BT-Drucksache 16/8623

Entwicklung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft auf europäischer und internationaler Ebene

Vom 14. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8623
16. Wahlperiode 14. 03. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Dr. Uschi Eid,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Hans-Josef Fell,
Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwicklung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft auf europäischer und
internationaler Ebene

Im Mai ist die Bundesregierung Gastgeberin der 9. Vertragsstaatenkonferenz
(COP 9) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD), auf der un-
ter anderem die Neufassung des Arbeitsprogramms zur landwirtschaftlichen
Biodiversität diskutiert wird. Die Agrobiodiversität ist von grundlegender Be-
deutung für das Leben des Menschen. Sie umfasst sowohl die gesamte Vielfalt
an Nutztieren und Nutzpflanzen, von der Zucht über die Haltung oder den
Anbau bis hin zu Verarbeitung, Vermarktung und Verbrauch als auch die nicht
genutzte biologische Vielfalt in Agrarlandschaften.

Die 9. Vertragsstaatenkonferenz gibt der Bundesregierung die einmalige Mög-
lichkeit, das internationale Engagement Deutschlands für den Schutz der biolo-
gischen Vielfalt öffentlich zu dokumentieren. Gleichzeitig kann die Analyse
der aktuellen Situation zum Anlass genommen werden, Defizite aufzudecken
und die Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt in der Landwirt-
schaft zu verbessern und zu intensivieren. Die COP 9 sollte die Chance nutzen,
einmal grundlegend die Auswirkung der Landwirtschaft auf die biologische
Vielfalt zu behandeln. Des Weiteren besteht in den Verhandlungen zum Health
Check der gemeinsamen Agrarpolitik die Möglichkeit, das Thema Agrobiodi-
versität in der Agrarförderung stärker zu verankern.

Wir fragen die Bundesregierung:

Agrobiodiversität in Europa

1. In welchem Maße ist in Europa die Agrobiodiversität seit 1992 zurück-
gegangen?
2. Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Ursachen für den Ver-
lust an Agrobiodiversität innerhalb der Europäischen Union?

3. Welche Nutzpflanzen und Nutztiere sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in Europa vom Aussterben bedroht, und welche sind seit 1992 ausge-
storben?

Drucksache 16/8623 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Welche Kriterien und Indikatoren wurden von der Europäischen Union
1992 zu Grunde gelegt, um die Artenvielfalt in Europa zu messen, und in-
wieweit wurden diese Kriterien und Indikatoren bis heute verändert?

5. Wird die Europäische Union ihr erklärtes Ziel erreichen, den Verlust an
Arten bis 2010 zu stoppen im Bereich der Agrobiodiversität erreichen, und
wenn nein, warum nicht?

6. Welche sind die entscheidenden europäischen Instrumente, Maßnahmen
und Projekte, um den Verlust an Arten im Bereich der Agrobiodiversität zu
stoppen?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Schwächung der zwei-
ten Säule der europäischen Agrarpolitik und die Kürzungen der euro-
päischen und nationalen Fördermittel für die mittelständische und ökolo-
gische Landwirtschaft zum Verlust der landwirtschaftlichen Biodiversität
beitragen?

8. Setzt sich die Bundesregierung im Rahmen des Gesundheitschecks der Ge-
meinsamen Agrarpolitik auf europäischer Ebene dafür ein, dass biodiversi-
tätsrelevante Regelungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik verankert wer-
den, und wenn ja, für welche Regelungen?

9. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen des Gesundheitschecks dafür
einsetzen, dass alle agrarpolitischen Maßnahmen auf Nachhaltigkeit und
zum Erhalt der biologischen Vielfalt hin überprüft werden?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Cross-Compliance-
Regeln als Instrument zur Durchsetzung von Mindeststandards in der
Landwirtschaft dazu geeignet wären, biodiversitätsrelevante Regelungen
in der europäischen Agrarpolitik zu verankern, und wenn nein, warum
nicht?

11. Hat die Bundesregierung konkrete Vorschläge, wie die europäische Agrar-
politik im Sinne einer höheren Naturverträglichkeit der Bewirtschaftung
verbessert werden könnte, und wenn ja, welche?

12. Hat die Bundesregierung die Möglichkeit einer zusätzlichen Modulation
eingehend geprüft, und wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

13. Wie steht die Bundesregierung zu einer Anhebung der Modulation im Rah-
men des Gesundheitschecks der Gemeinsamen Agrarpolitik?

14. Verfolgt die Bundesregierung Ansätze, die Finanzmittel für die ländlichen
Räume in der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erhöhen,
und wenn ja, welche sind das?

