BT-Drucksache 16/8192

Für eine neue, effektive an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nahrungsmittelhilfekonvention

Vom 20. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8192
16. Wahlperiode 20. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer,
Hartwig Fischer (Göttingen), Anette Hübinger, Jürgen Klimke, Hartmut Koschyk,
Bernward Müller (Gera), Dr. Georg Nüßlein, Dr. Norbert Röttgen, Arnold Vaatz,
Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, Petra
Hinz (Essen), Dr. Bärbel Kofler, Christel Riemann-Hanewinckel, Walter Riester,
Andreas Weigel, Dr. Wolfgang Wodarg, Elvira Drobinski-Weiß, Detlef Dzembritzki,
Petra Heß, Iris Hoffmann (Wismar), Walter Kolbow, Ute Kumpf, Lothar Mark,
Thomas Oppermann, Frank Schwabe, Dr. Ditmar Staffelt, Hedi Wegener,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Kerstin Müller
(Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete
Nahrungsmittelhilfekonvention

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Über 850 Millionen Menschen in der Welt hungern – das sind mehr Menschen
als die Bevölkerung der USA, Kanadas, Europas und Japans zusammengenom-
men. Der überwiegende Teil von ihnen lebt in Entwicklungsländern. Laut Welt-
gesundheitsorganisation (WHO) sterben mehr Menschen an den Folgen von
Hunger und Unterernährung als an AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen.
Unterernährung ist die Ursache für über 50 Prozent aller Todesfälle bei Kindern
unter fünf Jahren.

In der Millenniumserklärung hat sich die Weltgemeinschaft dazu verpflichtet,
den Anteil der Hungernden weltweit bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu redu-
zieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Anstrengungen verstärkt wer-
den. Jedoch wächst die Zahl der betroffenen Menschen jedes Jahr um vier
Millionen, auch deshalb weil über 300 Millionen Menschen unter Natur-
katastrophen und humanitären Krisen, die durch politische Konflikte, Kriege
oder ökonomische Desaster bedingt sind, leiden.

In einer Situation, in der die Menschen eines Landes nicht mehr fähig sind, sich
selbst zu ernähren, sind sie auf externe Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Diese
wird von der internationalen Gemeinschaft bereitgestellt.

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Die elementare Bedeutung von Nahrungsmittelhilfe in humanitären Krisen wird
grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Allerdings gab es immer wieder Kritik an
der Praxis der gegenwärtigen Nahrungsmittelhilfe. Es lassen sich insbesondere
zwei Problembereiche identifizieren: einerseits die politische Dimension von
Nahrungsmittelhilfe und anderseits die teilweise negativen Auswirkungen von
Nahrungsmittelhilfe für die landwirtschaftliche Produktion und das Markt-
gefüge in den Empfängerländern.

Oftmals orientierte sich die Nahrungsmittelhilfe nicht primär an den Bedürfnis-
sen derjenigen, die von Hunger und Armut am stärksten betroffen sind, sondern
an agrarpolitischen Interessen in den Geberstaaten. Daher tendieren einige Ge-
ber dazu, in Notlagen oft vorrangig die relativ schnell verfügbare Nahrungs-
mittelhilfe bereitzustellen, obwohl andere Instrumente der Nothilfe effizienter
wären. Bestimmte Formen der Nahrungsmittelbereitstellung aus Geberländern
beeinträchtigen die Agrarproduktion in den Empfängerländern negativ und be-
drohen damit die Existenzgrundlage von Kleinbauern und Händlern. Hierzu
zählt beispielsweise die Praxis der sog. Monetarisierung. Bei diesem Verfahren
kauft die Regierung des Geberlandes das – häufig subventionierte – Getreide im
eigenen Land auf und verschifft es nach Übersee, um es dort an Hilfsorganisa-
tionen zu übergeben. Diese wiederum verkaufen die Nahrungsmittel zu günsti-
gen Preisen auf den lokalen Märkten und finanzieren aus den Einnahmen ihre
Entwicklungsprogramme vor Ort. Kritiker der gegenwärtigen Nahrungsmittel-
hilfe führen an, dass so die Abhängigkeit der Empfängerländer von Nahrungs-
mittelhilfe verstärkt wird. Durch die massive Einfuhr von Nahrungsmitteln der
Geberländer verändern sich langfristig zudem die Ernährungsgewohnheiten der
Menschen in den Entwicklungsländern.

