BT-Drucksache 16/8343

Anrechnung von BAföG für Schülerinnen und Schüler auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende

Vom 29. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8343
16. Wahlperiode 29. 02. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Diana Golze, Katja Kipping, Wolfgang Neskovic,
Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Anrechnung von BAföG für Schülerinnen und Schüler auf Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende

Auf juristischer Ebene ist bisher nicht eindeutig geklärt, inwieweit das so ge-
nannte Schülerinnen-/Schüler-BAföG (BAföG – Bundesausbildungsförderungs-
gesetz) als Einkommen auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen ist. Umstritten
ist hierbei insbesondere die Frage, ob die von immer mehr beruflichen Ausbil-
dungsstätten erhobenen Gebühren bei einer ggf. erfolgenden Anrechnung auf
das Arbeitslosengeld II vom erhaltenen BAföG abzuziehen sind.

Die unterschiedliche Praxis der Arbeitsagenturen, das BAföG entweder zu
80 Prozent oder sogar vollständig als Einkommen auf das Arbeitslosengeld II
anzurechnen, führte bereits zu einigen Gerichtsentscheidungen. So erwirkte
eine Klägerin vor dem Sächsischen Landessozialgericht (Aktenzeichen: L 2 AS
43/07), dass das Schülerinnen-/Schüler-BAföG in Höhe von 192 Euro für eine
gebührenpflichtige schulische Ausbildung nur teilweise als Einkommen anzu-
rechnen ist.

Vom erhaltenen BAföG müssten demnach die geleisteten Schulgebühren sowie
eine Pauschale für Fahrtkosten zur Ausbildungsstätte und, sofern Nachweise
vorhanden, Aufwendungen für Fachliteratur, Berufskleidung und sonstige
Arbeitsmittel abgezogen werden. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
urteilte in einem ähnlichen Fall (Aktenzeichen L 19 B 599/06 AS) im Sinne der
Arbeitsagentur. Das heißt die Arbeitsagentur erkannte nur 20 Prozent des Schü-
lerinnen-/Schüler-BAföG als zweckgebundene Einnahmen für die Ausbildung
an.

Da die beklagte Arbeitsagentur gegen das Urteil des Sächsischen Landessozial-
gerichtes am 10. Dezember 2007 vor dem Bundessozialgericht Revision einge-
legt hat, steht eine endgültige und höchstrichterliche Entscheidung nach wie
vor aus (B 14 AS 61/07 R).

Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II) keine detaillierte Regelung zur Anrechnung des Schülerinnen-/

Schüler-BAföG auf das Arbeitslosengeld II formuliert: Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1
Buchstabe a SGB II wird lediglich festgehalten, dass zweckbestimmte Einnah-
men nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Die Bundesagentur für Ar-
beit präzisiert in den Durchführungsbestimmungen (Fassung vom 30. Januar
2008) die seit dem 1. Januar 2008 gültigen neuen Regelungen des § 11 SGB II
wie folgt: „Leistungen der Ausbildungsförderung (BAföG, BAB) sind als Ein-
kommen zu berücksichtigen. Dabei werden 20 Prozent der Ausbildungsförde-

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rung nach dem BAföG als zweckbestimmte Einnahmen (§ 11 Abs. 3 Nr. 1a)
nicht als Einkommen berücksichtigt.“ Die Kosten einer schulischen Ausbildung
übersteigen – vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Gebührenpflich-
tigkeit schulischer Ausbildungen – in der Regel aber diese 20 Prozent. Das säch-
sische Sozialgericht sieht für diese pauschale Quotierung keine Grundlage, wie
es in seiner Urteilsbegründung ausführt: „Für die generelle pauschalierende
Quotelung, wie sie die Antragsgegnerin [Bundesagentur für Arbeit, Anm. der
Fragestellerinnen und Fragesteller] vorgenommen hat, bietet weder § 11 Abs. 3
Nr. 1 Buchst. A SGB II noch § 11 Abs. 1 BAföG eine Stütze. Der Gesetzgeber
hat vielmehr die Bedarfe nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz als
Pauschalen bemessen. Die Festlegung der Pauschalen erfolgte ungeachtet des-
sen, dass die Bedarfe bei den Auszubildenden jeweils abhängig vom Ausbil-
dungsort, der Ausbildungsart und den verschiedenen Zeiträumen, wie Aus-
bildungszeiten und Ferien, unterschiedlich sind. Eine getrennte Festlegung der
Bedarfe für Unterhalt und Ausbildung hat er nicht vorgenommen. Wenn aber der
Gesetzgeber im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes von einer
variablen Verteilung der Anteile ausgeht und vom Auszubildenden erwartet,
dass er ggf. auch einen hohen Anteil an Ausbildungskosten von der Ausbil-
dungspauschale abdeckt, kann im Rahmen des SGB II wegen der Einheit der
Rechtsordnung nicht dem Auszubildenden unterstellt werden, dass er generell
einen von der Behörde festgelegten, überwiegenden Anteil der Ausbildungsför-
derung für den Unterhalt einsetzt […]“ (Aktenzeichen: L 2 AS 43/07).

Auch der Deutsche Bundestag setzt sich bereits mit dieser Problematik aus-
einander. Der Petitionsausschuss empfahl der Bundesregierung zu erwägen,
Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz auf das Arbeits-
losengeld II nicht anzurechnen (Pet 4-16-11-81503-002423), falls entspre-
chende Ausbildungsgebühren gezahlt werden müssen. Die zugrunde liegende
Eingabe beschreibt die Problematik einer Bedarfsgemeinschaft bestehend aus
Eltern und Tochter bezüglich der Anrechnung von Schülerinnen-/Schüler-
BAföG auf das Arbeitslosengeld II. Die Tochter hat eine kostenpflichtige Aus-
bildung an einer Berufsfachschule begonnen und erhält 192 Euro BAföG. Die
Petentin beanstandet, dass unter anderem die für die Ausbildung der Tochter an
einer Berufsfachschule entstandenen Kosten in Höhe von 295 Euro als Ein-
kommen angerechnet werden.

