BT-Drucksache 16/7638

US-Geheimdienstbericht zum iranischen Atomprogramm

Vom 20. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7638
16. Wahlperiode 20. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei,
Alexander Bonde, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder
Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

US-Geheimdienstbericht zum iranischen Atomprogramm

In den vergangenen Monaten häuften sich Spekulationen, dass die US-Admi-
nistration bestrebt sein könnte, vor Ende der Amtszeit von Präsident George W.
Bush militärisch auf das iranische Atomprogramm zu reagieren (www.heise.de/
tp/r4/artikel/26/26310/1.html). In diesem Zusammenhang gab es auch Berichte
über Bemühungen aus amerikanischen Regierungskreisen, die Veröffentlichung
einer Iran-Analyse der Geheimdienste zu verhindern (http://www.heise.de/tp/r4/
artikel/26/26573/1.html). Die Anfang Dezember 2007 veröffentlichte Zusam-
menfassung des gemeinsamen Berichts der 16 US-Geheimdienste (National In-
telligence Estimate – NIE) zu den nuklearen Absichten und Fähigkeiten des
Iran kommt zu dem Ergebnis, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm hatte,
das im Herbst 2003 – in Reaktion auf internationalen Druck – eingestellt wurde
(http://www.odni.gov/press_releases/20071203_release.pdf).

Diese Einschätzung stimmt nach Aussagen von IAEO-Generalsekretär
Dr. Mohamed ElBaradei mit den Feststellungen der IAEO (Internationale
Atomenergieorganisation) der vergangenen Jahre überein. Ungeachtet einer
Reihe wichtiger Aspekte bezüglich früherer und aktueller nuklearer Aktivitä-
ten, die von Seiten des Iran geklärt werden müssten, habe die IAEO keine kon-
kreten Hinweise auf ein laufendes Atomwaffenprogramm bzw. eine verdeckte
Nukleareinrichtung im Iran (http://www.iaea.org/NewsCenter/PressReleases/
2007/prn200722.html). In ihrem Bericht vom 15. November 2007 weist die
IAEO darauf hin, dass seit Frühjahr 2006 ihre Kenntnisse über das Atompro-
gramm des Iran auf Grund der ausgesetzten Inspektionen im Rahmen des Zu-
satzprotokolls abnehmen (http://www.iaea.org/Publications/Documents/Board/
2007/gov2007-58.pdf).

Deutschland ist zusammen mit Frankreich und Großbritannien im Rahmen der
EU-3 federführend an Verhandlungen über eine friedliche Lösung der Atom-
krise um das iranische Atomprogramm beteiligt. Bisher haben die EU-3, die
USA, Russland und China aber keinen diplomatischen Durchbruch verbuchen
können. Die US-Administration drängt bi- und multilateral vehement auf här-

tere Sanktionen. Deutsche und internationale Banken haben in der Vergangen-
heit ihre Geschäftsbeziehungen zum Iran erheblich eingeschränkt. Inwieweit
China und Russland bereit sind, mit verschärften Sanktionen den Druck auf die
iranische Regierung für einen Stopp der Urananreicherung und eine diploma-
tische Lösung zu erhöhen, ist ungewiss. Deshalb wurde von verschiedenen
Seiten die Verhängung EU-spezifischer Sanktionen angeregt. Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel hatte wiederholt angekündigt, sich für schärfere Sanktionen

Drucksache 16/7638 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

einsetzen zu wollen. Bei einem Exportvolumen von ca. 4 Mrd. Euro (2006) und
einem Entschädigungsrisko des Bundes im Umfang von ca. 5,5 Mrd. Euro
(2006) wären die deutsche Wirtschaft und der Bundeshaushalt von weiteren
Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit besonders betroffen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Belege hat die Bundesregierung, dass der Iran vor 2003 ein Atom-
waffenprogramm betrieben hat?

Wie ausgereift war bzw. ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Atom-
waffenprogramm des Iran?

2. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der US-amerikani-
schen Geheimdienste, dass der Iran seit 2003 sein Atomwaffenprogramm
eingestellt hat?

3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Analyse der US-Nachrichten-
dienste, dass der Iran höchstwahrscheinlich nicht vor 2010 und wahr-
scheinlich nicht vor 2013 in der Lage sein wird, genug hochangereichertes
Uran für die Herstellung einer Atomwaffe zu produzieren?

