BT-Drucksache 16/7392

Überflugrechte für Lufthansa Cargo in Russland und deren Verbindung mit einer Verlegung des Frachtkreuzes von Astana, Kasachstan, nach Krasnojarsk, Russische Föderation

Vom 3. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7392
16. Wahlperiode 03. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Jürgen Trittin, Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Überflugrechte für Lufthansa Cargo in Russland und deren Verbindung mit
einer Verlegung des Frachtkreuzes von Astana, Kasachstan, nach Krasnojarsk,
Russische Föderation

Am 28. Oktober 2007 entzog das russische Verkehrsministerium der Lufthansa
Cargo die Überflugerlaubnis über die Russische Föderation mit der Begrün-
dung, das bisherige Abkommen darüber sei abgelaufen und ein neues nicht ab-
geschlossen worden. Die Lufthansa bestritt dies und Bundesminister für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung Wolfgang Tiefensee reagierte am 29. Oktober
2007 mit einem Landeverbot für die russische Gesellschaft Aeroflot für den
von ihr genutzten Flughafen Frankfurt-Hahn.

Dieses Landeverbot wurde am 30. Oktober 2007 wieder aufgehoben, ohne dass
eine Klärung des Problems der Überflugrechte für die Lufthansa gelungen war.
Medienberichten zufolge (SPIEGEL ONLINE vom 1. November 2007,
FAZ.NET vom 1. November 2007) geschah dies auf Drängen des rheinland-
pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck.

Hintergrund des Entzugs der Überflugrechte für die Lufthansa ist laut
SPIEGEL ONLINE vom 1. November 2007 offenbar der Versuch der russi-
schen Regierung, Lufthansa Cargo zur Verlegung ihres zentralasiatischen
Frachtkreuzes vom kasachischen Astana ins russische Krasnojarsk zu bewegen.
Die Lufthansa selbst nannte laut „RIA Novosti“ vom 31. Oktober 2007 als ver-
mutlichen Grund die umstrittene Höhe der Überfluggebühren und bestreitet
einen Zusammenhang mit der Forderung nach Verlegung des Frachtkreuzes
nach Krasnojarsk (DIE WELT vom 10. November 2007).

Europäische Fluglinien zahlen jährlich rund 300 Mio. Euro an Russland, um
den russischen Luftraum nutzen zu dürfen. „Zusätzlich zu normalen Flugnavi-
gationsgebühren müssen EU-Fluglinien seit Jahrzehnten Zahlungen an das rus-
sische Unternehmen Aeroflot zahlen, um das Recht zu erhalten, russisches Ho-
heitsgebiet auf Routen zwischen der EU und Japan, China und Südkorea zu
überfliegen“, heißt es in einem Papier der Europäischen Kommission. Ein Ab-

kommen zwischen beiden Seiten von 2006, das Russland noch nicht ratifiziert
hat, sieht eine Abschaffung dieser Gebühren bis Ende 2013 vor.

Diese Praxis steht nach Ansicht der Brüsseler Behörde nicht in Einklang mit
dem Völkerrecht und insbesondere mit der Konvention von Chicago von 1944,
die Luftfahrtunternehmen das Recht auf kostenfreien Überflug garantiere, be-

Drucksache 16/7392 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ziehungsweise Gebühren nur in dem Maße erlaubt, wie sie der Finanzierung
der Flugsicherung dienten.

Die Europäische Kommission verband die Abschaffung der Gebühren mit
einem Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO. Die russische Re-
gierung legte der EU im Mai 2004 eine Selbstverpflichtung zur Abschaffung
der Überfluggebühren vor. Ab 2010 sollte die Höhe der Zahlungen allmählich
reduziert werden, keine Airline würde mehr verpflichtet, Abkommen mit Aero-
flot abzuschließen.

Nach Auffassung der Lufthansa gibt es keinen Zusammenhang zwischen Über-
flugrechten und Frachtkreuzverlegung. Dennoch und ohne Beteiligung der
Lufthansa habe die Bundesregierung, so „Financial Times Deutschland“ (FTD)
vom 2. November 2007, Verhandlungen mit Russland über den Zeitraum der
Verlegung des Frachtdrehkreuzes von Lufthansa Cargo nach Krasnojarsk ge-
führt. Diese führten zu einer vorläufigen Verlängerung der Überflugrechte zu-
nächst bis zum 15. November 2007 und später bis zum 29. Februar 2008.

