BT-Drucksache 16/903

Datenschutzrechtliche Probleme beim Arbeitslosengeld II

Vom 8. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/903
16. Wahlperiode 08. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Brigitte Pothmer, Volker Beck (Köln),
Dr. Thea Dückert, Markus Kurth, Monika Lazar, Irmingard Schewe-Gerigk,
Dr. Gerhard Schick, Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Datenschutzrechtliche Probleme beim Arbeitslosengeld II

In ihren Tätigkeitsberichten und Stellungnahmen schildern die Datenschutz-
beauftragten des Bundes und der Länder eine Vielzahl von ungelösten recht-
lichen Fragen bei der Gewährung von Arbeitslosengeld II (ALG II), die die
Rechte der Betroffenen gravierend beeinträchtigen. Wiederholt wurde dringen-
der Handlungsbedarf gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA) und dem
Bundesministerium für Arbeit und Soziales angemahnt.

Das Verfahren der Datenerhebung mittels eines umfänglichen Antragsvordrucks
von 16 Seiten verstößt wegen unzähliger unzulässiger Fragen gegen den daten-
schutzrechtlichen Erforderlichkeitsmaßstab. Auf Veranlassung der Daten-
schutzbeauftragten veröffentlichte die BA im Oktober 2004 Ausfüllhinweise,
um Antragsteller hierüber zu informieren. Nunmehr sind unter Mitarbeit der
Datenschutzbeauftragten neue, datenschutzgerechte Vordrucke und Ausfüllhin-
weise erarbeitet worden. Diese werden den Betroffenen aber immer noch nicht
zur Verfügung gestellt.

Da im Rahmen der Leistungsgewährung zum ALG II ausgesprochen sensible
gesundheitliche, familiäre oder finanzielle Daten von Hilfesuchenden erhoben
und gespeichert werden, müssen die besonders strengen Anforderungen des So-
zialdatenschutzes beachtet werden. Informationen über Drogensucht, Vorstrafen
oder Eheprobleme unterliegen zu Recht dem Sozialgeheimnis. Die Vertraulich-
keit dieser Informationen und das Vertrauen in den persönlichen Ansprechpart-
ner bzw. Fallmanager ist Grundlage für eine erfolgreiche Vermittlungstätigkeit
der Arbeitsgemeinschaften (ARGEn).

Einmal erhobene Daten werden aber bislang bundesweit zentral in Nürnberg in
einer Datenbank (A2LL) hinterlegt, auf die unkontrolliert über 40 000 Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter Zugriff haben. Der Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz und die Informationsfreiheit hat das Fehlen entsprechender Berechti-
gungskonzepte und einer Protokollierung der Zugriffe bereits im November
2004 formell beanstandet. Geschehen ist jedoch bislang nichts, so dass sich die
Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder im Oktober

2005 erneut zu einer heftigen Kritik an dieser Praxis veranlasst sah.

Es ist daher dringend klärungsbedürftig, ob und wie die Forderungen der Daten-
schutzbeauftragten für die Durchführung des Verfahrens nach dem SGB II von
der BA tatsächlich umgesetzt werden.

Auch die in die Schlagzeilen geratene telefonische Befragung von Arbeitslosen-
geld-II-Empfänger durch ein von der BA beauftragtes CallCenter von T-Sys-

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tems im Sommer 2005 wies erhebliche datenschutzrechtliche Mängel auf. Diese
sollen mit dem Start eines Pilotprojektes zur telefonischen Betreuung von ALG-
II-Empfängern im Januar 2006 behoben worden sein. Die Auskünfte der Betrof-
fenen sollen ausdrücklich auf freiwilliger Basis erfolgen. Wer keine Auskunft
erteilt, hat in der Konsequenz mit einer Einladung zu einem persönlichen Ge-
spräch zu rechnen. Die Koalition plant darüber hinaus, dass Leistungsempfänger
zur Teilnahme an einer Telefonabfrage, in der ihre aktuellen Lebenssituationen
überprüft werden, zukünftig gesetzlich verpflichtet werden sollen.

Die Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaften mit den Datenschutzbeauftrag-
ten der Länder lässt an bestimmten Orten ebenfalls zu wünschen übrig. Das Ar-
beitslosengeld II wird vor Ort überwiegend durch die Arbeitsgemeinschaften
nach § 44b SGB II gewährt. Deren datenschutzrechtliche Stellung ist bis heute
nicht geklärt, obwohl sie seit mehr als einem Jahr tätig sind. Obwohl eine Ar-
beitsgemeinschaft nur die in ihrem Zuständigkeitsbereich lebenden Hilfesu-
chenden betreut, und somit nach § 81 Abs. 3 SGB X eine öffentliche Stelle des
Landes darstellt, vertritt die BA die Auffassung, dass es sich bei den Arbeitsge-
meinschaften lediglich um deren organisatorische „Außenstellen“ handelt. Sie
widersetzt sich immer wieder einer Kontrolle durch die Landesbeauftragten.
Auch meint sie, dass auf sie – soweit vorhanden – nicht das Informationsfrei-
heitsgesetz des jeweiligen Landes anwendbar sei.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist es zutreffend, dass die BA bereits im Oktober 2004 in den eigens erstellten
Ausfüllhinweisen einräumen musste, dass sowohl der Antragsvordruck als
auch die Zusatzblätter datenschutzrechtlich unzulässige Fragen beinhalten?

