seite. Auch die kongole-
sische Polizei schützt die Frauen nicht, weil auch sie unterrepräsentiert und
schlecht ausgebildet ist.

Der kongolesischen Armee wie auch der Polizei sind internationale Menschen-
rechtsstandards fremd. Verbrechen gegenüber Frauen gilt als geringfügiges
Fehlverhalten und wird von den Vorgesetzten oft ignoriert. Die Ansicht über-
wiegt, dass Soldaten und Polizisten nicht für ihre Taten zur Verantwortung ge-
zogen werden können. Die Frauen seien selbst Schuld an ihrer Vergewaltigung.
Die Bevölkerung nimmt deshalb die staatliche Armee und Polizei eher als
Feinde, denn Beschützer wahr. Längst hat eine Kultur der Verrohung und Anar-
chie um sich gegriffen, weshalb Vergewaltigungen selbst durch Zivilisten stark
zugenommen haben. Die kongolesische Regierung ist unfähig, angemessen auf
die Lage zu reagieren. Der fortgesetzte Krieg und die sexualisierte Gewalt im
Ost-Kongo ist eine Gefahr für einen dauerhaften Frieden im gesamten Kongo.

Noch immer zeigen die VN-Resolution 1325 und der Humanitäre Aktions-Plan
für den Kongo von 2007 in der Praxis kaum Wirkung. Weder das jüngste Frie-
densabkommen von Goma für den Ostkongo vom Januar 2008 noch die inter-
nationale Präsenz im Kongo hat bislang die Sicherheit von Frauen spürbar er-
höht. Das Friedensabkommen hat die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und
deren Schutz nicht thematisiert. Die VN-Friedensmission MONUC (Mission der
Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo) ist an den Brenn-
punkten sexualisierter Gewalt völlig unterrepräsentiert. Zudem sind die Soldaten
der MONUC sogar selbst immer wieder an sexuellen Übergriffen, Vergewal-
tigungen oder der Prostitution Minderjähriger beteiligt, wenngleich die VN ent-
lang ihrer proklamierten „Null-Toleranz Richtlinie“ versucht, die Missstände mit
einem speziellem Trainings-Programm für Mitarbeiter von Friedensmissionen
zu beheben. Die vorgesehene Entwaffnung oder Wiedereingliederung von An-
gehörigen der marodierenden Gruppen in die offizielle Armee werden nicht um-
gesetzt. Maßnahmen zur Reform des Sicherheitssektors und des Polizeiaufbaus
wie der EU (EUSEC und EUPOL) fokussieren das Thema sexualisierte Gewalt
gegenüber Frauen nur mangelhaft. Es fehlt an speziellen Schulungsprogrammen
für Armee und Polizei. Außerdem mangelt es zu deren Umsetzung auch am not-
wendigen Fachpersonal.

Medizinische, psychologische oder gar juristische Hilfe erreicht nur die wenigs-
tens Opfer. Mobile Ärzte- und Hilfsteams wie die des „General Referral Hos-
pital of Panzi“ in Bukavu versuchen zwar mit bewundernswerter Aufopferung
die verletzten Frauen in den Dörfern ausfindig zu machen. Letztlich sind aber
die vorhandenen Einrichtungen zu klein und personell und materiell überfordert,
die physischen und psychischen Wunden angemessen zu versorgen. Die Kran-
kenhäuser sind völlig überbelegt. Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger
sind überlastet. Ihnen fehlen erforderliche professionelle sozio-psychologische
Schulungen.

Die rudimentäre Infrastruktur verhindert, dass Opfer Krankenhäuser erreichen
und Helfende auch in abgelegene Gebiete gelangen können, in denen Frauen be-
sonders schutzlos sind.

Viele freiwillige Helfer vor Ort geraten oft selbst in Not, weil ihnen die Zeit
fehlt, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen und sie zudem bedroht wer-
den. Angemessenen Schutz und eine Aufwandsentschädigung können lokale
Hilfsorganisationen nicht leisten.

