BT-Drucksache 16/9175

Stand der Erweiterung des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr und Einhaltung der FFH-Richtlinie

Vom 9. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9175
16. Wahlperiode 09. 05. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Undine Kurth (Quedlinburg),
Elisabeth Scharfenberg, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Sylvia Kotting-Uhl, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia
Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stand der Erweiterung des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr und
Einhaltung der FFH-Richtlinie

Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz in Bayern ist mit rund
230 Quadratkilometern der größte US-amerikanische Truppenübungsplatz in
Europa. Während zahlreiche Übungsplätze der US-Streitkräfte in Europa ge-
schlossen wurden, wird der Truppenübungsplatz Grafenwöhr im Rahmen des
Projektes „Efficient Basing East“ bereits seit Ende 2001 ausgebaut. Die
US- Streitkräfte wollen mehr als 650 Mio. Euro allein in die militärische Infra-
struktur investieren. Zusätzlich entsteht außerhalb des Truppenübungsplatzes
mit privaten Investoren die sogenannte Netzaberg New Town bei Eschenbach
mit 830 Häusern und eigener Infrastruktur für etwa 3 500 US-Soldaten und ihre
rund 5 000 Angehörigen. Die Baumaßnahmen sollen Ende 2009 abgeschlossen
sein.

Der Truppenübungsplatz Grafenwöhr gehört zu den landesweit bedeutsamen
Naturschutzgebieten Bayerns und wird vom bayrischen Staatsministerium für
Landes- und Umweltfragen als Schwerpunktgebiet des Naturschutzes geführt.
Fast 90 Prozent der Fläche des Truppenübungsplatzes sind im Rahmen von
„Natura 2000“ der EU-Kommission als Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebiete
(FFH-Gebiete) gemeldet, teilweise ausgenommen das Gebiet „Netzaberg“. Auf
dem Truppenübungsplatz befinden sich u. a. mehrere prioritäre Lebensraum-
typen, das größte Moor-Heide-Gebiet im südlichen Mitteleuropa sowie zahl-
reiche vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten. Das Gebiet hat zudem heraus-
ragende Bedeutung für den Vogelschutz. Mit der Novellierung des Bundes-
naturschutzgesetzes 1998 wurde die FFH-Richtlinie in Deutschland in Bundes-
recht umgesetzt.

Der Standort Netzaberg ist laut Meinung von Experten für eine Wohnbebauung
problematisch. Aufgrund der natürlichen Beschaffenheit des Bodens soll sich

dort eine Konzentration von bis zu 6 000 Milligramm Blei pro Kilogramm
Trockenboden befinden. Im Rahmen der Baumaßnahmen auf dem Truppen-
übungsplatz sollen außerdem 130 000 Kubikmeter bleihaltiger Erdaushub vom
Netzaberg und auch belastetes Betonabbruchmaterial aus einem Waschplatz in
das FFH-Gebiet eingebaut worden sein. Laut Standortzeitung der US-Streit-
kräfte „Bavarian News“ vom 9. April 2008 soll bleibelastete Erde sowohl beim
Bau der Verbindungsstraße nach Grafenwöhr als auch an weiteren Baustellen

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im Umweltschutzgebiet eingebaut worden sein. Für die Erweiterungs- und
Modernisierungsmaßnahmen des Truppenübungsplatzes sollen außerdem
Waldrodungen auf dem FFH-Gebiet durchgeführt worden sein.

