BT-Drucksache 16/7233

Birma nach Niederschlagung der friedlichen Massendemonstrationen

Vom 16. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7233
16. Wahlperiode 16. 11. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Ute Kozcy, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen
Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Birma nach Niederschlagung der friedlichen Massendemonstrationen

Mit friedlichen Massendemonstrationen hat sich die Bevölkerung Birmas im
September 2007 gegen die Herrschaft der Militärjunta erhoben. Trotz internatio-
naler Warnungen hat die Militärjunta die friedlichen Demonstrationen mit bru-
taler Gewalt niedergeschlagen. Offiziell soll es 13 Tote gegeben haben, glaub-
würdige Quellen sprechen dagegen von mehreren Hundert. Es kam zu Massen-
verhaftungen und Unterdrückung journalistischer Berichterstattung – sogar die
Internetanbindung des Landes wurde zeitweise unterbrochen. Die ASEAN-Staa-
ten (Association of Southeast Asian Nations), die EU und weitere internationale
Akteure haben das Vorgehen der Militärjunta scharf verurteilt. Im UN-Sicher-
heitsrat scheiterte eine Verurteilung jedoch an den Vetomächten China und Russ-
land, die wie Indien und einige ASEAN-Staaten weiterhin durch umfangreiche
Wirtschaftsbeziehungen und Waffenlieferungen die Militärjunta stützen. Der
UN-Menschenrechtsrat hat am 2. Oktober 2007 in einer Resolution die Gewalt
der Militärjunta „entschieden missbilligt“ und forderte von der Militärjunta die
Freilassung der Inhaftierten, die generelle Einhaltung der Menschenrechte und
einen Dialog mit der Opposition über einen friedlichen Übergang zur Demokra-
tie. Der UN-Sicherheitsrat folgte schließlich am 11. Oktober 2007 mit einem ent-
sprechenden Presidential Statement. Der Sondergesandte des UN-Generalsekre-
tärs Ibrahim Gambari erhielt aufgrund des internationalen Drucks erstmals seit
November 2006 eine Einreisegenehmigung nach Birma und durfte mit der wei-
terhin unter Hausarrest stehenden Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi spre-
chen. Die Militärjunta hat Arbeitsminister Aung Kyi als Beauftragten für den
Dialog mit der Opposition ernannt. Am 25. Oktober 2007 kam es zu einem ersten
Treffen mit Aung San Suu Kyi. Nach einem weiteren Treffen mit UN-Vermittler
Ibrahim Gambari erklärte Aung San Suu Kyi am 8. November 2007, dass sie zu
einem umfassenden Dialog mit der Militärjunta unter Einbeziehung insbeson-
dere auch der ethnischen Minderheiten bereit ist. Es besteht jedoch allgemeine
Skepsis, ob die Militärjunta auf dieses Dialogangebot ernsthaft eingehen wird
oder angesichts des aktuellen internationalen Drucks nur kurzfristig taktiert.
Das Auswärtige Amt (AA) hat in einer Einzelfallauskunft an das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 22. März 2007 erklärt, abweichende
politische Überzeugung führe in Birma nicht unmittelbar zu Repressalien und
Verfolgung und der Fall des Stanley Van Tha stelle eine Ausnahme dar. Stanley
Van Tha war nach Abschiebung aus der Schweiz 2003 in Birma zu 19 Jahren
Haft verurteilt worden und galt seitdem als Präzedenzfall in der Asylrecht-
sprechung. Die Anerkennungsquote birmanischer Asylantragstellerinnen/Asyl-

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antragsteller betrug 2006 – bei insgesamt 145 Anträgen – 97,6 Prozent. Seit
Sommer 2007 sank die Anerkennungsquote erheblich ab, gerade als die neue
Protestbewegung in Birma begann. Der Deutsche Bundestag hat sich am 10. Ok-
tober 2007 mit der Situation in Birma befasst und in einem interfraktionellen
Antrag die Militärjunta scharf verurteilt. Ein angenommener Änderungsantrag
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN forderte zudem die Bundesregierung auf,
„ihre in Asylverfahren Präzedenzwirkung entfaltende Einzelauskunft vom März
2007 der Zuspitzung der Lage in Birma/Myanmar anzupassen und ihre Ein-
schätzung, abweichende politische Überzeugungen führten nicht unmittelbar zu
Repressalien und Verfolgung, zurückzunehmen.“ Die Erstellung eines eigen-
ständigen Lageberichts zu Birma plant das Auswärtige Amt jedoch weiterhin
nicht (vgl.: Antwort der Bundesregierung vom 18. Oktober 2007 auf die schrift-
liche Frage 6 auf Bundestagsdrucksache 16/6744).