Für Vergewaltiger herrscht in der Demokratischen Republik Kongo faktisch
Straffreiheit. Der kongolesische Staat ist unwillig, Frauen angemessen zu schüt-

zen. Wiederholte Aufrufe der internationalen Gemeinschaft wie durch die VN

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9779

und die EU an die kongolesische Regierung endlich eine Null-Toleranz Politik
gegen sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen umzusetzen, sind nahezu ergeb-
nislos verhallt. Zwar wurde 2006 auch Vergewaltigung unter Strafe gestellt,
doch kommen die Gesetze nicht oder nur unzureichend zur Anwendung. An-
klagen wegen Vergewaltigung erfolgen entweder gar nicht oder werden ver-
schleppt. Verurteilte können sich freikaufen oder einfach fliehen, ohne dass sie
verfolgt würden. Viele Vergewaltiger suchen ihre Opfer erneut auf und ver-
gewaltigen diese aus Rache wieder. Auch Zeuginnen und Zeugen sowie An-
gehörige lokaler Hilfsorganisationen, die sich für die Opfer einsetzen, werden
bedroht und angegriffen. Ein Opfer- und Zeugenschutzprogramm gibt es nicht.
Es mangelt an Anwältinnen und Anwälten, Staatsanwältinnen und Staatsanwäl-
ten und einer Polizei, die die Sexualverbrechen gegenüber Frauen gezielt ver-
folgt. Diese Kultur der Straflosigkeit muss ein Ende haben. Dringend ist ein um-
fassender Ausbau des Justizsystems mit mehr und besser geschultem Personal
erforderlich.

Die kongolesischen Politiker nehmen das Ausmaß der Gewalt gegenüber Frauen
nicht ausreichend wahr. Vergewaltigung wird weiter tabuisiert. Männliche Poli-
tiker greifen das „Frauenthema“ nur unwillig auf. Der Regierung fehlen umfas-
sende nationale Handlungskonzepte. Der öffentliche Druck, den lokale Hilfs-
organisationen auf Politiker auszuüben versuchen, ist viel zu gering. Ihnen feh-
len für eine wirksamere Lobby-Arbeit die erforderlichen Ressourcen.

Systematische sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen ist ein Verbrechen gegen
die Menschlichkeit. Nicht nur die Demokratische Republik Kongo, sondern
auch die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen (VN), Afrikani-
sche Union (AU), Europäische Union (EU) und damit auch die Bundesregierung
stehen deshalb in der Mitverantwortung, die Frauen in der Demokratischen Re-
publik Kongo zu schützen. Dazu verpflichten vor allem auch die VN-Resoluti-
onen 1325 und jüngst nochmals die VN-Resolution 1820.

Die Bundesregierung pflegt zwar enge bilaterale Kontakte zu der Regierung Ka-
bila, hat mittlerweile einen Friedensfonds in Höhe von 50 Mio. Euro eingerichtet
und stellt humanitäre Hilfe zur Verfügung. Dennoch ist eine spürbare Verbesse-
rung der Sicherheitslage von Frauen und der Versorgung der Opfer sexualisierter
Gewalt nicht zu verzeichnen. Im Rahmen von EUSEC und EUPOL ist die Bun-
desrepublik Deutschland so gut wie gar nicht präsent. Für eine wirksame Be-
kämpfung fehlt es an einem zielgerichteten Einsatz der Mittel.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– ihre Verpflichtungen aus den VN-Resolutionen 1325 und 1820 zu erfüllen
und die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen mit allen erforderlichen Mit-
teln wirksam zu bekämpfen;

– sich innerhalb der VN dafür einzusetzen, dass MONUC sein Personal geziel-
ter an den Brennpunkten sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen einsetzt;

– sich innerhalb der VN und gegenüber der kongolesischen Regierung dafür
einzusetzen, dass die Entwaffnung und Demobilisierung der marodierenden
Gruppen endlich umgesetzt wird;

– sich gegenüber der kongolesischen Regierung dafür einzusetzen, dass straf-
fällige Militärangehörige strafrechtlich verfolgt werden und sie einen Verifi-
zierungsmechanismus einrichtet, der sicherstellt, dass keine Offiziere in Füh-
rungspositionen gelangen, die in Verbindung mit Vergewaltigungen und kri-
minellen Aktivitäten stehen;

– innerhalb der VN und EU darauf zu drängen, dass das kongolesische Militär-

und Polizeipersonal im Rahmen gesonderter Programme geschult wird, die
das Thema sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und effektiver Schutz von

Drucksache 16/9779 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zivilisten, wie auch den Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern loka-
ler Hilfsorganisationen vor gewalttätigen Übergriffen zum Inhalt haben;

– sich innerhalb der VN dafür einzusetzen, dass Schulungen des MONUC-Per-
sonals vorangetrieben werden;

