BT-Drucksache 16/7411

Die Menschenrechte der Uiguren schützen

Vom 5. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7411
16. Wahlperiode 05. 12. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Menschenrechte der Uiguren schützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Volksgruppe der Uiguren lebt überwiegend in der „Autonomen Uigurischen
Region Xinjiang“ in China. Sie gehört zu den ältesten Turkvölkern. Kleinere
Minderheiten leben auch in der Mongolei, in der Türkei, Afghanistan und in
verschiedenen Ländern Zentralasiens. Darüber hinaus gibt es nennenswerte
Gruppen in Deutschland, Pakistan, Indonesien, Australien, Taiwan und Saudi-
Arabien. Die Mehrheit der Uiguren gehört dem sunnitischen Islam an, Sufismus
ist stark verbreitet. Die Uiguren stellen heute 7 bis 8 Millionen der 20 Millionen
in China lebenden Muslime.

Die Vorfahren der Uiguren waren vermutlich Nomaden aus der Mongolei, die in
dem Zeitraum zwischen dem 10. und dem 17. Jahrhundert zum Islam übertraten.
Xinjiang wurde zum ersten Mal 1884 formal Teil des chinesischen Reiches.
1944 formierte sich mit sowjetischer Unterstützung die Republik Ostturkestan.
Nach dem Bürgerkrieg 1949 annektierten die chinesischen Kommunisten das
Gebiet. Heute machen in Xinjiang die Uiguren nach Jahrzehnten zum Teil mas-
siver Siedlungspolitik Bejings nur noch etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus,
früher waren es über 90 Prozent.

Die seit langem prekäre wirtschaftliche, soziale und politische Lage der Uiguren
hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre und insbesondere seit dem 11. Sep-
tember 2001 weiter verschlechtert. Bejing setzt seine Siedlungspolitik unver-
mindert fort. Politische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen werden heute
ausschließlich von Han-Chinesinnen und -Chinesen besetzt und alle wirklich
relevanten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen werden ohnehin in
Bejing getroffen. Xinjiang ist ein besonders rohstoffreiches Gebiet mit großen
Kohle- und Erdölvorkommen. Die Gewinne aus diesen Rohstoffen kommen
allerdings den Uiguren selbst kaum zugute. Auf dem Arbeitsmarkt werden sie

diskriminiert und ihre Arbeitslosigkeit ist hoch. Das Durchschnittseinkommen
liegt weit unter dem Landesniveau und die Infrastruktur ist schlecht. Viele
Uiguren sind mit ihrer Situation unzufrieden und haben Angst, sozial, kulturell
und politisch überrollt zu werden. Immer wieder kommt es zu Unruhen und
Protesten. Meist werden diese mit großer Härte niedergeschlagen, denn Bejing
befürchtet eine Abspaltung dieser wirtschaftlich und strategisch wichtigen Pro-
vinz. Die ganz überwiegende Mehrheit der Uiguren wünscht sich mehr Autono-

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mie und möchte diese mit friedlichen politischen Mittel erreichen. Spätestens
seit dem 11. September 2001 aber stellt Bejing die Uiguren unter den General-
verdacht des Terrorismus und des Separatismus. Im Zuge dessen werden viele
Menschenrechte der Uiguren anhaltend verletzt.

Das von der Politik Bejings am empfindlichsten getroffene Menschenrecht der
Uiguren ist ihre Religionsfreiheit. Zwar ist Religionsfreiheit in der chinesischen
Verfassung verankert, sie wird jedoch überall dort eingeschränkt, wo sie die
„Harmonie des Staates“ stört. Die Einschränkungen in Xinjiang manifestieren
sich u. a. in der strikten Kontrolle von Moscheen und Imamen. Religionsunter-
richt in den Schulen ist nicht erlaubt und schon der Besitz des Korans hat in der
Vergangenheit zu Verhaftungen von Lehrern und Schülern geführt. Kinder und
Jugendliche unter 18 Jahren sowie Beamtinnen und Beamte dürfen keine
Moscheen besuchen. Es ist verboten, an Ramadan zu fasten. Damit verletzt
China u. a. seine völkerrechtlichen Verpflichtungen; die Einschränkungen der
Religionsfreiheit sind weder mit dem Völkergewohnheitsrecht vereinbar noch
mit den konkreten Regelungen aus dem Zivilpakt der Vereinten Nationen (VN).
Letzteren hat China bisher zwar nur gezeichnet und nicht ratifiziert, es darf sich
aber dennoch nicht so verhalten, dass seine Maßnahmen dem Sinn und der Ziel-
richtung des Paktes entgegenstehen. Zudem verletzt China die VN-Kinder-
rechtskonvention, deren Mitglied es ist, indem es die Rechte der uigurischen
Kinder auf Religionsfreiheit und die Rechte der uigurischen Eltern auf die reli-
giöse Erziehung ihrer Kinder nicht ausreichend beachtet.

