BT-Drucksache 16/9168

Steuerhinterziehung bekämpfen - Steueroasen austrocknen

Vom 8. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9168
16. Wahlperiode 08. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Wolfgang Neskovic, Ulla Lötzer,
Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

Steuerhinterziehung bekämpfen – Steueroasen austrocknen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

kurzfristig Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung im Bereich
der internationalen und nationalen Besteuerung zu ergreifen. Dazu gehören:

– die Ergreifung einseitiger Maßnahmen gegenüber Staaten, die bezüglich des
Informationsaustausches über die Kapitalerträge von Steuerpflichtigen nicht
kooperieren bzw. Steuerhinterziehung begünstigen: der Ausschluss von
Bankinstituten aus nicht kooperierenden Staaten vom inländischen Kapital-
markt, die Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen und die Aufhe-
bung der Quellensteuerbefreiung für Steuerausländer und -ausländerinnen
aus den betreffenden Staaten;

– die Einführung einer Meldepflicht von Kapitalbewegungen ins Ausland ab
einem jährlichen Betrag in Höhe von insgesamt 100 000 Euro an das Bundes-
zentralamt für Steuern;

– der Verzicht auf die Einführung der Kapitalabgeltungsteuer: Kapitalerträge
werden auch zukünftig dem persönlichen Steuersatz unterworfen;

– die Einflussnahme der Bundesregierung auf die Bundesländer zur Auf-
stockung der Zahl der Steuerfahnder und -fahnderinnen, - prüfer und -prüfe-
rinnen sowie der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Innendienst;

– die Ausweitung der EU-Zinsrichtlinie. Zukünftig muss der vereinbarte Infor-
mationsaustausch alle Kapitaleinkünfte der EU-Bürger und -Bürgerinnen er-
fassen. Darüber hinaus ist die mit Luxemburg, Österreich, Belgien und der
Schweiz ausgehandelte Quellensteuer auf alle Formen von Geldanlagen und
die Kapitalerträge juristischer Personen zu erheben.

Gleichzeitig ist die Bundesregierung verpflichtet, den Bundestag regelmäßig
über den Katalog der Maßnahmen, ihre Umsetzung und ihren Erfolg zu unter-
richten.
Berlin, den 7. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/9168 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

In den vergangenen Wochen wurden Verdachtsfälle massiver Steuerhinterzie-
hung durch Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik, z. B. den Ex-Vorstand
der Deutschen Post AG Klaus Zumwinkel und den bayerischen Datenschutz-
beauftragten Betzl, sowie durch Prominente bekannt. Diese sollen mit Hilfe
deutscher und liechtensteiner Bankinstitute in den letzten Jahren Kapitalein-
künfte in Größenordnungen vor den deutschen Finanzbehörden verheimlicht und
nicht versteuert haben. Vehikel der Steuerhinterziehung waren in zahlreichen
Fällen anonyme Stiftungen in Liechtenstein. Inzwischen hat sich die Steueraffäre
auf weitere Staaten ausgeweitet: Betroffen sind auch Steuerpflichtige in Skandi-
navien, Italien, Frankreich, Spanien, den USA und Australien. Laut Einschät-
zung der OECD sind die bisher aufgedeckten Fälle „nur die Spitze eines Eis-
bergs“.

Diese Ereignisse sind nicht zuletzt eine Folge der Versäumnisse der amtierenden
Bundesregierung und ihrer Vorgängerinnen bei der Bekämpfung der Steuerhin-
terziehung auf internationaler und nationaler Ebene. Auch die jetzige Bundes-
regierung zeigt hier Kontinuität, indem sie im Inland die seit Jahren praktizierte
Politik der Steuerentlastung von Vermögenden fortführt und zugleich internatio-
nal die Ideologie des Steuerwettbewerbs als gesundes und notwendiges Konkur-
renzgebaren in der Globalisierung propagiert. Die Selbstverständlichkeit mit der
Steueroasen wie Liechtenstein auf ihr souveränes Recht zur Gewährung von
Bankgeheimnis und Steuerfreiheit verweisen, erfährt genau im Konzept eines
angeblich positiven Steuerwettbewerbs ihre Legitimation. Die Empörungs-
äußerungen der Bundesregierung über die mangelnde Steuermoral einzelner
Manager und Prominenter sind nicht nur unglaubwürdig, sondern darüber
hinaus eine Verhöhnung der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die ord-
nungsgemäß ihre Steuern entrichten.

