BT-Drucksache 16/8270

Äußerungen der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration zur Jugendkriminalität

Vom 20. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8270
16. Wahlperiode 20. 02. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Äußerungen der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge
und Integration zur Jugendkriminalität

Der gegen (kriminelle) Ausländer gerichtete Wahlkampf des hessischen Minis-
terpräsidenten Roland Koch wurde seitens der Integrationsbeauftragten der
Bundesregierung, Staatsministerin Dr. Maria Böhmer, nicht kritisiert – im Ge-
genteil:

Dr. Maria Böhmer billigte am 14. Januar als Mitglied des CDU-Präsidiums aus-
drücklich den in der sog. Wiesbadener Erklärung der CDU enthaltenen Sechs-
Punkte-Plan von Roland Koch für ein schärferes Vorgehen gegen ausländische
jugendliche Täter;

sie forderte im Kampf gegen jugendliche Gewalttäter die Einrichtung sog. Er-
ziehungscamps (DIE WELT, 9. Januar 2008);

und schließlich heizte Dr. Maria Böhmer in einem Tagesspiegel-Interview vom
12. Januar 2008 die Debatte um den Anteil ausländischer Jugendlicher an der
Gewaltkriminalität in Deutschland mit offenkundig völlig undifferenzierten
Zahlenangaben weiter an.

Nach der verlorenen Landtagswahl will Dr. Maria Böhmer nun den Wahlkampf
Roland Kochs und ihren Anteil daran schnell wieder vergessen machen (so: taz
vom 31. Januar 2008).

Hier wäre im Sinne der Integration eine klare Positionierung der Integrations-
beauftragten der Bundesregierung nötig gewesen Diese zeigt Dr. Maria Böhmer
nicht. Unter dem offenen Brief vom 31. Januar 2008, in dem führende Christ-
demokratinnen und -demokraten (etwa der Integrationsminister von Nordrhein-
Westfalen Armin Laschet; der 1. Bürgermeister der Freien und Hansestadt
Hamburg Ole von Beust; die Bundestagspräsidentin a. D. und vormalige Vor-
sitzende des Zuwanderungsrates der Bundesregierung Dr. Rita Süssmuth oder
der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern Peter
Altmaier) den Wahlkampf des hessischen Ministerpräsidenten vorsichtig kriti-
sieren („Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes,
dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf“), fehlt ausgerech-
net die wichtige Unterschrift der Staatsministerin und Beauftragten der Bun-

desregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Dr. Maria Böhmer.

Drucksache 16/8270 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

Erziehungscamps

1. Welche Erziehungs-Camps kennt die Staatsministerin in Abgrenzung zu
bestehenden Kurz-Interventionsprojekten (wie Anti-Gewalt-Trainings) und
häuslichen/familiär angelegten Hilfsangeboten (wie z. B. dem „Projekt
Chance“ des Christlichen Jugenddorfwerks im baden-württembergischen
Creglingen oder der Jugendhilfeeinrichtung des Evangelischen Jugend- und
Fürsorgewerks im brandenburgischen Frostenwalde), und welche dieser
Camps würde sie als vorbildlich bezeichnen?

2. Auf welche Evaluationsergebnisse stützte sich die Empfehlung der Staats-
ministerin zur Einrichtung von Erziehungscamps für jugendliche Straftäter?

Notwendige Einordnung von Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik

3. Ist der Staatsministerin bekannt, dass das Bundeskriminalamt in der „Polizei-
lichen Kriminalstatistik 2006“ (PKS) selber die Aussagekraft der von der
Staatsministerin zitierten PKS-Zahlen wie folgt einschränkt: „Die Krimina-
litätsbelastung der Deutschen und Nichtdeutschen ist zudem aufgrund der
unterschiedlichen strukturellen Zusammensetzung (Alters-, Geschlechts- und
Sozialstruktur) nicht vergleichbar. Die sich in Deutschland aufhaltenden
Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind im Vergleich zur deutschen
Bevölkerung im Durchschnitt jünger und häufiger männlichen Geschlechts.
Sie leben eher in Großstädten, gehören zu einem größeren Anteil unteren Ein-
kommens- und Bildungsschichten an und sind häufiger arbeitslos. Dies alles
führt zu einem höheren Risiko, als Tatverdächtige polizeiauffällig zu wer-
den“?

Wenn ja, warum hat die Staatsministerin in ihren jüngsten öffentlichen Ein-
lassungen zum Thema jugendlicher nichtdeutscher Straftäter diese entschei-
denden Einordnung des Bundeskriminalamtes verschwiegen?

