BT-Drucksache 16/9171

Zur Umsetzung des Aktionsplans - Zivile Krisenprävention

Vom 9. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9171
16. Wahlperiode 09. 05. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe,
Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Umsetzung des Aktionsplans – Zivile Krisenprävention

Gemeinsam mit der Schweiz und den skandinavischen Ländern gehörte
Deutschland zu den innovativen und treibenden Kräften für den Auf- und
Ausbau einer handlungsfähigen Infrastruktur für zivile Krisenprävention und
ziviles Krisenmanagement. Die Bundesregierung hat bis vor einigen Jahren
erheblich dazu beigetragen, dass national wie international neue Strategien,
Instrumente und Fähigkeiten für eine effektive Krisenprävention entwickelt
und umgesetzt werden. Während in anderen europäischen Ländern (vor allem
Großbritannien, der Schweiz und Skandinavien) eine zielgerichtete Weiterent-
wicklung der zivilen Strategien, Instrumente und Fähigkeiten erfolgt, ist in
Deutschland derzeit weitgehend Stillstand zu verzeichnen.

Mit dem 2004 von der Bundesregierung beschlossenen Aktionsplan „Zivile Kri-
senprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (nachfolgend über-
wiegend als zivile Krisenprävention gefasst) hat die Bundesregierung die zivile
Krisenprävention und Konfliktbewältigung stärker ins Zentrum ihrer Außen-
politik gestellt. Sie hat ressortübergreifend einen umfassenden Handlungsrah-
men zur zivilen Krisenbewältigung formuliert und angekündigt, die Kohärenz
und Handlungsfähigkeit in diesem Bereich weiter ausbauen zu wollen. Der res-
sortübergreifende Aktionsplan verstärkt vom Anspruch her Krisenprävention
als Querschnittsaufgabe in der Politik der Bundesregierung. Konzeptionell ist er
ein wichtiger Schritt für mehr Kohärenz und Effizienz krisenpräventiver Politik
und trägt zu einer stärkeren Koordination zwischen staatlichen und nichtstaat-
lichen Akteuren bei. Für die Implementierung des Aktionsplans hat der „Res-
sortkreis zivile Krisenprävention“, an dem alle relevanten Ministerien beteiligt
sind, eine zentrale Funktion. Als wichtigste Schnittstelle zwischen Bundesregie-
rung und Zivilgesellschaft hat der Ressortkreis einen Beirat einberufen, der den
Ressortkreis fachlich begleitet und berät. Ihm gehören Vertreter und Vertreterin-
nen aus Wissenschaft, Nichtregierungsorganisationen und auch der Wirtschaft
an. In der Fachöffentlichkeit und international fand der Aktionsplan hohe An-
erkennung. Zugleich wurde im Aktionsplan aber auch eingeräumt, dass es hin-
sichtlich der Ressourcen, Strukturen und Kompetenzen Handlungsbedarf gibt.

In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. Novem-
ber 2005 heißt es: „Deutsche Außenpolitik fußt auf einem umfassenden Sicher-
heitsbegriff, der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik miteinander ver-
knüpft. Dabei wollen wir insbesondere unsere Instrumentarien zur Krisenprä-
vention und -reaktion ausbauen. (…) Der Ressortkreis Zivile Krisenprävention
soll gestärkt, Frühwarnmechanismen sollen verbessert werden. (…) Wir wer-

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den den Aktionsplan der Bundesregierung zur Zivilen Krisenprävention umset-
zen.“ (S. 159) Im ersten Umsetzungsbericht der Bundesregierung zum Aktions-
plan von Mai 2006 wird eine Vielzahl von krisenpräventiven Aktivitäten auf-
gezählt. Allerdings fehlt es an einem übergreifenden Ansatz, in dem die viel-
fältigen Maßnahmen und Einzelaktivitäten mit einer Version verknüpft und
aufeinander bezogen werden. Auch fehlt es an einer Kommunikationsstrategie
mit der zivile Krisenprävention und deren Erfolge für die breite Öffentlichkeit
sichtbar und wahrnehmbar gemacht wird. Ebenso sind im Bereich des Main-
streaming der Krisenpräventionspolitik der Bundesregierung weitere Schritte
zur Herstellung von Kohärenz notwendig. Mittlerweile wurden die finanziellen
Mittel für Krisenprävention im Auswärtigen Amt zwar erhöht, für eine Verbes-
serung und erhöhte Kohärenz der Krisenpräventionspolitik der Bundesregie-
rung ist dies laut einhelliger Expertenmeinung aber nicht ausreichend.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung den Stellenwert des Aktionsplans „Zivile
Krisenprävention“ für eine zukunftsfähige Friedens- und Sicherheitspolitik?