Die Europäische Kommission führt in ihrer Antwort auf die Anfrage der grünen
Europaparlamentarierin Hiltrud Beyer vom 3. April 2008 zu Umweltverstößen
im FFH-Gebiet Grafenwöhr aus, dass „alle Pläne oder Vorhaben, auch solche
militärischer Art, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung von unter das EG-
Naturschutzrecht fallenden Gebieten zusammenhängen, aber diese Gebiete schä-
digen könnten, einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müs-
sen.“ Ausdrücklich weist die Kommission darauf hin, dass auch Ausnahmen zu
Verteidigungszwecken nach geltender Rechtssprechung des europäischen Ge-
richtshofes eng auszulegen seien. Bezüglich der Rodungen und dem Einbringen
ausgehobener bleihaltiger Erde in das FFH-Gebiet weist die Kommission zudem
darauf hin, dass es sich laut EG-Rechtsvorschriften hierbei um Tätigkeiten han-
deln könnte, die Umweltschäden verursachen könnten. Zur Prüfung eines Ver-
tragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG-Vertrag fordert die Kommis-
sion daher zusätzliche Informationen.

Wir fragen die Bundesregierung:

Zur Einhaltung der FFH-Richtlinie

1. Welche Gebiete im Nutzungsbereich des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr
sind bislang in welcher Form als Teile des europäischen Netzes „Natura
2000“ gemeldet bzw. ausgewiesen?

2. Welche jeweiligen Erhaltungs- und Entwicklungsziele wurden für die FFH-
Schutzgebiete auf dem Truppenübungsplatz festgelegt?

3. Wurde im Zusammenhang mit den Planungen „Netzaberg New Town“ und
„Efficient Basing East“ ein Raumordnungsverfahren mit FFH-Verträglich-
keitsprüfung durchgeführt, und wenn ja, von wem, und mit welchem Ergeb-
nis, wenn nein aus welchen Gründen nicht?

4. Wie wurden die Belange der betroffenen Gemeinden und Anwohner in die
Planungen mit einbezogen?

5. Welche Auswirkungen haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Bau-
maßnahmen auf die natürlichen Lebensräume und Habitate der FFH-Schutz-
gebiete, und wie bewertet die Bundesregierung insbesondere die Auswir-
kungen der Baumaßnahmen im Hinblick auf jene Verpflichtungen, die sich
aus Artikel 6 Abs. 3 und 4 und Artikel 7 der FFH-Richtlinie ergeben?

6. a) Wurde bzw. wird in den FFH-Schutzgebieten der Zustand der schützens-
werten Naturbestände durch ein Monitoring erfasst?

b) Wenn nein, warum nicht, bzw. ist es geplant, ein solches Monitoring auf-
zunehmen?

c) Wenn ja, sind die Ergebnisse öffentlich zugänglich, bzw. aus welchen
Gründen sind sie nicht öffentlich zugänglich?

7. Welche konkreten Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Schadensbe-
grenzung wurden ergriffen, um die Störung bzw. die Beeinträchtigung der
FFH-Schutzgebiete durch die Baumaßnahmen zu verhindern bzw. zu min-
dern?

8. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass bleihaltiger Erdaushub
und belastetes Abbruchmaterial in das FFH-Gebiet verbaut wurde, und
wenn ja, wie viel, woher stammt dieses, für welche konkreten Projekte

wurde es verbaut, und welche deutschen Behörden waren darüber infor-
miert?

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9. Wann, in welchem Umfang, und für welche Projekte wurden nach Kennt-
nis der Bundesregierung im FFH-Gebiet Waldrodungen durchgeführt?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung der europäischen Kom-
mission, wonach Rodungen und das Einbringen bleihaltigen Aushubmate-
rials in ein FFH-Gebiet gegen EU-Recht verstoßen könnten?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Auffassung der europäischen Kom-
mission, wonach Verursacher das belastete Material auf eigene Kosten wie-
der aus dem FFH-Gebiet entfernen müssen?

12. Welche Vorkehrungen trifft die Bundesregierung, damit bei laufenden und
künftigen Baumaßnahmen eine Beeinträchtigung des FFH-Gebietes ver-
hindert wird?

13. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Ausgleichsmaßnahmen für die
Eingriffe, und wenn ja, welche, und wann wurden bzw. sollen diese durch-
geführt werden?

14. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten für die
durchgeführten bzw. zu erwartenden Ausgleichsmaßnahmen?

