BT-Drucksache 16/8495

Riesterrente auf den Prüfstand stellen

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8495
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Frank
Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Riesterrente auf den Prüfstand stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es wird immer deutlicher, dass der Paradigmenwechsel in der Alterssicherungs-
politik, der mit der Einführung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge
– allgemein bekannt als Riesterrente – verbunden ist, nicht zu dem von der
Bundesregierung einst versprochenen Ergebnis führt. So erklärte der damalige
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, in der Debatte des
Deutschen Bundestages zum Altersvermögensgesetz: „Wir ergänzen die gesetz-
liche Rente mit einer zusätzlichen kapitalgedeckten Rente und werden damit das
Rentenniveau insgesamt dauerhaft anheben“ (Plenarprotokoll 14/133 vom
16. November 2000). Tatsächlich wird das Gesamtversorgungsniveau aus ge-
setzlicher Rente und Zusatzvorsorgeleistungen aus der Riesterrente in Zukunft
nicht einmal jenes Sicherungsniveau erreichen, welches vor der „Riesterreform“
allein aus der gesetzlichen Rente geleistet wurde (Rentenversicherungsbericht
2007, vgl. Übersicht B 8). Für Geringverdienende bzw. für die wachsende Zahl
von Menschen, die aufgrund unterbrochener Erwerbsbiografien keine An-
sprüche oberhalb des Niveaus einer Grundsicherung aufbauen können, lohnt
sich die Riesterrente nicht, weil sie voll auf die Grundsicherung im Alter an-
gerechnet wird. Ferner hilft die Riesterrente auch denen nicht, die keine private
Altersvorsorge aufbauen können oder dürfen. Gleichzeitig mindert die Riester-
rente aufgrund des Altersvorsorgeanteils („Riesterfaktor“) in der Rentenformel
das Alterseinkommen jener, die nur auf die gesetzliche Rentenversicherung an-
gewiesen sind. Eine jüngst veröffentlichte Studie (Corneo/Keese/Schröder
2007) zeigt zudem, dass die Riesterförderung nicht zu zusätzlichen Ansparun-
gen führt, sondern zu Umschichtungen in den Anlageformen. Mit hohen staat-
lichen Subventionen werden also im Wesentlichen Mitnahmeeffekte subven-
tioniert. Profiteure der Riesterrente sind die Versicherungswirtschaft und die
Unternehmen. Den Beschäftigten beschert sie insgesamt höhere Aufwendun-
gen, denn sie tragen die Kosten für die private Altersvorsorge ohne die Unter-
nehmen. Es ist daher dringend notwendig, die Riesterrente einer gründlichen

Überprüfung zu unterziehen und entsprechende rentenpolitische Konsequenzen
daraus abzuleiten.

Drucksache 16/8495 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. binnen eines Jahres einen geschlechterdifferenzierten Evaluationsbericht
über die staatlich geförderte private Altersvorsorge (Riesterrente) vorzule-
gen, in dem

a) die Konsequenzen der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge für
das Niveau der gesetzlichen Rente offengelegt werden;

b) die Kosten der staatlichen Förderung der privaten Alterssicherung aktuell
und prognostiziert nach unterschiedlichen Verbreitungsgraden (u. a. 100-
prozentiger Verbreitungsgrad) dargestellt werden;

c) ein Vergleich der Leistungen und des Kosten-Nutzenverhältnisses von
subventionierter privater Alterssicherung und gesetzlicher Rente hinsicht-
lich der Verwaltungs- und Verfahrenskosten, des Anteils der geleisteten
Beiträge, die tatsächlich der Alterssicherung zugute kommen, und der
Leistungsprofile gezogen wird;

d) Berechnungen zur Entwicklung des Gesamtversorgungsniveaus vor-
gestellt werden, die von geltender Gesetzeslage sowie realistischen An-
nahmen über die Entwicklung der Beschäftigung, der Löhne und Gehälter,
der Preisentwicklung und des Verbreitungsgrads der staatlich geförderten
Altersvorsorge ausgehen;

