BT-Drucksache 16/8420

Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken

Vom 6. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8420
16. Wahlperiode 06. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hofft nach der Wahl Dmitri Medwedjews zum
Präsidenten der Russischen Föderation am 2. März 2008 auf eine Weiter-
entwicklung der Zusammenarbeit der Europäischen Union und ihrer Mitglied-
staaten mit Russland. Diese ist dringend erforderlich, nachdem es aus unter-
schiedlichen Gründen zu Hemmnissen, Blockaden und Konflikten auf außen-
politischem, sicherheitspolitischem, energiepolitischem und dem Gebiet von
Demokratieentwicklung und Menschenrechten gekommen ist. Sie ist wün-
schenswert, weil dies im gemeinsamen Interesse der Europäischen Union bzw.
ihrer Mitgliedstaaten und Russlands liegt. Zu den Voraussetzungen einer solchen
Entwicklung gehört die Formulierung gemeinsamer Haltungen in der Euro-
päischen Union zu allen die Kooperation mit Russland betreffenden Fragen.

Der Deutsche Bundestag ist überzeugt, dass eine Vertiefung der Zusammen-
arbeit beiden Seiten dient. Er ist weiter der Ansicht, dass Gesellschaften und
Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einerseits, Gesell-
schaft und Regierung der Russischen Föderation andererseits diese Überzeu-
gung teilen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich bilateral und im Rahmen der Europäischen Union einzusetzen für

● die schnellstmögliche Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Partner-
schafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland unter
Einbeziehung aller für ein solches Abkommen sinnvollen Themenfelder ein-
schließlich der Fragen der Energiesicherheit, der Demokratisierung und der
Rechtssicherheit;

● die Intensivierung der technologischen und wirtschaftlichen Zusammen-

arbeit auf den Gebieten der Umwelt- und Klimapolitik, der Energienutzung,
Energieeinsparung und der Entwicklung erneuerbarer Energienutzungs-
formen;

Drucksache 16/8420 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● die Weiterentwicklung staatlicher Regelungen für den gleichberechtigten
Zugang von privatwirtschaftlichen Investitionen russischer Firmen in der
EU und von Firmen aus der EU in Russland sowie die Garantie von Rechts-
sicherheit bei deren Umsetzung;

● die Stärkung der zivilgesellschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit auf
gleichrangiger und gleichberechtigter Ebene in den dafür geeigneten Foren
und Gremien, darunter dem „Petersburger Dialog“;

● die Einhaltung der kooperativen und für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen
gültigen Prinzipien und Regeln der die EU und Russland gemeinsam be-
treffenden Organisationen Europarat und OSZE, einschließlich des Büros
für die Demokratischen Institutionen und die Menschenrechte ODIHR;

● die Intensivierung der politischen Konsultationen zu allen beide Seiten inte-
ressierenden und betreffenden Fragen im Rahmen der EU-Russland-Gipfel
und weiterer Dialoggremien wie den regelmäßigen Menschenrechtskonsul-
tationen;

● die Vereinbarung gleichberechtigter Regularien für die ungehinderte Tätig-
keit von Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Kulturmittlerorgani-
sationen sowohl russischer Herkunft in der EU als auch mit Herkunft aus der
EU in Russland zur Stärkung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zivil-
gesellschaftlicher Tätigkeit;

● die Intensivierung von Konsultationen mit Russland über alle gemeinsam zu
behandelnden außen- und sicherheitspolitischen Fragen und Konflikte mit
dem Ziel einvernehmlicher Lösungen und Entscheidungen auf der Ebene der
UN, im transatlantischen und im europäischen Rahmen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung insbesondere auf,

sich im Rahmen von Europäischer Union und NATO einzusetzen für

● die umgehende Unterzeichnung und Ratifizierung des angepassten KSE-
Vertrages durch alle Vertragsparteien sowie seine Weiterentwicklung mit
dem Ziel, das konventionelle Rüstungsniveau in Europa weiter zu senken
und die vertragsgestützte Rüstungskontrolle zu stärken;