Tatsache ist, dass das Problem der Steuerhinterziehung bereits seit langem bri-
sant und auch bekannt ist. So wurde gerade im Wissen darum 2003 durch den
Deutschen Bundestag eine Steueramnestie auf den Weg gebracht (Gesetz zur
Förderung der Steuerehrlichkeit). Bis zum 31. März 2005 konnten Steuerpflich-
tige die Möglichkeit nutzen, unrichtige oder unvollständige Angaben über steuer-
lich erhebliche Tatsachen richtigzustellen. Anreiz für die betroffenen Steuer-
sünder und -sünderinnen war eine Strafbefreiung. Bundestag und Bundes-
regierung hatten sich von dieser Steueramnestie steuerliche Mehreinnahmen in
Höhe von 5 Mrd. Euro versprochen – zu verzeichnen waren schließlich gerade
1,25 Mrd. Euro. Einerseits zeigt die hohe Erwartung an die Steuermehrein-
nahmen, dass das Ausmaß der Steuerhinterziehung der Bundesregierung be-
kannt war. Die geringen realen Einnahmen beweisen andererseits, dass die
Angst vor einer Aufdeckung der Steuerhinterziehung bei den vermögenden
Privatpersonen nicht ausgeprägt ist.

Das ist angesichts der mangelnden Erfolge der Politik bei der Bekämpfung der
Steuerhinterziehung nicht verwunderlich: So geht der Kampf gegen Steueroasen
im Bereich der OECD nur sehr stockend voran. Zwar wurden in der OECD
Grundsätze zu einem effektiven Informationsaustausch über Kapitalerträge von
Steuerpflichtigen verabschiedet. Allerdings haben zahlreiche Staaten ihre Ak-
zeptanz unter den Vorbehalt gestellt, dass sie für alle OECD-Staaten und große
Finanzzentren gelten. Bis heute sind aber u. a. die Schweiz, Österreich, Liech-
tenstein und Singapur dazu nicht bereit. Vielmehr betreiben inländische Banken
zahlreiche Zweigstellen in diesen Ländern und umwerben – wie der aktuelle
Steuerskandal aufgedeckt hat – mit deren fragwürdigen Vorzügen vermögende
Steuerflüchtlinge. Darüber hinaus ist die Zusammensetzung der sog. schwarzen
Liste der nichtkooperativen Steueroasen politisch motiviert. Einzelne Staaten
können sich durch bloße Absichtserklärungen freikaufen, andere, z. B. die

Schweiz und Luxemburg, werden – trotz gegenteiliger Erkenntnisse – explizit

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9168

von der Liste ausgenommen. Das lässt auf ein mangelndes Interesse der Politik,
Steueroasen nachhaltig auszutrocknen, schließen. Aus diesem Grund waren die
Aktivitäten entsprechend wirkungslos.

Gleichermaßen inkonsequent ist die Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf
der Ebene der Europäischen Union: Seit 2005 wird die Zinsrichtlinie ange-
wendet, die einen Informationsaustausch bezüglich der Zinserträge von Steuer-
ausländern und -ausländerinnen zwischen den EU-Mitgliedstaaten vorschreibt.
Belgien, Österreich und Luxemburg verweigern jedoch die Teilnahme, ebenso
wie Liechtenstein und die Schweiz. Alternativ dazu führen diese Länder Quel-
lensteuer ab. Die Quellensteuer gilt jedoch nur für Privatpersonen, nicht für
juristische Personen. Doch selbst bei Privatpersonen sind zahlreiche Anlagefor-
men, z. B. Investmentfonds, Zertifikate, für die keine laufenden Zinszahlungen
anfallen, und fondsgebundene Lebensversicherungen von der Steuer ausgenom-
men. Dazu kommt, dass der Austausch von Auskünften ausschließlich für Zins-
erträge gilt, nicht aber z. B. für Dividenden. Bis zum Bekanntwerden des Steuer-
skandals haben weder die ehemalige rot-grüne noch die derzeitige Bundesregie-
rung dieses lückenhafte System beanstandet und Bemühungen unternommen,
diese offensichtlichen Defizite zu beheben. Im Gegenteil: Statt sich massiv dafür
einzusetzen, dass Kontrollmitteilungen im internationalen Umfeld möglich wer-
den, führt die Bundesregierung zum 1. Januar 2009 die Abgeltungsteuer ein, die
ihrerseits Kontrollmitteilungen auf nationaler Ebene ersetzt. Argument für die
mit der Abgeltungsteuer verbundene teilweise massive Steuerentlastung ein-
kommensstarker Steuerpflichtiger ist die Reaktion auf die verbreitete Steuerhin-
terziehung bei den Kapitaleinkünften.

Ein weiteres Problem ist die mangelnde Amts- und Rechtshilfe seitens der
Steueroasen. So unterscheidet z. B. die Schweiz trickreich zwischen Steuerhin-
terziehung und Steuerbetrug. Ersteres gilt nicht als Straftat, weshalb die Schweiz
regelmäßig keinen Anlass sieht, Amts- und Rechtshilfeersuchen aus der Bun-
desrepublik Deutschland nachzukommen. Während die Bundesregierungen
bezüglich dieser Probleme in den vergangenen Jahren untätig blieben, konnten
die USA mit der Schweiz einen Informationsaustausch und die USA und Italien
ihre eigene Definition von Steuerhinterziehung und -betrug in Abkommen ver-
einbaren – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Amts- und Rechts-
hilfe.

