BT-Drucksache 16/9358

Die europäische Integration der Republik Moldova unterstützen

Vom 28. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9358
16. Wahlperiode 28. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour,
Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die europäische Integration der Republik Moldova unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem 1. Januar 2007 ist die Republik Moldova ein unmittelbarer Nachbar-
staat der Europäischen Union (EU). Die Republik Moldova mit knapp 4 Millio-
nen Einwohnern liegt an der Schnittstelle zwischen der EU und der Gemein-
schaft Unabhängiger Staaten (GUS). Sie strebt nach der europäischen Integra-
tion, nach einer Annäherung an die EU mit dem Ziel der Mitgliedschaft und der
gleichzeitigen Wahrung ihrer bündnispolitischen Neutralität.

Der Deutsche Bundestag erkennt die Bestrebungen und Erwartungen der Repu-
blik Moldova hinsichtlich ihrer europäischen Integration an.

Die Republik Moldova hat bereits einige bedeutsame Entwicklungen auf dem
Weg der Annäherung an die EU gemacht. Das bestätigt auch die Europäische
Kommission in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht vom 3. April 2008 zur Um-
setzung der EU-Nachbarschaftspolitik in Moldova. Zu den Fortschritten zählen
beispielsweise die Annahme einer umfangreichen Strategie zur Reform des
Justizsystems, die Ratifizierung der Konvention der Vereinten Nationen (VN)
gegen Korruption, die gesetzliche Heranführung an VN-Standards und Fort-
schritte bei der Wahrung der Menschenrechte. Autonome Handelspräferenzen
und das Visaerleichterungs- und Rückführungsabkommen mit der EU sind
schrittweise Erfolge, die die Republik Moldova erzielen konnte. Zur weiteren
Annäherung an EU-Standards und internationale Menschenrechtsstandards
müssen dringend die Umsetzung der Gesetzgebung bezüglich der Gewähr-
leistung der Meinungs- und Pressefreiheit, der Unabhängigkeit der Justiz und
der Bekämpfung der Korruption vorangetrieben werden. Menschenrechtliche
Probleme bestehen dabei vor allem noch immer in dem Bereich der Situation in
Polizeigewahrsam und in Justizvollzugsanstalten.

Die Stärkung von demokratischen, rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen

Strukturen ist eine Voraussetzung sowohl für eine weitere Integration in die EU
als auch für die politische, ökonomische und gesellschaftliche Zukunft der
Republik Moldova. Entscheidende Voraussetzungen dafür sind die Unter-
stützung durch die EU, wie sie inzwischen im Rahmen des Europäischen
Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (ENPI) erfolgt, und eine aktive
innenpolitische Reformpolitik der moldauischen Regierung unter Wahrung
außenpolitischer Stabilität.

Drucksache 16/9358 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Transformationsprozess in der Republik Moldova vollzog und vollzieht sich
unter besonderen Herausforderungen. Die territoriale Integrität und Stabilität
wird seit mittlerweile eineinhalb Jahrzehnten durch die Abspaltung des Landes-
teils Transnistrien beeinträchtigt. Zu diesem „eingefrorenen Konflikt“ direkt an
der Grenze der EU gehört nach Angaben der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Lagerung von ca. 20 000 Tonnen russi-
scher Restmunitionsbestände auf ungefähr 100 Hektar Land. Auch vor diesem
Hintergrund ist eine konstruktive Rolle Russlands bei der Lösung des Konflikts
mit Umsetzung der 1999 auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul getroffenen Ver-
einbarungen von entscheidender Bedeutung.

Das international nicht anerkannte Regime Transnistriens hat 2006 durch ein
von ihm angesetztes Referendum über die Unabhängigkeit Transnistriens und
die Annäherung an die Russische Föderation abstimmen lassen. Das Referen-
dum wurde international nicht anerkannt und wegen seiner undemokratischen
Durchführung kritisiert. Generell hat die internationale Gemeinschaft mehr-
mals die Missachtung der grundlegenden Prinzipien der Demokratie, der
Rechtsstaatlichkeit und der Gewährleistung der Menschenrechte durch das
Regime Igor Smirnows angeklagt.