4. Ist der Staatsministerin bekannt, dass dem 2. Periodischen Sicherheitsbericht
der Bundesregierung zufolge (S. 417f) bislang keine Modellrechnung vor-
liegt, in der die vom Bundeskriminalamt benannten Verzerrungsfaktoren
(insbesondere hinsichtlich der sozialen Lage der Tatverdächtigen) voll-
ständig berücksichtigt werden konnten?

Wenn ja, warum hat die Staatsministerin in ihren jüngsten öffentlichen Ein-
lassungen zum Thema jugendliche nichtdeutsche Straftäter diesen entschei-
denden Hinweis des Sicherheitsberichts der Bundesregierung verschwie-
gen?

5. Ist der Staatsministerin bekannt, dass die Zahlen über nichtdeutsche Tatver-
dächtige deswegen besonders vorsichtig zu bewerten sind, weil dieser Per-
sonenkreis im Vergleich zu deutschen Tatverdächtigen (so der 2. Periodische
Sicherheitsbericht der Bundesregierung auf S. 420) „größeren Kriminalisie-
rungsrisiken [aufgrund] erhöhter Anzeigerisiken und [einer] intensivere[n]
Kontrolldichte“ ausgesetzt ist?

Wenn ja, warum hat die Staatsministerin in ihren jüngsten öffentlichen Ein-
lassungen zum Thema nichtdeutscher jugendlicher Straftäter diesen ent-
scheidenden Hinweis des Sicherheitsberichts der Bundesregierung ver-
schwiegen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8270

6. Ist der Staatsministerin bekannt, dass der 2. Periodische Sicherheitsbericht
der Bundesregierung auf S. 418 darauf hinweist, dass ein Blick in die Straf-
verfolgungsstatistik zeigen würde, dass tatverdächtige Ausländer immer
wieder „zu einem geringeren Anteil [als deutsche Tatverdächtige] abge-
urteilt werden“ – Ermittlungsverfahren gegen diesen Personenkreis also
überproportional häufig wieder eingestellt werden?

Wenn ja, warum hat die Staatsministerin in ihren jüngsten öffentlichen Ein-
lassungen zum Thema nichtdeutscher jugendlicher Straftäter dieses ent-
scheidende Ergebnis des Sicherheitsberichts der Bundesregierung ver-
schwiegen?

7. Ist der Staatsministerin der Bericht der Polizei aus Schleswig-Holstein,
Bremen, Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-
Württemberg vom November 2007 an die Innenministerkonferenz bekannt
(„Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen mit einem Schwer-
punkt auf städtischen Ballungsräumen“), in der es heißt, dass gesicherte
Aussagen darüber, ob die Jugendgewaltkriminalität in den letzten Jahren
tatsächlich gestiegen ist, „derzeit nicht möglich ist“, weil die kriminolo-
gische Forschung gestiegene Fallzahlen lediglich mit einer Verschiebung
aus dem polizeilich bisher nicht erfassten Dunkelfeld in das Hellfeld der
Polizeilichen Kriminalstatistik erklärt?

Wenn ja, warum hat die Staatsministerin in ihren jüngsten öffentlichen Ein-
lassungen zum Thema jugendlicher nichtdeutscher Straftäter die Ergeb-
nisse dieser Polizeistudie verschwiegen?

8. Ist es zutreffend, dass der jüngst vorgelegte „7. Lagebericht der Beauftrag-
ten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über
die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ mit keinem
Wort auf das Thema Jugendkriminalität eingeht?

9. Ist es zutreffend, dass der von der damaligen Integrationsbeauftragten
Marieluise Beck vorgelegte 6. Lagebericht diesem Thema nicht nur ein
eigenes Kapitel eingeräumt hat, sondern darin auch die Daten der Polizei-
lichen Kriminalstatistik im o. g. Sinn auch kritisch eingeordnet und be-
wertet hat?

10. Warum äußert sich die Staatsministerin und Integrationsbeauftragte in ihrem
7. Lagebericht nicht dementsprechend zu diesem Thema?

11. Warum ist die Staatsministerin und Integrationsbeauftragte dem gegen
(kriminelle) Ausländer gerichteten Wahlkampf des hessischen Minister-
präsidenten Roland Kochs nicht mit kritischen Hinweisen im o. g. Sinn
entgegengetreten, wie es sich auch aus dem gesetzlichen Auftrag der Inte-
grationsbeauftragten aus § 93 des Aufenthaltsgesetzes ergibt:

„(…) die Voraussetzungen für ein möglichst spannungsfreies Zusammen-
leben zwischen Ausländern und Deutschen (…) weiterzuentwickeln, Ver-
ständnis nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen, soweit sie Auslän-
der betreffen, entgegenzuwirken;

den Belangen der im Bundesgebiet befindlichen Ausländer zu einer an-
gemessenen Berücksichtigung zu verhelfen“?

Berlin, den 19. Februar 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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