2. a) Wann legt die Bundesregierung den zweiten Umsetzungsbericht zum
Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ vor?

b) Wie und in welchem Format soll dieser der Öffentlichkeit vorgestellt
werden?

c) Wie will die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass der zweite Umset-
zungsbericht mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhält als der
erste?

d) Wird es eine für die Presse und die breite Öffentlichkeit konsumierbare
Kurzfassung geben?

3. a) In welchen Strukturen, Mechanismen und Prozessen findet bisher kon-
kret die ressortübergreifende Zusammenarbeit im Bereich der zivilen Kri-
senprävention statt?

b) Wie haben sich diese bewährt, und in welchen Strukturen will die Bun-
desregierung künftig die ressortübergreifende Zusammenarbeit weiter
ausrichten?

4. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung in dieser Legis-
laturperiode ergriffen, um die ressortübergreifende Zusammenarbeit, die
Kohärenz und die Führungsfähigkeiten im Bereich der zivilen Krisenprä-
vention weiter zu entwickeln?

5. Welche konkreten Aufgaben und Befugnisse hat der Ressortkreis „Zivile
Krisenprävention“, wie ist dieser derzeit personell und finanziell ausgestat-
tet, und welche Maßnahmen sollen ergriffen werden, um die Steuerungs-
kompetenz sowie die finanzielle und personelle Ausstattung des Ressort-
kreises zu verbessern?

6. Welche konkreten Initiativen hat der Ressortkreis ergriffen, mit welchen Er-
gebnissen, und wie sind diese umgesetzt worden?

7. Koordiniert der Ressortkreis den Aufbau ziviler Krisenpräventionskapazitä-
ten?

Falls nicht, wo findet sonst die Koordinierung statt, z. B. hinsichtlich der
geplanten Vorbereitung und Bereitstellung von Polizeikräften der Bundes-
polizei?

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8. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einsatz der auf die Haushaltsjahre
2006 bis 2008 beschränkten sogenannten Ressortkreismittel in Höhe von
10 Mio. Euro, und falls der Einsatz für die „Provincial Development
Funds“ in Afghanistan aus Sicht der Bundesregierung erfolgreich war,
welche Mittel wird dann die Bundesregierung dem Ressortkreis künftig zur
Verfügung stellen?

9. a) Wie nutzt die Bundesregierung die im Beirat als wichtigstem Bindeglied
der Ressorts zur Zivilgesellschaft bei der Krisenpräventionspolitik ver-
sammelte hohe Kompetenz für die Krisenpräventionspolitik?

b) Welche Erwartungen hat die Bundesregierung an den Beirat, und inwie-
weit werden Initiativen des Beirates von der Bundesregierung aufgegrif-
fen?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die Zusammenarbeit zwischen Beirat
und Ressortkreis?

d) Werden Strategien, etwa für den Einsatz der zusätzlichen Haushaltsmit-
tel für das Auswärtige Amt, im Beirat offen diskutiert?

e) Hat der Beirat die Möglichkeit, sich zur Krisenpräventionspolitik der
Bundesregierung zu äußern, naheliegender Weise z. B. im Umsetzungs-
bericht?

10. Wird der Einsatz der zusätzlichen Mittel des Auswärtigen Amtes für Kri-
senpräventionspolitik in eine Gesamtstrategie der Bundesregierung einge-
bunden?