Um diese negativen Aspekte der Nahrungsmittelhilfe auszuschließen, leisten
Deutschland und die EU Nahrungsmittelhilfe nur in monetärer Form. Dies
bedeutet, dass dem Welternährungsprogramm, staatlichen Durchführungsorga-
nisationen oder qualifizierten Nichtregierungsorganisationen (NROs) Gelder
zur situationsangepassten Beschaffung von Nahrungsmitteln zur Verfügung ge-
stellt werden. Auf diese Weise kann auch berücksichtigt werden, ob Nahrungs-
mittel in einem Land schlichtweg nicht vorhanden sind oder ob die betroffenen
Menschen über keine finanziellen Mittel verfügen, um sich mit Nahrungsmitteln
aus anderen Landesteilen oder aus Nachbarstaaten zu versorgen.

Auch die lokale oder regionale Beschaffung von Nahrungsmitteln kann neben
positiven Effekten auch negative Folgen haben. So ist auch bei dieser Form der
Nahrungsmittelhilfe darauf zu achten, dass Produktionsanreize für die lokale
Landwirtschaft nicht unterminiert werden und das Preisgefüge dadurch nicht
nachhaltig gestört wird.

Bedingt durch die gestiegene Nachfrage nach Nahrungsmitteln, insbesondere
nach höherwertigen Fleisch- und Milchprodukten aber auch nach Agrarbrenn-
stoffen, zeichnet sich zunehmend eine Verknappung von Nahrungsmitteln ab.

Die Nahrungsmittelüberschüsse in den Industrieländern werden stetig geringer.
So sanken die Weizenbestände in der EU von 14 Mio. Tonnen auf eine Mio.
Tonnen innerhalb eines Jahres. Die Antwort auf die Frage, wie die Landwirt-
schaft langfristig eine Welt ernähren soll, die jedes Jahr um 80 Millionen
Menschen wächst, ist eine globale Herausforderung. Experten sehen in der Ver-
knappung der Agrarrohstoffe ein entscheidendes globales Risiko, das das ganze
Welternährungssystem bedroht, wobei besonders die Entwicklungsländer be-
troffen sein werden.

Problematisch ist auch die, durch Desertifikation und die Folgen des Klima-
wandels bedingte, weltweite Reduktion der benötigten Ackerfläche. Anbau-
gebiete können nicht beliebig erschlossen werden. In vielen Schwellenländern
wird der Boden für Siedlungsraum und Industriestandorte benötigt. So wurden

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in China in einem Jahrzehnt acht Mio. Hektar Land umgewandelt. Zum Ver-
gleich: In Deutschland werden insgesamt knapp zwölf Mio. Hektar Land bewirt-
schaftet. Hinzu kommt, dass aufstrebende Schwellenländer einen immer größe-
ren Bedarf an unterschiedlichen Nahrungsmitteln haben. Sie werden aus heimi-
schen Ressourcen ihren Bedarf kaum decken können. So muss China zum Bei-
spiel fast ein Viertel der Weltbevölkerung ernähren, verfügt aber nur über zehn
Prozent der Anbaufläche.

Unter den Veränderungen der Agrarmärkte leiden vor allem die Ärmsten. Sie
müssen bis zu 80 Prozent ihrer verfügbaren Einkommen für Nahrungsmittel
aufbringen. Aus Sicht des World Food Programme (WFP) hat die Preissteige-
rung für wichtige Agrarprodukte zwei Seiten: Einerseits haben die Bauern in den
Entwicklungsländern die Möglichkeit, höhere Einnahmen mit ihren Produkten
zu erzielen, andererseits reicht oft die Ernte nicht aus, um wenigstens die eigene
Familie zu ernähren, so dass die Menschen gezwungen sind, Getreide zu-
zukaufen. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, drohen ihnen Unterernährung
und Hunger.

Die aufgezeigten Defizite verlangen nach einer effizienteren, problemorien-
tierten Nahrungsmittelhilfe. Dabei müssen auch neue globale Rahmenbedingun-
gen und Herausforderungen wie die Auswirkungen des Klimawandels auf die
Nahrungsmittelproduktion und die wachsende Nachfrage nach Lebensmitteln
und Agrartreibstoffen beachtet werden.