Mit der Religionseinschränkung einhergehen weitere schwere Menschenrechts-
verletzungen in Xinjiang. Die Bewegungsfreiheit wird massiv eingeschränkt
durch das Verbot, uigurische Kinder im Ausland auf Schulen zu schicken. Die
Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit der Uiguren wird äußerst
restriktiv gehandhabt. Seit 2003 ist die uigurische Sprache an den Schulen und
in den Medien verboten. Es gibt unzählige Aussagen über Folter von Uiguren in
Haftanstalten und Arbeitslagern. In Xinjiang werden die meisten Todesurteile
landesweit verhängt.

Zur Begründung der zahlreichen und zum Teil dramatischen Repressionen ge-
gen die Uiguren führen die Regierung in Bejing und die Autoritäten in Xinjiang
seit dem 11. September 2001 vor allem die Bekämpfung angeblicher terroristi-
scher und separatistischer, meist auch islamistischer Gruppen der Uiguren an.
Dabei sind viele der „Beweise“ für solche Aktivitäten schwer überprüfbar. So
gibt es beispielsweise kaum unabhängige Erkenntnisse über die von China er-
folgreich auf die VN-Terrorliste gesetzte Gruppe Eastern Turkistan Islamic
Movement (ETIM). Angebliche Verbindungen dieser Organisation mit Uiguren
in Deutschland konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Kampagnen der chi-
nesischen Regierung richten sich häufig mit dem Vorwurf des Terrorismus ge-
gen politische Dissidenten, denen keine Verbindung zu terroristischen Aktivitä-
ten oder Attentaten nachgewiesen werden kann.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Resolution des House of Representatives
der Vereinigten Staaten vom September 2007, die sich für die Menschenrechte
der Uiguren und ein Ende der Repressionen gegenüber der für den Friedens-
nobelpreis nominierten und im Exil lebenden Uigurin Rebiyah Kadeer und ihrer
Familie in Xinjiang einsetzt. Andere Staaten, aber auch die USA, haben aller-
dings in der Vergangenheit direkt oder mittelbar eher dazu beigetragen, die Re-
pressionen Bejings in Xinjiang gegenüber den Uiguren umzusetzen. 2004 haben
China und Russland gemeinsam einen Aufruf zur Unterstützung ihrer Bekämp-
fung von „Terrorismus und Separatismus“ in den Fällen Tschetschenien und
Xinjiang veröffentlicht. Die USA haben trotz mangelhafter Beweise die Forde-
rung Chinas unterstützt, die Gruppierung Eastern Turkistan Islamic Movement

auf die VN-Terrorliste zu setzen. Die zentralasiatischen Staaten, die zusammen
mit China in der Shanghai Cooperation Organization (SCO) vereinigt sind, füh-

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ren gemeinsam mit China den so genannten Kampf gegen die „Drei Übel“ Se-
paratismus, Terrorismus und Extremismus, auch in Form gemeinsamer Anti-
Terror-Übungen, wobei die Definition von Terrorismus auch politisches opposi-
tionelles Engagement umfasst. Diese Staaten haben uigurische Gruppierungen
in ihren Ländern verboten und wiederholt Uiguren an China ausgeliefert. Einige
dieser ausgelieferten Personen sind später in China exekutiert worden. Auch die
Bundesrepublik Deutschland hat Uiguren nach China abgeschoben. Uiguren
werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oftmals nicht als poli-
tisch Verfolgte anerkannt, Abschiebungshindernisse werden nicht zugesprochen
und ein genereller Abschiebestopp besteht nicht. Dabei beurteilen eine Vielzahl
von Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International und Human
Rights Watch, dass abgeschobene Uiguren, unabhängig von den Staaten, aus
denen sie abgeschoben werden, in zunehmendem Maße Opfer von schwer-
wiegenden Menschenrechtsverletzungen in China werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der chinesischen Regierung gegenüber die Wahrung der Menschenrechte
auch und besonders in der Bekämpfung des Terrorismus anzumahnen;