Der Rat der EU-Außenminister hat am 15. Oktober 2007 beschlossen, die
bestehenden EU-Sanktionen gegen Birma zu verschärfen und um ein Han-
dels- und Investitionsverbot in den Sektoren Nutzholz, Metalle, Mineralien
und Edelsteine zu erweitern. Gleichzeitig erklärt die EU ihren Willen zur ver-
stärkten humanitären Hilfe und zur Unterstützung eines demokratischen
Transformationsprozess. Um die Birma-Politik der EU besser zu koordinieren
wurde am 6. November 2007 der ehemalige italienische Justizminister Pierro
Fassino zum EU-Sonderbeauftragten für Birma ernannt.

Über die Wirksamkeit der bisherigen EU-Politik bestehen erhebliche Zweifel,
insbesondere was das Sanktionsregime angeht.

So betrifft das Einfrieren von Konten von Personen, die mit wichtigen Regie-
rungsfunktionen in Verbindung stehen nur wenige Tausend Euro.

Das Politikmagazin Monitor berichtet am 25. Oktober 2007 über indirekte Rüs-
tungsgeschäfte der Kölner Deutz AG mit der Militärjunta in Birma (vgl.: http://
www.wdr.de), mit denen das EU-Waffenembargo unterlaufen wird. Demnach
sollen bis 2003 ukrainische Panzerexporte nach Birma mit Deutz Motoren aus-
gerüstet gewesen sein. Über eine Lizenzvereinbarung mit dem chinesischen
Rüstungskonzern Norinco sei die Deutz AG weiterhin an Panzerlieferungen an
die Militärjunta in Birma beteiligt.

Amnesty International (AI) hat bereits am 17. Juli 2007 darauf hingewiesen, dass
Unternehmen aus sechs EU-Staaten durch Zulieferungen an den indischen Kon-
zern Hindustan Aeronautics Ltd. an der Lieferung von Militärhubschraubern
nach Birma beteiligt sind (vgl.: http://www2.amnesty.de).

Auch die ausgeweiteten Sanktionsbestimmungen vom 15. Oktober 2007 drohen
unterlaufen zu werden. So werden nach einem Bericht des Magazins „DER
SPIEGEL“ Edelsteine aus Birma für mehrere hundert Millionen Dollar pro Jahr
zumeist in Thailand umdeklariert, bevor sie auf den Weltmarkt gelangen (vgl.
„DER SPIEGEL“ 42/2007, S. 84). Dieses Umdeklarieren wird auch bei Teak-
holz aus Birma praktiziert, das vielfach als „indonesisches Plantagenteak“ auf
den deutschen Markt gelangt (vgl.: http://www.wald.org/was_tun).

Gleichzeitig sparen die ausgeweiteten EU-Sanktionen die für die Militärjunta
besonders lukrativen Sektoren der Öl- und Gasförderung aus. Die „Süddeutsche
Zeitung“ berichtete am 4. Oktober 2007, dass sich insbesondere Frankreich ge-
gen eine entsprechende Ausweitung sperrt, um die Investitionen des französi-
schen Konzerns Total nicht zu gefährden. Ein französischer Diplomat wird mit
den Worten zitiert: „Frankreich hat nicht vor, sich in Birma von China oder In-
dien ablösen zu lassen“ (vgl.: http://www.sueddeutsche.de). Zuvor berichtete
bereits die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), dass der französische Au-
ßenminister Bernard Kouchner 2003 als Berater von Total tätig war. Kouchner

erarbeitete demnach Rechtfertigungsstrategien für das Birmaengagement von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7233

Total gegen die Kritik von Menschenrechtsorganisationen (vgl.: FAZ, 29. Sep-
tember 2007: Verwicklungen in und mit Birma).