15. Trifft es zu, dass die US-Streitkräfte ein so genanntes Ökokonto für Aus-
gleichsmaßnahmen eingerichtet haben, und wenn ja, welche Maßnahmen
des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind hier erfasst?

Zu Umwelt- und Lärmbelastungen

16. Liegen der Bundesregierung Untersuchungen über die Auswirkungen des
Übungsbetriebes auf den Natur- und Landschaftsschutz sowie den Lärm-
schutz vor, bzw. hat die Bundesregierung eigene Untersuchungen durchge-
führt?

a) Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

b) Sind nach Ansicht der Bundesregierung in den Untersuchungen bzw.
Stellungnahmen die Besonderheiten des Natur- und Landschaftscharak-
ters ausreichend berücksichtigt?

c) Sind weitere Untersuchungen bzw. Stellungnahmen geplant?

Wenn ja, zu welchen Aspekten, und aus welchen Gründen?

d) Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

17. Welche militärischen Altlasten befinden sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes?

18. Welche Untersuchungen über die Art und Gefährlichkeit von Umweltalt-
lasten auf dem Truppenübungsplatz sind der Bundesregierung bekannt, und
haben die US-Streitkräfte eine solche Untersuchung durchgeführt, die Um-
weltaltlasten kartiert und den deutschen Behörden übergeben?

19. Welche Luft-, Boden- und Grundwasserbelastungen entstehen nach Kennt-
nis der Bundesregierung durch den Übungsbetrieb auf dem Truppen-
übungsplatz Grafenwöhr?

20. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung zu Umweltschädlichkeit
und Toxizität im Zusammenhang mit der Verwendung von Munition,
Sprengstoff, Treibstoffen etc. vor?

21. Wie und in welcher Form ist die Schadensbeseitigung und Sanierung des
Übungsgeländes im Falle eines Abzuges der US-Streitkräfte geregelt?

22. Wie beurteilt die Bundesgerierung die gesundheitliche Belastung der An-

wohner im Umfeld des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr?

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23. Welche Regelung ist für die Begrenzung der Schießlärmbelastung der Be-
völkerung getroffen?

24. Welche Beschwerdemöglichkeiten haben die Anwohner bei Lärmbelastun-
gen, beispielsweise durch verlängerte Schießzeiten?

25. Wie viele Beschwerden von Anwohnern des Truppenübungsplatzes wegen
Lärmbelästigung sind in den vergangenen sieben Jahren eingegangen (bitte
aufgeschlüsselt nach Anzahl, Jahr und Grund der Beschwerde)?

26. Wie viele solcher Beschwerden waren aus Sicht der zuständigen Behörden
berechtigt, und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

27. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Verlegung der Schießbahn
213 bei Auerbach, die nur 500 Meter von der nächsten Wohnbebauung ent-
fernt ist, eine vertretbare Option, um Lärmbelastungen der Anwohner zu
reduzieren, und wenn nein, warum nicht?

28. Beabsichtigt die Bundesregierung Maßnahmen zur Verringerung des
Schießlärms zu ergreifen, und wenn ja, welche, und wann sind diese ge-
plant?

Trifft es beispielsweise zu, dass die Bundesregierung bezüglich der Schieß-
bahn 213 die Errichtung eines Lärmschutzwalles prüft?

Sind darüber hinausgehende Schutzmaßnahmen geplant?

Wer trägt die Kosten für entsprechende Schallschutzmaßnahmen, und wie
hoch veranschlagt die Bundesregierung diese?

29. Wie sind die Schießzeiten in der Verwaltungsvereinbarung von 1993 kon-
kret geregelt?

30. Wie viele Ausnahmen von den in der Verwaltungsvereinbarung vereinbar-
ten Schießzeiten hat der Bundesminister der Verteidigung seit 2001 geneh-
migt, und mit welcher Begründung (bitte aufgeschlüsselt nach Anzahl,
Zeitraum und Grund der Ausnahme)?