Findet die Erörterung und Erstellung dieser Strategie im dafür vorgesehe-
nen Abstimmungsgremium, im Ressortkreis statt?

Welches Aussehen und welchen Inhalt hat diese Strategie?

11. Wo ist künftig die Position des Beauftragten für zivile Krisenprävention im
Auswärtigen Amt angesiedelt, und inwieweit wird nach Auffassung der
Bundesregierung dadurch die Stellung des Beauftragten für zivile Krisen-
prävention geschwächt oder gestärkt?

12. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die Position
des Beauftragten für zivile Krisenprävention personell wie materiell zu
stärken, auszubauen und damit handlungsfähiger zu machen?

13. Teilt die Bundesregierung die Forderung vor allem aus der Zivilgesell-
schaft nach Berufung eines Sonderbeauftragten der Bundesregierung für
Krisenprävention, um zivile Krisenprävention als Querschnittsaufgabe der
Politik besser zu verankern und zu stärken?

Wenn ja, welche Maßnahmen sind wann geplant, und wenn nein, aus wel-
chen Gründen nicht?

14. a) In Großbritannien wurde mit dem Ziel der Herstellung von Kohärenz
ein Ressourcenpooling vorgenommen („Global Conflict Prevention
Pool“). Inwieweit wurden Erfahrungen hiermit durch die Bundesregie-
rung ausgewertet?

b) Beabsichtigt die Bundesregierung zusätzlich zu den Ressorts der Einzel-
ministerien einen Ressourcenpool für ressortübergreifende Maßnahmen
der Krisenprävention einzurichten, um Anreize für kohärentes Handeln
zu geben, und wenn ja, welche Schritte sollen bzw. sind dafür bereits
eingeleitet worden, und wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

15. Beabsichtigt die Bundesregierung Initiativen zum Aufbau eines Euro-
päischen Friedenskorps zu unterstützen?

Wenn ja, welche Schritte sind dafür bereits unternommen worden bzw. sind
geplant, und wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

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16. Wie ist der Stand der Vorbereitungen für ein ziviles Entsendegesetz (Zivile-
Einsatzkräfte-Gesetz), und was steht einer zügigen Vorlage des Gesetzent-
wurfes entgegen?

17. a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass Fachkräfte des Zivilen
Friedensdienstes (ZFD) in Konfliktregionen erfolgreich zur Friedens-
förderung beitragen, und welche Maßnahmen will die Bundesregierung
ergreifen, um den ZFD vom Status eines „Pilotprojektes“ zu einem
Instrument regional wirksamer Friedensförderung zu machen (vgl. Eva-
luationsbericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung von 2002, wonach 500 Friedensfachkräfte hier-
für als notwendig erachtet wurden)?

b) Welche Maßnahmen zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen des
ZFD sind geplant?

c) Wie sollen diese der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht und wie
sollen sie der breiten Öffentlichkeit illustriert werden?

d) Welche Maßnahmen sind geplant, um den ZFD weiter zu professionali-
sieren und zu profilieren?

18. a) Wie wird die Arbeit von „zivik“ (zivile konfliktbearbeitung) von der
Bundesregierung eingeschätzt?

b) Ist die erhebliche Mittelsteigerung für 2008 ein Hinweis darauf, dass die
Erfolge von „zivik“ positiv gesehen werden?

c) Wird die Bundesregierung dem Auftrag des Aktionsplans, die Mittel für
„zivik“ zu verstetigen, nachkommen, und wenn ja, in welcher Höhe,
wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeiten und Notwendigkei-
ten zur Aufstellung nationaler ziviler Planziele angesichts der Tatsache,
dass die EU zivile Planziele für Schlüsselfähigkeiten der zivilen Krisenprä-
vention bereits definiert hat?