– selbst mehr Fachpersonal vor allem zu EUSEC und EUPOL zu entsenden;

– die kongolesische Regierung und Politikerinnen und Politiker im Kongo zu
drängen, ein angemessenes Handlungskonzept zur Bekämpfung von sexuali-
sierter und sexueller Gewalt gegenüber Frauen vorzulegen, das sowohl eine
grundlegende Strategie, als auch einen operativen Aktionsplan enthält;

– hierzu den bilateralen Dialog mit der kongolesischen Regierung intensiv zu
nutzen, ihn um das Schwerpunktthema „sexualisierte Gewalt gegenüber
Frauen“ zu ergänzen, um den Druck zur Umsetzung der erforderlichen
Agenda hoch zu halten;

– sich für eine konzertierte Zusammenarbeit von VN, AU und EU hinsichtlich
der Frage sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen einzusetzen, um angemes-
sene Hilfe und Schutz von Frauen sicherzustellen;

– sich innerhalb der VN für eine angemessene Umsetzung des humanitären
Aktions-Plans für den Kongo einzusetzen und die Bekämpfung sexualisierter
Gewalt gegenüber Frauen stärker zu fokussieren;

– sich an der geplanten Arbeitsgruppe der VN zur Bearbeitung sexualisierter
Gewalt im Kongo zu beteiligen und diese angemessen zu unterstützen;

– sich gegenüber der kongolesischen Regierung dafür einzusetzen, dass sie
eine spezielle Polizei-Einheit zur Verfolgung sexualisierter Gewalt gegen-
über Frauen aufstellt;

– Mittel des Friedensfonds gezielt für Frauen einzusetzen, die Opfer sexuali-
sierter Gewalt wurden und hierzu lokale Hilfsorganisationen und ihre Helfe-
rinnen und Helfer, die Opfer von sexueller Gewalt betreuen und beraten, zu
unterstützen;

– Mittel des Friedensfonds gezielt auch für Frauen einzusetzen, die sich auf-
grund von Vergewaltigungen mit HIV infiziert haben;

– misshandelten Frauen verstärkt den Zugang zu medizinischer, psychologi-
scher und juristischer Unterstützung zu ermöglichen und hierzu einen spezi-
ellen Unterstützungsfonds einzurichten, mit dem auch entsprechende Fach-
einrichtungen und Programme lokaler Hilfsorganisationen wie auch deren
Helfer finanziert werden können, die sich für verletzte und traumatisierte
Frauen einsetzen;

– insbesondere für nach einer Vergewaltigung schwanger gewordener Frauen
einen einfachen Zugang zu Abtreibungen zu schaffen;

– spezielle Programme zur psychosozialen Schulungen für Krankenhausperso-
nal sowie Programme zur Förderung der erforderlichen Ausbilderinnen anzu-
stoßen und zu fördern;

– verstärkt spezielle Integrationsprogramme für Kinder, die aus Vergewalti-
gungen hervorgegangen sind, zu fördern;

– sich gegenüber der kongolesischen Regierung dafür einzusetzen, bestehende
Gesetze gegen Gewalt an Frauen anzuwenden;

– die kongolesische Regierung zu einer Justizreform zu drängen und zu unter-
stützen, damit die Strafverfolgung und damit der Schutz von Frauen wirksa-
mer werden;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9779

– sich gegenüber der kongolesischen Regierung dafür einzusetzen, dass Inhalte
des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in nationales Recht über-
führt werden, damit systematische Sexualverbrechen als Verbrechen gegen
die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verfolgt werden können;

– aufgrund des Ausmaßes sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen im Kongo,
in besonders schweren Fällen Verfahren vor dem Internationalen Strafge-
richtshof anzustrengen;

– die kongolesische Regierung zu drängen, Programme zum Opfer- und Zeu-
genschutz zu entwickeln und umzusetzen und sie dabei finanziell und bera-
tend zu unterstützen, damit Opfer von sexualisierter Gewalt ihre Fälle vor
Gericht bringen können;

– die kongolesische Regierung bei der strafrechtlichen Verfolgung sexualisier-
ter Straftaten gegenüber Frauen finanziell und beratend zu unterstützen;

– lokale Frauenrechtsorganisationen finanziell zu unterstützen, damit diese ge-
zielter Lobby-Arbeit gegenüber Regierungsstellen sowie Politikerinnen und
Politikern betreiben können.

Berlin, den 25. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.