BT-Drucksache 16/8371

Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8371
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen
Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hofft nach der Wahl Dmitri Medwedews zum Präsiden-
ten der Russischen Föderation am 2. März 2008 auf eine Weiterentwicklung der
Zusammenarbeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten mit Russ-
land. Diese ist dringend erforderlich, nachdem es aus unterschiedlichen Grün-
den zu Hemmnissen, Blockaden und Konflikten auf außenpolitischem,
sicherheitspolitischem, energiepolitischem und dem Gebiet von Demokratie-
entwicklung und Menschenrechten gekommen ist. Sie ist wünschenswert, weil
dies im gemeinsamen Interesse der Europäischen Union bzw. ihrer Mitgliedstaa-
ten und Russlands liegt. Zu den Voraussetzungen einer solchen Entwicklung
gehört die Formulierung gemeinsamer Haltungen in der Europäischen Union zu
allen die Kooperation mit Russland betreffenden Fragen.

Der Deutsche Bundestag ist überzeugt, dass eine Vertiefung der Zusammenarbeit
beiden Seiten dient. Er ist weiter der Ansicht, dass Gesellschaften und Regie-
rungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einerseits, Gesellschaft und
Regierung der Russischen Föderation andererseits diese Überzeugung teilen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich bilateral und im Rahmen der Europäischen Union einzusetzen für

● die schnellstmögliche Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Partner-
schafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland unter
Einbeziehung aller für ein solches Abkommen sinnvollen Themenfelder ein-
schließlich der Fragen der Energiesicherheit, der Demokratisierung und der
Rechtssicherheit;

● die Intensivierung der technologischen und wirtschaftlichen Zusammenar-
beit auf den Gebieten der Umwelt- und Klimapolitik, der Energienutzung, der

Energieeinsparung und der Entwicklung erneuerbarer Energienutzungsfor-
men;

● die Weiterentwicklung staatlicher Regelungen für den gleichberechtigten Zu-
gang von privatwirtschaftlichen Investitionen russischer Firmen in der EU
und von Firmen aus der EU in Russland sowie die Garantie von Rechtssicher-
heit bei deren Umsetzung;

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● die Stärkung der zivilgesellschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit auf
gleichrangiger und gleichberechtigter Ebene in den dafür geeigneten Foren
und Gremien, darunter dem „Petersburger Dialog“;

● die Einhaltung der kooperativen und für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen
gültigen Prinzipien und Regeln der die EU und Russland gemeinsam betref-
fenden Organisationen Europarat und OSZE, einschließlich des Büros für die
Demokratischen Institutionen und die Menschenrechte ODIHR;

● die Intensivierung der politischen Konsultationen zu allen beide Seiten inte-
ressierenden und betreffenden Fragen im Rahmen der EU-Russland-Gipfel
und weiterer Dialoggremien wie den regelmäßigen Menschenrechtskonsulta-
tionen;

● die Vereinbarung gleichberechtigter Regularien für die ungehinderte Tätig-
keit von Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen sowohl russischer
Herkunft in der EU als auch mit Herkunft aus der EU in Russland zur Stär-
kung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftlicher Tätig-
keit;

● die Intensivierung von Konsultationen mit Russland über alle gemeinsam zu
behandelnden außen- und sicherheitspolitischen Fragen und Konflikte mit
dem Ziel einvernehmlicher Lösungen und Entscheidungen auf der Ebene der
Vereinten Nationen, im transatlantischen und im europäischen Rahmen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung insbesondere auf, sich im
Rahmen von Europäischer Union und NATO einzusetzen für

● die umgehende Unterzeichnung und Ratifizierung des angepassten KSE-Ver-
trages durch alle Vertragsparteien sowie seine Weiterentwicklung mit dem
Ziel, das konventionelle Rüstungsniveau in Europa weiter zu senken und die
vertragsgestützte Rüstungskontrolle zu stärken;

● die Weiterverfolgung von Konsultationen mit Russland mit dem Ziel gemein-
samer Sicherheit bei einer Stationierung des US-Raketenabwehrschirms in
Europa;

● eine Verhandlungslösung über eine für alle betroffenen und interessierten
Anrainerstaaten akzeptable Gestaltung der North-Stream-Pipeline sowie für
eine kostengünstige und umweltverträgliche bauliche Lösung.

Berlin, den 5. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Der neue Präsident Russlands hat sich für den Kampf gegen Korruption und für
eine unabhängige Justiz ausgesprochen. Auch seine im Vorfeld der Wahlen
demonstrierte Aufmerksamkeit für sozialpolitische Themen und eine von ihm
signalisierte verstärkte Gesprächsbereitschaft mit den europäischen Partnern
lassen auf eine gewisse Neujustierung der russischen Politik hoffen.

Gleichzeitig hat die Zentrale Wahlkommission die Kandidatur einer ganzen
Reihe oppositioneller Präsidentschaftskandidaten abgelehnt oder verhindert.
Eine regelgerechte Langzeitwahlbeobachtung durch die OSZE wurde bereits

zum zweiten Mal unmöglich gemacht. Die Massenmedien sind nach wie vor un-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8371

ter weitestgehender staatlicher Kontrolle, die Versammlungsfreiheit ist einge-
schränkt geblieben. Nach wie vor werden Kritiker der Regierungspolitik mittels
des Extremismusvorwurfes bedroht, viele Nichtregierungsorganisationen wer-
den durch bürokratische Verfahren behindert. Unter Hinweis auf die vielfach
notwendige westliche finanzielle Unterstützung für sie wird ihnen Kritik an Ent-
wicklungen in Russland als antirussische Aktivität ausgelegt.

Das nach wie vor herrschende System der souveränen Demokratie dient nicht
zuletzt zur Abwehr von Forderungen nach Einhaltung demokratischer und
rechtsstaatlicher Standards, die für Mitglieder von Organisationen wie dem
Europarat verbindlich sind. Auch die Beziehungen zur OSZE, zur Europäischen
Union und zur NATO sind nicht frei von Spannungen, zum Teil bestehen offene
Konflikte. Insgesamt ist die Zusammenarbeit mit Russland weit entfernt von
einem Niveau, wie es in vielen Absichtserklärungen angestrebt wird und in Ab-
kommen vereinbart ist. Von einer strategischen Partnerschaft zwischen Russland
und der Europäischen Union kann derzeit keine Rede sein.

Die Wahl Dmitri Medwedews zum Präsidenten Russlands gibt Anlass, eine
Belebung und Verstärkung der Kooperation mit Russland einzufordern.
Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft auf beiden Seiten. Russland als Teil
Europas und sein – u. a. durch die Mitgliedschaft im Europarat demonstriertes –
Selbstverständnis als europäischer Staat sollten dabei nach wie vor ernst genom-
men und als Grundlage einer auf gemeinsamen Interessen basierenden Zusam-
menarbeit verstanden werden.

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