e) die Folgen des Paradigmenwechsels in der Alterssicherungspolitik weg
von der Lebensstandardsicherung allein durch die gesetzliche Rente hin
zu einem Lebensstandard sichernden Gesamtversorgungsniveau aus ge-
setzlicher Rentenversicherung, privater und betrieblicher Altersvorsorge
auf seine Verteilungswirkungen sowohl für verschiedene Einkommens-
gruppen, Personengruppen mit unterschiedlichem Erwerbsstatus und
Alterskohorten als auch für gesellschaftliche Großgruppen wie Beschäf-
tigte und Unternehmen dargestellt werden;

f) Aussagen über die Anzahl der Beitragsjahre getroffen werden, die Be-
schäftigte mit Durchschnittslohn, mit Niedriglohn (75 Prozent des Medi-
aneinkommens) und mit Armutslohn (50 Prozent des Medianeinkom-
mens) bei einer durchschnittlichen Verzinsung von 2,25 Prozent, 3 bzw.
4 Prozent leisten müssen, um mit und ohne Riesterrente ein Alterseinkom-
men oberhalb des Niveaus der Grundsicherung im Alter (prognostiziert
auf Basis von Annahmen zur Rentenentwicklung) zu erreichen.

Diese Überprüfung kann im Rahmen des Alterssicherungsberichts nach
§ 154 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfolgen, muss je-
doch den genannten Fragestellungen Rechnung tragen;

2. die Fortführung der direkten und indirekten staatlichen Förderung der zusätz-
lichen privaten Altervorsorge vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse dahin
gehend zu überprüfen, ob und wie eine staatliche Förderung der Altersvor-
sorge gezielt für Geringverdienende effektiver innerhalb der gesetzlichen
Rentenversicherung erfolgen kann.

Berlin, den 11. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8495

Begründung

Mit der Einführung der staatlich geförderten Altersvorsorge (Riesterrente) und
der langfristigen Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente wurde von der
damaligen Bundesregierung ein Paradigmenwechsel in der deutschen Alterssi-
cherungspolitik vorgenommen. Die gesetzliche Rente sollte den Lebensstandard
im Alter nicht mehr allein sichern, sondern durch zusätzliche private Vorsorge
ergänzt werden. Damit – so das Versprechen – sollte der Beitragssatzanstieg –
und damit die Belastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler durch den
demografischen Wandel – begrenzt werden, gleichzeitig aber der Lebensstan-
dard im Alter gehalten werden können.

Es zeigt sich jedoch zunehmend, dass diese Versprechen nicht aufgehen. Laut
Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2007 sinkt das
Gesamtversorgungsniveau aus gesetzlicher Rente und Riesterrente zwischen
2007 und 2021 unter das Niveau der heutigen gesetzlichen Rente. Auch die
Studie Altersvorsorge in Deutschland 2005 zeigt in ihren realistischeren Szena-
rien, dass das Gesamtversorgungsniveau der jüngeren Kohorten sinkt, obwohl
diese zunehmend Ansprüche an Renten aus privater und betrieblicher Zusatz-
vorsorge aufbauen, während die älteren Kohorten erst in geringerem Maße über
solche verfügen. Dabei sind in diesen Szenarien die Wirkungen des so genann-
ten Nachhaltigkeitsfaktors nicht enthalten (vgl. Hauser, in: Soziale Sicherheit
12/2007, S. 416 ff.) und wird von einem unrealistischen Verbreitungsgrad der
privaten Altersvorsorge ausgegangen. Wegen des drastisch sinkenden Niveaus
der gesetzlichen Rente können also offensichtlich viele Menschen in Zukunft ih-
ren Lebensstandard im Alter nicht mehr halten, auch wenn sie zusätzlich zu ihrer
gesetzlichen Rente privat oder betrieblich vorsorgen. Das angestrebte Ziel der
Kompensierung der Leistungsabsenkung in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung (GRV) durch die zusätzliche private Vorsorge wird also deutlich verfehlt.