● die Weiterführung der Konsultationen mit Russland im Geiste der Ent-
spannung und Vertrauensbildung mit dem Ziel, angesichts der erheblichen
Interessenskonflikte in Fragen der Raketenabwehr und anderen Bereichen
von elementarer sicherheitspolitischer Bedeutung nach einer Lösung zu
suchen, die der gemeinsamen Sicherheit aller Beteiligten dient und ein mili-
tärisches Wettrüsten verhindert;

● eine Realisierung der North-Stream-Pipeline, die den ökologischen Be-
denken und den berechtigten Bedürfnissen – zum Beispiel der Energie-
sicherheit – der Anrainerstaaten Rechnung trägt;

● die Ratifizierung des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK, die Unterzeichnung
und Ratifizierung des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK sowie die Ratifizie-
rung des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK durch Russland.

Berlin, den 6. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8420

Begründung

Der neue Präsident Russlands, Dmitri Medwedjew, hat sich für den Kampf
gegen Korruption und für eine unabhängige Justiz ausgesprochen. Auch seine
im Vorfeld der Wahlen demonstrierte Aufmerksamkeit für sozialpolitische
Themen und eine von ihm signalisierte verstärkte Gesprächsbereitschaft mit
den europäischen Partnern lassen auf eine gewisse Neujustierung der russischen
Politik hoffen.

Gleichzeitig hat die Zentrale Wahlkommission die Kandidatur einer ganzen
Reihe oppositioneller Präsidentschaftskandidaten abgelehnt oder verhindert.
Eine regelgerechte Langzeitwahlbeobachtung durch die OSZE wurde bereits
zum zweiten Mal unmöglich gemacht. Die Massenmedien sind nach wie vor
unter weitestgehender staatlicher Kontrolle, die Versammlungsfreiheit ist ein-
geschränkt geblieben. Nach wie vor werden Kritiker der Regierungspolitik mit-
tels des Extremismusvorwurfes bedroht; viele Nichtregierungsorganisationen
werden durch bürokratische Verfahren behindert. Unter Hinweis auf die viel-
fach notwendige westliche finanzielle Unterstützung für sie wird ihnen Kritik
an Entwicklungen in Russland als antirussische Aktivität ausgelegt.

Das nach wie vor herrschende System der „souveränen Demokratie“ dient nicht
zuletzt zur Abwehr von Forderungen nach Einhaltung demokratischer und
rechtsstaatlicher Standards, die für Mitglieder von Organisationen wie dem
Europarat verbindlich sind. Als letztes Europaratsmitglied hat Russland noch
immer nicht das 6. Zusatzprotokoll zur EMRK ratifiziert und blockiert die drin-
gende Reform des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte durch die
fehlende Ratifizierung des 14. Zusatzprotokolls zur EMRK. Auch die Be-
ziehungen zur OSZE, zur Europäischen Union und zur NATO sind nicht frei
von Spannungen; zum Teil bestehen offene Konflikte. Die Schließung der Euro-
päischen Universität in St. Petersburg und die massive Behinderung der Arbeit
des British Council sind jüngste Beispiele für die Abwehr von Einflüssen, die
dem Kreml nicht genehm sind. Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit Russland
weit entfernt von einem Niveau, wie es in vielen Absichtserklärungen an-
gestrebt und in Abkommen vereinbart ist. Von einer strategischen Partnerschaft
zwischen Russland und der Europäischen Union kann derzeit keine Rede sein.

Die Wahl Dmitri Medwedjews zum Präsidenten Russlands gibt Anlass, eine
Neubelebung und Verstärkung der Kooperation mit Russland einzufordern.
Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft auf beiden Seiten. Russland als Teil
Europas und sein – u. a. durch die Mitgliedschaft im Europarat demonstrier-
tes – Selbstverständnis als europäischer Staat sollten dabei nach wie vor ernst
genommen und als Grundlage einer auf gemeinsamen Interessen basierenden
Zusammenarbeit verstanden werden.

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