Das erklärte Ziel des gemeinsamen Standpunkt der EU gegenüber Birma ist
die Verhaltensänderung der herrschenden Militärjunta und der friedliche
Übergang zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschen-
rechte. Ein hochrangiger Dialog mit der Militärjunta findet jedoch nicht statt.
Dialogversuche wie Anfang Oktober 2007 das dritte Treffen der Track-
Two- Workshopserie der Friedrich Ebert-Stiftung in Birma stehen unter dem
hohen Risiko der propagandistischen Instrumentalisierung durch die Mili-
tärjunta (vgl.: www.spiegel.de). Die Delegation der Friedrich Ebert-Stiftung
wurde vom ehemaligen Asienbeauftragten des Auswärtigen Amts, Christian
Hauswedell, geleitet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Anzahl der Toten
und Verhafteten im Zusammenhang mit der Niederschlagung der friedlichen
Massendemonstrationen vor?

Wie viele der Festgenommenen sind weiterhin in Haft?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die humanitäre Lage in Birma insbeson-
dere auch in den Gebieten der ethnischen Minderheiten nach Niederschla-
gung der friedlichen Massendemonstrationen?

3. Welche zusätzlichen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die huma-
nitäre Lage in Birma und der Flüchtlinge aus Birma vor allem in Thailand zu
verbessern?

Welche Mittel werden dafür zur Verfügung gestellt?

4. Hat das Auswärtige Amt seine Einzelfallauskunft an das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge vom 22. März 2007 offiziell zurückgenommen?

Wenn nein, wieso nicht?

5. Hat das Auswärtige Amt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
bereits eine neue aktuelle Einschätzung der Lage in Birma zur Verfügung
gestellt?

a) Wenn nein, wieso nicht?

b) Wenn ja, welchen Inhalt hat diese Auskunft?

Wird darin insbesondere weiterhin die Annahme vertreten, der Fall des
Stanley Van Tha sei ein Ausnahmefall?

Wird der Wortlaut Mitgliedern des Deutschen Bundestages auf Anfrage
zur Verfügung gestellt?

6. Wie ist das Verhältnis von Anerkennungen und Ablehnungen in Asylver-
fahren birmanischer Antragstellerinnen und Antragsteller im laufenden Jahr
(bitte nach Monaten aufschlüsseln)?

7. Fehlt der deutschen Botschaft in Birma das notwendige Personal für eine
detailliertere Bewertung der Menschenrechtssituation?

a) Wenn nein, wieso plant das Auswärtige Amt dann trotz der brisanten Vor-
gänge in Birma nicht die Erstellung eines Ad hoc-Lageberichts, der eine
wesentlich bessere Einschätzung der Menschenrechtslage erlauben würde?

b) Wenn ja, ist eine Aufstockung des Botschaftspersonals geplant?
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8. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Sanktionspolitik der EU
gegenüber der Militärjunta in Birma?

Teilt die Bundesregierung die Auffassung, die Sanktionen waren bisher vor
allem symbolischer Natur und haben ihr politisches Ziel, zu einer Änderung
der Politik der Militärjunta beizutragen nicht erreicht?

9. Welche Auswirkungen erhofft sich die Bundesregierung von der Auswei-
tung der EU-Sanktionen vom 15. Oktober 2007?

Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, auf der UN-Ebene
einen neuen Anlauf für UN-Sanktionen zu starten?

10. Welche Informationen liegen der Bundesregierung vor über das Umdekla-
rieren von (Teak-)Holz, Edelsteinen und anderer Waren aus Birma in Dritt-
staaten und deren anschließenden Export in die EU?

In welchem Umfang kommen auf diesem wie auf direktem Weg bisher
Edelsteine, (Teak-)Holz und andere Waren auf den EU-Markt?

Entsprechen die im genannten „SPIEGEL“-Bericht erwähnten Zahlen über
den Handel mit Edelsteinen aus Birma und die dadurch erzielten Einnahmen
der Militärjunta den Erkenntnissen der Bundesregierung?

Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung gegenüber den entspre-
chenden Drittstaaten sowie den Händlern bzw. Verkäufern dieser Waren in
der Bundesrepublik Deutschland, um die lückenlose Durchsetzung der
EU- Sanktionen sicherzustellen?

