BT-Drucksache 16/7525

Afghanistan eine Chance für legalen lizenzierten Mohnanbau geben - Drogenmafia wirksam bekämpfen

Vom 12. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7525
16. Wahlperiode 12. 12. 2007

Antrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Norman Paech, Bodo Ramelow, Paul Schäfer (Köln),
Frank Spieth, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Afghanistan eine Chance für legalen lizenzierten Mohnanbau geben – Drogen-
mafia wirksam bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Afghanistan befindet sich in der größten Opiumkrise seiner Geschichte. Von
2004 bis 2006 steigerte sich die Opiumproduktion um knapp 50 Prozent; von
2006 bis 2007 gar um 34 Prozent auf 8 200 Tonnen Opium (Jahresbericht 2007
des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC)). Damit
stammen heute 93 Prozent des weltweit verfügbaren illegalen Opiums aus
Afghanistan.

Laut UNODC sind in Afghanistan 2,9 Millionen Menschen im Opiumsektor
tätig (bei einer Bevölkerung von mehr als 31 Millionen Menschen) und erwirt-
schaften ein Einkommen von 1 700 US-Dollar jährlich pro Familie – weit mehr
als im regulären Agrarbereich üblich. Laut Schätzungen der Weltbank und des
Internationalen Währungsfonds gehen mittlerweile knapp 40 Prozent des afgha-
nischen Bruttoinlandproduktes auf den Opiumanbau und die damit verbunde-
nen illegalen Geschäfte zurück.

Diese Tatsachen zeigen, dass die bisherige Drogenbekämpfungsstrategie an den
realen Entwicklungen vorbeigeht. Weder das bisherige Drogenbekämpfungs-
programm der afghanischen Regierung und der Europäischen Union, die auf
externe Hilfen zur Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten in Ver-
bindung mit Strafverfolgung setzen, noch der von den USA angeführte militäri-
sche Kampf gegen Drogen, der auf die Vernichtung von Schlafmohnfeldern
durch chemische Mittel und Strafverfolgung der Kleinbauern setzt, können die
Ursachen der prosperierenden Drogenökonomie beheben.

Im Gegenteil: Die wachsende Opiumwirtschaft und der Einfluss von Drogen-
baronen auf den Staat stellen eine große Bedrohung für die Entwicklung und
den Aufbau des Staates und die Sicherheit in Afghanistan dar (Länderstrategie-

papier der Europäischen Kommission 2007 bis 2013). Der Aufbau eines
Rechtsstaates und die Bekämpfung von Korruption bleiben auf diese Weise un-
erreichbar.

Das UNODC kommt ebenso wie die Bundesregierung zu dem Schluss, dass
sich die Taliban in zunehmendem Maße über illegale Drogengelder finanzieren
(Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdruck-
sache 16/6285). Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler und Beobachterinnen/

Drucksache 16/7525 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beobachter berichten ebenfalls, dass der Handel mit illegalen Drogen die
Haupteinnahmequelle Aufständischer, terroristischer Gruppen und Warlords
ist. Die bisherigen Maßnahmen gegen den illegalen Mohnanbau trafen dagegen
die bäuerliche Bevölkerung. Die Drogenmafia blieb ungestraft, sie konnte ihre
Verbindungen bis weit in den Regierungsapparat festigen.

Die afghanische Opiumkrise lässt sich nicht gegen, sondern nur mit der dorti-
gen Bevölkerung lösen, die dringend eine legale und finanziell ertragreiche
wirtschaftliche Existenzgrundlage benötigt. Ein erfolgversprechender Ansatz
für eine zivile Drogenbekämpfung, der zugleich einen wichtigen Beitrag zur
Eindämmung der Gewalt leisten könnte, liegt in der Lizenzierung des Mohn-
anbaus zur Produktion unentbehrlicher Schmerzmedikamente wie Morphium
und Codein.