20. a) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang ergriffen bzw.
sind von der Bundesregierung geplant, um die im ersten Umsetzungs-
bericht des Aktionsplans geforderte Kommunikationsstrategie zu ent-
wickeln, mit der der strukturellen „Unsichtbarkeit“ von ziviler Krisen-
prävention entgegengewirkt werden kann?

b) Welche Veranstaltungen oder Unterrichtungen zu ziviler Krisenpräven-
tion hat die Bundesregierung wann und wie oft in den letzten zwei Jah-
ren durchgeführt?

c) Wie hat sie ihre im ersten Umsetzungsbericht angekündigte Absicht um-
gesetzt „durch gezielte Kontakte zu Medienvertretern (…) den deut-
schen Beitrag zu Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonso-
lidierung für eine breite interessierte Öffentlichkeit sichtbar zu machen“
(Erster Umsetzungsbericht der Bundesregierung, Mai 2006)?

21. In welchen Foren und Zusammenhängen im Bereich der zivilen Krisenprä-
vention arbeitet die Bundesregierung mit staatlichen und zivilgesellschaft-
lichen Akteuren bisher regelmäßig zusammen, und in welcher Weise soll
diese Zusammenarbeit weiter entwickelt werden, um die Koordination in
diesem Politikbereich zu verbessern?

22. Hat die Bundesregierung Analysen „zur Schließung konzeptioneller Lücken
im Bereich der zivilen Krisenprävention, (die) sowohl grundsätzliche Fra-
gen als auch die Entwicklung praxisbezogener Konzepte für unterschied-
liche Teilbereiche der Krisenprävention umfass(en)“ (Aktionsplan „Zivile

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Krisenprävention“ 2004) in Auftrag gegeben, und wenn ja, wie oft, und mit
welchen Ergebnissen, und wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

23. Wie viele finanzielle Mittel wurden seit der Erstellung des Aktionsplans
für operative Maßnahmen ziviler Krisenprävention im Bundeshaushalt auf-
gewandt, und wie ist die Entwicklung der Haushaltsmittel seit 2004 (bitte
jährlich aufgeschlüsselt)?

24. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die trans-
parente und abgestimmte Verwendung der krisenpräventiven Mittel aller
Ressorts zu verbessern?

25. Welche Frühwarnmechanismen gibt es jeweils in den einzelnen Ressorts,
und was hat die Bundesregierung bislang getan, um diese Instrumente wirk-
samer zu nutzen, aufeinander abzustimmen und systematisch miteinander zu
vernetzen?

26. a) In welcher Weise kooperiert die Bundesregierung mit nichtstaatlichen
Frühwarneinrichtungen, und wie bewertet sie diese Zusammenarbeit?

b) Inwieweit kooperiert die Bundesregierung mit Frühwarneinrichtungen
in anderen europäischen Ländern, und welche Erfahrungen wurden da-
mit jeweils gemacht?

c) Welche Maßnahmen sollen unternommen werden, um die Zusammen-
arbeit mit nichtstaatlichen Frühwarneinrichtungen national wie inter-
national zu intensivieren?

d) Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Tat-
sache, dass das international hoch anerkannte Early Warning Programm
„FAST International“ (Frühanalyse von Spannungen und Tatsachen-
ermittlung) von Swisspeace wegen mangelnder Förderung nicht fortge-
führt werden kann?

27. Hat der Ressortkreis den Bundessicherheitsrat befasst, und wenn ja, wie oft
und aus welchen Gründen?

28. Welche Beiträge leistet die Bundesregierung für die Peacebuilding Com-
mission der VN, welche Beiträge sind zu den zivilen Planzielen der EU
2010 geplant, und wie können die deutschen Beiträge jeweils gewährleistet
werden?

29. Wann und in welcher Höhe hat die Bundesregierung ihren Beitrag für den
VN-Fonds für Friedenskonsolidierung geleistet?

30. a) Welche Initiativen will die Bundesregierung ergreifen bzw. unterstüt-
zen, um den Auf- und Ausbau der zivilen Krisenprävention auf europäi-
scher Ebene voranzubringen?

b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Einrichtung einer
europäischen Agentur für ziviles Krisenmanagement und Abrüstung
notwendig ist, um den Ausbau der zivilen Mittel zur Krisenprävention
auf EU-Ebene voranzutreiben?

Wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung hierfür,
und wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

Berlin, den 8. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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