Die Sicherung der moldauischen Außengrenze zur Ukraine, die sich zum Teil
unter transnistrischer Verwaltung befindet, erfolgt seit 2005 mit Hilfe der EU
(EUBAM – EU Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine) zur Ver-
hinderung des Menschen-, Waffen- und illegalen Warenhandels. Die Republik
Moldova und die Ukraine haben sich am 14. April 2008 gemeinsam an die
Europäische Kommission mit der Bitte gewandt, finanzielle und technische
Unterstützung bei der Demarkation ihrer gemeinsamen Grenze, darunter auch
des transnistrischen Gebietes, zu leisten.

Die Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts im „5+2-Format“ (Konflikt-
parteien: Republik Moldova, Transnistrien; Vermittler: Russland, Ukraine,
OSZE und Beobachter: EU, USA) müssen nun nach ziemlich genau zwei-
jähriger Aussetzung über die informellen Gespräche hinaus wieder aufgenom-
men werden.

Der Deutsche Bundestag begrüßt das seit 2005 verstärkte Engagement der EU
in der Region. Die EU muss ihre Initiativen zur Beilegung des Konflikts fort-
setzen und zur Vertrauensbildung auch innerhalb der ganzen Bevölkerung bei-
tragen. Ziel muss eine Wiedererlangung der Einheit des Landes unter Rahmen-
bedingungen sein, die die Souveränität und Sicherheit der Republik Moldova
ebenso wie den Fortgang des demokratischen und rechtsstaatlichen Reform-
prozesses ermöglichen.

Seit 2007 ist die EU Haupthandelspartnerin der Republik Moldova. Die in die-
sem Jahr erworbenen autonomen Handelspräferenzen sollen dazu beitragen,
dass die negative Handelsbilanz ausgeglichen wird. Die Republik Moldova
strebt die Etablierung eines guten Investitionsklimas an. So haben sich die
direkten ausländischen Investitionen zwischen 2006 und 2007 bereits nahezu
verdoppelt.

Dennoch hat die Republik Moldova mit weiteren wirtschaftlichen Schwierig-
keiten zu kämpfen. Abhängigkeit von ausländischer Energieversorgung, ins-
besondere von Energielieferungen aus Russland, von der Agrarproduktion, die
durch die Dürre des Jahres 2007 massiv geschädigt wurde und über ein Jahr an-
haltende russische Importverbote für moldauische Produkte, speziell Wein,
haben zu dramatischen ökonomischen Auswirkungen geführt. Laut Fortschritts-
bericht der Europäischen Kommission lebt jeder/jede vierte Moldauer bzw.
Moldauerin unter der Armutsgrenze. Die massive Abwanderung hat dazu bei-
getragen, dass dem moldauischen Arbeitsmarkt junge, qualifizierte sowie auch

einfache Arbeiterinnen und Arbeiter fehlen. Nach unterschiedlichen Datenerhe-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9358

bungen befinden sich zwischen 300 000 bis 800 000 Moldauerinnen und Mol-
dauer zur oft illegalen Berufsausübung dauerhaft im Ausland. Ein Drittel des
moldauischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) speist sich aus dem von Auslands-
arbeiterinnen und -arbeitern nach Hause geschickten Geld.

Diese Entwicklungen im ärmsten Land Europas an den direkten Grenzen der
EU liegen weder im Interesse der Menschen im Land noch im Interesse der EU.
Deswegen fordert der Deutsche Bundestag eine Stärkung der Zusammenarbeit
sowohl im bilateralen als auch im europäischen Rahmen.