Lufthansa sieht sich zu einer Verlegung des Frachtkreuzes nach Krasnojarsk
aber aus mehreren Gründen gegenwärtig nicht in der Lage (Dow Jones Eastern
Europe vom 9. November 2007). Ein Umzug nach Krasnojarsk sei keinesfalls
sofort, sondern „bestenfalls langfristig“ möglich (FTD vom 6. November 2007,
DIE WELT vom 10. November 2007). Russland drohe unterdessen, die Über-
flugrechte für Lufthansa nicht mehr zu verlängern (DIE WELT vom 14. No-
vember 2007, S. 14).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher völkerrechtlichen Grundlage sind die Verträge zum Überflug
russischen Territoriums geschlossen worden, und seit wann bestehen sie?

2. Seit wann war der Bundesregierung bekannt, dass der Vertrag über die
Nutzung des russischen Luftraumes für die Lufthansa Cargo auslaufen
würde?

3. Seit wann hat die Bundesregierung Kenntnis über den Wunsch der russi-
schen Seite, den sibirischen Flughafen Krasnojarsk der Lufthansa als Ersatz
für Astana anzubieten?

4. Teilt die Bundesregierung die russische Haltung, dass eine Absichtserklä-
rung der Lufthansa, bei vorliegenden entsprechenden technischen Voraus-
setzungen und angemessenen Kosten ihr Cargo Drehkreuz von Astana nach
Russland zu verlegen, und deren nicht sofortige Umsetzung wegen Nicht-
vorliegens der genannten Voraussetzungen ein hinreichender Grund sei, ein
Überflugverbot für Lufthansa Cargo zu verhängen?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, bei dieser Vorgehensweise han-
dele es sich um einen Bruch internationalen Rechts und entsprechender
völkerrechtlicher Vereinbarungen?

6. Wurde der Ausbau des Flughafens in Astana, Kasachstan durch Mittelzu-
wendungen der EU, aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung oder aus Mitteln des Auswärtigen Amts
unterstützt, und wenn ja, in welcher Höhe?

7. Liegen der Bundesregierung Stellungnahmen der kasachischen Regierung
zur einer möglichen Verlegung des Frachtkreuzes von Astana nach Krasno-
jarsk vor?

8. Welche anderen europäischen Fluglinien nutzen den russischen Luftraum
noch unter Zahlung denen der Lufthansa vergleichbarer Überfluggebühren?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7392

9. Gab es auf Betreiben der Bundesregierung Rücksprache zwischen Luft-
hansa Cargo mit den potenziell betroffenen anderen Fluglinien innerhalb
der EU?

10. Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung innerhalb der EU ein Gebot
politischer Abstimmung zu handelsbezogenen Problemen mit Nachbar-
staaten der EU?

11. Wenn ja, mit welcher Begründung landeten Aeroflot-Maschinen während
dessen Sperrung statt in Frankfurt/Hahn in Luxemburg?

12. Mit welcher Begründung wurde das Landeverbot für die Aeroflot in Frank-
furt/Hahn am 29. Oktober verhängt und am 30. Oktober wieder aufgeho-
ben, und welchen Anteil hatte die Landesregierung von Rheinland-Pfalz an
dieser Entscheidung?

13. Wie hat sich dieser Vorgang nach Einschätzung der Bundesregierung auf
die Verhandlungsposition der Bundesregierung mit der russischen Seite
ausgewirkt?

14. Wurde die Lufthansa AG nach Einschätzung der Bundesregierung ausrei-
chend in die Verhandlungen einbezogen bzw. von deren Verlauf infor-
miert?

15. Wenn ja, wie erklärt sich die Bundesregierung die Kritik des Lufthansa-
Vorstands an der Verhandlungsführung und an einem fehlenden Verhand-
lungskonzept (DIE WELT vom 8. November 2007)?

16. Hat die Bundesregierung zum Zeitpunkt des Entzugs der Überflugerlaub-
nis für Lufthansa Cargo durch die russische Seite Ministerien der EU-Mit-
gliedstaaten sowie die Europäische Kommission von der Situation infor-
miert, wenn nein, warum nicht?

17. Wie begründet die Bundesregierung die Haltung, wie sie in der Pressekon-
ferenz der Bundesregierung vom 2. November 2007 dargestellt wurde und
der zufolge die Bundesregierung keine Notwendigkeit sah, die Europäi-
sche Kommission in die Verhandlungen einzubeziehen?

18. Wie hat sich, nach Meinung der Bundesregierung das Verhalten der russi-
schen Regierung im Gesamtkonflikt auf die Verhandlungen der EU mit
Russland über einen baldigen WTO-Beitritt ausgewirkt?

Berlin, den 3. Dezember 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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