31. Wie wird sichergestellt, dass die Anwohner und Anwohnerinnen angemes-
sen von geänderten Schießzeiten informiert werden?

32. Welche Planungen bestehen hinsichtlich eines Ausbaus des Flugplatzes
Grafenwöhr (z. B. Verlängerung der Startbahn, Hubschrauberlandeplätze)?

33. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung durch den Ausbau des Flugplat-
zes Änderungen der Flugbewegungen zu erwarten, und wenn ja, welche?

34. Welche Regelungen sind getroffen worden, um die Zivilbevölkerung vor
Fluglärm zu schützen?

Zur „Netzaberg New Town“

35. Inwieweit wurden vor Genehmigung der Wohnbebauung Netzaberg die ge-
ologischen Besonderheiten berücksichtigt, konkret die hohe Bleikonzentra-
tion des Bodens, und wie bewertet die Bundesregierung die Bebauung an-
gesichts der hohen Bleiwerte?

36. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass in den für die Wohn-
bebauung Netzaberg neu gebohrten Trinkwasserbrunnen der Stadt Eschen-
bach erhöhte Radon- und Radiumwerte gefunden wurden, und wenn ja, wie
hoch sind die jeweiligen Werte, und wie beurteilt die Bundesregierung das
Gefährdungspotenzial für die dort lebenden Menschen, vor allem für
Kleinkinder?

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37. Ist es aus Sicht der Bundesregierung zulässig, eine Wohnbebauung für
Familien als Truppenbaumaßnahme zu definieren, wenn Bauherr und
Geldgeber private Unternehmen sind?

Welche Ausführungsbestimmungen oder richterliche Entscheidungen gibt
es nach Kenntnis der Bundesregierung hierfür?

38. Trifft es zu, dass die Bundesregierung eine zusätzliche Mietgarantie gegen-
über dem Investor der Wohnbebauung Netzaberg über einen Zeitraum von
fünf Jahren gewährt, und wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage basiert
diese Risikoübernahme?

39. Wie ist bei einer Aufgabe des Mietverhältnisses der US-Streitkräfte die
Garantieleistung geregelt, und in welcher Rangfolge muss wer für einen
Mietausfall garantieren?

40. Ist die US-amerikanische Militär- oder Zivilpolizei befugt, innerhalb der
Wohnbebauung Netzaberg Verkehrs- und Personenkontrollen durchzufüh-
ren?

41. a) Welches Bedrohungspotenzial misst die Bundesregierung der US-Sied-
lung Netzaberg durch Terroranschläge bei, und welche Maßnahmen
zum Schutze der amerikanischen Bürgerinnen und Bürger und der Zivil-
bevölkerung in der Umgebung der US-Wohnanlagen werden angesichts
jüngster Anschlagsdrohungen getroffen?

b) Wer ist für die Durchführung der Schutzmaßnahmen zuständig, und sind
auch bewaffnete amerikanische Soldaten/Polizisten außerhalb des Trup-
penübungsplatzes mit Schutzmaßnahmen betraut?

42. Trifft es zu, dass US-Soldaten, die außerhalb des Truppenübungsplatzes
wohnen, ihre Waffen mit nach Hause nehmen, und wenn, ja, wie ist dies
mit deutschem Waffenrecht vereinbar?

43. a) Ist der Bund bzw. sind die Länder oder Kommunen an der Finanzierung
der Baumaßnahmen der Projekte „Netzaberg New Town“ und „Efficient
Basing East“ beteiligt, und wenn ja, in welchem Umfang?

b) An welchen Projekten war der Bund finanziell beteiligt, und aus wel-
chen Haushaltstiteln wurde die Finanzierung geleistet (bitte einzeln auf-
geschlüsselt)?

44. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Stationierungsdauer
der US-Streitkräfte in der Region?

Berlin, den 8. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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