BT-Drucksache 16/8907

Die strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik durch eine intensive Umwelt- und Klimakooperation beleben

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8907
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die strategische Partnerschaft zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika
und der Karibik durch eine intensive Umwelt- und Klimakooperation beleben

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Beziehungen Deutschlands und der EU mit den Staaten Lateinamerikas
und der Karibik (LAK) zu einer strategischen Partnerschaft des Klima- und
Umweltschutzes auszubauen und finanziell zu unterlegen;

2. die Tropenwaldländer unter den LAK-Staaten beim effizienten Schutz der
Tropenwälder zu unterstützen, die finanziellen Mittel hierfür kurzfristig auf-
zustocken, wie dies Norwegen getan hat, und so einen erheblichen Beitrag
zum Schutz von Klima und Biodiversität zu leisten;

3. bilateral und innerhalb der EU die energiepolitische Kooperation mit den
LAK-Staaten durch gezielte Förderung von erneuerbaren Energien und Ener-
gieeffizienz auszubauen;

4. die Atomverträge mit Brasilien und Argentinien durch eine Kooperation
über erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu ersetzen;

5. mit Brasilien und anderen LAK-Ländern Pilotzertifizierungsabkommen für
nachhaltige Produktion und Handel von Biokraftstoffen zu entwickeln;

6. die Bemühungen der LAK-Staaten zur Überwindung von Armut und sozia-
ler Ungleichheit im Rahmen einer kohärenten und sich gegenseitig ergän-
zenden Außen-, Entwicklungs-, Umwelt- und Handelspolitik konsequent zu
unterstützen;

7. sich dafür einsetzen, dass der Vorschlag Ecuadors zum Verzicht auf die För-
derung der Ölvorkommen im ITT-Gebiet im Yasuní-Nationalpark im Falle
internationaler Kompensationszahlungen auf die Tagesordnung des EU-
LAK-Gipfels gesetzt und der Vorschlag als Handlungsoption für andere öl-
und gasreiche Staaten diskutiert wird;
8. auf dem EU-LAK-Gipfel die sozialen und ökologischen Probleme zu thema-
tisieren, die bei Projekten im extraktiven Sektor in den LAK-Staaten beste-
hen und sich innerhalb der EU und der internationalen Finanzinstitutionen
verstärkt dafür einzusetzen, dass bei der Beteiligung an und Förderung von
Projekten im extraktiven Sektor in den LAK-Staaten soziale und ökologi-
sche Standards eingehalten und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-
len Rechte der Anwohner gewahrt werden;

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9. sich dafür einzusetzen, dass die Assoziationsabkommen zwischen der EU
und den regionalen Integrationsbündnissen Mercosur, Andengemeinschaft
und dem zentralamerikanischen Integrationssystem SICA erfolgreich ab-
geschlossen werden, um so zur regionalen Integration und damit zur wirt-
schaftlichen und finanziellen Stabilität der Region und zur Konsolidierung
der demokratischen Institutionen beizutragen;

10. dies durch die Gewährung eines verbesserten Marktzugangs für Mitglieder
der lateinamerikanischen Bündnisse bei landwirtschaftlichen Produkten
und den konsequenten Abbau von EU-Agrarsubventionen zu unterstützen,
um das europäische Agrardumping zu beenden. Gleichzeitig muss auf die
Einhaltung von sozialen und ökologischen Mindeststandards gedrängt
werden;

11. regionale Konfliktlösungsmechanismen, wie die der Rio-Gruppe, verstärkt
zu unterstützen und sich für eine Intensivierung des Dialogs zwischen der
EU und der Rio-Gruppe einzusetzen;

12. sich bei der bilateralen und europäischen Entwicklungszusammenarbeit
mit Konfliktregionen Lateinamerikas, insbesondere mit Kolumbien, zuvor-
derst für den Schutz der Menschenrechte und die Sicherheit von Men-
schenrechtsaktivisten und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft einzuset-
zen. Dabei ist sicherzustellen, dass bei allen von der Bundesregierung und
der EU finanzierten Entwicklungsprogrammen eine frühzeitige Beteili-
gung der Zivilgesellschaft und der Betroffenen in der Projektplanung er-
folgt und die Beachtung der Menschenrechte sichergestellt ist;

13. sich keinen Initiativen wie dem Plan Colombia anzuschließen, die zum
Ziel haben, den Drogenanbau durch militärische und/oder umweltzerstö-
rende Mittel einzudämmen, sondern die rechtsstaatliche Bekämpfung von
Drogenproduktion und -handel zu unterstützen sowie Existenzalternativen
für die betroffene Bevölkerung zu fördern;

14. die Kooperation in den Bereichen Hochschulen, Forschung und Technolo-
gie auszubauen.

