BT-Drucksache 16/9443

Sicherung der interkommunalen Zusammenarbeit

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9443
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Cornelia Behm, Kerstin Andreae, Birgitt
Bender, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Brigitte Pothmer, Elisabeth
Scharfenberg, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Gerhard Schick,
Rainder Steenblock, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sicherung der interkommunalen Zusammenarbeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass die Verwaltungszusammen-
arbeit zwischen kommunalen Gebietskörperschaften ein geeignetes und viel-
fach erforderliches Mittel interner Staatsorganisation ist, um kosteneffizient
und im Interesse des Gemeinwohls Leistungen der öffentlichen Daseinsvor-
sorge zu erbringen. Vor dem Hintergrund insbesondere des demografischen
Wandels ist die interkommunale Zusammenarbeit unverzichtbar, um die Grund-
versorgung gerade in strukturschwachen Regionen zu sichern und die Gleich-
wertigkeit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Die zukünftige Bedeutung
verschiedener Kooperationsformen zwischen öffentlich-rechtlichen Institutio-
nen nimmt dabei auch in Bereichen zu, die bislang selten Gegenstand inter-
kommunaler Zusammenarbeit waren. Hierzu gehören Kulturangebote, soziale
Dienstleistungen und Bildungseinrichtungen.

Die Sicherstellung einer zuverlässigen Daseinsvorsorge, die sich den Kriterien
der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit verpflichtet sieht, ist konstitutive
Grundlage des sozialen Bundesstaates und entspricht dem Sicherheitsbedürfnis
der Bürgerinnen und Bürger.

Das Bestreben der EU-Kommission, unter Berufung auf einschlägige Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes auch solche Formen interkommuna-
ler Zusammenarbeit vergaberechtlich in die europaweite Ausschreibungspflicht
einzubeziehen, die ohne private Beteiligung erfolgen, wird vom Deutschen
Bundestag kritisiert. Der Bundesrepublik Deutschland darf durch ihren födera-
len Staatsaufbau kein Nachteil entstehen. Dies widerspräche dem Grundsatz der
verfahrensmäßigen und organisatorischen Autonomie von Mitgliedstaaten gemäß
Artikel 295 des EG-Vertrages. Interkommunale Zusammenarbeit hat nach Auf-
fassung des Deutschen Bundestages wegen ihres lokalen Bezuges keine Bin-
nenmarktrelevanz, ist eine rein verwaltungsinterne Lösung und kann deshalb

nicht dem EG-Vergaberecht unterliegen. Eine Anwendung des EG-Vergabe-
rechts würde sonst zu einem faktischen Privatisierungszwang bei Leistungen
der öffentlichen Daseinsvorsorge führen, den der Deutsche Bundestag ablehnt.

Gleichzeitig obliegt es der Verantwortung der Länder, eigene rechtliche Rah-
menbedingungen gegebenenfalls so zu korrigieren, dass interkommunale Zu-
sammenarbeit unter Beteiligung von Privaten ausgeschlossen wird. Anders-

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lautende Regelungen sind mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar und
schaffen Rechtsunsicherheit für die Kommunen. Das gilt ebenso für die im
deutschen Wettbewerbsrecht vorhandene Unterscheidung zwischen Delegation
und Mandatierung, die das EG-Recht in dieser Form nicht kennt.

Weiterhin stellt der Deutsche Bundestag fest, dass Bestrebungen der Bundes-
regierung, auch private Minderheitenbeteiligungen unter den Inhouse-Begriff
bei der Verwaltungszusammenarbeit zu fassen, die Rechtsunsicherheit für die
Kommunen nur verschärfen. Die von der Bundesregierung gewünschte Förde-
rung Öffentlich-Privater Partnerschaften darf nicht dazu führen, dass die recht-
liche Absicherung interkommunaler Kooperationen gefährdet wird.

Neben die Absicherung der interkommunalen Zusammenarbeit durch legis-
lative Maßnahmen in Ländern, Bund und EU muss eine entschlossene Strategie
treten, Anreize für interkommunale Zusammenarbeit zu schaffen und Hürden
zu beseitigen. Hierzu gehört die Möglichkeit, eine Gewerbesteuerteilung im
Falle grenzüberschreitender Gewerbegebiete zu ermöglichen, ebenso wie die
Förderung von interkommunaler Zusammenarbeit durch Bundesprogramme.
Im Mittelpunkt sollen dabei bislang unterentwickelte Bereiche der Zusammen-
arbeit im Bereich der kulturellen und sozialen Daseinsvorsorge stehen.

II. Daher fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,

1. auf Ebene der EU konsequent und dem Deutschen Bundestag nachweisbar
darauf hinzuwirken, dass die interkommunale Zusammenarbeit ohne Betei-
ligung Privater durch eine sekundärrechtliche Klarstellung tatbestandlich
vom Vergaberecht der EG ausgenommen wird;

2. davon Abstand zu nehmen, sich auf Ebene der EU auch für die vergabe-
rechtliche Freistellung von Verwaltungskooperationen mit privater Minder-
heitsbeteiligung einzusetzen und damit die Rechtsunsicherheit für die Kom-
munen nur zusätzlich zu erhöhen;

3. den Ausbau interkommunaler Zusammenarbeit gerade im Bereich der kultu-
rellen und sozialen Daseinsvorsorge konsequent und gezielt durch Förder-
programme zu unterstützen;

4. einen Vorschlag für einen Verteilungsmodus bei der Gewerbesteuerauf-
teilung im Falle gemeinsamer, grenzüberschreitender Gewerbegebiete vor-
zulegen;

5. auf die Länder dahingehend einzuwirken, dass sie in ihren gesetzlichen
Regelungen die private Beteiligung bei zulässigen Formen der interkommu-
nalen Zusammenarbeit ausschließt;

6. sich gegenüber den Ländern dafür einzusetzen, dass Einsparungen von
Kommunen durch interkommunale Zusammenarbeit sich nicht mindernd
auf die Ansprüche aus dem kommunalen Finanzausgleich auswirken;

7. auf die Länder dahingehend einzuwirken, dass die nicht EG-rechtskonforme
Unterscheidung zwischen Mandatierung und Delegation in den vergabe-
rechtlichen Bestimmungen der Länder abgeschafft wird.

Berlin, den 4. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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