Der Deutsche Bundestag hat seine Unterstützung für den Transformations-
prozess und die Annäherung der Republik Moldova an die EU mit seiner Ent-
schließung vom 6. Mai 2004 bekräftigt. Deutschland ist daran interessiert, im
Laufe der Umsetzung der EU-Standards durch die Republik Moldova auch ihre
weitere Heranführung an die EU zu unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den politischen Dialog mit der Republik Moldova zu intensivieren und sich
für das Nachfolgeabkommen des 2008 auslaufenden Partnerschafts- und
Kooperationsabkommens einzusetzen, das einen neuen Raum für die ver-
tieften Beziehungen schafft, der den erzielten Fortschritten sowie den
Bedürfnissen, Bestrebungen und Erwartungen der Republik Moldova Rech-
nung trägt. Die Erteilung eines Mandats für die betreffenden Verhandlungen
in Laufe dieses Jahres wäre eine deutliche Ermutigung für die europäischen
Bestrebungen der Republik Moldova;

2. den Wunsch der Republik Moldova nach einer langfristigen EU-Beitritts-
perspektive im vollen Umfang ihrer Möglichkeiten zu unterstützen;

3. sich bei der moldauischen Regierung für die Stärkung von Demokratie und
Menschenrechten sowie die Stärkung bürgerlicher Rechte und der Zivil-
gesellschaft einzusetzen und dabei für eine verstärkte Transparenz bei der
Regierungstätigkeit und für den Dialog mit verschiedenen politischen Par-
teien zu werben;

4. sich bei der moldauischen Regierung für die Stärkung rechtsstaatlicher Insti-
tutionen, die Unabhängigkeit von Justiz und für Medienfreiheit einzusetzen;

5. die Republik Moldova aufzufordern, Foltervorwürfe gegen Polizisten um-
fassend zu untersuchen und entsprechende Verfahren gegen die beschuldig-
ten Polizisten einzuleiten;

6. die Republik Moldova bei der Verbesserung der menschenunwürdigen
Situation in den Untersuchungshaftanstalten zu unterstützen und die Justiz-
angestellten auch durch mögliche Austauschprogramme mit EU-Staaten
fortzubilden;

7. die entwicklungspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit bi- wie
multilateral fortzusetzen und ihre Instrumente auch im europäischen Raum
sowie in Zusammenarbeit mit anderen Geberländern zu intensivieren, um
den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung zu fördern und die Ab-
wanderung zu verringern sowie die Leistungskraft der Verwaltung zu stei-
gern und das Investitionsklima weiter zu verbessern;

8. sich zur Stabilisierung und zur Verstärkung der Sicherheit in der Region für
finanzielle und technische Unterstützung durch die EU bei der Demarkation
der moldauisch-ukrainischen Grenze, darunter des transnistrischen Gebietes,
einzusetzen;

Drucksache 16/9358 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
9. die EU-Mission für die moldauisch-ukrainische Grenze (EUBAM) weiter-
hin zu unterstützen, um die Sicherung der Grenze gegen illegale Waren-
transfers zu verbessern und die Souveränität der Republik Moldova in Be-
zug auf die Kontrolle der Außengrenzen und den Außenhandel zu stärken;

10. sich für die Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Beilegung des Kon-
flikts zwischen der Republik Moldova und Transnistrien im „5+2-Format“
und für eine lebensfähige Lösung des Transnistrienkonflikts einzusetzen,
die die Souveränität und territoriale Integrität der Republik Moldova unter
Gewährleistung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse im ge-
samten Staatsgebiet sichert;

11. sich für die Umsetzung der Zusicherung des Istanbulgipfels der OSZE
1999 zum Abzug von Truppen und Munition der Russischen Föderation
aus der Republik Moldova einzusetzen;

12. die Arbeit der OSZE- und der EU-Mission zu unterstützen sowie das bila-
terale Engagement anderer Partnerländer für die Republik Moldova zu för-
dern;

13. Wissenschaft und Forschung in der Republik Moldova, z. B. in Form von
technologischen Parks, zu fördern, um die Republik Moldova unter ande-
rem in der Diversifizierung ihrer Energiequellen zu unterstützen;

14. die bilaterale Zusammenarbeit im kultur- und bildungspolitischen Bereich
insbesondere durch den Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern, Studierenden und Kunst- und Kulturschaffenden zu fördern;

15. dem Deutschen Bundestag über die getroffenen Maßnahmen, Entwicklun-
gen und Erfolge regelmäßig und umfassend Bericht zu erstatten.

Berlin, den 28. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.