4. In welchem Umfang ist der Iran nach Kenntnis der Bundesregierung ge-
genwärtig und in naher Zukunft in der Lage Uran anzureichern?

Wo liegen nach Kenntnis der Bundesregierung die kritischen Hürden für
eine Urananreicherung im industriellen Maßstab?

5. In welchem Zeitraum ist der Iran nach Einschätzung der Bundesregierung
in der Lage, die zur Produktion einer Kernwaffe notwendige Menge spalt-
baren Materials herzustellen und atomwaffenfähig zu machen?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Fähigkeit, das Risiko und die Wahr-
scheinlichkeit, dass das Atomwaffenprogramm des Iran unbemerkt oder
kurzfristig wieder aufgenommen werden kann?

7. Wann hat die US-Regierung der Bundesregierung erstmals die Einschät-
zung der amerikanischen Nachrichtendienste mitgeteilt?

8. Welche neuen Chancen sieht Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier,
(Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes vom 4. Dezember 2007), um auf
Grund der Einschätzung der amerikanischen Geheimdienste in die Atom-
gespräche mit dem Iran neue Bewegung zu bringen?

Welche konkreten Befürchtungen hat der Außenminister, dass er „alle
Seiten“ öffentlich davor warnt, diese Chance zu verspielen (http://www.
auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Meldungen/2007/071204-
BM-Iran-Atomprogramm.html)?

9. Welchen Einfluss hat die Analyse der US-Geheimdienste, dass der Iran seit
vier Jahren kein aktives Atomwaffenprogramm betreibt, auf Diskussionen
über die Forderung nach einer Suspendierung des iranischen Urananrei-
cherungsprogramms?

Hat die Bundesregierung Anzeichen dafür, dass der Iran zu einer Suspen-
dierung der Urananreicherung bereit ist?

Unter welchen Umständen wäre eine begrenzte Kapazität des Iran zur An-
reicherung von Uran akzeptabel?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussicht, dass der Iran Vorschlägen
für eine multilaterale Urananreicherung außerhalb des Iran – z. B in Russ-
land oder in der Schweiz – bzw. einer internationalen Black-Box-Anrei-

cherung im Iran zustimmen könnte?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7638

11. Stellt der am 21. August 2007 zwischen IAEO und Iran vereinbarte
Aktionsplan (INFIRC/711 vom 27. August 2007) zur Beantwortung noch
offener Fragen nach Auffassung der Bundesregierung eine ausreichende
Grundlage dar, um zu klären, ob das iranische Atomprogramm ausschließ-
lich friedlichen Zwecken dient?

12. Inwieweit teilt die Bundesregierung die in dem Abkommen festgehaltene
Auffassung beider Seiten, dass nachdem die IAEO befriedigende Antwor-
ten auf die im Aktionsplan gelisteten Fragen erhalten hat, keine weiteren
offenen Fragen seitens Iran zu beantworten sind?

Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung offene Fragen in Bezug auf
das iranische Atomprogramm, die in dem Abkommen nicht aufgeführt
sind?

Wenn ja, welche sind dies?

13. Hält die Bundesregierung die Durchführung von routinemäßigen Siche-
rungsmaßnahmen (routine safeguards), die das Abkommen nach Erfüllung
des Arbeitsplans vorsieht, für ausreichend, um das internationale Abkom-
men in die friedliche Natur des iranischen Atomprogramms herzustellen?

Welche Position vertritt die Bundesregierung zur bisher nicht erfolgten
Umsetzung des Zusatzprotokolls zum Nichtverbreitungsvertrag – NVV,
die die iranische Regierung im November 2003 den EU-3-Außenministern
zugesagt hatte und die im Abkommen zwischen der IAEO und Iran keine
Erwähnung findet?

14. In welchem Umfang betreibt der Iran nach Kenntnis der Bundesregierung
ein B- oder C-Waffenprogramm?

15. Welchen Einfluss hat die Analyse der US-Nachrichtendienste nach Auffas-
sung der Bundesregierung auf die Diskussionen über eine Stationierung
von Teilen des US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen und
Tschechien, insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Pläne vor allem
mit der Bedrohung aus dem Iran begründet wurden?

Welche Auswirkungen haben die Analyse auf die Raketenabwehrpro-
gramme und Diskussion innerhalb der NATO?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung den Stand und die Perspektiven der Ent-
wicklung atomwaffenfähiger Trägerwaffen durch den Iran?

