BT-Drucksache 16/8857

Verträge der Krankenkassen zur Hilfsmittelversorgung nach der Gesundheitsreform 2007

Vom 21. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8857
16. Wahlperiode 21. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Monika Knoche, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert
und der Fraktion DIE LINKE.

Verträge der Krankenkassen zur Hilfsmittelversorgung nach der
Gesundheitsreform 2007

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde eine neue
Vergabepraxis bei Hilfsmitteln eingeführt. Seit 1. April 2007 sollen die Kran-
kenkassen prinzipiell im Wege der Ausschreibung Verträge mit Erbringern von
Hilfsmitteln schließen.

„Dabei haben sie die Qualität der Hilfsmittel sowie die notwendige Beratung
der Versicherten und sonstige erforderliche Dienstleistungen sicherzustellen
und für eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten zu sorgen. Die im Hilfs-
mittelverzeichnis nach § 139 festgelegten Anforderungen an die Qualität der
Versorgung und der Produkte sind zu beachten. Für Hilfsmittel, die für einen
bestimmten Versicherten individuell angefertigt werden, oder Versorgungen
mit hohem Dienstleistungsanteil sind Ausschreibungen in der Regel nicht
zweckmäßig“, so § 127 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).

Sollte jedoch die Ausschreibung nicht der zweckmäßige Weg sein, dann kön-
nen die Kassen auch Verträge auf Verhandlungsbasis abschließen, es findet also
keine Ausschreibung statt, so regelt es § 127 Abs. 2 SGB V. Nach diesem Ab-
satz gilt zwar ausdrücklich der zweite Satz des obigen Gesetzeszitats, der erste
und dritte jedoch nicht.

Den Versicherten kommen also für diesen Fall möglicherweise weder die not-
wendige Beratung, noch sonstige erforderliche sonstige Dienstleistungen der
Hilfsmittelerbringer (Orthopädiefachgeschäfte etc.), noch eine wohnortnahe
Versorgung zugute.

Die Fragesteller sprechen sich gegen einen die Qualität ruinierenden Preiswett-
bewerb aus. Die Fragesteller sind auch dagegen, dass Versicherte einer be-
stimmten Krankenkasse nur Leistungen bestimmter Hilfsmittelerbringer in An-
spruch nehmen dürfen.

Die Versicherten haben nach der Neuregelung gemäß „Wettbewerbsstärkungs-
gesetz“ keine freie Wahl mehr zwischen den verschiedenen Hilfsmittelerbrin-

gern. Inwieweit dies gemäß dem Bonmot „Konkurrenz belebt das Geschäft“
einen für alle Seiten erquickenden Wettbewerb erzeugen soll, können die
Fragesteller nicht nachvollziehen.

Wenn man den im Gesetz vorgesehenen „Wettbewerb“ jedoch will, muss man
für faire Bedingungen sorgen. Ansonsten besteht die Gefahr von Kartellbil-
dungen. Die praktische Ausgestaltung der Neuregelungen zur Hilfsmittelver-

Drucksache 16/8857 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sorgung ist jedoch noch recht unklar. Deshalb hat der Gesetzgeber auch eine
Übergangsfrist (§ 126 Abs. 2 SGB V) eingeführt. Diese gilt bis Ende 2008.

Der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik beschwert sich nun, dass seine
Mitgliedunternehmen im konkreten Fall von der DAK von der Versorgung
ausgeschlossen werden. Es wurden Verträge mit den Firmen Egroh, reha-vital,
Ietec, RSR und Fromme geschlossen. Andere dürfen nicht liefern, auch nicht zu
gleichen Konditionen.

Einzelne Orthopädiebetriebe müssen, um liefern zu dürfen, den genannten pri-
vaten Vertragspartnern der DAK beitreten, wofür Eintrittsgelder in Höhe von
einigen tausend Euro fällig würden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Bundesregierung für eine flächendeckende und wohnortnahe Ver-
sorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln?

2. Sieht die Bundesregierung, dass durch Selektivverträge, durch die Leis-
tungserbringer, z. B. Orthopädieschuhmacher oder Hörgeräteakustiker,
ausgeschlossen werden, die flächendeckende und wohnortnahe Versor-
gung, gerade in ländlichen Räumen, beeinträchtigt wird?

3. Wäre es sinnvoll, in § 127 Abs. 2 SGB V, wie auch im vorhergehenden Ab-
satz geschehen, die wohnortnahe und flächendeckende Versorgung gesetz-
lich festzuschreiben?

4. Sieht die Bundesregierung alle Unklarheiten bezüglich der Einführung der
angesprochenen Neuregelung als gelöst?

Wenn nein, welche bestehen noch?

5. Wäre es sinnvoll, möglichst schnell die Übergangszeit nach § 126 Abs. 2
SGB V zu verlängern, wie der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik for-
dert, um nicht von den vertraglichen Realitäten überrollt zu werden?

Wenn nein, warum nicht?

6. Ist es gewollt, dass einzelne Krankenkassen gemäß § 127 Abs. 2 SGB V
„mit Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen“ Verträge abschließen,
in die ein einzelner Betrieb nur dann beitreten kann, nachdem eine nicht
unerhebliche Gebühr gezahlt wurde?

7. Sieht die Bundesregierung zu dem in Frage 6 abgefragten Sachverhalt die
Gefahr einer Kartellbildung?

8. Wie kann einer solchen Kartellbildung entgegengewirkt werden?

9. Welche Möglichkeiten hat beispielsweise ein einzelner Fachbetrieb, um an
dem Versorgungsgeschehen teilnehmen zu können, wenn große Kranken-
kassen mit großen Verbänden exklusive Verträge schließen?

10. Wird die gewachsene Struktur der kleinen selbständigen Fachbetriebe
durch die Neuregelungen nach Einschätzung der Bundesregierung wahr-
scheinlich aufgebrochen werden, und werden mehr Berufsverbände, Zu-
sammenschlüsse oder Ketten entstehen?

Ist dies von der Bundesregierung gewollt?

11. Entsteht für findige Unternehmer insofern ein neues Betätigungsfeld, als
dass sie Eintrittsgelder und jährliche Gebühren für den Zugang zu Verträ-
gen mit Krankenkassen von einzelnen Fachbetrieben verlangen können?

Ist dies von der Bundesregierung gewollt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8857

12. Müsste es für einzelne Fachbetriebe möglich sein, ohne Diskriminierung
Verträgen beizutreten, welche nicht durch Ausschreibungen zustande ge-
kommen sind?

Ist hierfür eine gesetzliche Klarstellung notwendig oder sinnvoll?

13. Wird es durch die Neuregelung dazu kommen, dass Versicherte nicht mehr
den gewohnten Hilfsmittelerbringer ihres Vertrauens aufsuchen können,
sondern die Krankenkasse fragen müssen, bei wem sie die Verordnung in
Auftrag geben sollen?

14. Befördert die Neuregelung der Hilfsmittelversorgung die in § 2 Abs. 3
SGB V gebotene Vielfalt der Anbieter, oder wird sie diese reduzieren?

15. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über das tatsächliche Ausschrei-
bungs- und Vertragsgeschehen nach § 127 Abs. 1 und 2 SGB V?

16. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die gesetzlichen Regelun-
gen zur Hilfsmittelversorgung zu verändern?

Berlin, den 18. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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