Nach dem Vorbild des streng kontrollierten lizenzierten Anbaus in Indien oder
der Türkei könnte ein solches Programm in Afghanistan auf lokaler Ebene auf
Dauer zu legalen, gesicherten Einkommen, zu einer Diversifizierung der Wirt-
schaft und einer allgemeinen Entwicklung des ländlichen Raumes beitragen.
Eingebettet in eine umfassende Strategie zur wirtschaftlichen Wiederbelebung
des Landes muss das Projekt auf die Unabhängigkeit der Bäuerinnen und Bau-
ern von den Drogenbaronen zielen, deren Duldung und Unterstützung durch die
Karsai- Regierung unerlässliche Grundlage der afghanischen Drogenökonomie
ist.

Während der illegale Mohnanbau weiterhin verboten bliebe, könnte Afghanis-
tan auf der Grundlage eines legalen, lizenzierten Mohnanbaus Schmerzmedika-
mente herstellen, die weltweit dringend gebraucht werden. In über 150 Ländern
dieser Erde gibt es eine massive Unterversorgung mit opiathaltigen Schmerz-
mitteln (Internationales Suchtstoffkontrollamt INBC). Laut Weltgesundheits-
organisation (WHO) werden 80 Prozent der weltweit legal verfügbaren opiat-
haltigen Schmerzmittel auf Opiatbasis von zehn Ländern verbraucht. WHO und
INBC haben entsprechend alle UN-Mitgliedsländer aufgefordert, für eine um-
fassende Verfügbarkeit erschwinglicher Opiate für die Schmerzbehandlung
weltweit zu sorgen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zufolge könnte
das in Afghanistan produzierte Morphin für die medizinische Anwendung
direkt an Hilfsorganisationen und die UN geliefert werden. Das italienische
Rote Kreuz erklärte sich im Vorfeld zu einer Zusammenarbeit bereit.

Der lizenzierte Mohnanbau in Afghanistan kann dazu beitragen, vier unter-
schiedliche Problembereiche zivil und nachhaltig zu verbessern:

– die Opiumkrise des Landes,

– die wirtschaftliche Existenzkrise afghanischer Bäuerinnen und Bauern,

– die Stabilitätskrise des Landes und

– das weltweite Schmerzmitteldefizit.

Um die möglichen Risiken einer Umsetzung dieses Modells zu minimieren,
sind ein wissenschaftliches Pilotprojekt in Afghanistan und die deutsche und
europäische Unterstützung des Modells wesentlich. Die europäische Union ist
die wichtigste Geberin für alternative Entwicklungsprojekte in Afghanistan –
und sollte hier ihre Mittel in erfolgreichere Bahnen lenken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. sich für den lizenzierten Schlafmohnanbau zu medizinischen Zwecken und
die Herstellung opiathaltiger Schmerzmittel für Länder, die einen Mangel an
verfügbaren Opiaten verzeichnen, als eine Maßnahme im Rahmen einer um-

fassenden Strategie zur Drogenbekämpfung in Afghanistan einzusetzen,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7525

2. im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ein wissenschaftliches Pilot-
projekt „Mohn als Medizin“ in Afghanistan zu etablieren, finanziell und
logistisch zu unterstützen und das Modell im Norden Afghanistans gemein-
sam mit der afghanischen Regierung umzusetzen,

3. auf europäischer Ebene auf eine diesbezügliche Anpassung der gemein-
samen Drogenbekämpfungsstrategie zu drängen,

4. im Rahmen der von Europa finanzierten Programme zur Reduzierung des
illegalen Opiumangebotes auf einen internationalen Plan zur Umwandlung
illegaler Schlafmohnanbauflächen in Flächen zur Herstellung legaler, opiat-
haltiger Schmerzmittel hinzuwirken, mit dem Ziel, dies als neuen Wirt-
schaftszweig in Afghanistan zu etablieren,

5. alle ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Zugang zu erschwinglichen
und unentbehrlichen opiathaltigen Schmerzmitteln weltweit zu verbessern.

Berlin, den 11. Dezember 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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