2. Ist es zutreffend, dass die BA unter Beteiligung des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) und der Landesbeauf-
tragten für Datenschutz den Antragsvordruck sowie die Zusatzblätter daten-
schutzgerecht überarbeitet und neue Ausfüllhinweise erstellt hat?

3. Wann wird die BA diese neuen Vordrucke sowie die Ausfüllhinweise den
Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) bzw. den Hilfesuchenden zur Verfügung
stellen und warum ist das nicht schon früher erfolgt?

4. Was wird die BA unternehmen, damit Hilfesuchenden zukünftig die neuen
Vordrucke stets zusammen mit den Ausfüllhinweisen zur Verfügung stehen
(„Paketlösung“)?

5. Ist es zutreffend, dass die in dem Verfahren A2LL gespeicherten Daten von
Leistungsbeziehern bundesweit allen Anwendern/Nutzern des Verfahrens zur
Verfügung stehen, ohne dass ein Berechtigungskonzept besteht und dass eine
Protokollierung der Zugriffe erfolgt?

6. Wann wird die BA das vom BfDI angemahnte fehlende Berechtigungskon-
zept für das Verfahren A2LL erstellen und technisch im Verfahren abbilden?

7. Wann wird die vom BfDI geforderte Protokollierung der (lesenden und
schreibenden) Zugriffe auf Daten innerhalb des Verfahrens A2LL technisch
realisiert?

8. Welche weiteren Verfahren der BA werden von ihr den ARGEn zur Verfü-
gung gestellt?

9. Weisen diese Verfahren die gleichen datenschutzrechtlichen Kritikpunkte
auf, die der BfDI im Verfahren A2LL beanstandet hat?

Wenn ja, wie gedenkt die BA mit diesem Umstand umzugehen?

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10. Sind die ARGEn verpflichtet die Verfahren der BA, wie z. B. A2LL, coArb
oder VerBIS, einzusetzen?

11. Welche Stelle trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die Recht-
mäßigkeit der Datenverarbeitung, wenn in den ARGEn Verfahren der BA
eingesetzt werden?

12. Wie wird sichergestellt, dass das neue Verfahren VerBIS den datenschutz-
rechtlichen Anforderungen gerecht wird und insbesondere die Datenschutz-
rechte der Betroffenen realisiert werden?

13. Wie wird sichergestellt, dass bereits bei der Migration der Daten aus dem
Verfahren coArb in das Verfahren VerBIS nur die zur weiteren Aufgaben-
erfüllung erforderlichen Daten übertragen werden?

14. Welche konkreten Anstrengungen hat die Bundesregierung bisher unter-
nommen, um zu einer Lösung der datenschutzrechtlichen Probleme bei der
Gewährung des Arbeitslosengeldes II beizutragen?

15. Sind die ARGEn aus Sicht der Bundesregierung nach § 44b SGB II eigen-
verantwortliche Stellen i. S. d. § 67 Abs. 9 SGB X?

16. In welchem Umfang sind nach Ansicht der Bundesregierung die Landesbe-
auftragten für Datenschutz zuständig für die Überwachung der Einhaltung
datenschutzrechtlicher Vorschriften im Bereich der konventionellen und der
elektronischen Datenverarbeitung in den ARGEn nach § 44b SGB II?

17. Unterliegen die ARGEn nach Ansicht der Bundesregierung nach § 44b
SGB II den Regelungen des Bundesinformationsfreiheitsgesetzes oder
– soweit vorhanden – der jeweiligen Landesinformationsfreiheitsgesetze?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die datenschutzrechtliche Gestaltung des
Pilotprojektes zur telefonischen Betreuung von Arbeitslosengeld-II-Emp-
fängern, das im Januar 2006 von der BA gestartet wurde?

19. Welche Notwendigkeit besteht nach Ansicht der Bundesregierung vor dem
Hintergrund, dass Befragte, die von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht
am Telefon Gebrauch machen, mit einem persönlichen Gesprächstermin
rechnen müssen, um offene Fragen zu klären, noch für die Einführung einer
gesetzlichen Verpflichtung zur telefonischen Auskunftserteilung?

Berlin, den 8. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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