11. Wie sieht die Bundesregierung die Chancen, den Handel mit in Konflikt-
gebieten wie Birma gewonnenen Rubinen und Saphiren effektiv zu
unterbinden, indem beispielsweise der UN-Prozess über den Handel mit
Konflikt-Diamanten (Kimberley-Prozess) auf diese beiden Edelsteine aus-
geweitet wird?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Vorbemerkung erwähnten
Geschäfte der Kölner Deutz AG und Zulieferungen aus EU-Staaten für den
indischen Rüstungsexporteur Hindustan Aeronautics Ltd.?

Welche weiteren Hinweise auf Umgehungen des EU-Waffenembargos ge-
gen Birma liegen ihr vor?

Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine strikte Einhaltung des
EU-Waffenembargos in Zukunft sicherzustellen?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die geringe Summe der in der EU einge-
frorenen Gelder von Regimevertretern?

Wie hat sich die Ausweitung der Liste betroffener Personen bisher auf die
Höhe der in der EU bzw. in der Bundesrepublik Deutschland eingefrorenen
Gelder ausgewirkt?

14. Welche europäischen Unternehmen sind über das französische Unternehmen
Total hinaus im Öl- und Gasgeschäft in Birma in welchem Umfang aktiv?

Welches Ausmaß hat das Engagement von Total, und wie lässt sich aus Sicht
der Bundesregierung dieses Engagement von Total und ggf. anderer euro-
päischer Unternehmen im Öl- und Gassektor Birmas mit einer glaubwürdi-
gen EU-Politik gegenüber Birma vereinbaren?

15. Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung gegenüber China, Indien,
Russland und den ASEAN-Staaten, um auf ein konsequenteres und einheit-
liches Vorgehen gegenüber der Militärjunta in Birma hinzuwirken?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7233

16. Welche Rolle hat die Lage in Birma beim Besuch der Bundeskanzlerin,
Dr. Angela Merkel, in Indien gespielt?

Hat die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, gezielt die indischen Groß-
investitionen in die Gasförderung in Birma sowie indische Rüstungsexporte
und die Militärkooperation mit Birma angesprochen?

a) Wenn nein, wieso nicht?

b) Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

17. In welcher Form hat die Bundesregierung bisher die Lage in Birma gegen-
über der chinesischen Führung angesprochen?

Mit welchem Ergebnis?

Sind der Bundesregierung Aufrufe von Vertretern der Mönche in Birma be-
kannt, die zum Boykott der Olympischen Spiele in Peking 2008 aufrufen,
sollte China seine Haltung gegenüber der Militärjunta nicht ändern?

Wie bewertet die Bundesregierung solche Aufrufe, und welchen Stellen-
wert misst sie den Olympischen Spielen bei der Gestaltung der chinesischen
Birma- Politik bei?

18. Wie bewertet und unterstützt die Bundesregierung die bisherigen Versuche
des UN-Sondergesandten Ibrahim Gambari, zu einem einheitlichen und
konsequenteren Vorgehen der Nachbarstaaten Birmas bzw. der ASEAN-
Staaten beizutragen?

Welche Bedeutung hat dabei der ASEAN-Gipfel in Singapur?

19. Welche konkreten Aufgaben soll der neu geschaffene Posten des EU-Son-
derbeauftragten für Birma verfolgen, und wie plant die Bundesregierung die
Arbeit von Pierro Fassino zu unterstützen?

20. Auf welche direkten Gesprächskanäle mit welchen Vertretern der Militär-
junta in Birma können die Bundesregierung und der neue EU-Sonderbeauf-
tragte zurückgreifen?

Wie bewertet die Bundesregierung den politischen Nutzen dieser Ge-
sprächskanäle, und zu welchen Gelegenheiten nutzt sie diese?

21. Wie bewertet die Bundesregierung den Zeitpunkt des dritten Treffens der
Track-Two-Workshopserie der Friedrich Ebert-Stiftung in Birma unmittel-
bar nach der gewaltsamen Niederschlagung der friedlichen Massendemons-
trationen durch die Militärjunta?

Welche Bedeutung misst sie der Leitung der Delegation durch den ehemali-
gen Asienbeauftragten des Auswärtigen Amts Christian Hauswedell bei?

Wie war sie an Vorbereitung und Durchführung des Treffens beteiligt, und
wie bewertet sie dessen Ergebnisse?

Berlin, den 16. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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