Die Nahrungsmittelhilfekonvention (Food Aid Convention – FAC) ist ein inter-
nationales Abkommen zwischen den 23 traditionellen Geberländern von Nah-
rungsmittelhilfe. Sie ist das einzige rechtlich bindende internationale Abkom-
men, das zu Hilfsleistungen gegenüber den Entwicklungsländern verpflichtet.
Ziel der FAC ist es, zur Ernährungssicherung beizutragen und die Reaktions-
fähigkeit der internationalen Gemeinschaft auf Notsituationen bei Nahrungs-
mitteln und anderen Ernährungsbedürfnissen der Entwicklungsländer zu ver-
bessern. Entwicklungsländern soll damit in entsprechenden Notlagen Nah-
rungsmittelhilfe auf einer berechenbaren Grundlage zur Verfügung gestellt wer-
den, unabhängig von den Schwankungen bei globalen Nahrungsmittelpreisen
und -angeboten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich verpflichtet, Nah-
rungsmittelhilfe im Wert von 56,24 Mio. Euro jährlich zu leisten.

Im Jahr 2008 läuft die Nahrungsmittelhilfekonvention aus. Seit 2001 steht eine
Neuverhandlung des Abkommens an, die jedoch aufgrund divergierender Inter-
essen der Geberländer – wie sie insbesondere in den Agrarverhandlungen im
Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO)
zum Ausdruck kommen – verschoben werden musste. Für 2008 besteht die
Hoffnung, die anstehende Neuregelung der Nahrungsmittelhilfekonvention in
Angriff nehmen zu können.

Ein erstes internationales Nahrungsmittelhilfeabkommen wurde 1967 ver-
abschiedet. Damals wollten die westlichen Industriestaaten ihre Getreideüber-
schüsse sinnvoll für die Hungerbekämpfung in Entwicklungsländern einsetzen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Abkommen mehrmals neu verhan-
delt – zum letzten Mal 1999 –, so dass inzwischen humanitäre und entwick-
lungspolitische Erwägungen verstärkt in die Konvention integriert werden
konnten. Während in früheren Jahren der Fokus auf Getreidelieferungen lag,
schließt die Nahrungsmittelhilfekonvention inzwischen Lebensmittel wie Reis,
Hülsenfrüchte, Speiseöl, Zucker, Milchpulver, aber auch Düngemittel und Saat-
gut mit ein. Diese Bestandteile werden mit komplizierten Konvertierungs-
faktoren in Weizenäquivalente, die Berechnungseinheit der Nahrungsmittel-
hilfekonvention, umgerechnet. Zudem befürwortet die Konvention verstärkt die
wachsende Präferenz der Geber – allen voran der EU – für Einkäufe auf lokalen

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und regionalen Märkten. Anstatt in den Industrieländern erzeugte Nahrungs-
mittel nach Afrika, Asien und Lateinamerika zu verschiffen, werden die Natura-
lien im Empfängerland, oder – wenn dort nicht genügend verfügbar sind – in
einem Nachbarland eingekauft (In-Cash-Hilfe). Die Vorteile der In-Cash-Hilfe
bestehen darin, dass die Kosten für den Transport gesenkt werden, dass die Hilfe
schneller ankommt und dass die lokale Produktion und lokale Verteilungswege
gefördert werden und lokale Ernährungsgewohnheiten stärker berücksichtigt
werden können. Trotz dieser positiven Entwicklungen ist das gegenwärtige
Nahrungsmittelhilfeabkommen, wie oben aufgezeigt, einiger Kritik ausgesetzt.

Im Mai 2007 richtete die Bundesregierung in Berlin eine internationale Konfe-
renz „Food Aid – Exploring the Challenges“ aus, an der sich mehr als 100 Ex-
perten aus Wissenschaft, internationalen Organisationen, zivilgesellschaftlichen
Gruppen sowie Regierungsvertreter aus allen Teilen der Welt beteiligten. Das
Fachpublikum war sich einig darüber, dass ein großer Reformbedarf besteht.
Der bei dieser Konferenz entstandene „Berlin Consensus“ zielt darauf ab, den
Rahmen der gesamten Konvention zu erweitern in Richtung einer umfassende-
ren „Food Assistance Convention“, die Nahrungsmittelhilfe in breitere Ernäh-
rungssicherungsstrategien einbettet.