Es stellt sich die Frage, welche Position die Bundesregierung unabhängig von
den gerichtlichen Auseinandersetzungen einnimmt und ob sie das öffentliche
und gebührenfreie Angebot an schulischen Ausbildungen für ausreichend hält.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Bundesausbildungsförde-
rung (BAföG) eine zweckbestimmte Zuwendung, die zur Deckung der
Ausbildungskosten aufgewendet werden soll bzw. was war nach Auffas-
sung der Bundesregierung die Intention des Deutschen Bundestages bei
der Verabschiedung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes?

b) Inwiefern dienen Einnahmen nach dem Bundesausbildungsförderungsge-
setz nach Auffassung der Bundesregierung den gleichen Zielen wie Ein-
nahmen aus Arbeitslosengeld II?

2. Ist der Bundesregierung die Praxis einiger Arbeitsgemeinschaften (ARGEn)
bekannt, Gelder nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für Schüle-
rinnen und Schüler in Ausbildung bei der Berechnung der monatlich zu-
stehenden Leistungen von Bedarfsgemeinschaften als Einkommen mit ein-
zubeziehen, und falls ja, wie begründet sie diese Praxis angesichts der
Tatsache, dass diese Gelder zum Zwecke der Deckung von Ausbildungs-

kosten (wie beispielsweise Fahrtkosten zum Schulort oder Schulgeld) benö-
tigt werden (vgl. Aktenzeichen: L 2 AS 43/07)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8343

3. a) Womit begründet die Bundesregierung die generelle pauschale Quotie-
rung (20 Prozent des BAföG für Ausbildungskosten) als zweck-
bestimmte Einnahmen bei der Anrechnung des Schüler-BAföG auf
Arbeitslosengeld II, da – auch nach Auffassung des sächsischen Lan-
dessozialgerichtes – weder § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe A SGB II noch
§ 11 Abs. 1 BAföG hierfür Anlass biete?

b) Inwiefern hält sie die Höhe dieses pauschalierten Anteils für angemes-
sen, um die steigenden Ausbildungskosten zu decken?

4. Erwägt die Bundesregierung, Leistungen nach BAföG komplett aus der
Einkommensanrechnung auf das Arbeitslosengeld II auszunehmen, da
Leistungen nach BAföG einem anderen Zweck dienen als das Arbeits-
losengeld II?

5. a) Wie viele Auszubildende befanden sich in den Ausbildungsjahren 2004,
2005 und 2006 in schulischer Berufsausbildung an öffentlichen Ausbil-
dungsstätten (bitte nach Geschlecht aufschlüsseln)?

b) Wie viele Auszubildende befanden sich in den Ausbildungsjahren 2004,
2005 und 2006 in schulischer Berufsausbildung an privaten Ausbil-
dungsstätten (bitte nach Geschlecht aufschlüsseln)?

6. a) Wie viele Ausbildungsgänge in schulischer Form standen den Auszubil-
denden in den Jahren 2004, 2005 und 2006 an öffentlichen Ausbil-
dungsstätten zur Verfügung?

b) Wie viele dieser Ausbildungsgänge in öffentlichen Ausbildungsstätten
werden ohne Schulgebühren angeboten?

c) Wie viele dieser Ausbildungsgänge in öffentlichen Ausbildungsstätten
werden mit Schulgebühren angeboten?

7. a) Wie viele Ausbildungsgänge in schulischer Form standen den Auszubil-
denden in den Jahren 2004, 2005 und 2006 an privaten Ausbildungsstät-
ten zur Verfügung?

b) Wie viele dieser Ausbildungsgänge an privaten Ausbildungsstätten wer-
den ohne Schulgebühren angeboten?

c) Wie viele dieser Ausbildungsgänge an privaten Ausbildungsstätten wer-
den mit Schulgebühren angeboten?

8. Wie will die Bundesregierung die Zweifel des Petitionsausschusses an
einem umfassenden Angebot an öffentlichen, gebührenfreien Ausbildungs-
stätten ausräumen, und wie will sie erreichen, dass die Bundesländer ihrer
Verantwortung nachkommen, dieses ausreichende Angebot zur Verfügung
zu stellen (vgl. Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zu Pet
4- 16-11-81503-002423)?

9. Wann und wie will die Bundesregierung den erklärten Willen des Deut-
schen Bundestages umsetzen, eine Änderung von § 13 Satz 1 Nr. 1 SGB II
in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2 Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverord-
nung dahingehend vorzunehmen, „dass der Pauschbetrag auf 100 Prozent
der Fördergelder aus dem BAföG erhöht wird, falls nachweislich Ausbil-
dungsgebühren zu leisten sind […]“ (Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses zu Pet 4-16-11-81503-002423)?

10. Plant die Bundesregierung eine Präzisierung des SGB II dahingehend,
Leistungen nach BAföG für Schülerinnen und Schüler von der Anrech-
nung auf das Arbeitslosengeld II vollständig und generell auszuschließen
(bitte mit Begründung)?

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11. Inwiefern teilt die Bundesregierung folgende Aussage: „Wenn das BAföG
tatsächlich die Ausbildung junger Menschen fördern und Chancengleich-
heit bieten soll, sollte es nicht ausnahmslos auf Unterhaltszahlungen der
Eltern angerechnet werden.“ (Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-
ses zu Pet 4-16-11-81503-002423)?

Berlin, den 27. Februar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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