Der Paradigmenwechsel kommt die Beschäftigten außerdem teuer zu stehen. Ab
dem Jahre 2008 können und sollen die Versicherten kontinuierlich 4 Prozent
ihres Bruttoentgelts als Prämie für private Altersvorsorge anlegen. Den (jünge-
ren) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird dies als „generationen-
gerechte Entlastung“ angepriesen; sie müssten 2030 nur 11 Prozent statt 14 Pro-
zent Rentenbeitrag zahlen. De facto zahlen sie aber bereits heute ca. 14 Prozent
(knapp 10 Prozent zur GRV, 4 Prozent zur Riesterrente), während die Unterneh-
men nur ca. 10 Prozent zahlen, da sie an der Finanzierung der Riesterrente nicht
beteiligt sind. Die Kosten der Altersvorsorge sind also allein für die Unter-
nehmen begrenzt worden. Die Beschäftigten müssen für die durch das sinkende
Niveau der gesetzlichen Rente entstehenden Sicherungslücken aufkommen. Ge-
winner der Reform sind somit die Unternehmen und die private Versicherungs-
wirtschaft.

Zudem zeigt sich, dass die Riesterrente sich für viele Menschen nicht lohnt, son-
dern eher zu Nachteilen führt. So werden Beziehende der Grundsicherung im
Alter im Ruhestand nichts von ihrer Riesterrente haben, weil diese vollständig
als Einkommen auf die Grundsicherung angerechnet wird. Die Riesterrente hilft
auch denen nicht, die keine private Altersvorsorge aufbauen können. Hierzu
zählen vor allem Geringverdienende, Erwerbslose oder Erwerbsunfähige. Sie
verschlechtert ihre Situation aber, da das Alterseinkommen jener sinkt, die nur
auf die gesetzliche Rentenversicherung angewiesen sind. Gleichzeitig zahlt
diese Gruppe über ihre Steuern die staatliche Förderung für die anderen mit.

Eine neue Studie des Instituts für öffentliche Finanzen und Sozialpolitik der
Freien Universität Berlin (Corneo/Keese/Schröder 2007) sieht außerdem erheb-
liche Zweifel am volkswirtschaftlichen Nutzen der Riesterförderung. Demnach
führt die staatliche Förderung der Riesterrente nicht zu mehr zusätzlichen Spar-

anstrengungen und damit höheren Alterseinkommen, sondern zur Umschich-
tung zwischen Anlageformen. Schließlich lässt sich auch die betriebswirtschaft-

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liche Effizienz der Riesterrente bezweifeln: Liegt der Verwaltungs- und Verfah-
renskostenanteil bei der gesetzlichen Rente bei 1,6 Prozent der Beitragsgelder,
sind es bei der privaten Riesterrente 15 bis 16 Prozent (vgl. Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdruck-
sache 16/8016).

Die Subventionierung der Riesterrente wird nach Angaben der Bundesregierung
den Bundeshaushalt am Ende jährlich bis zu 13 Mrd. Euro kosten. Dies ent-
spricht dem gegenwärtigen Aufkommen eines Beitragspunktes zur gesetzlichen
Rentenversicherung. Es ist daher dringend notwendig zu überprüfen, ob der mit
der Einführung der Riesterrente verbundene Paradigmenwechsel in der Alters-
sicherungspolitik für die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt nennenswerte
Vorteile bringt. Stellt sich heraus, dass dies nicht der Fall ist und vor allem Un-
ternehmen und Versicherungswirtschaft profitieren, muss die Förderung der
Riesterrente auf den Prüfstand gestellt und müssen die Mittel in die kollektive
und solidarische Altersvorsorge umgelenkt werden. Die im Alterssicherungs-
bericht nach § 154 SGB VI vorgesehenen Darstellungen des Umfangs der Inan-
spruchnahme der Riesterförderung und des Verbreitungsgrads der zusätzlichen
Altersvorsorge sind für eine solche Überprüfung nicht ausreichend.

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