Nahrungsmittelhilfe muss sich an den Bedürfnissen der Ärmsten ausrichten und
nicht an den Agrarinteressen von Geberländern. Nahrungsmittelhilfe darf nicht
als politisches Instrument genutzt werden, um agrarische Überproduktionen
kostengünstig abzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für die Neuverhandlung der Nahrungsmittelhilfekonvention gemäß der
menschenrechtlichen Verpflichtung zur Erfüllung des Rechts auf adäquate
Nahrung nach Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, so-
ziale und kulturelle Menschenrechte sowie im Sinne der freiwilligen Leit-
linien der Food and Agriculture Organization (FAO) zur progressiven Um-
setzung des Rechts auf adäquate Nahrung einzusetzen;

2. eine deutliche Verbesserung der Steuerungsstruktur der Nahrungsmittelhilfe-
konvention einzufordern. Die Mitgliedstaaten müssen die Einhaltung ihrer
Verpflichtungen durch Kontroll- und Sanktionsmechanismen sichern und
transparent machen. Dies kann beispielsweise durch Überprüfungsmechanis-
men (Peer-Review) des Entwicklungsausschusses der Organisation für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und durch die regel-
mäßige Veröffentlichung von Berichten geschehen. Letztere sollten Daten
über die Quantität, Qualität, Angemessenheit und Rechtzeitigkeit der bereit-
gestellten Nahrungsmittelhilfe beinhalten;

3. eine Erneuerung der Mitgliederstruktur der Nahrungsmittelhilfekonvention
durch die Einbeziehung neuer Geberländer zu prüfen und die Aufnahme
neuer Mitglieder flexibler zu gestalten. Darüber hinaus sollen die bereits jetzt
bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten für relevante internationale Organi-
sationen wie z. B. WFP, FAO und WTO adäquat ausgebaut und Beteiligungs-
möglichkeiten für die Empfängerländer geprüft werden. Dies muss in einer
neuen Nahrungsmittelhilfekonvention zum Ausdruck kommen;

4. Möglichkeiten einer effizienzsteigernden institutionellen Verankerung der
Nahrungsmittelhilfekonvention zu prüfen. Sie sollten nach übereinstimmen-
dem Expertenvotum die humanitäre und entwicklungspolitische Zielsetzung
des Übereinkommens widerspiegeln, mehr Partizipation insbesondere der
Empfängerländer ermöglichen und sich vom ursprünglichen Gedanken der
Überschussverwertung lösen;

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5. eine angemessene Quantität und Qualität der Nahrungsmittelhilfe in der
neuen Konvention zu sichern: Die Verpflichtungsstruktur für die Mitglied-
staaten muss so ausgestaltet werden, dass die notwendigen Hilfszusagen auf
der Basis fundierter und professioneller Bedarfsanalysen gesichert sind. Die
gegenwärtige Berechnung in Getreideeinheiten in metrischen Tonnen sollte
zugunsten einer qualitätsbezogenen Einheit (z. B. Kalorienmenge, Nähr-
wertgehalt) oder einer Kombination von qualitativen und quantitativen
Faktoren aufgegeben werden;

6. sich dafür einzusetzen, dass die Ausgabe von Nahrungsmittelhilfe an Be-
darfsanalysen, wie das „Emergency Needs Assessment“ des WFP, gekop-
pelt wird;

7. im Zuge der Neuverhandlung der Konvention neue Instrumente der Nah-
rungsmittelhilfe mit einzubeziehen. Zu diesen Instrumenten zählen u. a.