2. gegenüber China in bilateralen Gesprächen, im Rahmen des Deutsch-Chi-
nesischen Rechtsstaats- und Menschenrechtsdialoges und im Rahmen der
EU auf Chinas verfassungs- und völkerrechtliche Pflichten zum Schutz der
Religionsfreiheit für alle Chinesinnen und Chinesen, auch der Uiguren, hin-
zuweisen;

3. im Hinblick auf die Lage der Uiguren in Xinjiang gegenüber der chinesi-
schen Regierung auf die Wahrung ihrer Freiheitsrechte sowie ihrer sozialen,
kulturellen und wirtschaftlichen Menschenrechte hinzuweisen;

4. die Bedeutung und Notwendigkeit von rechtsstaatlichen Verfahren auch ge-
genüber dem Terrorismus verdächtigter Uiguren bilateral und im Rahmen
der EU mit China zu thematisieren;

5. gegenüber der chinesischen Regierung das absolute Folterverbot weiterhin
anzusprechen;

6. der chinesischen Regierung gegenüber weiterhin die Abschaffung der
Todessstrafe zu thematisieren;

7. die chinesische Regierung dazu aufzufordern, ungehinderten Zugang zu al-
len Haftanstalten und Lagern in Xinjiang für den VN-Sonderbeauftragten
für Folter, die VN-Hochkommissarin für Menschenrechte sowie das Inter-
nationale Komitee des Roten Kreuzes zu gewähren;

8. gegenüber der chinesischen Regierung die ausstehende Ratifizierung des
VN-Zivilpaktes anzumahnen;

9. gegenüber der chinesischen Regierung rechtstaatlichen Verfahren und ein
Ende des Hausarrestes für die Kinder der für den Friedensnobelpreis nomi-
nierten und im Exil lebenden Uigurin Rebiyah Kadeer zu fordern;

10. im Rahmen der Umsetzung der neuen EU-Zentralasienstrategie gegenüber
den zentralasiatischen Ländern darauf hinzuwirken, dass sie keine Abschie-
bungen von Uiguren nach China mehr vornehmen;

11. sich im Rahmen der VN für die Aufstellung bestimmter und überprüfbarer
Kriterien für die Listung von Personen und Personengruppen auf so genann-
ten Terrorlisten einzusetzen;

12. sich im Rahmen der VN dafür einzusetzen, dass die Betroffenen solcher Lis-

ten so weit als möglich vor einer Listung anzuhören, damit diese sich gegen
Verwechslungen oder unbegründete Vorwürfe zur Wehr setzen können;

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13. ihre Einschätzung zur asyl- und abschieberelevanten Lage in China hin-
sichtlich der Gefährdung von abgeschobenen Uiguren im gesamten Staats-
gebiet Chinas zuzuspitzen und deutlich auf die Verfolgungsgefahr dieser
Menschen nach einer Abschiebung hinzuweisen;

14. gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf einer Verän-
derung seiner Anerkennungspraxis von Uiguren dahingehend hinzuwirken,
dass diese als politisch Verfolgte anerkannt werden oder ihnen zumindest
Abschiebehindernisse zuerkannt werden;

15. auf einen Abschiebestopp von Uiguren nach China in den Bundesländern
hinzuwirken;

16. zu prüfen, ob die Bundesrepublik Deutschland oder ihre Partner in der EU
die 13 noch in Guantanamo einsitzenden Uiguren aufnehmen können, die
von den USA bereits als „ungefährlich“ eingestuft wurden, aber von ihnen
aufgrund einer Gefährdung der Inhaftierten bei einer Abschiebung nach
China nicht an China ausgeliefert werden.

Berlin, den 5. Dezember 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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