Berlin, den 23. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Am 16. Mai 2008 findet in Lima/Peru das fünfte Gipfeltreffen der Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik
statt. Schwerpunkte des Gipfels werden die Themen „Armut/Soziale Kohä-
renz“ und „Nachhaltige Entwicklung: Umwelt, Klimawandel, Energie“ sein.
Die LAK-Staaten und die EU arbeiten in internationalen Fragen der Umwelt-,
Finanz-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik erfolgreich zusammen und sind
dem Prinzip des Multilateralismus verpflichtet. Um dieses gemeinsame Funda-
ment auch in Zukunft zu nutzen, müssen die Beziehungen zwischen der EU und
den LAK-Staaten bzw. den verschiedenen subregionalen Integrationsbünd-
nissen zu tragfähigen strategischen Partnerschaften ausgebaut werden.

Die LAK-Staaten unternehmen große Anstrengungen bei der Überwindung von
Armut und sozialer Ungleichheit, die durch die neoliberalen Politiken der 1980er

und 1990er Jahre angestiegen sind. Die Zahl der Armen in der Region ist trotz
dieser Bemühungen noch immer hoch. Nach Angaben der Wirtschaftskommis-

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sion für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen (CEPAL) lag im
Jahr 2006 der Anteil der Armen an der Bevölkerung Lateinamerikas bei 36,5 Pro-
zent. In einigen Staaten Zentralamerikas lag der Anteil jedoch noch um 70 Pro-
zent der Bevölkerung. Es besteht die Gefahr, dass das erste Millenniumsent-
wicklungsziel, die Halbierung der Zahl der in extremer Armut lebenden und
hungernden Menschen, nicht erreicht wird. Die Verantwortung für die Um-
setzung der Millenniumsentwicklungsziele liegt jedoch nicht allein bei den
LAK- Staaten. Die deutsche und europäische Außen-, Entwicklungs-, Umwelt-
und insbesondere die Handelspolitik müssen so ausgerichtet sein, dass sie eine
nachhaltige Entwicklung der Region befördern und nicht behindern.

Sowohl bei der Vermeidung von Klimaschäden als auch bei der Anpassung an
den Klimawandel kommt der Partnerschaft zwischen den beiden Regionen eine
wichtige Rolle zu. Hierbei trägt die EU eine besondere Verantwortung. Denn
das auf der Verbrennung fossiler Energieträger basierende Entwicklungsmodell
der Industriestaaten hat den Klimawandel maßgeblich verursacht. Die LAK-
Staaten hingegen sind von den Auswirkungen des Klimawandels besonders be-
troffen. Dies gilt sowohl für die karibischen Inselstaaten, die vom steigenden
Meeresspiegel bedroht werden, als auch für die kontinentalen Staaten, die mit
der Wüstenausweitung, einer Verstärkung von Wetterphänomenen wie El Niño
und von Gletscherschmelzen konfrontiert sind.

Die Region verfügt sowohl über einen riesigen Schatz an Biodiversität als auch
über große Reserven fossiler Energieträger. Trotz dieser Energievorräte kam es
in der jüngeren Vergangenheit wiederholt zu Energieengpässen, so z. B. in
Chile, Brasilien und Argentinien. Durch eine intensive und finanziell gut ausge-
stattete Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien, vor allem bei
Solar- und Windkraft, kann den LAK-Staaten der Weg zur energiepolitischen
Unabhängigkeit geebnet werden. Auch der Konflikt zwischen dem Umwelt-
schutz und der Förderung fossiler Energien kann so vermieden und ein Beitrag
zum Klimaschutz durch einen nachhaltigen Entwicklungsweg weg vom Öl
geleistet werden. Hierbei bieten zunehmend auch Biokraftstoffe Entwick-
lungschancen für die Region. Bei Anbau und Produktion müssen jedoch soziale
und ökologische Mindeststandards eingehalten werden. Außerdem ist eine
nationale Flächennutzungsplanung nötig, die verhindert, dass der Anbau von
Energiepflanzen Pimärwälder zerstört oder auf Kosten der Nahrungsmittel-
produktion geht und die Ernährungssouveränität gefährdet.

Die Bundesregierung hat bei der Neuverhandlung des Atomvertrags mit Brasi-
lien eine wichtige Chance vertan, die Weichen hin zu einer friedenssichernden
und nachhaltigen Energiepolitik zu stellen.