Auch im Inland wurde und wird die Steuerhinterziehung insbesondere durch
Steuerpflichtige mit hohen Einkommen und Vermögen durch die mangelhafte
Konsequenz der Bundesregierung und der Landesregierungen beim Steuervoll-
zug eher begünstigt. So fehlen in der Betriebsprüfung nach Angaben der
Gewerkschaft ver.di mehr als 3 000, bei der Steuerfahndung über 300 und im
Innendienst rund 2 700 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Steuerverwal-
tungen.

Der Steuerskandal hat gezeigt, dass die bisherigen Bundesregierungen bisher
kein Drohpotential für Steuersünder und -sünderinnen geschaffen haben. Die
derzeitige Bundesregierung ist gefordert, endlich konsequent Maßnahmen zur
Lösung des Problems der Steuerhinterziehung anzugehen. Dabei sind die ge-
nannten Aktivitäten im Bereich der Europäischen Union und der OECD zwar
von Bedeutung. Allerdings darf sich die Bundesregierung angesichts der aufge-
zeigten Mängel im Inland nicht dahinter verstecken, dass sich auf internationaler
Ebene Erfolge naturgemäß nur sehr langsam einstellen.

Deshalb müssen auch nationale Maßnahmen ergriffen werden, um die Steuer-
hinterziehung einzudämmen.

Der Ausschluss von Finanzinstituten aus Steueroasen vom inländischen Kapital-
markt greift deren Existenzgrundlage – durch den freien Kapitalverkehr mög-

lichst hohe Kapitalerträge zu generieren – an. Transfers in Steueroasen und mit-
hin die Steueroasen selbst verlieren dann an Attraktivität.

Drucksache 16/9168 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Ein wesentliches Hindernis bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung sind
noch immer die mangelhaften Kontrollmöglichkeiten der Finanzbehörden. Das
Bankgeheimnis wurde zwar gelockert und den Finanzbehörden sowohl im
Bereich gesetzlicher Regelungen als auch durch die Rechtsprechung (z. B. Be-
schluss des Bundesverfassungsgerichts, 13. Juni 2007) Instrumente zur Auf-
deckung von Steuerhinterziehung an die Hand gegeben. Allerdings hindern z. B.
Personalmangel, technische Probleme und politische Vorgaben auf Länderebene
die Behörden daran, diese Instrumente tatsächlich effektiv zu nutzen. Trotz der
Rechtsänderungen existiert somit noch immer ein strukturelles Vollzugsdefizit.
Eine Gleichheit hinsichtlich der tatsächlichen Steuerbelastung ist nicht gewähr-
leistet. Deshalb muss insbesondere die Zahl der Finanzbeamtinnen und -beam-
ten erhöht werden.

Wirkungsvoll ist ebenfalls die Meldepflicht von Kapitalbewegungen ab der ge-
forderten Jahressumme in das Ausland. Transfers in Steueroasen können auf
diese Weise kontinuierlich registriert und bei Bedarf durch die Finanzbehörden
verfolgt werden. Die Defizite internationaler Vereinbarungen wie der EU-Zins-
richtlinie werden damit im Inland ausgeglichen. Insgesamt können durch diese
Maßnahmen alle Kapitalerträge der Steuerpflichtigen erfasst und besteuert wer-
den.

Die ab dem 1. Januar geplante Kapitalabgeltungsteuer wird – nach Einschätzung
der Deutschen Steuergewerkschaft – Steuerhinterziehung fördern: Derzeit
müssen Steuerpflichtige im Rahmen der Zinsabschlags- und Kapitalertragsteuer
ihre Kapitaleinkünfte bei der Einkommensteuererklärung angeben. Auch wenn
dies unvollständig geschieht, haben Steuerbehörden zumindest Hinweise auf
Konten und können weitere Recherchen aufnehmen. Zukünftig sind keine An-
gaben zu Kapitaleinkünften mehr nötig. Die Steuer auf Kapitaleinkünfte wird
anonym von den Banken abgeführt. Damit erhalten die Behörden keinerlei Hin-
weise mehr auf nicht versteuerte Einkommensteile. Deshalb muss die Bundes-
regierung auf die Kapitalabgeltungsteuer verzichten. Dies dient nicht zuletzt
auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und damit einer gerechteren Besteu-
erung selbst.

Dank der genannten einseitigen Maßnahmen ist die Bundesregierung nicht voll-
ständig auf langwierige internationale Verhandlungen angewiesen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.