15. Welche Auswirkungen werden nach Ansicht der Bundesregierung die Auf-
hebung der obligatorischen Flächenstilllegung auf die Agrobiodiversität in
Europa haben, und wie will die Bundesregierung diese Auswirkungen aus-
gleichen?

Verhandlungen der COP 9 in Bonn

16. Wird die Bundesregierung vor der COP 9 den nationalen Bericht zur Um-
setzung des Agrar-Arbeitsprogramms vorlegen, und wenn nein, wann plant
die Bundesregierung diesen vorzulegen?

17. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzten, dass im Rahmen der
COP- 9-Verhandlungen, auch verbindliche Regeln für eine nachhaltige und
ressourcen- und klimaschonende Landwirtschaft getroffen werden, und
welchen konkreten Vorschlag wird die Bundesregierung vorlegen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8623

18. In welchem Maße wird sich die Bundesregierung für eine Neufassung
und Konkretisierung des Arbeitsprogramms zur landwirtschaftlichen biolo-
gischen Vielfalt einsetzen und eine Diskussion über die negativen sozialen,
ökonomischen und ökologischen Folgen der industriellen Landwirtschaft
anführen?

19. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen der COP 9 für eine globale
Stärkung der bäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft einsetzten, und
wenn nein, warum nicht?

20. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen der COP 9 für eine stärkere
Förderung der Vielfalt bei Nutztieren und Nutzpflanzen, insbesondere
durch Förderprogramme der Erhaltungs- und Züchtungsinitiativen einset-
zen, und mit welchem finanziellen Beitrag wird sich die Bundesregierung
an dieser Förderung beteiligen?

21. Inwieweit wird die Bundesregierung als neue Präsidentin der CBD eine
stärkere Zusammenarbeit zwischen CBD, VN, Welternährungsorganisation
(FAO) und Welthandelsorganisation (WTO) vorantreiben?

22. In welchem Maße unterstützt die Bundesregierung das internationale Saat-
gutabkommen (ITPGRFA) der FAO, und in welchem Maße ist die Bundes-
regierung an der Finanzierung dieser Saatgutsysteme beteiligt?

23. Wird die Bundesregierung nachhaltige Finanzierungsmechanismen für die
Saatgutsysteme des ITPGRFA auf der COP 9 voranbringen, und wie sehen
diese aus?

24. Wird sich die Bundesregierung im Rahmen der COP 9 für eine Überarbei-
tung der Kooperation der Genbanken mit der bäuerlichen Saatgutzucht und
-vermehrung einsetzen, und wie sieht diese aus?

25. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung die Vertragsstaaten auf der
COP 9 über Möglichkeiten diskutieren, mit denen ein öffentlicher Zugang
zu Informationen über genetische Vielfalt in Privatunternehmen gesichert
werden kann, und wie könnten diese aussehen?

26. Wird nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen der COP 9 über Maß-
nahmen diskutiert werden, die eine Privatisierung der Tierzuchtindustrie
beschränken, und wie könnten diese aussehen?

27. Wird sich die Bundesregierung auch weiterhin bei den Verhandlungen der
COP 9 für ein Moratorium gegen Terminator-Saatgut einsetzen, und wie
stehen nach Auffassung der Bundesregierung die Chancen, dass das Mora-
torium aufrechterhalten bleibt?

28. Welchen Stellenwert werden die Produktion von Bioenergien und deren
Auswirkungen auf die biologische Vielfalt bei den Verhandlungen der
COP 9 haben, und welche inhaltlichen Standpunkte wird die Bundesregie-
rung dort vertreten?

29. Ist es geplant, dass die COP 9 der CBD und deren wissenschaftlichen Gre-
mien einen Auftrag erteilt, Kriterien für eine umwelt- und sozialverträg-
liche Produktion von Bioenergien zu erarbeiten, und welche Vorschläge für
verbindliche Kriterien wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bereits
vorgelegt?

Globale Agrobiodiversität und Förderung der Agrobiodiversität in der Ent-
wicklungszusammenarbeit

30. In welchem Maße trägt nach Auffassung der Bundesregierung die biolo-
gische Vielfalt in der Landwirtschaft zur Sicherung der landwirtschaft-

lichen Produktion und Ernährungssouveränität und -sicherheit in den
Schwellen- und Entwicklungsländern bei?

Drucksache 16/8623 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

31. In welchem Maße trägt nach Auffassung der Bundesregierung die nachhal-
tige Nutzung von biologischer Vielfalt in der Landwirtschaft zur Bekämp-
fung der Armut in den Schwellen- und Entwicklungsländern bei, und
welche Verknüpfung sieht die Bundesregierung zwischen dem Erhalt und
der nachhaltigen Nutzung der landwirtschaftlichen Biodiversität und den
Millenniumsentwicklungszielen?

32. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Zielsetzun-
gen und die Umsetzung des „FAO-Aktionsplans für den Erhalt der tie-
rischen genetischen Ressourcen“ von 2007, mit dem Ziel den globalen
Rückgang der Vielfalt des Viehbestands zu verringern und die Erhaltung
tierischer genetischer Ressourcen zu befördern?

33. Welche Rolle spielt dabei die finanzielle mittel- und langfristige Unterstüt-
zung von regionalen und internationalen tiergenetischen Ressourcenpro-
grammen?

34. Wie hoch ist der Anteil der Förderung des ökologischen Landbaus in der
bilateralen Zusammenarbeit im Bereich der Landwirtschaft und ländlichen
Entwicklung?

35. In welcher Form werden Fragen des Erhalts der biologischen Vielfalt in der
bilateralen Zusammenarbeit im Bereich der Landwirtschaft integriert, und
in welchen Programmen steht der Erhalt der biologischen Vielfalt explizit
im Mittelpunkt (bitte mit Länderangabe und Volumen)?

36. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung weltweit die biologische
Vielfalt der im internationalen Saatgutvertrag benannten vierundsechzig
wichtigsten Nutzpflanzen, darunter Reis, Mais, Kartoffeln, Maniok, Wei-
zen, Hirse, Soja, entwickelt, und durch welche Maßnahmen unterstützt die
Bundesregierung den Erhalt der biologischen Vielfalt dieser Nutzpflanzen
(bitte beispielhaft an den erwähnten Nutzpflanzen)?

37. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung regionale Ansätze zur Erhaltung
der Biodiversität in den besonders vom Hunger betroffenen Regionen des
subsaharischen Afrikas und Südasiens, und wie steht sie in diesem Zusam-
menhang zur „African Model Legislation for the Protection of the Rights of
Local Communities, Farmer and Breeders and for the Regulation of Access
to Biological Resources“, dem von der OAU (2000) verabschiedeten Mus-
tergesetz, welches afrikanischen Ländern einen rechtlichen Rahmen für die
Regelung des Zugangs zu biologischen Ressourcen liefert?

38. In welcher Form unternimmt die Bundesregierung Anstrengungen, um
gemäß Punkt 6 der Entschließung des europäischen Parlaments vom
29. Novermber 2007 über „Eine neue Dynamik für die afrikanische Land-
wirtschaft“ (2007/2231(INI)), eine wissensbasierte afrikanische Bioökono-
mie zu stärken?

39. Durch welche Maßnahmen fördert die Bundesregierung den Schutz der
Rechte der Nutzer althergebrachter landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und
Nutztiere in Entwicklungsländern, und mit welchen Maßnahmen entgegnet
sie der Biopiraterie – der unerlaubten Nutzung der genetischen Ressourcen
von traditionellen Nutzpflanzen und Nutztieren durch in Deutschland an-
sässige Nutzer zu kommerziellen Zwecken?

40. Inwiefern und mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten ist die Bundes-
regierung an Diskussionen zum so genannten Vorteilsausgleich (benefit
sharing) zwischen Geberländern landwirtschaftlich nutzbarer pflanzen-
und tiergenetischer Ressourcen und deutschen staatlichen oder privaten
Akteuren beteiligt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8623

41. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung für die Umsetzung des Vorteils-
ausgleichs zwischen Mitgliedstaaten der EU und Geberländern auch land-
wirtschaftlich nutzbarer pflanzen- und tiergenetischer Ressourcen ein?

42. Welche Maßnahmen sollten aus Sicht der Bundesregierung ergriffen wer-
den, um jetzt und in Zukunft der Verpflichtung zum Schutz der Nutzungs-
rechte indigener und lokaler Gemeinschaften im Sinne der Biodiversitäts-
konvention nachzukommen?

43. Durch welche Maßnahmen trägt die Bundesregierung der besonderen Be-
deutung von Frauen als Akteurinnen in der Landwirtschaft der Entwick-
lungsländer Rechnung und deren führender Rolle bei der Erhaltung der
Biodiversität in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft der Entwicklungs-
länder?

44. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um die schäd-
lichen Auswirkungen für die Biodiversität durch die Ausweitung des Soja-
bohnenanbaus für die Nutzung als Tierfutter und den Export, unter ande-
rem nach Deutschland, zu reduzieren?

Berlin, den 13. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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