Wer sind die Schlüsselpartner bei der Weiterentwicklung und Zulieferung
von Raktetentechnologien?

17. Ab wann rechnet die Bundesregierung damit, dass iranische Raketen frü-
hestens in der Lage sein werden, Ziele in Mitteleuropa mit atomwaffenfä-
higen Raketen zu erreichen?

18. Inwieweit kann die Bundesregierung die Einschätzung der US-amerikani-
schen Regierung (http://www.ustreas.gov/press/releases/hp644.htm) bestä-
tigen, dass

a) die Islamischen Revolutionsgarden bzw. diesen nahestehende Firmen,
Schlüsselpersonen und Banken an der Proliferation von ballistischen
Raketen und der Beschaffung von hochwertiger Ausstattung für das ira-
nische Nuklear- und Raketenprogramm beteiligt sind;

b) die Quds-Sondereinheiten der Revolutionsgarden neben anderen terro-
ristischen Gruppen die Taliban finanziell und mit Rüstungslieferungen
unterstützen?
Welche Hinweise liegen über Art und Umfang einer eventuellen Unter-
stützung vor?

Drucksache 16/7638 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
19. Welche politischen und ökonomischen Konsequenzen hatten bislang die
im Rahmen der Resolution 1737 und 1747 des VN-Sicherheitsrats ver-
hängten Sanktionen, und inwiefern hält die Bundesregierung die verhäng-
ten Sanktionen für wirksam genug, um Iran kurz- und mittelfristig zur
Erfüllung der in diesen Resolutionen festgeschriebenen Forderungen zu
bewegen?

20. In welchem Umfang sind die einzelnen Staaten der EU und die jeweiligen
Mitglieder des Sicherheitsrats wirtschaftlich mit Iran verflochten, und wer
hätte die Hauptlast der gegenwärtig diskutierten Sanktionsverschärfungen
der VN zu tragen?

21. Welche weiteren schärferen Sanktionen hält die Bundesregierung in einem
nächsten Schritt für angemessen?

Mit welchen Auswirkungen und Nebenwirkungen rechnet die Bundes-
regierung bei den jeweiligen Sanktionen?

22. Inwieweit hält die Bundesregierung es für sinnvoll, dass die Europäische
Union zusätzliche Sanktionen gegen den Iran verhängt, und unter welchen
Bedingungen wäre die Bundesregierung bereit, nationale Sanktionen ge-
gen den Iran zu verhängen?

Welche Sektoren wären von weiteren Sanktionen betroffen, und was wären
die zu erwartenden Auswirkungen auf die iranische und deutsche Wirt-
schaft?

23. Wie haben sich die Kreditlinien der am Iran-Geschäft beteiligten deutschen
Banken und das Deckungsvolumen bzw. Entschädigungsrisiko des Bundes
seit 2003 entwickelt?

Welche Ausfälle drohen dem Bundeshaushalt in den kommenden Jahren,
und aus welchen Gründen hält die Bundesregierung im Falle Iran weiterhin
an riskanten öffentlichen Subventionen in Form von Hermes-Bürgschaften
fest?

24. Hat der Iran sich seit 1980 und insbesondere nach 2003 nach Kenntnis der
Bundesregierung bemüht, aus Deutschland Technologien einzuführen, die
für die Produktion von Kernwaffen bzw. nuklearen Trägersystemen ge-
nutzt werden können?

Wenn ja, wann wurden solche Versuche aufgedeckt?

Welche deutschen Unternehmen/Einzelpersonen sollten als Lieferanten
doppelt verwendbarer Technologien dienen oder haben solche Technolo-
gien nach Iran geliefert?

25. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Haltung der amerikanischen
und israelischen Regierung, im Zweifelsfall auch militärische Optionen
gegenüber dem Iran nicht auszuschließen, und behält sich die Bundes-
regierung die Option offen, die israelische bzw. US-Regierung direkt oder
indirekt – z. B. durch die Bereitstellung des Luftraums – bei der Vorberei-
tung und Durchführung solcher Militäraktionen zu unterstützen?

26. Welche Folgen hätten nach Auffassung der Bundesregierung Militär-
schläge für die regionale und internationale Stabilität sowie für den weite-
ren Verlauf des iranischen Atomprogramms?

Berlin, den 20. Dezember 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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