– die Anreicherung von Lebensmitteln mit Zusatzernährungsstoffen, wie
z. B. Mineralstoffen oder Vitaminen,

– die Übernahme von Transportkosten für Nahrungsmittelhilfe, die von
einem Entwicklungs- oder Schwellenland dem Empfängerland zur Ver-
fügung gestellt werden (Twinning),

– bei Vorliegen entsprechender Rahmenbedingungen können zur Effi-
zienzsteigerung Essensmarken, Gutscheine oder Geld direkt an die End-
verbraucher zum Erwerb von Nahrungsmitteln gehen (Cash for Work);

8. sich für eine Umsetzung des Cartagena-Protokolls über die biologische
Sicherheit sowie eine ausreichende Kennzeichnung genetisch veränderter
Lebensmittel, wie sie in der EU bereits Praxis ist, einzusetzen. Nach dem
Cartagena-Protokoll soll gewährleistet sein, dass Empfängerländer eine
eigene freie Entscheidung treffen können, inwieweit sie die Einführung gen-
technisch veränderter Lebensmittel im Rahmen von Nahrungsmittelhilfs-
lieferungen akzeptieren;

9. eine Konvention zu fördern, die Nahrungsmittelhilfe in langfristige, wirt-
schaftliche Entwicklungs- und Armutsbekämpfungskonzepte integriert. Der
LRRD-Ansatz (LRRD: Linking Relief, Rehabilitation and Development)
muss gestärkt werden: Alle Formen der Nahrungsmittelhilfe müssen in lang-
fristige Ernährungssicherungsstrategien eingebunden werden. Insbesondere
der Übergang von humanitärer Soforthilfe zu mittel- und langfristiger Er-
nährungssicherung, die ohne Hilfslieferung auskommt, muss gewährleistet
werden. Oberstes Ziel der von Hunger betroffenen Staaten und der Geber-
länder muss es sein, die Menschen mittel- und langfristig zur Selbst-
ernährung zu befähigen und damit das Recht auf Nahrung gemäß der staat-
lichen Gewährleistungspflicht und der völkerrechtlichen Verpflichtung zur
progressiven Umsetzung des Rechts auf adäquate Nahrung zu erfüllen
(Artikel 2 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kultu-
relle Menschenrechte);

10. Nahrungsmittelhilfe, die sich auf akute Notsituationen konzentriert, mit an-
deren humanitären Aktivitäten sehr genau abzustimmen und entsprechend
den Grundsätzen und empfehlenswerten Praktiken der humanitären Hilfe
(auf die sich die wichtigsten Geber humanitärer Hilfe im Jahr 2003 im Rah-
men der „Good Humanitarian Donorship Initiative“ geeinigt haben) abzu-
wickeln;

11. den Missbrauch von Nahrungsmittelhilfe als Instrument der Beseitigung
von Agrarüberschüssen durch entsprechende Regelungen im Rahmen der
WTO zu verhindern. Die handelsverzerrenden Wirkungen von kommer-
zieller Nahrungsmittelhilfe in Form von Rohstoffen muss reglementiert
werden. Gleichzeitig muss gewährleistet werden, dass schnelle und ziel-

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genaue humanitäre Nahrungsmittelhilfe in ausreichendem Umfang in Not-
fällen (emergency food aid) durch WTO-Regelungen nicht behindert wird.
Hierfür soll im Rahmen des Agrarabkommens der WTO eine sog. Safe-Box
geschaffen werden. Das Vorliegen eines Notfalls muss unter Einbeziehung
der Vereinten Nationen und des Internationalen Roten Kreuzes multilateral
deklariert werden;

12. eine Konvention zu fördern, die darauf achtet, dass bei der Nahrungsmittel-
hilfe möglichst auf regionale Produkte zurückgegriffen wird, um einer De-
stabilisierung von lokalen Marktpreisen und damit der Gefährdung der Exis-
tenzgrundlage von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen entgegenzuwirken.
Hierbei muss gewährleistet werden, dass der Einkauf lokaler und regionaler
Nahrungsmittel nicht zu Spekulationen bei lokalen Händlern führen darf;

13. die Auswirkungen, die neue globale Entwicklungen auf Nahrungsmittelhilfe
haben, zu erforschen. Zu den sich verändernden Rahmenbedingungen zäh-
len die weltweit wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Agrar-
treibstoffen, die steigenden Preise für Nahrungsmittel und wachsende
Transportkosten, die durch den Klimawandel bedingte steigende Anzahl an
Naturkatastrophen, der wachsende Anteil an gentechnisch veränderten Kul-
turen bei der landwirtschaftlichen Produktion.

Berlin, den 20. Februar 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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