Ein riesiges Potential zum Klima- und Biodiversitätsschutz liegt im Schutz der
Tropenwälder. Deutschland und Brasilien haben durch das Pilotprogramm zur
Bewahrung der tropischen Regenwälder Brasiliens (PPG7) wichtige Erfahrun-
gen auf diesem Gebiet gewonnen. Diese gilt es für zukünftige Mechanismen
zur Kompensation vermiedener Entwaldung zu berücksichtigen. Auch die Um-
setzung des ecuadorianischen Angebots, Ölvorkommen im Boden zu lassen
und so zum Schutz des Waldes und des Klimas beizutragen, kann eine wichtige
Initialzündung für eine energiepolitische Wende sein, bei der zugunsten von
Umwelt- und Klimaschutz bewusst auf die Förderung fossiler Energieträger
verzichtet wird. Die Emissionen aus der weltweiten Zerstörung von Wäldern
entsprechen den jährlichen CO2-Emissionen der USA. Da die größten erhalte-
nen Tropenwaldgebiete in Lateinamerika liegen, kann eine Unterstützung von
Schutzmaßnahmen durch Deutschland und die EU große klimapolitische Rele-
vanz erlangen.

Der extraktive Sektor geht oft mit erheblichen und teils katastrophalen Belas-

tungen für Mensch und Umwelt einher. Zu den zahlreichen Beispielen hierfür
gehören der Goldbergbau und die Erdgasförderung in Peru. Hier kommt es

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immer wieder zu Verletzungen der Rechte der in den Fördergebieten lebenden
Bevölkerung, deren Gesundheit und Lebensgrundlage gefährdet werden. Der
Finanzierung des Erdgasprojekts Camisea II durch die IFC hat die Bundesre-
gierung im Exekutivdirektorium der IFC zugestimmt, obwohl es von Seiten der
Betroffenen und von internationalen Experten erhebliche Widerstände gegen
das Projekt gab. Grundlage für diese Bedenken waren vor allem die negativen
sozialen und ökologischen Auswirkungen der ersten Projektphase (Camisea I),
etwa die großen, unumkehrbaren Umweltschäden im Gebiet der Pipelines und
die schweren sozialen Folgen für die indigene Bevölkerung Perus. Meint es die
Bundesregierung ernst mit dem Schutz der Biodiversität und des Klimas, muss
sie sich auch innerhalb der EU und der internationalen Finanzinstitutionen für
die Etablierung und Einhaltung von strengen ökologischen Kriterien vehement
einsetzen.

Im Hinblick auf den andauernden Bürgerkrieg in Kolumbien bleibt die nicht-
militärische Bewältigung innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Konflikte
eine zentrale Herausforderung. Angesichts der drohenden Gefahr einer Regio-
nalisierung des kolumbianischen Konflikts muss die EU in Hinblick auf die
Wahrung des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und der humani-
tären Abkommen zum Schutz der Zivilbevölkerung entschieden tätig werden.

Beim Kampf gegen Drogenanbau und -produktion haben militärische Interven-
tionen und die breitflächige chemische Zerstörung von Kokafeldern im Stile
des Plans Colombia kaum Erfolge gebracht. Sie sind aufgrund der daraus fol-
genden Militarisierung aller Lebensbereiche sowie der gravierenden ökologi-
schen Zerstörung abzulehnen.

Regionale Integrationsbündnisse und politische Foren wie die Rio-Gruppe
spielen in Lateinamerika und der Karibik eine wichtige Rolle. Sie tragen we-
sentlich zu einer Festigung der Demokratien und zur Stabilisierung und Vertie-
fung der bilateralen Beziehungen zwischen den LAK-Staaten bei. Deutlich
wurde dies beim Konflikt zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela im
März 2008. Im Rahmen der Rio-Gruppe konnte eine friedliche Lösung gefun-
den werden, die noch kurz zuvor in der Organisation Amerikanischer Staaten
nicht zustande gekommen war. Deutschland und die EU können daher durch
eine verstärkte Unterstützung dieser Institutionen und Bündnisse einen Beitrag
zu Frieden, Demokratie und Stabilität in der Region leisten.

Durch faire Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den regionalen
Integrationsbündnissen Mercosur, Andengemeinschaft und SICA kann die EU
einen signifikanten Beitrag zur wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität leis-
ten und ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftsmodell sowie die
Konsolidierung der demokratischen Institutionen fördern. Hierbei ist zentral,
dass Produkte aus Lateinamerika und der Karibik Zugang zu den Märkten der
EU erhalten und die EU zudem ihr Agrardumping beendet. Außerdem dürfen
die LAK-Staaten nicht unter einen überzogenen Liberalisierungsdruck gestellt
werden, sondern müssen die Möglichkeit behalten, sensible Bereiche ihrer
Wirtschaft vor übermächtiger Konkurrenz oder Dumpingfluten zu schützen.
Hierfür sind auch Zugeständnisse der EU bei den WTO-Verhandlungen unab-
dingbar. Zugleich müssen bei der politischen und bei der wirtschaftlichen Part-
nerschaft zwischen den Regionen menschen- und arbeitsrechtliche, soziale und
ökologische Standards eine exponierte Rolle spielen.

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